Toller Nero di Troia: kein Trojanisches Pferd – und keine Fruchtbombe.

Die sagenhafte Verbindung der Rebsorte Nero di Troia zum Trojanischen Pferd ist zu schön um wahr zu sein. Dafür ist der Wein der Azienda Antica Enotria wirklich toll – ein Tropfen für alle, die Kraft aus dem Süden mit Eleganz statt süssem Fruchtpower mögen.

Die Nero di Troia (oder Uva di Troia) ist eine autochthone Rebsorte aus Süditalien, insbesondere Apulien. Es handelt sich um eine tanninbetonte, vergleichsweise spät reifende und wenig ertragsreiche Sorte, mit der nur rund 3’000 Hektar bepflanzt sind.

Wirklich aus Troja?

Die Antwort ist zweifelsfrei ja, sofern man Troia ohne „j“ schreibt. Trotzdem ist sie zweideutig und spannend. Vermutlich ist die Sorte nach dem kleinen, 7000 Einwohner zählenden Ort Troia genannt, etwa 15 Kilometer westlich von Foggia gelegen. Der (natürlich unverifizierten, aber schönen) Legende nach soll indessen die Rebe mit dem geschichtlichen Troja zusammenhängen. Diomedes, eine wichtige Figur der griechischen Mythologie und einer der Hauptkämpfer im berühmten Trojanischen Pferd, soll nach der Rückkehr von Troja eine inzwischen untreu gewordene Ehefrau vorgefunden haben, die ihn gar vergiften wollte. Er verliess deshalb sein Heim, es zog in die Heimat seines Vaters zurück. Der Sturm verschlug ihn jedoch an die apulische Küste, wo er blieb und schliesslich mehrere Städte gründete. Auf diesem Weg soll auch die Troia-Rebe – bzw. ein Vorfahre davon – nach Apulien gelangt sein.

Se no è vero, è ben trovato! Die Nero di Troia ist eine natürliche Kreuzung zwischen der weissen Bombino bianco (auch Trebbiano d’Abruzzo) und der roten Quagliano. Beide Elternteile sind jedenfalls erst etwa seit 300 Jahren nachgewiesen. Und das mit der Städtegründung geht auch nicht auf. Das apulische Troia ist um das Jahr 1000 nachgewiesen, zwar auf den Ruinen der antiken Stadt Aecae, zu der sich aber keinerlei Hinweis auf eine Gründung durch Diomedes finden. (Quellen: Diverse, insbes. Wikipedia und Wein.Plus).

Eleganz aus dem Süden

Nun aber zum heutigen Wein: Wer angesichts seiner Herkunft auf einen süsslichen Kraftprotz à la vieler Primitivo tippt, liegt falsch! Zwar wurde auch der Nero di Troia der Azienda Antica Enotria, Agricola di Tuccio Raffaele – obwohl gesetzlich gesehen trocken – mit kleiner Restsüsse ausgebaut, aufgrund der schönen Säure passen aber die rund 4g sehr gut. Und vor allem weist der Wein bei aller Kraft eine wunderschöne Eleganz auf. Wer grundsätzlich Lust auf kräftige süditalienische Weine hat, aber die üblichen Fruchtbomben nicht mehr mag, der findet hier eine tolle Alternative! Wer diesen Wein in den Keller legt, muss jedenfalls kein Trojanisches Pferd befürchten!

In den Reben der Azienda, Raffaele und Luigi di Tuccio (Bild zvg)

Biologischer Vorreiter-Betrieb

Die Azienda Antica Enotria liegt in Cerignola, etwa 30 Km nördlich des Castel del Monte und rund 20 Km vom Meer entfernt. Sie wurde 1985 von Raffaele und Addolarata di Tuccio gegründet. Von Anfang an wurde nicht nur Weinbau betrieben, sondern auch Gemüse angepflanzt. Und fast von Beginn weg wurde das Gut nach biologischen Grundsätzen geführt – womit es eine Pionierrolle einnahm. Heute führen Sohn Luigi und seine Frau Valentina das Gut im Sinne der Gründergeneration – ganz offensichtlich erfolgreich, was z.B. eine Schnecke bei „Slow Wine 2023“ beweist.

Nero di Troia, IGT Puglia, Antica Enotria, Azienda Agricola di Tuccio Raffaele, 2018
Mittleres, glänzendes, schon leicht gereift wirkendes Rubin; in der Nase zuerst würzig (Thymian, Lorbeer), dann auch Anflüge von Dürrpflaumen und Rosinen, mit noch mehr Luft mit ausgeprägtem Himbeerduft; im Mund sehr fruchtbetont mit viel Fruchtsüsse, tolle Frische, schöne, gut eingebundene Säure, spürbares, aber sehr „mürbes“ Tannin, kraftvoll, aber sehr elegant. Toller Wein, der zwar die Kraft süditalienischer Weine aufweist, gleichzeitig aber auch sehr „nördlich-elegant“ daherkommt und trotz leicht spürbarer Restsüsse auf der trockenen Seite bleibt. 16,5 Punkte.

Homepage agricoltura biologica di Puglia – Antica Enotria

Bezugsquellen (u.a.):
Antica Enotria – amiata
Suche für: Troia IGT Puglia -9Weine (neunweine.de)


Interessennachweis:
Der Wein wurde im Weinhandel käuflich erworben. Die Anfrage bei der Azienda bezüglich einer Foto erfolgte erst nach dem Kauf und der Degustation.

Gute Bordeaux sind billig!

Im Schatten der völlig verrückten Preis-Exzesse der bekanntesten Bordeaux-Güter gibt es eine Vielzahl von Châteaux, die hervorragenden Wein zu vernünftigen Preisen anbieten. Eine Probe auf’s Exempel mit einem Wein in der ersten Trinkreife.

Mir ist natürlich klar, dass man den Titel zu diesem Beitrag angesichts der verrückten Preise der ganz grossen Namen im Bordelais als provokativ empfinden kann. Aber bezogen auf weniger bekannte Güter mit hervorragender Qualität stimmt er eben auch! Denn abseits der Weine mit Kosten im teils hohen 3-stelligen Bereich (was meines Erachtens durch nichts ausser durch die freie Marktwirtschaft zu rechtfertigen ist), gibt es eine Vielzahl von hervorragenden Gewächsen, die man noch bezahlen kann. Und nicht nur das: Ich behaupte, dass solche Betriebe, die mit akribischer Arbeit tolle Weine zu bezahlbaren Preisen hervorbringen, in Bezug auf das Preis-/Leistungsverhältnis fast unschlagbar sind (ich habe dieses Unwort hier verwendet, weil es weltweit selten so stimmt wie im Bordelais).

Reblandschaft im Médoc (Symbolbild, es zeigt nicht die Reben von du Retout).

„Nur“ Haut Médoc? Warum „nur“?

Château du Retout zum Beispiel. Klar, das tönt nicht gerade vertraut und das „Rothschild“ fehlt auch im Namen. Und es handelt sich auch „nur“ um einen Cru Bourgeois und einen „Haut-Médoc“.

Zwischen Margaux und St. Julien gibt es diesen Streifen Rebland, der als Haut-Médoc klassiert ist. Etwa auf halbem Weg, kurz hinter dem Weiler Lamarque, befindet sich das Château du Retout. Das Weingut umfasst rund 34 Hektar und arbeitet nach den Richtlinien des Labels „haut valeur environnemental“, verwendet weder Insektizide noch Herbizide, dafür ausschliesslich natürliche Düngemittel.

