So ganz langsam spricht es sich herum, dass aus dem Mauerblümchen Chasselas bzw. Gutedel Weine von herausragender Qualität entstehen können. Hier je ein Beispiel aus Deutschland und aus der Schweiz als Beweis.
Zugegeben, auch ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich in Chasselas zu verlieben. Zu sehr sind mir da die dünnen, jämmerlichen Säftchen in Erinnerung, die wir jeweils in meiner Militärzeit in der Westschweiz im Ausgang vorgesetzt erhielten. Und auch eine Aussage über Chasselas-Weine eines damals führenden Weinjournalisten in den späten 1980er-Jahren musste ich zuerst überwinden: „So etwas wie halb Wein und halb saurer Most“!
Bester deutscher Wein bei Vinum: 10 hoch 4 von Ziereisen
Allerdings hätte es schon zu jener Zeit sehr gute Weine aus der Chasselas (in Deutschland: Gutedel) gegeben, was diverse Degustationen alter Weine aus jener Zeit heute eindrücklich bestätigen. Dass die besten Weine inzwischen auch ganz vorne in den Punktelisten mitmischen können, ist aber doch neu. So wurde vor drei Jahren zum Beispiel der Gutedel Jaspis 10hoch4 2016 von Hanspeter und Edeltraud Ziereisen als bester im Jahr 2020 von Vinum degustierter deutscher Wein bewertet (19,5 Punkte!). Ich selbst habe vor zwei Jahren den Jahrgang 2017 den gleichen Weines ebenfalls mit dieser Punktezahl bedacht – ein Wert, zu dem ich in diesem Blog noch gar nie gegriffen habe (wobei anzumerken ist, dass ich i.d.R. auch keine wirklich teuren Weine beschreibe).
Blick auf die Rebberge von Efringen-Kirchen, ideales Terroir an der deutschen „Burgunderpforte“.
Eine Stufe tiefer, aber auch grossartig: Steingrüble von Ziereisen
Nebst einem schon länger geplanten Beitrag über eine Verkostung von vier älteren Jahrgängen des Dézaley Médinette hat mich nun wiederum ein Wein von Ziereisen zum Schreiben angeregt, der „Steingrüble 2016“. Einfach grossartig, wie sich dieser Wein heute präsentiert, in der Trinkreife (wobei er das eigentlich schon die ganze Zeit war) aber immer noch mit viel Lagerpotential! Dieser – durchaus bezahlbare – Gutedel wird spontan vergoren und gegen zwei Jahre auf der Hefe im grossen Holzfass ausgebaut und schliesslich ohne Filtration oder Schönung abgefüllt.
Steingrüble 2016, Gutedel, Badischer Landwein, Hanspeter und Edeltraud Ziereisen Mittleres Gelb, zuerst etwas Brioche (erinnert ein wenig an einen schönen Champagner), dann sehr fruchtig mit Apfel, Birne, Mirabelle und Papaya, dezenter Holzton; im Mund prägnante aber wunderschön „mürbe“ Säure, enorm mineralisch, dicht, „saftig“, wunderbarer Trinkfluss. Fast nicht endender Abgang mit Anflügen von Zitrus und Brioche. Toller Wein und nur 12,5 % Alk.! 17,5 Punkte.
Und die Chasselas-Legende aus der Schweiz: Dézaley Médinette von Louis Bovard
Grandiose Wein- und Kulturlandschaft: Dézaley am Genfersee.
Im vergangenen Spätherbst fand eine unglaublich spannende Degustation der Swiss Wine Connection statt. Von vier Schweizer Spitzenweinen wurden je vier gereifte bis „alte“ Weine präsentiert – darunter als einziger Weisser der Dézaley Grand Cru Médinette der Domaine Louis Bovard. Auch der älteste vorgestellte Jahrgang, 2002, war noch im voller Form – wenn das kein Beweis für die Grösse dieses Cru’s und für das Potential der Chasselas ist! Nachstehend meine Kurznotizen zu den vier Jahrgängen:
2011 Mittleres Strohgelb; grüne Töne, nussig, etwas „mostig“; im Mund etwas Kampfer, trotz tiefer Säure sehr frisch wirkend, rund mit langem Abgang. Der „schwächste“ der vier Jahrgänge, hat aber ev. eine etwas schwierige Phase. 16 Punkte.
2008 Mittleres Strohgelb; zuerst ganz leicht muffig, entwickelt sich mit Luft aber immer schöner hin zu fruchtigen Tönen wie Mirabellen und weissen Johannisbeeren; im Mund sehr frisch, mineralisch, ausgesprochen rund und trinkfreudig, langer Abgang. Schöner, frischer Wein. 17,5 Punkte.
2005 Eher helles Gelb; Duft nach Lindenblüte, kandierten Früchten und Honig, würziger Touch; im Mund trotz tiefer Säure frisch und harmonisch, mineralisch, rund, langer Abgang. 17 Punkte.
2002 Helles Strohgelb; vielschichtige Frucht (Steinobst und exotische Früchte); im Mund eher filigran, mineralisch, tolle Frische, extrem langer Abgang! Herrlicher Wein, 20 Jahre und kein bisschen müde! 17,5 Punkte.
Fazit: Chasselas/Gutedel aus dem Rebberg und dem Keller von begnadeten Winzern bringt Spitzenqualität! Es ist Zeit, alte Vorurteile abzulegen!
Und bei dieser Gelegenheit: Am 28.4.2023 findet in Efringen-Kirchen (10 Kilometer ab Basel) der Landweinmarkt Baden statt. Eine ideale Gelegenheit, die Weine von Ziereisen und anderen führenden Winzern der Region zu probieren: Willkommen zum 4. Landweinmarkt Baden (landweinmarkt-baden.de)
Interessennachweis: Der „Steingrüble“ wurde vor Ort beim Winzer gekauft und die Teilnahme an der Médinette-Degustation mit dem ordentlichen Eintritt beglichen.
Schnell: Wo liegt der höchste Rebberg Europas? Nein, auch wenn es aus Schweizer Sicht schön wäre, eben nicht im Wallis. Da wachsen die Reben auf stolzen 1’150 m, doch in Sizilien, an den Hängen des Ätna, wird diese Höhe noch getoppt, zum Beispiel von alten Grenache-Reben, die auf 1’200 m gedeihen. Und der Wein daraus ist vorzüglich und einzigartig!
Genau genommen halten aber auch diese Reben nicht den Europarekord. In den spanischen Pyrenäen und im Südtirol soll es Reben geben, die auf über 1’300 m gedeihen. Aber eigentlich geht es ja nicht um Rekorde, sondern um Qualität. Und die ist beim heute beschriebenen Wein vom Ätna aussergewöhnlich.
