Gute Bordeaux sind billig!

Im Schatten der völlig verrückten Preis-Exzesse der bekanntesten Bordeaux-Güter gibt es eine Vielzahl von Châteaux, die hervorragenden Wein zu vernünftigen Preisen anbieten. Eine Probe auf’s Exempel mit einem Wein in der ersten Trinkreife.

Mir ist natürlich klar, dass man den Titel zu diesem Beitrag angesichts der verrückten Preise der ganz grossen Namen im Bordelais als provokativ empfinden kann. Aber bezogen auf weniger bekannte Güter mit hervorragender Qualität stimmt er eben auch! Denn abseits der Weine mit Kosten im teils hohen 3-stelligen Bereich (was meines Erachtens durch nichts ausser durch die freie Marktwirtschaft zu rechtfertigen ist), gibt es eine Vielzahl von hervorragenden Gewächsen, die man noch bezahlen kann. Und nicht nur das: Ich behaupte, dass solche Betriebe, die mit akribischer Arbeit tolle Weine zu bezahlbaren Preisen hervorbringen, in Bezug auf das Preis-/Leistungsverhältnis fast unschlagbar sind (ich habe dieses Unwort hier verwendet, weil es weltweit selten so stimmt wie im Bordelais).

Reblandschaft im Médoc (Symbolbild, es zeigt nicht die Reben von du Retout).

„Nur“ Haut Médoc? Warum „nur“?

Château du Retout zum Beispiel. Klar, das tönt nicht gerade vertraut und das „Rothschild“ fehlt auch im Namen. Und es handelt sich auch „nur“ um einen Cru Bourgeois und einen „Haut-Médoc“.

Zwischen Margaux und St. Julien gibt es diesen Streifen Rebland, der als Haut-Médoc klassiert ist. Etwa auf halbem Weg, kurz hinter dem Weiler Lamarque, befindet sich das Château du Retout. Das Weingut umfasst rund 34 Hektar und arbeitet nach den Richtlinien des Labels „haut valeur environnemental“, verwendet weder Insektizide noch Herbizide, dafür ausschliesslich natürliche Düngemittel.

Château du Retout entstand in den 1950er-Jahren, als die Familie Kopp drei heruntergekommene Güter aufkaufte (davon zwei, die schon damals den Cru-Bourgeois-Status hatten), zusammenlegte und wieder auf Vordermann brachte. Die Qualität, die heute von diesem Gut abgeliefert wird, ist meiner Meinung nach hervorragend. Wenn man dann noch den Preis (aktuell, d.h. 2020 ca. CHF 18.50) in Betracht zieht, dann muss man wirklich ziehen, nämlich den Hut! Château du Retout liefert damit auch den besten Beweis für meine eingangs aufgestellte Behauptung, die Preise der renommierten Güter sei durch nichts als die freie Marktwirtschaft zu rechtfertigen.

Gemäss Heiner Lobenberg und – deckungsgleich – der Schweizerischen Weinzeitung, erinnert du Retout an Grand Puy Lacoste und du Tertre. Als GPL-Fan (auch der ist inzwischen zu teuer, aber verglichen mit anderen immerhin noch einigermassen anständig) halte ich diesen Vergleich für werblich übertrieben bzw. fragwürdig (man darf mir gerne in einer Blinddegustation das Gegenteil beweisen). Tatsache ist aber, dass der du Retout ein grandioser Bordeaux von sehr hoher Qualität und herrlichem Trinkvergnügen ist. Das allerdings nur, wenn man ihm Zeit lässt, er braucht meiner Erfahrung nach mindestens 10 Jahre oder noch länger, um in Hochform zu kommen (was man ja wiederum durchaus als Qualitätsmerkmal ansehen kann).

Ich habe zwei trinkreife Jahrgänge aus dem Keller geholt und degustiert. Das sind einfach wundervolle Weine und machen auf sehr, sehr hohem Niveau uneingeschränkt grossen Spass. Ich habe die Weine damals in Subskription für rund CHF 16.00 gekauft – der beste Beweis dafür, dass der Titel zu diesem Beitrag stimmt! Gute Bordeaux können auch heute noch in Relation zum Preis geradezu billig sein!

Degustationsnotizen

Château du Retout, Haut Médoc, 2009
Dunkles, fast undurchdringliches Purpur; vielschichtige Nase; Brombeer, Cassis, Lebkuchen, rote reife Peperoni, Leder, Tabak; im Mund druckvoll, dichter Körper, viel Tannin, das sich aber jetzt schon gut einfügt, schöne, gerade für einen Wein aus diesem Jahr bemerkenswerte Säure, feine Frucht“süsse“, fast etwas opulent, noch etwas holzbetont im langen Abgang. Sehr schöner, runder und kräftiger Wein! 17,5 Punkte.

Château du Retout, Haut Médoc, 2010
Dunkles, dichtes Purpur; schwarze Kirschen, Wacholder, Leder, leichte grüne Peperoninote, die aber nicht unreif wirkt; elegante Struktur, vollgepackt mit ganz viel, aber feinem Tannin, etwas trocknend, passende Säure, langer Abgang. Klassischer, schöner Wein, fast noch zu jung zum Trinken. 17 Punkte.