Château du Retout entstand in den 1950er-Jahren, als die Familie Kopp drei heruntergekommene Güter aufkaufte (davon zwei, die schon damals den Cru-Bourgeois-Status hatten), zusammenlegte und wieder auf Vordermann brachte. Die Qualität, die heute von diesem Gut abgeliefert wird, ist meiner Meinung nach hervorragend. Wenn man dann noch den Preis (aktuell, d.h. 2020 ca. CHF 18.50) in Betracht zieht, dann muss man wirklich ziehen, nämlich den Hut! Château du Retout liefert damit auch den besten Beweis für meine eingangs aufgestellte Behauptung, die Preise der renommierten Güter sei durch nichts als die freie Marktwirtschaft zu rechtfertigen.

Gemäss Heiner Lobenberg und – deckungsgleich – der Schweizerischen Weinzeitung, erinnert du Retout an Grand Puy Lacoste und du Tertre. Als GPL-Fan (auch der ist inzwischen zu teuer, aber verglichen mit anderen immerhin noch einigermassen anständig) halte ich diesen Vergleich für werblich übertrieben bzw. fragwürdig (man darf mir gerne in einer Blinddegustation das Gegenteil beweisen). Tatsache ist aber, dass der du Retout ein grandioser Bordeaux von sehr hoher Qualität und herrlichem Trinkvergnügen ist. Das allerdings nur, wenn man ihm Zeit lässt, er braucht meiner Erfahrung nach mindestens 10 Jahre oder noch länger, um in Hochform zu kommen (was man ja wiederum durchaus als Qualitätsmerkmal ansehen kann).

Ich habe zwei trinkreife Jahrgänge aus dem Keller geholt und degustiert. Das sind einfach wundervolle Weine und machen auf sehr, sehr hohem Niveau uneingeschränkt grossen Spass. Ich habe die Weine damals in Subskription für rund CHF 16.00 gekauft – der beste Beweis dafür, dass der Titel zu diesem Beitrag stimmt! Gute Bordeaux können auch heute noch in Relation zum Preis geradezu billig sein!

Degustationsnotizen

Château du Retout, Haut Médoc, 2009
Dunkles, fast undurchdringliches Purpur; vielschichtige Nase; Brombeer, Cassis, Lebkuchen, rote reife Peperoni, Leder, Tabak; im Mund druckvoll, dichter Körper, viel Tannin, das sich aber jetzt schon gut einfügt, schöne, gerade für einen Wein aus diesem Jahr bemerkenswerte Säure, feine Frucht“süsse“, fast etwas opulent, noch etwas holzbetont im langen Abgang. Sehr schöner, runder und kräftiger Wein! 17,5 Punkte.

Château du Retout, Haut Médoc, 2010
Dunkles, dichtes Purpur; schwarze Kirschen, Wacholder, Leder, leichte grüne Peperoninote, die aber nicht unreif wirkt; elegante Struktur, vollgepackt mit ganz viel, aber feinem Tannin, etwas trocknend, passende Säure, langer Abgang. Klassischer, schöner Wein, fast noch zu jung zum Trinken. 17 Punkte.

Wie hier abgebildet, gibt es auch einen weissen du Retout. Auch dieser ist überzeugend, und vielleicht ist er der verrückteste weisse Wein aus Bordeaux. Er besteht nämlich aus Rebsorten, die sonst hier nicht vorkommen: Gros Manseng, Sauvignon gris, Savagnin und Mondeuse blanche! Der Wein ist deshalb auch nur ein „Vin de France“, aber was für einer:

Château du Retout blanc, Vin de France, 2018
Eher dunkles Gelb; vielschichtige, sehr fruchtige Nase (weisser Pfirsich, Birne, weisse Pflaume, Mango), dazu auch florale Töne und eine feine Nuance Holz; im Mund sehr frisch, wirkt, als wäre er erst einjährig, schöne, stützende Säure, dichter Körper, langer Abgang. Herrlicher, frischer und gehaltvoller Wein. 16,5 Punkte.

https://www.chateau-du-retout.com/de/chateau-du-retout

Der qualitative Höhenflug von du Retout scheint sich übrigens fortzusetzen. Adrian van Velsen hat den 2022er in seinem Blog soeben mit 92-94 Punkten ausgezeichnet und geschrieben „spielt eine Klasse über seiner Liga“. Hoffen wir, dass die Preise dennoch vernünftig bleiben! Träumen ist ja erlaubt.

Bordeaux 2022: Veilchen und Paradoxe. – vvWine


Interessennachweis:
Alle Weine wurden im Weinhandel gekauft.

Fehlerhaft und stinkend – aber nicht NZZ-like. Eine Glosse.

Auch Top-Zeitungen und renommierte Journalisten sind nicht vor dem Verbreiten von Unsinn gefeiht. Peter Keller schrieb im NZZ am Sonntag-Magazin falsch und voreingenommen über Orange-Weine. Das kann ja vorkommen, sollte aber nicht, wenn man sein Wissen zuvor über jenes Anderer gestellt hatte!

Mag sein, dass mich mein weinmässiges Elephanten-Gedächtnis unfairerweise dazu drängt. Denn üblicherweise schreibe ich in meinem Blog nur über Positives, Verrisse kommen selten vor. Aber wenn, dann haben es sich die Betroffenen durch auffälliges Verhalten selbst zuzuschreiben.

Wer weiss mehr über Wein?

Im Fall des NZZ-Weinjournalisten Peter Keller erinnere ich mich an einen Artikel, der vor wenigen Jahren erschien und in dem sinngemäss stand, Weinblogger hätten keine Ahnung und könnten sich niemals mit der breiten und fundierten Wissensverbreitung einer NZZ bzw. eines Peter Keller messen. Ich fand – vielleicht etwas beleidigt -, Keller mache in der NZZ ja nicht so viel anderes als ich – nämlich einigermassen regelmässig meist über gerade mal einen Wein schreiben. Schon damals hat Adrian van Velsen in seinem Weinblog „vvwine“ auf humoristische Art reagiert. Den Link, mit dem man auch den seinerzeitigen Beitrag von Peter Keller lesen kann, finden Sie hier:

Unbedarfte Äusserungen.

Peter Keller für einmal nicht – nicht mal im zweiten Anlauf

Wer wie Peter Keller behauptet, er verstehe mehr von Wein als andere, setzt sich natürlich selbst unter Beobachtung. Und nun hat der NZZ-Journalist vor Kurzem einen Beitrag veröffentlicht, der nicht gerade für das Niveau dieses Medienhauses steht. Ich kann es aus den geschilderten Gründen nicht lassen, darauf einzugehen. Auf die Frage der Woche „Sind Orange-Weine nicht mehr sortentypisch und überbewertet?“ folgt diese Antwort:

„Orange-Weine werden wie rote Gewächse an der Maische vergoren, weder geschwefelt noch geschönt und filtriert. Viele sind fehlerhaft und stinken. In der Tat verschwinden in den meisten Fällen Sorten- und Herkunftstypizität. (….). Gewisse Sommelier-Kreise und Händler inszenieren einen Hype um Orange-Weine, obwohl dafür nur eine kleine Marktnische besteht. (…..).

Offenbar hat man an der Falkenstrasse zwar inzwischen festgestellt, dass da Unwissen verbreitet wird, denn Online lautet der Text inzwischen so:
Orange-Weine werden wie rote Gewächse für eine kürzere oder längere Zeit an der Maische vergoren. Dies ergibt die charakteristische Farbe. Die Weine werden so natürlich wie möglich produziert, weder geschwefelt noch geschönt und filtriert. Viele Beispiele sind meiner Meinung nach fehlerhaft, stinken und bereiten wenig Genuss. Das ist eine subjektive Wahrnehmung. Es gibt offenbar eine Schicht von Konsumenten und Konsumentinnen, die auf diese «neue» Farbe stehen.

https://bellevue.nzz.ch/kochen-geniessen/hype-um-orange-wines-sind-sie-ueberbewertet-ld.1732246

Trotz dieser Online-Korrektur, die ja übrigens sachlich noch immer nicht wirklich korrekt ist:

Benebeln stinkende Weine die Sinne?