Hong Kong – Los Angeles – Randazzo am Ätna
Sehr speziell ist auch die Geschichte, die hinter diesem Wein steckt. Zwar ist ein grosser Teil der Reben schon jahrzehntealt – 60-100 Jahre. Grenache (bzw. Cannonau) ist am Ätna ohnehin keine seltene Sorte. Aber so richtig spannend wird es ab dem Jahr 2015, als Stef Yim das Gut mit den verstreuten Rebparzellen übernahm. Stef ist Amerikaner mit einer japanischen Mutter und wuchs in Hong Kong auf. In Kalifornien startete er seine Berufskarriere als Sommelier, bevor er eine Pause brauchte und nach Europa zog. Er arbeitete u.a. in Südfrankreich. Die Weine vom Ätna und generell aus vulkanischem Boden hatten ihn aber schon länger in vielen Degustationen begeistert, und so verliebte er sich auch in die Gegend und die vinologischen Möglichkeiten und blieb quasi am Ätna hängen. Er arbeitet biologisch und die Weine werden auf den Wildhefen vergoren und möglichst zurückhaltend geschwefelt.
Der Ätna aus der Perspektive der Weinberge. Tanz mit dem Feuer? (Bild ab Homepage von Sciara)
Bei Sciara werden die meisten Weine nach der Höhenlage bezeichnet, in der sie wachsen. So gibt es einen „760“ (Jahrgang 2020: sehr feine helle Frucht, feine Tannine und toller Säure, sehr elegant, 16,5 Punkte) und einen „980“ (Jahr 2020: dunklere Beeren, würzig, viel Tannin und sehr druckvoll mit viel Eleganz, 17 Punkte). Die beiden Weine werden grossmehrheitlich bzw. ganz aus der Sorte Nerello Mascalese hergestellt und bestechen durch eine eigenständige und sehr elegante Art. Zusätzlich produziert das Gut auch einen Wein aus wurzelechten Reben sowie einen Weisswein.
Tages- und Nachtunterschied: 35 Grad!
Der speziellste Wein (wobei ich die beiden letzten nicht probiert habe) ist aber der „1200 metri“. Das ist aufgrund der Aromen unverkennbar Grenache – aber im Mund würde man niemals auf diese Sorte tippen. Er wirkt wie ein „cool climate-Wein“ und überzeugt durch eine umwerfende Fruchtigkeit und Frische. Cool climate ist freilich hier nicht richtig. Zwar wird es auf dieser Höhe kühl bzw. im Winter kalt – aber in Sizilien wird es eben auch heiss. Es gibt zuweilen Tage in der Vegetation, in denen das Thermometer um 35 Grad schwankt!
1200 metri, 2020, IGT Etna Rosso, Sciara, 100 % Grenache spagnolo (Cannonau) (kein DOC-Wein, da diese nur bis in eine Höhe von 800 m gilt) Mittleres Rot; dezent würzig (u.a. Lorbeer und Wacholder), helle und dunkle Frucht, etwas Rhabarber; im Mund ganz anders, als man einen Grenache erwarten würde: eher schlank und sehr elegant, enorm fruchtbetont, extreme Frische, prägnante, aber gut eingebundene Säure, recht viel Tannin. Völlig untypischer, „cooler“, aber interessanter Grenache. Speziell, aber grossartig. 17,5 Punkte.
PS. Für alle mitlesenden Schweizer Weinhändlerinnen und Weinhändler: Sciara hat noch keine Vertretung. Das wäre doch eine Chance auf eine echte Rarität (vom „1200“ gibt es z.B. nur rund 1000 Flaschen)
Und noch ein PS für alle: Man kann auf dem Gut auch übernachten.
Interessennachweis: Der Wein wurde auf Einladung von Vinum im Rahmen von „Vini d’Italia von Gambero Rosso“ in Zürich zuerst an der Masterclass-Degustation und danach nochmals am Degustationstisch des Gutes in der „Walk around“-Degustation verkostet.
Nizza. Bei diesem Stichwort muss jemand ein ziemlicher Weinfreak sein, um nicht zuerst an Meer und Sonne zu denken. Dem Weinfreund kann man aber nur den Blick auf das andere Nizza – Nizza Moferrato im Piemont – empfehlen. Hier werden herausragende Weine aus der Barbera erzeugt, einer Rebsorte, der eine grosse Zukunft prognostiziert werden kann. Eine kürzlich durchgeführte Degustation des Weinmagazins Vinum gab einen Einblick in grossartige Weine.
Barbera? Das war in meiner Jugend jener eigentlich ungeniessbare Tropfen, der in Pizzerias als Hauswein angeboten wurde und dem ich heute mit Sicherheit ein Glas Wasser vorziehen würde. Diese „Weine“ haben das Image der Traubensorte Barbera hierzulande ziemlich nachhaltig beschädigt. Es brauchte Leute wie Giacomo Bologna, der an die Sorte glaubte und mit dem Bricco dell’Uccellone auch einen wirklich herausragenden Wein produzierte, der zum Umdenken anregte – 2022 feiert dieser Wein gerade sein 40-Jahr-Jubiläum.
Bilderbuchlandschaft in der DOCG Nizza bei Nizza Monferrato (Bild am Homepage der Associazione)
Nochmals 20 Jahre später gründete eine Reihe von Barbera-Produzenten im Bereich von Nizza Monferrato die „Associazione Produttori del Nizza“ mit dem Ziel, das Anbaugebiet um die Stadt unter den Barbera-Produzenten als besonders herauszustreichen. Tatsächlich kann man angesichts der heutigen qualitativen Dichte von einer Art „Grand Cru“ der Barberas sprechen. Das wird auch belegt durch den Umstand, dass das früher zu Barbera d’Asti gehörende Gebiet im Jahr 2014 den Status einer DOCG erhielt. Nizza DOCG bedeutet, ohne dass es ersichtlich wäre, dass der Wein zu 100 % aus Barbera gekeltert sein muss – dies im Unterschied zu anderen Barbera-Appellationen, wo 10 – 15 % andere Sorten zugelassen sind.
Barbera: Hitzebeständig und säurebetont
Zwar ist die Barbera – deren Heimat übrigens im Monferrato vermutet wird – eine der weltweit am meisten angebauten Sorten, aber eben, ihr Image ist immer noch schlecht, siehe Einleitung. Dabei hat sie nicht nur ein an guten Lagen hervorragendes Qualitätspotential, sondern auch Eigenschaften, die sie wie geschaffen für den Anbau in Zeiten der Klimaerwärmung macht. Freilich schrieb Jancis Robinson schon 1986 in ihrem Buch „Reben – Trauben – Weine“: „… die Barbera über ein hochgezüchtetes Potential besitzt, allerdings nur in Gegenden, die kühler sind als die, wo sie so enthusiastisch gepfegt wird. Nordwestitalien sagt ihr am besten zu“. Mit der enthusiastischen Pflege waren vor allem heisse Gegenden im Süden gemeint.