Lieber Peter Keller. Ich schätze sonst ihr Fachwissen, ihre Texte und ihr degustatives Können sehr. Aber haben Sie sich wirklich noch nie mit Orange-Weinen ernsthaft auseinandergesetzt? Oder hatten Sie ganz einfach etwas zuviel Orange-Wein intus (kann ja vorkommen)? Oder waren Sie gar von den stinkenen Düften ganz einfach benebelt (wäre ja ein ernsthaftes Argument gegen unsaubere Naturweine, aber nicht zwingend gegen Organeweine)?
Und übrigens, war etwa auch der Lektor mit Ihnen zusammen auf Tour? Ein kurzes Nachsehen bei Wikipedia (googeln: oranger Wein) hätte sehr geholfen!

Wie auch immer, für einmal verstehen Sie etwas weniger von Wein als andere! Für alle Fälle, nebst Wikipedia hier noch zwei Tipps:

Vinum (die wissen was über Wein) oder Blogger als Nachhilfe

Lesen Sie zum Beispiel in Vinum 3/2023 (bei Vinum wissen sie ziemlich viel über Wein … sind ja auch keine Blogger), den Beitrag aus dem Elsass „denn sie wissen, was sie tun“, und geniessen Sie die Degustationsnotizen und auch den Text, aus dem ebenfalls hervorgeht, dass Orangeweine Naturweine sein können, aber nicht müssen. Die Serie der Orange- und Naturweine erzielte in der Degustation eine Durchschnittsnote von 17,1 und lag damit nur um einen Zehntelpunkt unter der hochkarätigen Serie mit klassisch produzierten Weinen:

https://www.vinum.eu/ch/magazin/reportagen/2023/elsass-klassisch-funky/

(Die Paywall wird ja die NZZ überwinden können)

Und selbstverständlich dürfen Sie notfalls auch in einem Blog nachlesen, auch wenn dessen Autor – und nun ernsthaft – gesamthaft sicher weniger weiss als Sie.

Oräntsch was? orange wine aus der Schweiz vom Feinsten! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Sie werden staunen, auch ich schreibe hier, dass oranger Naturwein stinken kann 🙂

Ich weiss kaum, wie mir geschieht: Vinum listet mich als „Weinfluencer des Jahres“!

Vinum hat in seiner eben erschienenen Mai-Ausgabe für Deutschland 20 Bloggerinnen und Blogger unter dem Titel „20 digitale Weinpersönlichkeiten, die man kennen sollte“ vorgestellt. Ich freue mich sehr und fühle mich geehrt, zu diesem erlesenen Club gezählt zu werden!

Vor etwas mehr als fünf Jahren habe ich aus reiner Freude am Wein und am Schreiben meinen Blog begonnen. Das Ziel war es immer, diese Freude teilen und weitergeben zu können. Es war und ist auch zu keinem Zeitpunkt geplant, damit kommerzielle Absichten zu verfolgen. Schön, dass Vinum genau das positiv vermerkt hat. Aber trotzdem bin ich bei der Anfrage nach einer Foto für den Vinum-Artikel beinahe von der Weinkiste gekippt!

Für alle, die den Bericht nicht lesen können oder nicht hinter die Paywall kommen, hier der ganze Text in Vinum:

Eine Ausnahmestellung unter den digitalen Weinkommunikatoren nimmt der frühere Weinjournalist Victor Ledermann ein. Nach Jahren als Schreiber für diverse deutschsprachige Weinmagazine und als Texter der Swissair-Weinkarte ist er heute beruflich anders orientiert, aber immer noch ein leidenschaftlicher Weinfreak. Bemerkenswert ist die völlige wirtschaftliche Unabhängigkeit, es gibt wohl keinen zweiten Blog, der so klar kommuniziert, woher die Weine und Informationen stammen. Es wird absolut nichts aus kommerziellen Absichten kommuniziert, Ledermann verfasst sämtliche Texte und Empfehlungen aus innerer Überzeugung und aus Freude an gutem Wein. Eine erfrischend andere Herangehensweise. Den Schwerpunkt bilden die Weine aus der Schweiz, hier hat der Autor auch eine ungewöhnlich tiefe Kenntnis von Menschen und Materie. Dafür sieht man dann auch gerne darüber hinweg, dass der Blog vom Handling her ein wenig altbacken wirkt. Aber der Inhalt passt. Und darauf kommt es an.

Das mit dem Altbacken stimmt natürlich und ist der hobbymässigen Beschäftigung mit dem Blog geschuldet. Aber ich nehme es als Anlass, gelegentlich daran zu arbeiten.

Für Sie, liebe Leserinnen und Leser, soll sonst nichts ändern. Die unverhoffte Auszeichnung spornt mich an, auf dem eingeschlagenen, unkommerziellen und unbestechlichen Weg weiterzugehen – und hoffentlich bald auch noch etwas mehr Zeit zu haben, um häufiger zu posten!

Hier gehts zum Originalbericht:

Victor Ledermann | VINUM-Weinpersönlichkeit 2023

Und hier sind alle Geehrten:

Die 20 wichtigsten digital Weinpersönlichkeiten Deutschlands 2023 | VINUM

SB-Weltklasse aus Rheinhessen? Ja, ich bleibe dabei!

Vor bald drei Jahren habe ich in diesem Blog über die Sauvignon blancs von Gesine Roll vom Weingut Weedenborn geschrieben und das Wort „Weltklasse“ verwendet. Die Folge davon war eine Blinddegustation, in welcher wir die Aussage überprüften – und die zumindest mich in meinem Urteil weitgehend bestätigte.

Aber der Reihe nach: Kaum war Mitte 2020 der Beitrag mit dem Wort „Weltklasse“ erschienen, „tadelte“ mich Weinfreund Rico Etzensberger, weil die schreibende Zunft seiner Meinung nach viel zu oft zu Superlativen greift. Und ohnehin, Weedenborn auf die gleiche Stufe zu stellen wie etwa Dagueneau oder Tement, sei doch vermutlich schon etwas vermessen.

Weedenborn stellt sich Dagueneau, Tement und Smith Haut-Lafitte

Seine Kritik ist ja grundsätzlich berechtigt (ich bin seither etwas zurückhaltender), aber ich ging auf die Wette ein und stellte eine blinde Vergleichsdegustation mit dem von mir besonders hervorgehobenen SB Réserve 2017 von Weedenborn in Aussicht. Diese fand nun vor Kurzem im schönen Degustationsraum des Weinguts von Ulla und Kaspar Reutimann in Guntalingen statt, mit dabei einige hochkarätige Weinkenner wie Adrian van Velsen (www.vvwine.ch), die Gastgeber und eben auch Rico Etzensberger. Die Degustationsanlage konnte jahrgangsbedingt zwar keinen wissenschaftlichen Grundsätzen genügen, was allein schon durch den Umstand bedingt war, dass auch Gewächse von der südlichen Halbkugel vertreten waren. Immerhin war der Grossteil der Weine auch jahrgangsmässig mit Weedenborn identisch oder höchstens ein Jahr jünger. Und es ging ja auch nicht um Wissenschaft, sondern um Spass und „nur“ um die Prüfung des Prädikates „Weltklasse“.

Dagueneau bzw. Smith Haut-Lafitte gewinnen. Aber Weedenborn hält mit!