Umgekehrt schrieb die Autorin schon damals, dass die Barbera als Sorte gilt, die auch in heissen Gegenden zuverlässig Weine mit erfreulich hohem Säuregehalt hervorbringt. Und genau diese Eigenschaft, gepaart mit mässigem Tanningehalt, macht sie heute so spannend. Was will man mehr: Eine Sorte, die bei guter Pflege und guten Böden qualitativ hervorragend ist, gleichzeitig aber auch hitzebeständig, die über eine hohe Säure verfügt, aber auch über Dichte und Struktur, so dass selbst ein guter gemachter Wein mit 14,5 Vol-% Alkohol absolut nicht plump oder alkoholisch wirkt. Da die Winzer gleichzeitig besser gelernt haben, mit heissen Sommern umzugehen – z.B. durch einen Verzicht auf das Auslauben der Traubenzone – kann auch in Hitzejahren die Qualität herausragend ausfallen.
Barolowinzer kaufen sich in Nizza ein
In den 20 Jahren seit der Gründung der Associazione Produttori del Nizza hat sich das Gebiet unglaublich entwickelt. Die Produzenten konnten zeigen, welch Potential die Barbera hier hat, und ein Teil der Weinwelt hat das auch schon gemerkt, was zu einem – aus Produzentensicht – erfreulichen Preisniveau geführt hat. Zumindest der produzierende Teil der Weinwelt wurde auf die Appellation ohnehin aufmerksam, und deshalb kauften auch immer mehr renommierte Güter wie Prunotto (= Antinori) oder Stefano Gagliardo auch Reben in der DOCG Nizza.
Die Karte für eine grosse Zukunft: Das Verständnis für die Terroirs soll zu noch besseren Weinen führen. Und vielleicht zu echten Crus.
Wie die nachfolgenden Degustationsnotizen zeigen, weisen die Weine aus Nizza schon heute eine tolle Qualität auf. Es könnte aber mit den Jahren an der Spitze sogar noch besser werden. Denn die einzelnen Lagen im Gebiet sind noch nicht gut erforscht. Stefano Chiarlo, Präsident der Associazione Produttori del Nizza, sagt denn auch, es sei noch zu früh, Lagen zu klassieren, es fehle an Erfahrung. Klar sei aber, dass es grosse Unterschiede gebe, und dass es wahrscheinlich sei, dass auch im Gebiet Nizza eines Tages „Crus“ entstehen. Ein erster Schritt dazu wurde im kürzlich mit einer Karte über das DOCG-Gebiet gelegt. Fachmann Alessandro Masnaghetti, der bereits Barolo und Barbaresco kartographiert hat, schuf eine Grundlage, die von grossem Wert sein dürfte. Dass es grosse Unterschiede gibt, die sich auch im Wein bemerkbar machen müssen, lässt sich allein aus der Tatsache ableiten, dass es im Gebiet unterschiedliche Böden mit Sand, Lehm und Schiefer gibt – von der Ausrichtung, dem Mikrokilma und der Meereshöhe einmal ganz abgesehen.
Sympathische Protagonisten der Degustation: Stefano Chiarlo, Präsident der Associazione Produttori de Nizza (und Inhaber des Gutes Michele Chiarlo, welches meinen Siegerwein stellte) und Christian Eder, Italien-Redaktor von Vinum.
Vinum lud zusammen mit der Associazione Produttori del Nizza in Zürich zu einer Deugstation mit 12 Weinen ein, davon 5 Riservas. Es war eine tolle Auswahl, verteilt auf die Jahrgänge 2020 – 2014. Vinums Italien-Redaktor Christian Eder führte stilsicher durch den Anlass und Stefano Chiarlo, Präsident der Associazione Produttori del Nizza gab spannende, ergänzende Hinweise aus erster Hand.
Hier meine Notizen:
Nizza DOCG Riserva la Court 2019, Michele Chiarlo Mittleres Rot; feiner Duft nach sowohl hellen als auch dunklen Früchten, schwarze Kirschen und einem ganzen Strauss von Gewürzen; im Mund dicht, aber auch sehr elegant, hohe, aber wunderschöne Säure, für einen Barbera mit viel Tannin versehen, das sehr fein ausfällt. Langer Abgang. Inspirierender, grossartiger Wein. 18 Punkte
Nizza DOCG Riserva 2018, Tenuta Olim Bauda Eher dunkles Rot mit leichten Reifetönen; sehr feine, vielschichtige Nase mit eher hellen Fruchttönen und würzigen Anflügen; im Mund hohe, aber sehr schöne, „saftige“ Säure, dichte Struktur. Im langen Abgang wieder fruchtbetont. Charaktervoller, im Stil „altmodischer“, aber wunderbarer Wein. 17,5 Punkte
Nizza DOCG Riserva Epico 2019, Pico Maccario Mittleres Rot; feiner Duft nach Rosinen, würzig, Holznote; im Mund ebenfalls spürbar neues Holz, daneben sehr fruchtig, tolle, gut eingebundene Säure, feine Tanninstruktur, elegant, langer Abgang. Aufgrund des Einsatzes von neuem Holz etwas untypisch, aber ein sehr schöner, eleganter Wein. 17 Punkte.
Nizza DOCG Riserva Bricco Bonfante 2016, Marco Bonfante Mittleres Rot; verhaltene, aber elegante Nase mit getrockneten, dunklen Früchten und dunklen Kirschen, balsamisch; im Mund erstaunlich fruchtig, dezenter Holztouch, saftige, schöne und straffe Säure, leicht trocknende Tannine, langer Abgang. Fruchtbetoner, schöner, vielleicht etwas gar „geschliffener“ Wein. Ist trotz seines Alters noch absolut frisch und deutet an, wie gut Barbera altern kann. 16,5 Punkte.
Erst beim Aufarbeiten der Notizen wird mir hier bewusst, dass ich vier der fünf Riservas an die Spitze gesetzt habe! Spannend – und offenbar ist da schon was dran an der noch eine Spur höheren Qualität!
Nizza DOCG Tre Secoli 2017, Tre Secoli Mittleres Purpur; vor allem helle Frucht, daneben auch Anflüge von Dürrpflaumen und Gewürz; im Mund tolle Frische, schöne Säure, etwas trocknende Tannine, rund und ausgewogen, mittlerer Abgang. Schöner Wein, der alle Vorurteile gegen Genossenschaften widerlegt. 16,5 Punkte.
Nizza DOCG Viti Vecchie 2019, Gianni Dolgia Mittleres Rot; etwas verhalten mit heller Frucht und roten Kirschen; eleganter, aber auch kraftvoller Wein, prägnante, saftige Säure, spürbares, aber sehr feines Tannin, mittlerer, sehr fruchtiger Abgang. Schöner, eleganter Wein. 16,5 Punkte.
Nizza DOCG RU 2014, Erede di Chiappone Armando Mittleres Rot mit leichten braunen Reifetönen; getrocknete Aprikosen und Pflaumen, dazu auch helle Fruchttöne; im Mund sehr ausgewogen, sehr schön gereift und immer noch frisch, schöne, gut eingebundene Säure, leichter, aber schöner Bittertouch, langer Abgang. Macht jetzt richtig Spass, schöner Wein aus einem nicht ganz einfachen Jahr. Und ein Beweis für das grosse Reifepotential der Nizza-Weine! 16,5 Punkte
Nizza DOCG Riserva Neuvsent Gianola 2015, Cascina Garitina Vorab: Das ist ein etwas polarisierender Wein, dem ich, trotz immer noch sehr guter Note, vielleicht etwas unrecht tue. Der Wein ist mit einem Drehverschluss versehen, und vielleicht hätte er einfach noch viel mehr Luft benötigt. Freilich kann es auch am Ausbau liegen, der Wein ruhte 3 Jahre im Holz. Dunkles Rot, sehr starke reduktive Töne; dunkle, reife und getrocknete Früchte, erinnert ein wenig an einen gelungenen Zinfandel; im Mund gute Säure, fruchtig, aber fast etwas „überreif“, gewinnt aber mit der Zeit sowohl an Aromen als auch an Audruckskraft im Mund, langer Abgang. Spezieller, spannender Wein, der es lohnte, ihn weiter zu verfolgen. 16,5 Punkte.
Weitere degustierte und für gut befundene Weine: Nizza DOCG Favã, 2020 Tenuta Garetto. Etwas rustikaler Wein, der dennoch eine gewisse Eleganz aufweist. 16 Punkte Nizza DOCG Cala delle Mandrie 2018, La Giribaldina. Gut gemacht, getrockente Früchte vorherrschend, trocknende Tannine, mir fehlt ein wenig die Ausdruckskraft, 16 Punkte Nizza DOCG Cremosina 2019, Bersano. Schöner, süffiger Wein, dem etwas die Ecken geschliffen wurden, 15,5 Punkte Nizza DOCG Bric del Marchese 2018, Coppo. Ein wenig in Richtung „Fruchtbombe“ vinifiziert, aber gut gemacht, Geschmacksache. 15,5 Punkte
Mein persönliches Fazit, ganz im Ernst: Die besten Nizza DOCG können, obwohl die Weine eigentlich nicht vergleichbar sind, in Sachen Qualität mit Spitzenweinen aus Barolo und Barbaresco mithalten. Das Rennen um die „besten“ Weine des Piemont ist eröffnet.
Vielleicht braucht es ja Mut, auf einer Weinflasche einen Kater abzubilden? Wenn der Inhalt aber zu keinem „Kater“ führt, sondern sehr gefällt und von höchstem önologischem und ökologischem Interesse, und wenn die Herleitung der Etikette sehr logisch ist, dann gefällt doch eine Katze auf der Weinflasche! Vor allem mir.
In unserer Familie besteht zu Katzen eine Liebesbeziehung. Während 15 bzw. 16 Jahren waren zwei „Büsis“ bei uns absolute Familienmitglieder, und deshalb ist jede Abbildung von Katzen für uns mit wunderschönen Erinnerungen verbunden. Deshalb konnte ich auf einer kürzlichen Reise durch den Schweizer Jura auch nicht widerstehen, Wein mit einer Katze auf dem Etikett zu kaufen. Freilich ist das jetzt nur die halbe Wahrheit, denn ich wusste, wer die Flaschen produziert hat, und ich hatte schon lange geplant, diese Weine endlich einmal zu probieren.
Gibt es etwas Vollkommeneres als eine Katze?
Hand auf’s Herz? Wann hatten Sie letztmals einen richtigen „Kater“? Aber ist es eigentlich nicht eine Frechheit, einen wenig beglückenden Zustand nach einer männlichen Katze zu benennen?
Alles andere als das ist es aber, Weine so zu bezeichnen. Auflösung am Schluss des Artikels!
Der rote „Kater“ (2017) Mittleres, strahlendes Purpur; enormes Bouquet von roten Früchten (Himbeer, Erdbeer, rote Johannisbeere), Anflug vor Würze (v.a. Thymian), ganz leichter Holzton; im Mund eher filigran aber doch druckvoll, schöne Säure, spürbares Glycerin, das den Wein wunderbar fliessen lässt, enorme Frische. Schöner, noch jugendlicher, sehr spannender Wein!
Der weisse „Kater“ (2019) Mittleres Gelb; Holunderblüten, Anflug von Aprikosen und einem klein wenig Rauch, ausgeprägter Duft nach Jostabeeren (Kreuzung aus schwarzen Johannisbeeren und Stachelbeeren = nach Cassis duftend); im Mund sehr dicht und rund fliessend, schöne Säure, dank der die leichte Restsüsse gut ausbalanciert ist und schön wirkt, langer Abgang. Schöner, ausdrucksvoller Wein!
Zwei tolle Weine, und sie stammen – aus dem Schweizer Kanton Jura! Natürlich denkt man dabei wohl eher an Pferde, Felsen, Wälder und saftige Wiesen. Dieser Weinberg wurde denn auch erst 2008/2009 bepflanzt. Die ersten Reben im Jura wurden allerdings schon anfangs der 1990er-Jahre bestockt, und das war damals sogar Vinum einen Artikel wert, so ausgefallen schien damals die Idee.
Aber das Dorf Courfaivre, gleich neben dem Hauptort Délémont, liegt nur rund 460 m über Meer. Es ist also nicht einzusehen, warum hier nicht gute Weine wachsen sollen, zumal, wenn sie aus einer idealen Südlage stammen. Angebaut und vinifiziert werden sie von Silvia Blattner von der Domaine Blattner in Soyhiéres, nur ein paar Kilometer von Courfaivre entfernt im Tal der Birs.
Blattner? Da war doch was? Genau, Silvia und Valentin Blattner gehören zu den weltweit führenden Rebzüchtern – wenn es um Piwi-Reben geht. Das Klima im Jura ist rauh, und wenn eine Rebe hier ohne Pilzbefall überlebt, wird sie es fast überall tun. Ein sehr grosser Anteil der heute qualitativ und quantitativ führenden Piwi-Sorten ist hier entstanden.