Das Resultat vorweg: Es ist uneinheitlich wie so oft bei solchen Anlässen! Während die Degustatorinnen und Degustatoren bei vielen Weinen im Urteil relativ nahe zusammenlagen, gingen die Meinungen ausgerechnet bei der Réserve 2017 von Weedenborn auch auseinander. Adrian van Velsen etwa vergab „nur“ 91 Punkte, was dann schon nicht gerade Weltklasse wäre. Ich selbst vergab 18 Punkte (auf der von mir immer verwendeten 20er Skala), womit er nur gerade einen halben Punkt hinter dem Siegerwein landete. Zum Glück habe ich meine „Wette“ aber mit Rico Etzensberger abgeschlossen, und dieser fand den Weedenborn durchaus sehr positiv: Weedenborn hat mich positiv überrascht, sehr feine, fast schon schlehenhaft, mineralisch geprägt, typische Frucht, vielleicht eine Spur zu laut, aber insgesamt ein sehr schöner SB, vibrierend und langanhaltend, 93 Punkte. Dagueneau und Tement jedenfalls erhielten von ihm je einen Punkt weniger. Seine Favoriten waren Smith Haut-Lafitte (96), Sabathi und Tokara (je 94).

Fazit: Was wirklich Weltklasse ist, ist teilweise offenbar auch etwas Ansichtssache – aber dass Dageneau und Tement (in Normalform) es nicht sind, wird ja kaum jemand behaupten. Und in diesem Feld hat sich Weedenborn sehr gut behauptet. Auch wenn ich, Rico sei’s versprochen, mit dem Ausdruck künftig vorsichtiger umgehen werde: Rheinhessen bringt auch beim SB Weltklasse hervor!

SB: Spannende Weinsorte und grosse Vielfalt

Die Degustation war im Übrigen ganz generell sehr spannend. Nur schon, wie unterschiedlich man die Sorte stylistisch ausbauen kann, aber auch, dass SB aus der neuen Welt „klassisch “ und nicht exotisch daherkommen können, dass auch in preislich noch bezahlbarem Rahmen gute SB produziert werden, bis hin zur Erkenntnis, dass die Steiermark sowie die Loire und Bordeaux weiterhin Qualitäts-Hotspots sind – und Rheinhessen natürlich dazu 🙂

Die Parade der degustierten SB im schönen Lokal von Reutimann’s in Guntalingen. (Gitton und Casanova sind aufgrund klarem Kork- bzw. Flaschenfehler nachfolgend nicht beschrieben).

Hier meine persönlichen Notizen und Bewertungen (die Degustation erfolgte blind):

Domaine Didier Dagueneau, Silex 2017, Frankreich, Loire (Sancerre)
Helles Gelb, anfangs sehr reduktiv, dann zurückhaltende Frucht und Mineralik; im Mund ebenfalls sehr mineralisch, zwar dicht aber auch ungemein elegant, hier spürbare Fruchtigkeit, wirkt, als hätte er etwas Tannin. Noch unzugänglich, aber klassischer Wein mit Zukunft. 18,5 Punkte.

Château Smith Haut-Lafitte, 2016, Frankreich, Bordeaux (Pessac-Léognan)
(Hat „nur“ 90 % SB, dazu je 5 % Sauvignon gris und Sémillon)
Mittleres Gelb; in der Nase sehr fruchtig, trotz Papaya nicht exotisch wirkend, etwas grüne Töne; im Mund rund und ausgesprochen fruchtbetont, ausgeprägte Frucht“süsse“, mineralisch, schöne Säure, spürbarer, aber gut eingebundener Alkohol. Sehr schöner Wein mit Reserven. 18 Punkte

Erwin Sabathi, Ried Pössnitzberg, 2018, Österreich, Südsteiermark
Mitteres Gelb; schöne Frucht mit einem Hauch von Exotik, noble grüne Töne; im Mund bei gut integrierter Säure enorm elegant, mieralischer Touch und schöne Fruchtigkeit, toller, „saftiger“ Trinkfluss. Toller SB. 18 Punkte

Weedenborn, Réserve 2017, Deutschland, Rheinhessen
Mittleres Gelb; etwas exotische Fruchtnoten, spürbarer Holzton; im Mund dicht und stoffig, schöne Säure und Frische, bei aller Kraft und Dichte auch elegant, spürbares Holz. Vielleicht ist das Holz etwas dominant, aber ein grosser SB. 18 Punkte.

Tokara, Elgin 2018, Südafrika, Stellenbosch bzw. Elgin
Helles Gelb; grüne Töne, Stachelbeeren, dazu dezenter exotischer Fruchttouch; eleganter Wein mit schön stützender Säure, daneben glyzerinbetont rund, fruchtig, im Abgang mit mineralischem Touch. Erfreulicher SB. 17,5 Punkte.

Sattlerhof, Ried Kranachberg 2018, Österreich, Südsteiermark
Mittleres Gelb, in der Nase etwas reduktiv mit verhaltener, feiner Frucht; im Mund mit schöner Struktur, dicht (fast „zum Kauen“), mineralisch, frisch. Man würde ihn sich vielleicht etwas fruchtiger wünschen, aber es ist ein toller SB! 17,5 Punkte.

Triacca, Canale, 2018, Italien, Alpi Retiche (Veltlin)
Helles Gelb; feine Fruchttöne (Birne, Stachelbeere, Rosinen), ganz leicht oyxdativer Touch (Boskoop); im Mund druckvoll, fruchtig, prägnante Säure, spürbarer Alholhol, ausgesprochen langer Abgang. Schöner SB, würde aber mit weniger Alkohol wohl noch besser gefallen. 17 Punkte.
(Anmerkung: Es handelt sich um den günstigsten Wein der Probe, mit CHF 22.50 kostet er mehr als fünfmal weniger als der teuerste – von daher ein toller Wert).

Weingut Riehen, Le Petit, 2018, Schweiz, Basel-Stadt (Riehen)
Mittleres Gelb; Duft nach Birne und leicht oxydativ nach angeschnittenem Apfel, leichter Holzton; im Mund bei hoher Säure üppig, wirkt leicht adstingierend. Eher atypischer SB mit guten Ansätzen, der aber auch etwas ratlos lässt. 16 Punkte.

Cloudy Bay, Te Koko, 2019, Neuseeland, Marlborough
Mittleres Gelb; leichter Rauchton, Vanille, exotische Frucht; im Mund viel neues Holz, etwas trocknend, prägnante, schöne Säure, recht dichter Körper. Für meinen Geschmack mit viel zuviel Holz und Exotik, aber wem’s gefällt. 16 Punkte.

Tement, Ried Zieregg, 2017, Österreich, Südsteiermark
Mittleres Gelb; sehr reduktiv, leichter Fehlton (altes Ei), wird mit Luft etwas besser; im Mund eher filigran bei schöner Säure, leichter Bittertouch. Der Wein hat gute Ansätze, lässt aber ziemlich ratlos. Ein offensichticher Korkfehler ist nicht vorhanden, aber ein anderer Flaschenfehler nicht ausgeschlossen. Falls alle Flaschen so wären: enttäuschend. Ohne Bewertung.

Link auf Reutimann Weinbau, empfehlenswert, auch das Lokal:
Reutimann Weine – Homepage (reutimann-weine.ch)

Und der Link auf VVWine, wo die gleichen Weine beschrieben sind:
11x Sauvignon Blanc – vvWine

Und schliesslich der Link auf den erwähnten Ursprungsartikel in meinem Blog. Zu einem Besuch auf dem Gut hat es bisher leider nicht gereicht, aber einen Nachfolgeartikel wurde ja nun trotzdem generiert:
Weedenborn – Weltklasse-Sauvignon blanc aus Rheinhessen! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Interessennachweis:
Sämtliche Weine wurden im Weinhandel gekauft.

„Alter Landnobler“ – grandiose, rare Spezialität aus dem Wallis!

Zugegeben, der Titel ist journalistisch verdreht, die Rede ist vom Cornalin, der früher „alter Landroter“ genannt wurde. Aber gelungene Weine aus dieser Sorte sind so nobel, dass sich das Wortspiel geradezu aufdrängt. Und zudem weisen Cornalin’s ein erstaunliches Alterungspotential auf, wie eine Weinprobe von der Domaine Denis Mercier beweist.