Es verwundert deshalb nicht, dass es sich auch bei den eingangs beschriebenen Weinen um solche aus Piwi-Sorten handelt. Der Rote besteht aus Cabernet Jura und hatte etwas Barrique-Kontakt, der Weisse ist eine Assemblage aus Ravel (oder Sauvignon Soyhières) und Sauvignac. (Zu einem reinsortigen Sauvignon Soyhières siehe hier: https://victorswein.blog/tag/sauvignon-soyhieres/)
Beide Weine, da bin ich überzeugt, würden in einer Blinddegustation nur von ganz wenigen Weinfreunden als Piwi erkannt. Silvia Blattner versteht es ganz offensichtlich, die Weine so zu keltern, dass fast keine der typischen „Piwi-Aromen“ zum Vorschein kommen. Eigentlich ist das ja nicht erstaunlich, sie war ja auch hautnah dabei, als die Sorten durch Valentin Blattner und sie entwickelt wurden! Es gibt meiner Meinung nach nur einen kleinen Anhaltspunkt, der auf Piwi hinweist: Der Weisswein verfügt über eine ausgeprägte Cassis-Note, was ich bei herkömmlichen Weissen nur sehr selten und in dieser Intensität nie festgestellt habe. Und der Rote? Da muss jemand sehr empfindsam oder erfahren sein, wenn er hier auf Piwi tippt!
Zusammengefasst: Zwei tolle Weine, die auch höheren (wenn auch nicht höchsten) Ansprüchen genügen und die mithelfen, Vorurteile gegen Piwi-Sorten abzubauen. Da gibt es ganz offensichtlich ganz viel Potential. Und der vergleichsweise geringe Alkoholgehalt hat ohnehin Zukunft!
Den Kater im Wappen
Das Wappen von Courfaivre
Und zum Schluss: Wir haben beide Flaschen noch am gleichen Abend ausgetrunken, und von „Kater“ war keine Spur. Das Sujet auf der Flasche und der Name haben einen ganz anderen Ursprung: Das Wappen der Ortschaft (und früheren Gemeinde) Courfaivre ziert eine Katze bzw. ein Kater. Die Einwohner des Ortes werden deshalb „les Mergats“ genannt, ein Patois-Ausdruck für Matou, Kater. Silvia Blattner hat daraus die Bezeichnung der tollen Weinlinie abgeleitet!
Die beiden Weine sind die beste Gelegenheit, Vorurteile gegenüber Piwi-Sorten abzubauen!
Links der rote Cabernet-Jura, und rechts der weisse Ravel Blanc / Sauvignac, Züchtungen von Blattners aus dem Schweizer Jura.
Die zwei Online-Degustationen, auf die ich hier hingewiesen hatte, sind inzwischen schon vorbei. So unterschiedlich sie waren – das ist ein Kanal, der meines Erachtens auch nach Corona nicht mehr wegzudenken sein wird!
Bevor ich in meinem nächsten Beitrag wieder sozusagen auf „Normalmodus“ schalten und über einen begeisternden Piwi-Wein schreiben werde, blicke ich kurz zurück auf zwei digitale Degustationen:
Vorweg: Beide Veranstaltungen sind ausserordentlich gut gelungen! Dabei hätten sie unterschiedlicher kaum sein können. Am 2. April die Degustation der Cave du Rhodan mit dem Ehepaar Mounir, das im „Studio“ (vor dem Barriquekeller) medial und vinologisch so professionell auftrat, dass man sie problemlos gleich dem TV empfehlen könnte.
Das „Studio Rhodan“ vor dem Barriques-Keller in Salgesch …… das Ehepaar Sandra und Olivier Mounir live …
Am 3. April das Ehepaar Schwarz, das jugendlich-unbekümmert und frisch präsentierte und dabei auch durch die Rebberge streifte und nicht nur Wein, sondern auch ihre Tiere vorstellte (das Büsi [Katze] ist mir ans Herz gewachsen!). Beide brauchten rund 75 Minuten, die Mounir’s für sechs, die Schwarz‘ für drei Weine. Gratulieren darf man beiden, so „aus dem Boden gestampft“ waren das ganz hervorragende Produktionen!
… und das Freiluft-Studio des Ehepaars Priska und Andreas Schwarz, Schwarz Weingut, in Freienstein.
Beide Degustationen waren naheliegenderweise so gestaltet, dass sie sich an ein interessiertes, aber nicht professionelles Publikum wandten. Also sozusagen an den Durchschnitt der Besucher, die normalerweise an die Tage der offenen Weinkeller strömen. Gratulation an beide Paare, sehr gut gemacht!
Persönlich bin ich überzeugt, dass das digitale Format Corona überdauern wird. Natürlich ist der persönliche Kontakt eigentlich unersetzbar. Aber ich persönlich würde nur sehr selten für eine Degustation ins Wallis fahren, aber online teilnehmen, das geht – und man kann erst noch hin und wieder einen feinen Tropfen schlucken, da man danach nicht mehr fahren muss! Ich kann mir das Format auch für Profis vorstellen, dann allerdings nicht „eindimensional“ auf dem Youtube- oder Facebook-Kanal, sondern als interaktive Vidoekonferenz. Wetten, dass wir uns dereinst erinnern und sagen „während Corona haben findige Winzerinnen und Winzer damit begonnen“?
Bestimmt gibt es weitere Güter, welche diesen neuen Weg beschreiten. Es wäre wohl die Chance für Weinzeitschriften, sich nun mit einem täglich aktuellen „Onlineführer“ zu positionieren. Ein Check bei Vinum, Falstaff, Revue du Vin de France und Decanter ergab leider keinerlei Hinweise, dafür sieht der Veranstaltungskalender von Vinum trostlos aus, das Wort „abgesagt“ ist angesagt. Alle Homepages präsentieren sich so, als wäre nichts geschehen, bei Decanter findet man immerhin den für die Allgemeinheit so wichtigen Hinweis, dass die Prüfungen für den MW-Titel verschoben wurden.
Bitte verstehen Sie mich nun nicht falsch: Ich schätze alle erwähnten Titel sehr, und gerade Vinum ist in den letzten Jahren wieder eine richtig gute Informationsquelle geworden. Aber es passt so überhaupt nicht zusammen, über die virtuelle Konkurrenz zu jammern (ich habe mich darüber schon einmal ausgelassen): https://victorswein.blog/2019/04/28/ein-gutesiegel-fur-weinblogs-und-ein-gratis-tipp/ und dann in einer solchen Zeit einfach auf die nächste Print-Ausgabe zu warten, sofern dann dazu überhaupt etwas zu diesen digitalen Degustationen geschrieben wird.
Sorry liebe Weinjournalisten, ihr verpasst gerade einen Zug, der voll am Anfahren ist!
„Und jeder schreibt über Wein“, so lautete im letzten Jahr der Titel unter „Klartext“ in Vinum. Was letztlich eine Seite Eigenwerbung war, hat doch einen wahren Kern.
Als ich den Text von Redaktorin Nicole Harreisser damals las, kam es mir vor, als würde jemand verzweifelt nach Gründen suchen, ein in stürmischem Wasser treibendes Print-Schiff gegen den Online-Sturm zu verteidigen. Bemerkungen wie „wir bei Vinum, wo Verkostungen für den Vinum-Weinguide verdeckt stattfinden, wissen, wie unterschiedlich Noten ausfallen können, wenn den Verkostern der vielleicht prominente Name des Produzenten bekannt ist oder eben nicht“ wirkten auf mich schon fast ein wenig verzweifelt.
Vorgeworfen wurde uns Bloggern und Online-Kommentatoren weiter, es fehle oft an Transparenz und Objektivität. Und vorgeschlagen wurde zu guter Letzt ein Gütesiegel für Weinakteure im Netz.
Nun hat Vinum ja nicht unrecht, tatsächlich ist es eine Herausforderung, ehrliche und transparente Information von clever verkappter Werbung zu unterscheiden. Natürlich nehme ich eine Degustationsnotiz in Vinum ernster als ein beliebiger Instagram-Eintrag. Dies vor allem auch, weil die Weinzeitschrift seit dem Besitzer- und Chefredaktionswechsel vor ein paar Jahren wieder richtig gut geworden ist. (Wobei, am Rande vermerkt, gerade auch Vinum selbst mit dem „Club les Domaines“ eine nicht ganz koschere Strategie fährt).
Dass beides, Vinum-Degustationsnotizen und Blog-Beiträge, ihren Platz haben können und sollen – ja, sich vielleicht sogar gegenseitig helfen – zeigt das Beispiel eines Weinblogs aus der Schweiz. Niemals möchte ich auf die Beurteilungen von Rolf Bichsel in Vinum verzichten, zumal ich persönlich fast immer die gleiche Wahrnehmung habe. Aber das, was Adrian van Velsen in seinem Blog über die Primeurs 2018 aus Bordeaux schreibt, scheint mir ebenso seriös. Und wer möchte sich nicht aus verschiedenen Quellen informieren? http://www.vvwine.ch/
Den Blog von Adrian van Velsen und seinen Kollegen, einer der ältesten in der Schweiz, halte ich auch sonst für sehr empfehlenswert, und er wäre ein sicherer Kandidat für ein „Blog-Gütesiegel“.
Und zurück zu Vinum: Warum führt ihr ein solches Qualitätssiegel nicht ein (wer, wenn nicht Vinum, wäre dazu prädestiniert)? Warum nutzt ihr nicht sogar die Chance, externe, aber von euch geprüfte Blogs, oder zumindest ausgewählte Beiträge, in euer Netzwerk einzuspannen? Das Spektrum von Vinum würde breiter, die Informationsdichte besser, der qualitative „Wettstreit“ unter den Korrespondenten befruchtend!
Das wäre doch eine Antwort auf den sich nur noch verstärkenden Online-Sturm im Weinglas! Mein Tipp ist, wie vieles in der Online-Welt, gratis, aber transparent und objektiv!
Vermutlich der Schweizer Wein schlechthin: 100 Jahre „Aigle les Murailles“.
Gerade noch rechtzeitig publiziert: 2018 feiert der „Schweizer Nationalwein“ seinen 100-jährigen Geburtstag
Eigentlich bin ich sicher: Es gibt keinen bekannteren Schweizer Wein als den „Aigle des Murailles“. Und der Wein, ein Chasselas, ist ein Phänomen – marketingmässig war er es schon in einer Zeit, als der Ausdruck hierzulande noch gar nicht bekannt war, und qualitativ haben es die Produzenten immer wieder geschafft, den Wein an der Spitze und am Puls der Zeit zu halten. Es ist zu hoffen, dass sie das auch im zweiten Jahrhundert weiterhin tun und sich auch nicht verzetteln.
1908 wurde die Firma Badoux Vins in Aigle gegründet, und 10 Jahre später – eben vor 100 Jahren – kam erstmals der Wein mit dem Namen „Clos les Murailles“ auf den Markt. Dieser Clos ist eine terrassierte, steile Südlage in Aigle. Schon der zweite Jahrgang, 1919, trug dann das von einem ortsansässigen Künstler geschaffene „Eidechsly“ auf der Etikette, und das ist bis heute so geblieben. Der Legende nach soll der Maler im Rebberg auf eine Eidechse gestossen sein, und so soll die Idee mit dieser Etikette entstanden sein. Aus dem Rebberg sind diese Tiere leider verschwunden, aber das soll sich wieder ändern: https://www.coopzeitung.ch/themen/essen-trinken/wein/2018/wanted-gruenes-reptil-im-rebberg-99062/
Geändert hat mit der Zeit allerdings der Name des Weines, aus dem „Clos les Murailles“ wurde der „Aigle les Murailles“. Diese Anpassung dürfte dem Erfolg des Weines geschuldet, und damit juristisch zwingend gewesen sein, denn der eigentliche Clos ergibt nur rund 30’000 Flaschen pro Jahr – der heutige Absatz liegt aber bei rund einer Million Flaschen; die Trauben kommen also längst nicht mehr zur Hauptsache aus dem Clos! Quelle: http://www.leregional.ch/N117217/100-ans-et-des-millions-de-bouteilles.html
Aber genau diese Anpassung machte es möglich, dass der „Eidechslywein“, so nannten ihn Generationen von Schweizerinnen und Schweizern, so erfolgreich wurde. Es gibt wohl keinen Weintrinker in einem gewissen Alter, der nicht die eine oder andere Anekdote erzählen könnte, welche mit diesem Wein verbunden ist. Ich selbst denke immer wieder daran, wie wir während des Militärdienstes in Genf jeweils im Ausgang im „St. Pauli“ gleich hinter dem Hauptbahnhof „Eidechslywy“ tranken und versuchten, mit Deutschweizer Mädchen anzubandeln (ich war da freilich erfolgloser als im Weintrinken…).
Perfekt muss auch über all die Jahre das Marketing gewesen sein – bis heute: Wie anders wäre zu erklären, dass der „Aigle les Murailles“ den Spagat schafft, sowohl in renommierten Weinhandlungen als auch im Supermarkt präsent zu sein. Und wie, dass die Marke offenbar keinen Schaden daran nimmt, dass der Wein immer wieder zu Aktionspreisen zu haben ist. Und ganz am Rand gelang es den Verkaufsstrategen von Badoux auch, den Eidechsliwy exportieren zu können – auch da könnten andere lernen. Umgekehrt hat die Firma erst in jüngerer Zeit begonnen, die Marke als Basis für andere Weine zu nutzen, erst seit wenigen Jahren gibt es auch einen Rotwein, einen Rosé und neuerdings gar einen Schaumwein namens „les Murailles“. Ob das gut geht, wird die Zukunft zeigen – angesichts des immer „guten Händchens“ im vergangenen Jahrhundert würde es niemanden wundern.