Ich weiss, ich wiederhole mich, aber die Weine aus dem Wallis sind nach wie vor unterschätzt und unterbewertet, dabei gedeihen hier Tropfen auf ganz hohem Niveau und in kaum andernorts gesehener sortenmässiger Vielfalt. Seit Stephan Reinhardt für die Schweiz zuständig ist, hat das auch Parker gemerkt. Erst kürzlich wurde gar ein Walliser Wein – ein süsser Petite Arvine der Grande Dame des Walliser Weinbaus, Marie-Thérèse Chappaz – mit 100 Punkten bewertet. Was als kleine Sensation aufgenommen wurde, ist eigentlich nur die Bestätigung dafür, dass Weinfreunde und -freundinnen sich vermehrt mit den Weinen dieses schönen Alpentals befassen sollten.

Herrliche Kulisse für die Walliser Reben, hier in der Nähe von Sierre, wo sich der Sitz der Domaine Denis Mercier befindet.

Dabei wurden im Wallis schon vor Jahrzehnten teils ganz hervorragende Gewächse produziert – bloss merkte es keiner, und schon gar nicht Parker. Ein Beweis für diese These lieferte im vergangenen Jahr eine Masterclass-Veranstaltung der „Mémoire des Vins Suisses“, an welcher auch vier gereifte, bis zu 20 Jahre alte Jahrgänge des Cornalin’s von Denis Mercier gereicht wurden.

Alle Weine gefielen ausserordentlich, selbst der älteste, 20-jährige Cornalin war noch genussvoll trinkbar. Geradezu überwältigend war aber der Jahrgang 2005, der ja auch schon 17 Jahre grereift war. Was da an Duftnuancen aus dem Glas strömte, war schon toll. Und im Mund diese Frische, diese noch jugendlich anmutende Saftigkeit, diese Fruchtigkeit – ganz einfach grossartig!

Cornalin aus dem Wallis ist nicht gleich Cornalin aus dem Aostatal

Der Cornalin ist eine Kreuzung zwischen den zwei aus dem italienischen Aostatal stammenden Sorten Mayolet und Petit Rouge – und sie gelangte wohl auch aus dem Aostatal ins benachbarte Wallis. Sie darf aber inzwischen durchaus als waschechte Walliserin gelten, wird sie doch schon seit etwa 700 Jahren hier angebaut (wobei diese Aussage umstritten ist, es könnte sein bzw. wird je nach Quelle als wahrscheinlich angesehen, dass es sich bei einer Nennung aus dem Jahr 1313 nicht um den Cornalin, sondern die Humagne rouge gehandelt hat). Der Cornalin gilt allerdings im Anbau als etwas kapriziös und war deshalb Mitte des letzten Jahrhunderts fast verschwunden. Glücklicherweise wurde aber die Qualität der Rebe wieder erkannt, und heute sind wieder rund 150 Hektar bestockt, was den Cornalin aber immer noch zur raren Spezialität macht.

Die Rebe war früher unter dem Namen „alter Landroter“ bekannt und wird erst seit der „Wiederentdeckung“ in den 1970er-Jahren als Cornalin bezeichnet. Lustigerweise erfolgte damit eine Namensverwirrung. Cornalin gibt es nämlich schon länger auch im Aostatal, der vermuteten Herkunft des alten Landroten. Bloss handelt es sich bei den beiden Cornalin’s nicht um die gleiche Rebsorte – jene im Aostatal ist nämlich mit der Humagne rouge aus dem Wallis identisch.

Mercier und die Mémoire des Vins Suisses

Die Domaine Mercier – Anne-Catherine und Denis Mercier – produziert seit 1982 Weine, zuerst auf 3 Hektar rund um das Schloss Mercier in Sierre. Es ist einer jener Betriebe, die schon, wie die Degustation zeigt, seit längerer Zeit Weine von hoher Qualität liefert. Heute umfasst die Domaine rund 13 Hektar, und inzwischen ist auch Tochter Madeleine Mercier im Familienbetrieb tätig. So ganz nebenbei: Die Oenologin Madeleine Mercier ist seit 2019 auch Präsidentin der „Mémoire des Vins Suisses“, wobei anzufügen ist, dass der Cornalin des Betriebes schon viel länger Eingang in die „Mémoire“ gefunden hat und deshalb auch für die fasziniernde Degustation zur Verfügung stand.

Faszinierende, gereifte Cornalin’s zum Verlieben!

Degustationsnotizen Cornalin, Domaine Denis Mercier

2011
Dunkles, noch jugendliches, glänzendes Purpur; würzig, rote Frucht, reife schwarze Kirschen; im Mund tolle Säure, sehr „satftig“, fruchtbetont, eher filigran, langer Abgang. Sehr schöner Cornalin. 17 Punkte.

2008
Dunkles, gereifts Purpur; Duft nach getrockneten Früchten und Bergheu; im Mund deutlich dichter als 2011, viel feines Tannin, gut stützende, aber zurückhaltende Säure, immer noch fruchtbetont, mittlerer Abgang. Anders im Styl, aber ebenso schöner Wein. 17 Punkte.

2005
Mittleres, glänzendes Purpur; feiner Duft nach einem Gewürzladen, unterlegt mit schönen, dunklen Früchten; im Mund sehr frisch, „saftige Säure“, viel, aber „mürbes“ Tannin, ganz leicht trocknend, füllig und rund mit viel Trinkfluss, immer noch fruchtig, mittlerer Abgang. Wunderbarer Wein noch voll „im Saft“ – Trinkgenuss pur auf sehr hohem Niveau. 18 Punkte.

2002
Eher helles Rot; Liebstöckel, leicht oxydative Töne (angeschnittener Boskoop-Apfel), dahinter etwas kandierte Frucht; im Mund etwas spröde geworden, gute Säure, eher filigran, mittlerer Abgang. Dieser Wein hat seinen Höhepunkt überschritten, ist aber durchaus noch genussvoll zu trinken. 16 Punkte.

Denis Mercier, Vigneron Encaveur, Vin, Sierre, Valais, Suisse

Am 21. April 2023 auf nach Lugano, um gereifte Schweizer Weine zu probieren!

In wenigen Tagen haben Sie in Lugano selbst die Gelegenheit, sich vom Altersungspotential von Schweizer Weinen selbst zu überzeugen:

Events | Mémoire des Vins Suisses (memoire.wine)


Interessennachweis:
Die Teilnahme an der Masterclass-Veranstaltung wurde zum normalen Eintrittspreis bezahlt.


Zwei wunderschöne, bezahlbare Chablis 1er Crus.

Chablis gehört geographisch und weintechnisch zum Burgund. Auch wenn die Weine noch nicht ganz die preislichen Ausschläge der Côte d’Or mitmachen, sind sie inzwischen ebenfalls sehr teuer geworden. Da tut es richtig gut, gleich zwei hervorragende Prèmier Crus zu entdecken, die noch bezahlbar sind.

Der Beitrag über einen Wein der Domaine Jean-Marc Brocard war schon halb geschrieben, als der Weinfreund und von mir hoch geschätzte Bloggerkollege Adrian van Velsen – Betreiber des ältesten Weinblogs der Schweiz, vvwine.ch – ein Mail an Freunde versandte, in dem er den Prèmier Cru 2020 Montée de Tonnerre von Dampt Frères wärmstens empfahl und ihn mit 92 Punkten bedachte.

Chablis: Nicht nur gut, sondern auch landschaftlich schön. Hier am linken Ufer des Serein.

Das hatte mich dazu bewogen, zuzuwarten (ich entschuldige mich dafür – der Wein war damals für CHF 22.50 bei Coop erhältlich), denn Dampt Frères ist ein Gut in Chablis, das ich nicht kenne, aber das schon länger auf meiner „to-visit-liste“ steht. Die hierzulande wenig bekannte Domaine ist mir nämlich im „Guide Hachette“ seit Jahren immer wieder mit hervorragenden Bewertungen aufgefallen. Ich schlug Adrian deshalb einen Weintausch vor – eine Flasche Dampt Frères, Montée de Tonnerre gegen einen Jean-Marc Brocard, Montmains. Auch wenn die Jahrgänge nicht identisch sind (2020 gegen 2019), so war die Gegenüberstellung doch spannend. Beide Weine sind hervorragend gelungen und beide sind, angesichts des inzwischen auch in Chablis steil nach oben zeigenden Preisniveaus, mit knapp unter bzw. über CHF/EURO 30.00 auch noch erschwinglich. Ich mag den Ausdruck eigentlich nicht, aber hier drängt sich die Aussage über ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis auf.

Links oder rechts ist hier keine Frage der Politik
Auch wenn beide klar als Chablis erkennbar sind, so weisen sie doch je eine eigenständige Stilistik auf. Zudem liegen die beiden 1er Cru-Lagen nicht auf der gleichen Seite des Serein, des Flüsschens, das sich durch Chablis schlängelt und bei Auxerre in die Yonne mündet. Montée de Tonnerre liegt rechtsufrig wie auch alle Grands Crus, grenzt auch fast direkt an den Grand Cru Le Clos und gilt als eine der besten 1er-Cru-Lagen. Die linksseitigen (und damit tendenziell nördlich gerichteten) Lagen, zu denen Montmains gehört, gelten generell als etwas weniger gesucht, aber auch hier gibt es eine ganze Reihe von renommierten Prèmiers Crus (nebst Montmains etwa Vaillons, Vosgros und Vau de Vey).

Hohes Umweltbewusstsein
Beiden Gütern gemeinsam ist auch der Blick auf eine gesunde Umwelt und Weinproduktion. Während Brocard schon länger biologisch produziert, weisen Dampt Frères seit zwei Jahrzehnten das Label „Haute Valeur Environnementale (HVE)“ auf. Auf der Seite chablis.fr wird das Gut jetzt sogar auch als biologisch zertifiziert ausgewiesen.

Wie auch immer, wer nach hervorragenden, aber noch bezahlbaren Chardonnays aus Chablis sucht, ist bei beiden Weinen bzw. Gütern bestens bedient! Ich habe beiden je 17 Punkte verteilt (und liege damit vielleicht gar etwas tief) und beide sind uneingeschränkt empfehlenswert. Unter dem Strich würde ich aber wohl den Montmains ganz leicht bevorzogen, weil er meinem „Idealtyp“ eines Chablis (fruchtig, „stählern“, mineralisch, elegant) vielleicht noch eine Nuance mehr entspricht. Allerdings ist der Vergleich aufgrund verschiedener Jahrgänge auch nicht ganz fair . und eben: richtig toll sind beide!

Chablis Montée de Tonnerre, 1er Cru, 2020, Dampt Frères
Mittleres, gänzendes Strohgelb; anfangs eher verhalten, mit etwas Luft dezente Frucht nach Mirabelle und Papaya, wirkt schon in der Nase mineralisch; im Mund ebenfalls sehr mineralischer Auftrakt, dann auch sehr fruchtbetont, füllig und breit ausladend, aber trotzdem elegant, spürbarer, aber nicht störender Alkohol, schöne, gut eingebundene Säure, mittlerer Abgang. Toller Chablis! 17 Punkte.

Chablis Montmains, 1er Cru, 2019, Jean-Marc Brocard
Helles, eher blasses Gelb; zuerst sehr zurückhaltend in der Nase, etwas Banane; dann zunehmend fruchtiger mit Zitrus, Reineclaude und etwas Ananas; im Mund sehr mineralisch, mundfüllende Fruchtsüsse, eher filigran, schöne Säure, ganz leichter, aber sehr schöner Bittertouch, mittlerer, sehr fruchtbetonter Abgang. Ebenfalls ein toller Chablis, 17 Punkte.

Vignoble Dampt Frères – Les vins légendaires des 3 vallées – 89700 Collan
Vignoble Dampt Frères, Caveau de dégustation | Viticulteur à COLLAN – Les vins de Chablis

Domaine Jean-Marc Brocard, owner – grower in Chablis

Zu Vater und Sohn Brocard habe ich auch schon mal einen Beitrag in meinem Blog veröffentlicht, siehe hier:
Beobachten, nachdenken, lernen! Brocard in Chablis – still und (bio)dynamisch an die Spitze! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Bezugsquellen (u.a.)
CH:
Jean-Marc Brocard – Wein kaufen – de.millesima.ch
Weissweine aus dem Burgund | VINSmotions

D:
JEAN-MARC BROCARD kaufen | vinatis.de
Jean Marc Brocard | Hawesko

Und natürlich der Link auf den Blog von Adrian van Velsen, immer lesenswert!
www.vvwine.ch


Interessennachweis:
Der Wein von Brocard wurde im Handel gekauft, jener von Dampt in einem Tausch gegen eine Flasche Brocard von vvWine erworben.


Sind Weine aus wurzelechten Reben besser? Dieser Barbera regt zum Nachdenken an!

Die Reblaus hat im vorletzten Jahrhundert in Europa zu einer Zäsur im Rebbau geführt. Wenig bekannt ist, dass einzelne Rebanlagen wurzelecht bis heute überlebt haben. So eine kleine Fläche im Piemont, von welcher der „Pre-Phylloxera“ von Elio Cogno stammt – ein grandioser Barbera, der qualitative Fragen zum heute üblichen Aufpfropfen von Reben aufwirft.

Es war ganz grundsätzlich eine spezielle Degustation, welche Divo anfangs März in Zürich durchführte. Gereicht wurden zwölf Weine, die allesamt aus wurzelechten Reben gewonnen wurden. Geleitet wurde die Degustation von José Vouillamoz, dem „Rebsorten-Professor“ (in der Realität trägt er „nur“ den Doktortitel), dem wir dank seiner wissenschaftlichen Arbeiten enorm viel Wissen über die Herkunft und Verwandtschaft von Rebsorten verdanken. Vouillamoz ist heute Vizedirektor bei Divo, und in dieser Eigenschaft verfasste er auch einen Grossteil der im vergangenen Herbst erschienenen Broschüre „Wurzelecht“ von Divo (Link dazu siehe am Schluss des Artikels).

Kleiner Schädling – verheerende Wirkung
Da in dieser Veröffentlichung sehr professionell die Geschichte der Phylloxera, des aus Amerika eingeschleppten Schädlings mit deutschem Namen „Reblaus“, eingegangen wird, an dieser Stelle nur kurz:
Ab Ende der 1860-er Jahre bis anfangs des 20. Jahrhunderts verbreitete sich der Schädling in ganz Europa. Die Reblaus befällt dabei die Blätter; viel schlimmer ist aber ihre Wirkung im Boden, wo sie die Wurzeln der Reben angreift und so innert kurzer Zeit einen ganzen Rebberg vernichten kann. Die Zerstörungen in den europäischen Rebbergen waren in jener Zeit verheerend.
Das Gegenmittel wurde indessen bereits 1874 gefunden. Da die amerikanischen Rebsorten gegen den Schädling immun sind, können die europäischen Sorten auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft werden, womit die Reblaus keine Schäden mehr anrichten kann. Aus diesem Grund gibt es heute in Europa keine Reben mehr, welche auf den eigenen, europäischen Unterlagen wachsen.

„Gallische Rebberge“ leisten Widerstand
Keine? Nicht ganz! Es gibt da noch einige wenige „gallische Rebberge“, welche dem Eindringling erfolgreich trotzen. So wurden einige Inseln ganz verschont (die Balearen und Zypern beispielsweise), und es gibt in ganz Europa auch immer wieder kleine Bestände, die unbefallen blieben und bleiben. Der Schlüssel dazu liegt in den Böden, da die Reblaus sich in sandiger Umgebung mit wenig Lehmanteil nicht wohl fühlt.