Der „Aigle les Murailles“ hat auch in qualitativer Hinsicht immer wieder gut abgeschnitten, so war er mit dem Jahrgang 2013 in einer Vinum-Probe mit 16.5 Punkten nur einen halben Punkt hinter dem Siegerwein (ein Calamin von Louis Bovard; vgl. später) ganz weit vorne platziert. http://www.chandrakurt.com/fileadmin/user_upload/News/VINUM_1506_Chasselas.pdf Ganz offensichtlich müssen sich, wenn gut gearbeitet wird, Quantität und Qualität nicht zwingend widersprechen!
Allerdings hätte dieser Beitrag auch ganz anders ausfallen können. Ich hatte ihn scnon im Sommer aufgrund des runden Geburtstages des Weines geplant und vorbereitet. Ich hatte den Wein auch in jüngerer Zeit immer gut und reell empfunden, war freilich beim 2015er etwas enttäuscht, da der Wein sehr breit und caramel-süsslich daher kam. Ich hatte das dem speziellen Jahrgang zugeschrieben, war dann aber wirklich vor den Kopf gestossen, dass der 2017er wieder ähnlich war – fast oxidiert erschien er mir. Ich hatte damals einen preislich ähnlich gelagerten Wein von Louis Bovard, einer wirklichen Referenz in der Westschweiz (siehe oben), als Vergleich gekauft, einen Epesses Chatally, und die Degustation war für den Aigle geradezu ernüchternd. Und in meinem Kopf hiess die Überschrift dieses Beitrages schon “ 100 Jahre und ziemlich müde“.
Weil ich nur selten über Enttäuschungen berichte und lieber über tolle Weinerlebnisse schreibe, Ausnahme siehe hier: https://victorswein.blog/2018/02/03/wein-oder-sugus/ liess ich es sein, einen Beitrag zum Millenium zu schreiben, und darüber bin ich heute sehr froh. Denn offensichtlich handelte es sich im Sommer um eine schlechte Flasche. Weil das Thema aber weiter, und nur noch kurz, aktuell war, habe ich vorgestern nochmals zwei Flaschen gekauft – und welch‘ Unterschied: Der Aigle „Les Murailles“ 2017 war überhaupt nicht caramellastig oder mit oxydativen Anflügen versehen, sondern frisch und süffig:
„helles Gelb, glänzend; intensiv in der Nase, Bergamotte, Lindenblüte, Kamille; im Mund erfrischend und süffig, eher tiefe Säure, schlank, mittlerer Abgang. Alles in allem ein schöner, typischer und süffiger Chasselas“.
Auch dieses Mal schwang der „Epesses Chatally“ von Bovard für mich persönlich zwar knapp obenauf („verhaltene Nase, Quitten, Veilchen; sehr mineralisch, gute Säure, schlank, recht langer Abgang), aber mit Punkten bewertet wären beide wohl nahe beisammen.
So endet also auch meine ganz persönliche Geschichte im hundersten Jahr „Aigle les Murailles“ positiv. Es wäre auch zu schade gewesen, wenn ein Flaggschiff des Schweizer Weins plötzlich Schlagseite erhalten hätte! So aber freuen wir uns auf die nächsten 100 Jahre „Eidechsly“ – vielleicht gar wieder mich echten Tieren im ursprünglichen Clos!
Amigne, das tönt schon so liebevoll. Und der Wein aus dieser Sorte ist es auch. Sei es in der trockenen Variante, wo eine Amigne sanft, aber mit viel Tiefgang über die Kehle rinnt, sei es in süsser oder halbsüsser Variante, in der liebliche Weine im besten Sinn des Ausdrucks entstehen.
Eine Rarität ist eine Flasche Amigne auf jeden Fall: Die Sorte wird nur auf rund 43 Hektar angepflanzt und kommt praktisch ausschliesslich im Wallis vor. Der grösste Teil der Flächen befindet sich in Vétroz, etwas westlich von Sion.
Walliser Reblandschaft bei Vétroz, der Hochburg der Amigne
Lange Zeit war man der Ansicht, bei der Amigne handle es sich um eine antike Traubensorte. Der Schweizer Spitzen-Ampelograph José Vouillamoz konnte aber per DNA-Analyse nachweisen, dass die Amigne ihren Ursprung im Wallis hat – es handelt sich also um eine der wenigen wirklich autochthonen Sorten des Tals!
Wer sich für die Arbeit von José Vouillamoz interessiert, hier der Link: (Der Besuch der Homepage lohnt sich übriges schon der herrlichen Bilder auf der Startseite wegen!) http://www.josevouillamoz.com/
Erfreulicherweise befindet sich auch diese Rarität im Aufschwung. Immer mehr Winzer besinnen sich darauf, dass Spezialitäten auf lange Frist wohl einen besseren Absatz haben als austauschbare internationale Sorten. Die Winzer von Vétroz sind sogar noch einen Schritt weitergegangen und haben die Amigne zu ihrem eigentlichen Imageträger gemacht. http://www.amigne.ch/de/amigne.html.
Auf unserer Degustationstour im Mai konnten wir bei vier verschiedenen Winzern in resp. nahe Vétroz Amigne probieren, und alle haben überzeugt (Cave la Madelaine, Cave les Ruinettes, Cave du Vieux-Moulin und Domaine Thierry Constantin) – auch wenn ich persönlich selbst bei nur leicht restsüssen Weinen halt nie wirklich ins Schwärmen komme.
(Links zu allen vier Winzern siehe oben, http://www.amigne.ch, unter „Erzeuger“)
Auch der grösste Weinhändler der Schweiz „kann“ Amigne, und wie!
Dass die Grösse eines Weinhauses kein Hindernis für sehr guten Wein sein muss, beweist die Amigne von Maurice Gay (wie übrigens auch immer wieder die Weine der Walliser Genossenschaft Provins, dem grössten Schweizer Weinproduzenten). Das Weinhaus Gay wurde 1883 gegründet, gehört aber heute zur Schenk-Gruppe, dem grössten Schweizer Weinimporteur und Weinhändler. Die Weine von Maurice Gay werden aber weiterhin unter dem eigenen Namen geführt (wie es überhaupt ein Erfolgsrezept von Schenk zu sein scheint, die vielen Güter eigenständig beibehalten zu haben). Gay ist in Chamoson beheimatet und verarbeitet die Trauben von rund 400 Winzerfamilien aus dem Wallis, die gesamthaft etwa 250 Hektar Reben bearbeiten. Dazu kommen Trauben aus 20 Hektar in eigenem Besitz.
Die Amigne aus der Produktelinie „valais d’or“, die ich als Einzelflasche versuchsweise gekauft hatte, überzeugt total: Duft nach Lindenblüten und Feuerstein, floral und in der Nase süsslich wirkend, im Mund mit ausgeprägtem Süsskomplex, aber trocken, eher tiefe Säure, enorm mineralisch, sanft und rund, mit fast nicht enden wollendem Abgang. Ein absolut toller Wein!
Eigentlich verhält sich die Rebe wie ein „Unkraut“, sie wächst und wächst, und sie produziert Trauben in grossen Mengen. Ein Freund von mir erntete kürzlich von einem einzigen Rebstock 40 Kg Trauben! Diese Menge lässt zwar das Herz jedes „Mengenproduzenten“ steigen, nicht aber das eines qualitätsbewussten Winzers. Es ist eine Binsenwahrheit, dass gute Weinqualität nur durch eine rigorose Mengenbeschränkung möglich wird.
Aber auch ein kurzer Schnitt bringt noch nicht immer die gewünschte geringe Ertragsmenge. In vielen Weinregionen gibt es dazu sogar gesetzliche Vorschriften. So darf etwa für einen Chambertin nur 35 hl/ha geerntet werden, für einen Pomerol 40 und für einen Barolo 55. In der Schweiz, Deutschland und Oesterreich, aber auch im Elsass, liegen die entsprechenden Zahlen eher bei 70 oder 80, aber auch hier ist unbestritten, dass Qualität nur über eine Beschränkung der Quantität gesteigert werden kann.
Grundsätzlich ist das angewandte Mass (Menge pro Fläche) sicher nicht das bestmögliche, aber es ist eines, das mit vernünftigem Aufwand messbar ist. Wer wirklich guten Wein produzieren will, wird vor allem auf den Ertrag pro Stock achten. Die Formel ist klar: je weniger Trauben an einem Stock, desto konzentrierter wird der Wein. Deshalb gibt es ja auch „verrückte“ Winzer, die 33’333 Stöcke pro Hektar pflanzen! https://victorswein.blog/2018/01/06/je-savais-que-cetait-impossible-alors-je-lai-fait/
Wir lassen beim Schnitt der Reben (siehe oben), 5-6 „Augen“ stehen, dazu eine Reserve. Das bedeutet also, dass zwischen 11 und 13 Rebtriebe entstehen. An vielen davon wachsen aber von Natur aus 2 bis gar 3 Trauben. Würden wir alle wachsen lassen, ergäben sich also bis zu 39 Trauben pro Stock, was beim Pinot noir einen Ertrag von 2,5 bis 3 Kg pro Stock ergeben würde. Das ist für einen qualitativ guten Wein viel zu viel.
Wir müssen also die überzähligen Trauben rigoros herausschneiden. Grundsätzlich gilt die Regel, dass pro Trieb nur eine Traube stehen sollte.
Diese Bild zeigt einen typischen „Trieb“, an dem gleich drei Trauben wachsen. Vegetationsedingt ist die dritte – oberste – auch rund eine Woche später in der Entwicklung. Es bleibt nur eine Traube am Stock – die beiden rot bezeichneten werden herausgeschnitten.
Hier der gleiche Trieb, nachdem zwei Trauben weggeschnitten wurden.
So ganz am Rand: Auch dieser Arbeitsgang ist reine Handarbeit und bedingt zudem viel Erfahrung, denn nicht jeder Stock ist gleich, und manchmal lohnt es sich, an einem starken Trieb zwei Trauben stehen zu lassen und dafür an einem schwachen gar keine.
Es würde – ich schildere ja hier nur die Arbeitsgänge im Rebberg – zu weit führen, um auch noch fundiert über den richtigen Zeitpunkt für diese Arbeit zu berichten. Das ist eine Wissenschaft für sich. Während die einen möglichst früh, also kurz nach der Blüte, diese Arbeit ausführen, schwören die anderen darauf, den Hauptteil erst nach dem Farbumschlag zu bearbeiten. Der Vorteil der ersten Variante ist, dass sich die Rebe von Anfang an auf einen geringen Ertrag „einstellen“ kann, also die wenigen Trauben von Beginn weg gut „versorgt“, jener der letzteren, dass man die zeitlich zurückgebliebenen Trauben wegschneiden kann, also jene, die noch grün sind, während andere in der Reife schon viel weiter gediehen sind. Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass eine Kombination der beiden Theorien die beste Lösung ist: im Juni schon viele Trauben (in jenem Blütenstadium „Gescheine“ genannt) wegschneiden, und im Herbst noch nachbessern, indem die zurückkgebliebenen, grünen Trauben entfernt werden.
Ein arbeitsintensives Detail sei noch erwähnt: Viele Trauben bilden auch sogenannte „Schultern“, d.h. Nebentriebe. In den meisten Fällen entwickeln sich diese langsamer als die Haupttraube und sind qualitativ damit minderwertig – sie werden deshalb auch weggeschnitten.
Eine Traube (die gleiche wie auf den Bildern oben) mit einer „Schulter“ (links) Achten Sie auf die Grösse der Beeren, sie sind in der Entwicklung eindeutig zurückgeblieben.
… und hier nach dem Wegschneiden dieses Teils der Traube. Handarbeit pur!
Das grosse Stelldichein der Schweizer Topwinzer – 26./27. August 2018 in Zürich!
Zehn Jahre nach der – noch etwas anders organisierten – Erstausgabe, findet Ende August sozusagen das Jubiläums-Swiss Wine Tasting statt. Es handelt sich um die jeweils absolut einmalige Chance im Jahr, die Weine der „crème de la crème“ der Schweizer Winzer an einem einzigen Ort probieren zu können. Es gibt nur wenige Spitzenwinzer, die hier fehlen.
Diesen Anlass dürfen Sie sich einfach nicht entgehen lassen, wenn Sie Schweizer Wein kennen und mögen. Und wenn sie ihn bisher nicht kennen oder noch immer glauben, er sei nur dünn und sauer, dann müssen Sie erst recht an diesem Anlass teilnehmen!
Man kann ihnen nicht genug danken: Andreas Keller und Susanne Scholl, „Vater“ und „Mutter“ dieser Veranstaltung.
Bei dieser Gelegenheit noch eine Art „vinologische Liebeserklärung“ an Andreas Keller und Susanne Scholl von „Weininformation“. Den beiden – er erster Vinum-Chefredaktor, sie in dieser Zeit „die gute Seele“ der Redaktion – ist es zu verdanken, dass dieser Anlass ins Leben gerufen wurde. Mit dem Glauben daran, dass der Schweizer Wein eine solche Kulisse und positive Presse verdient hat, haben sie den ersten Anlass unter vollem eigenem finanziellen Risiko organisiert und zu einem Erfolg gemacht.
Eigentlich müsste die Schweizer Weinszene den beiden ein Denkmal errichten!