Bessere Weine aus wurzelchten Rebbergen?
Ob Weine aus wurzelechten Reben besser sind als andere, lässt sich bisher zumindest wissenschaftlich nicht beweisen (dazu bedürfte es einer systematischen Vergleichsanlage über viele Jahre, wozu offenbar das Geld fehlt). Sicher ist indessen, dass durch aus Aufpfropfen von klonalen Reben auf ein paar wenige Typen von Unterlagen die genetische Vielfalt leidet. Vor dem Auftreten der Reblaus war es nämlich üblich, die Reben mittels Stecklingen aus dem Rebberg oder durch Ableger bzw. Vergraben der bestehenden Reben zu verjüngen. Durch diese massale Vermehrung blieb die genetische Vielfalt erhalten.

Zudem kann als absolut sicher angenommen werden, dass die Unterlage der Reben einen grossen Einfluss aus das Gedeihen der Pfanze und damit die Qualität hat. Der Beweis für diese These ist, dass die Wahl der richtigen amerikanischen Unterlage noch heute eine Herausforderung ist, und dass es sogar Fälle gab, in denen eine bestimmte Rebsorte auf einer bekannten Unterlage auf besonderen Böden schlicht nicht gedieh. So gesehen erscheint es logisch, dass auch die „Original-Unterlage“ einen Einfluss auf die Qualität haben muss. Und zumindest abwegig ist es nicht anzunehmen, dass dieser positiv sein könnte.

Blick über die Reblandschaft der Langhe bei Alba (Symbolbild)

Sehr hohes Niveau der „Wurzelechten“
Ausnahmslos alle der zwölf degustierten wurzelechten Weine überzeugten, und auf den einen oder anderen werde ich später noch zurückkommen, zum Beispiel den grandiosen Heida Veritas 2019 der St. Jodern-Kellerei aus dem Wallis. Am allermeisten beeindruckt hat mich aber ein Barbera von Reben, die im Piemont noch vor dem Eintreffen der Reblaus gepflanzt wurden. Es mag sein, dass allein das Wissen um das Alter der Reben eine gewisse wohlwollende Ehrfurcht erzeugte. Allerdings habe ich nach der Degustation eine Flasche nachbestellt und zuhause nochmals genossen, und der Eindruck war wiederum gleich hervorragend. Die Trauben dazu werden aus einer nur 25 Aren kleinen Anlage bei La Morra gewonnen, welche einen sandigen, kalkigen und eisenhaltigen Untergrund aufweisen, was die Reblaus offensichtlich abhält.

Pre-Phylloxera, Barbera d’Alba 2018, Azienda Agricola Cogno
Dunkles, fast undurchdringliches Purpur; in der Nase sehr vielschichtig, würzig (Thymian, Lorbeer), blumig (Glyzine) und fruchtig (Brombeeren, Dörrpflaumen, dunkle Kirschen); im Mund kräftig und druckvoll, gleichzeitig aber enorm elegant und sehr frisch, für einen Barbera viel Tannin, aber von grosser Feinheit; spürbare, aber doch zurückhaltende Säure, trotz hohem Alkoholgehalt (14,5 % vol.) kein bisschen breit oder brandig, der Wein rinnt tänzerisch durch den Gaumen, sehr langer Abgang. Toller, berührender Wein. Macht jetzt schon Spass, hat aber noch viel Reserve! 18 Punkte.

Anzumerken ist noch, dass ich diesen Wein blind kaum als Barbera erkannt hätte. Wenn man mir ihn blind z.B. als Bordeaux vorgesetzt hätte, wäre ich jedenfalls kaum ins Grübeln gekommen. Es mag sein, dass dies am Methusalem-Alter der Rebstöcke liegt oder eben an den wurzelechten Unterlagen. Tatsache ist zudem, dass die Barbera-Reben auf dieser Parzelle genetisch mit den heutigen Stöcken nicht ganz identisch sind.

Barbera d’Alba DOC „Pre-Phylloxera“ – Elvio Cogno

Erhältlich u.a. in Deutschland bei http://www.winecom.de und in der Schweiz bei http://www.divo.ch

Und hier noch der Link auf die hochspannende Broschüre von Divo zu wurzelechten Reben:
Wurzelecht | DIVO

Und wer sich noch mehr für die Arbeiten des José Vouillamoz interessiert, hier zwei Links:
JoseVouillamoz.com – World’s leading authories on origin of grape varieties
Schweizer Rebsorten | Haupt – Online Buchshop


Interessennachweis:
Die Teilnahme an der Degustation sowie auch die nachfolgende Bestellung einer Einzelflasche zur Nachdegustation wurden vom Autor zu normalen Konditionen bezahlt.

Chasselas/Gutedel: Grandiose Weine!

So ganz langsam spricht es sich herum, dass aus dem Mauerblümchen Chasselas bzw. Gutedel Weine von herausragender Qualität entstehen können. Hier je ein Beispiel aus Deutschland und aus der Schweiz als Beweis.

Zugegeben, auch ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich in Chasselas zu verlieben. Zu sehr sind mir da die dünnen, jämmerlichen Säftchen in Erinnerung, die wir jeweils in meiner Militärzeit in der Westschweiz im Ausgang vorgesetzt erhielten. Und auch eine Aussage über Chasselas-Weine eines damals führenden Weinjournalisten in den späten 1980er-Jahren musste ich zuerst überwinden: „So etwas wie halb Wein und halb saurer Most“!

Bester deutscher Wein bei Vinum: 10 hoch 4 von Ziereisen

Allerdings hätte es schon zu jener Zeit sehr gute Weine aus der Chasselas (in Deutschland: Gutedel) gegeben, was diverse Degustationen alter Weine aus jener Zeit heute eindrücklich bestätigen. Dass die besten Weine inzwischen auch ganz vorne in den Punktelisten mitmischen können, ist aber doch neu. So wurde vor drei Jahren zum Beispiel der Gutedel Jaspis 10hoch4 2016 von Hanspeter und Edeltraud Ziereisen als bester im Jahr 2020 von Vinum degustierter deutscher Wein bewertet (19,5 Punkte!). Ich selbst habe vor zwei Jahren den Jahrgang 2017 den gleichen Weines ebenfalls mit dieser Punktezahl bedacht – ein Wert, zu dem ich in diesem Blog noch gar nie gegriffen habe (wobei anzumerken ist, dass ich i.d.R. auch keine wirklich teuren Weine beschreibe).

Blick auf die Rebberge von Efringen-Kirchen, ideales Terroir an der deutschen „Burgunderpforte“.

Eine Stufe tiefer, aber auch grossartig: Steingrüble von Ziereisen

Nebst einem schon länger geplanten Beitrag über eine Verkostung von vier älteren Jahrgängen des Dézaley Médinette hat mich nun wiederum ein Wein von Ziereisen zum Schreiben angeregt, der „Steingrüble 2016“. Einfach grossartig, wie sich dieser Wein heute präsentiert, in der Trinkreife (wobei er das eigentlich schon die ganze Zeit war) aber immer noch mit viel Lagerpotential! Dieser – durchaus bezahlbare – Gutedel wird spontan vergoren und gegen zwei Jahre auf der Hefe im grossen Holzfass ausgebaut und schliesslich ohne Filtration oder Schönung abgefüllt.

Steingrüble 2016, Gutedel, Badischer Landwein, Hanspeter und Edeltraud Ziereisen
Mittleres Gelb, zuerst etwas Brioche (erinnert ein wenig an einen schönen Champagner), dann sehr fruchtig mit Apfel, Birne, Mirabelle und Papaya, dezenter Holzton; im Mund prägnante aber wunderschön „mürbe“ Säure, enorm mineralisch, dicht, „saftig“, wunderbarer Trinkfluss. Fast nicht endender Abgang mit Anflügen von Zitrus und Brioche. Toller Wein und nur 12,5 % Alk.! 17,5 Punkte.

Und die Chasselas-Legende aus der Schweiz: Dézaley Médinette von Louis Bovard

Grandiose Wein- und Kulturlandschaft: Dézaley am Genfersee.

Im vergangenen Spätherbst fand eine unglaublich spannende Degustation der Swiss Wine Connection statt. Von vier Schweizer Spitzenweinen wurden je vier gereifte bis „alte“ Weine präsentiert – darunter als einziger Weisser der Dézaley Grand Cru Médinette der Domaine Louis Bovard. Auch der älteste vorgestellte Jahrgang, 2002, war noch im voller Form – wenn das kein Beweis für die Grösse dieses Cru’s und für das Potential der Chasselas ist! Nachstehend meine Kurznotizen zu den vier Jahrgängen:

2011
Mittleres Strohgelb; grüne Töne, nussig, etwas „mostig“; im Mund etwas Kampfer, trotz tiefer Säure sehr frisch wirkend, rund mit langem Abgang. Der „schwächste“ der vier Jahrgänge, hat aber ev. eine etwas schwierige Phase. 16 Punkte.

2008
Mittleres Strohgelb; zuerst ganz leicht muffig, entwickelt sich mit Luft aber immer schöner hin zu fruchtigen Tönen wie Mirabellen und weissen Johannisbeeren; im Mund sehr frisch, mineralisch, ausgesprochen rund und trinkfreudig, langer Abgang. Schöner, frischer Wein. 17,5 Punkte.

2005
Eher helles Gelb; Duft nach Lindenblüte, kandierten Früchten und Honig, würziger Touch; im Mund trotz tiefer Säure frisch und harmonisch, mineralisch, rund, langer Abgang. 17 Punkte.

2002
Helles Strohgelb; vielschichtige Frucht (Steinobst und exotische Früchte); im Mund eher filigran, mineralisch, tolle Frische, extrem langer Abgang! Herrlicher Wein, 20 Jahre und kein bisschen müde! 17,5 Punkte.

Fazit: Chasselas/Gutedel aus dem Rebberg und dem Keller von begnadeten Winzern bringt Spitzenqualität! Es ist Zeit, alte Vorurteile abzulegen!

Mehr zu Ziereisen’s und zur Domaine Louis Bovard hier:
Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Und bei dieser Gelegenheit: Am 28.4.2023 findet in Efringen-Kirchen (10 Kilometer ab Basel) der Landweinmarkt Baden statt. Eine ideale Gelegenheit, die Weine von Ziereisen und anderen führenden Winzern der Region zu probieren:
Willkommen zum 4. Landweinmarkt Baden (landweinmarkt-baden.de)


Interessennachweis:
Der „Steingrüble“ wurde vor Ort beim Winzer gekauft und die Teilnahme an der Médinette-Degustation mit dem ordentlichen Eintritt beglichen.

Grenache aus 1200 m Höhe. Faszinierend!

Schnell: Wo liegt der höchste Rebberg Europas? Nein, auch wenn es aus Schweizer Sicht schön wäre, eben nicht im Wallis. Da wachsen die Reben auf stolzen 1’150 m, doch in Sizilien, an den Hängen des Ätna, wird diese Höhe noch getoppt, zum Beispiel von alten Grenache-Reben, die auf 1’200 m gedeihen. Und der Wein daraus ist vorzüglich und einzigartig!

Genau genommen halten aber auch diese Reben nicht den Europarekord. In den spanischen Pyrenäen und im Südtirol soll es Reben geben, die auf über 1’300 m gedeihen. Aber eigentlich geht es ja nicht um Rekorde, sondern um Qualität. Und die ist beim heute beschriebenen Wein vom Ätna aussergewöhnlich.

Hong Kong – Los Angeles – Randazzo am Ätna

Sehr speziell ist auch die Geschichte, die hinter diesem Wein steckt. Zwar ist ein grosser Teil der Reben schon jahrzehntealt – 60-100 Jahre. Grenache (bzw. Cannonau) ist am Ätna ohnehin keine seltene Sorte. Aber so richtig spannend wird es ab dem Jahr 2015, als Stef Yim das Gut mit den verstreuten Rebparzellen übernahm. Stef ist Amerikaner mit einer japanischen Mutter und wuchs in Hong Kong auf. In Kalifornien startete er seine Berufskarriere als Sommelier, bevor er eine Pause brauchte und nach Europa zog. Er arbeitete u.a. in Südfrankreich. Die Weine vom Ätna und generell aus vulkanischem Boden hatten ihn aber schon länger in vielen Degustationen begeistert, und so verliebte er sich auch in die Gegend und die vinologischen Möglichkeiten und blieb quasi am Ätna hängen. Er arbeitet biologisch und die Weine werden auf den Wildhefen vergoren und möglichst zurückhaltend geschwefelt.

Der Ätna aus der Perspektive der Weinberge. Tanz mit dem Feuer? (Bild ab Homepage von Sciara)

Bei Sciara werden die meisten Weine nach der Höhenlage bezeichnet, in der sie wachsen. So gibt es einen „760“ (Jahrgang 2020: sehr feine helle Frucht, feine Tannine und toller Säure, sehr elegant, 16,5 Punkte) und einen „980“ (Jahr 2020: dunklere Beeren, würzig, viel Tannin und sehr druckvoll mit viel Eleganz, 17 Punkte). Die beiden Weine werden grossmehrheitlich bzw. ganz aus der Sorte Nerello Mascalese hergestellt und bestechen durch eine eigenständige und sehr elegante Art. Zusätzlich produziert das Gut auch einen Wein aus wurzelechten Reben sowie einen Weisswein.

Tages- und Nachtunterschied: 35 Grad!

Der speziellste Wein (wobei ich die beiden letzten nicht probiert habe) ist aber der „1200 metri“. Das ist aufgrund der Aromen unverkennbar Grenache – aber im Mund würde man niemals auf diese Sorte tippen. Er wirkt wie ein „cool climate-Wein“ und überzeugt durch eine umwerfende Fruchtigkeit und Frische. Cool climate ist freilich hier nicht richtig. Zwar wird es auf dieser Höhe kühl bzw. im Winter kalt – aber in Sizilien wird es eben auch heiss. Es gibt zuweilen Tage in der Vegetation, in denen das Thermometer um 35 Grad schwankt!

1200 metri, 2020, IGT Etna Rosso, Sciara, 100 % Grenache spagnolo (Cannonau)
(kein DOC-Wein, da diese nur bis in eine Höhe von 800 m gilt)
Mittleres Rot; dezent würzig (u.a. Lorbeer und Wacholder), helle und dunkle Frucht, etwas Rhabarber; im Mund ganz anders, als man einen Grenache erwarten würde: eher schlank und sehr elegant, enorm fruchtbetont, extreme Frische, prägnante, aber gut eingebundene Säure, recht viel Tannin. Völlig untypischer, „cooler“, aber interessanter Grenache. Speziell, aber grossartig. 17,5 Punkte.

PS. Für alle mitlesenden Schweizer Weinhändlerinnen und Weinhändler: Sciara hat noch keine Vertretung. Das wäre doch eine Chance auf eine echte Rarität (vom „1200“ gibt es z.B. nur rund 1000 Flaschen)

Und noch ein PS für alle: Man kann auf dem Gut auch übernachten.

Home | mysite (sciaraetna.com)

Und hier ein spannender und ausführlicher Hintergrundartikel:
Stef Yim of Sciara: A Mount Etna Natural Wine Journey from Hong Kong via California (grapecollective.com)


Interessennachweis:
Der Wein wurde auf Einladung von Vinum im Rahmen von „Vini d’Italia von Gambero Rosso“ in Zürich zuerst an der Masterclass-Degustation und danach nochmals am Degustationstisch des Gutes in der „Walk around“-Degustation verkostet.