Wie hier abgebildet, gibt es auch einen weissen du Retout. Auch dieser ist überzeugend, und vielleicht ist er der verrückteste weisse Wein aus Bordeaux. Er besteht nämlich aus Rebsorten, die sonst hier nicht vorkommen: Gros Manseng, Sauvignon gris, Savagnin und Mondeuse blanche! Der Wein ist deshalb auch nur ein „Vin de France“, aber was für einer:

Château du Retout blanc, Vin de France, 2018
Eher dunkles Gelb; vielschichtige, sehr fruchtige Nase (weisser Pfirsich, Birne, weisse Pflaume, Mango), dazu auch florale Töne und eine feine Nuance Holz; im Mund sehr frisch, wirkt, als wäre er erst einjährig, schöne, stützende Säure, dichter Körper, langer Abgang. Herrlicher, frischer und gehaltvoller Wein. 16,5 Punkte.

https://www.chateau-du-retout.com/de/chateau-du-retout

Der qualitative Höhenflug von du Retout scheint sich übrigens fortzusetzen. Adrian van Velsen hat den 2022er in seinem Blog soeben mit 92-94 Punkten ausgezeichnet und geschrieben „spielt eine Klasse über seiner Liga“. Hoffen wir, dass die Preise dennoch vernünftig bleiben! Träumen ist ja erlaubt.

Bordeaux 2022: Veilchen und Paradoxe. – vvWine


Interessennachweis:
Alle Weine wurden im Weinhandel gekauft.

Lucente – Licht und Wärme aus der Toskana für dunkle Wintertage.

Die Tenuta Luce delle vite in Montalcino produziert hervorragende, aber auch teure Weine wie den Luce oder den Luce Brunello. Indessen bietet das der Familie Frescobaldi gehörende Gut auch eine Klasse tiefer mit dem „Lucente“ einen tollen Wert – so richtig, um in diesen kalten Tagen den warmen Süden Einzug halten zu lassen.

Frecobaldi – zusammen mit Antinori ist das der ganz grosse Familienname im Weinbereich Italiens. Das Familienunternehmen hat eine schon fast unwirklich lange Geschichte, denn die ersten dokumentarisch gesicherten Hinweise auf Weinbau datieren von 1308. Reich wurden die Frescobaldis allerdings ursprünglich mit Finanzgeschäften und dem Textilhandel.

Weine für Katharina von Medici und für Michelangelo

Die Frescobaldis, bzw. korrekt de‘ Frescobaldis, belieferten in der Folge den fanzösischen (unter Katharina von Medici) und den englischen Königshof mit Weinen und unterhielten Geschäftsbeziehungen mit den Fugger’s aus Augsburg. Sogar Michelangelo soll mit den Frescobaldis Kunstwerke gegen Wein getauscht haben (Quelle: Wikipedia).

Die Familie behauptet sich nun aber seit Jahrhunderten im Weinbau, und zwar auf enorm hohem Qualitäts- und auch Innovationsniveau. Schon im vorletzten Jahrhundert wurden beispielsweise in Pomino (etwa 40 Km östlich von Florenz in einem Seitental des Arno) auch Chardonnay- und Pinot blanc-Pflanzen angebaut. Es verwundert deshalb nicht und hat eben schon eine lange Tradition, wenn heute der „Benefizio Riserva“ mit Reben aus dem Jahr 1973 einen Massstab für Chardonnay-Weine aus Italien darstellt. Im gleichen Gebiet des Chianti-Rufina werden auf dem Castello di Nipozzano seit über 150 Jahren auch Cabernet Sauvignon und Petit Verdot angepflanzt. Daraus entsteht seit 1983 mit dem Mormoreto ein hervorragender Wein, der als eine Art „Super-Toscan“ auf eine längere Geschichte zurückblicken kann als die meisten anderen. Dass dem Mormoreto seit einigen Jahren auch etwas Sangiovese beigemischt wird, unterstreicht nur, dass die Frescobaldis nicht einfach nur Neuerungen suchten, sondern auch den traditionellen Sorten treu geblieben sind.

Tradition erhält man am besten mit Innovation – das gilt auch beim Wein

Von wegen Sangiovese: Das traditonelle Gegenstück zum Mormoreto ist der Montesodi vom Castello di Nipozzano, ein grandioser Sangiovese. Und der klassische Castello di Nipozzano ist für mich, vor allem auch im Preis-/Leistungsvergleich, einer der am meisten verkannten Chiantis – vielleicht deshalb und zu Unrecht, weil er ein Chianti Rufina und nicht Classico ist.

Sangiovese – das steht auch für Montalcino, selbst wenn die Traube bzw. der meistens eingesetzte Klon hier Brunello heisst. Und auch hier stellt die Familie Frescobaldi auf der Tenuta CastelGiocondo, etwas westlich des Städtchens gelegen, einen grossartigen Brunello di Montalcino her. Dieser Wein war übrigens der erste Brunello, den ich in meinem Leben probieren konnte, und die Erinnerung an dieses Erlebnis ist heute noch sehr lebendig.

Blick über Montalcino in die südtoskanische Landschaft. Die Tenuta Luce delle vite befindet sich einige Kilometer westlich von hier.

Luce und Lucente – und die Geburtshilfe von Robert Mondavi

Der heute vorgestellte Wein stammt auch aus dieser Gegend, ist aber kein Brunello und enthält nebst Sangiovese auch Merlot. Anfangs der 1990er Jahre wurde die Tenuta Luce als joint venture der Familien Frescobaldi und Mondavi gegründet – aber 2005 von Lamberto Frescobaldi ganz übernommen. Das Weingut befindet sich in der Nähe von CastelGiocondo und besitzt auch einen Teil Land in den Gemarkungen von Montalcino (und deshalb gibt es nebst dem „Luce“ auch einen „Luce Brunello“). Der „Luce“ ist der erste Wein, der in Montalcino aus einer Assemblage von Sangiovese und Merlot hergestellt wurde. Er ist grossartig (auch wenn einzelne Kritiker das früher zuweilen anders sahen), hat aber auch seinen (dreistelligen) Preis.

Der „Lucente“ ist so etwas wie sein kleiner Bruder und wird in beachtlicher Menge hergestellt (6-stellige Flaschenzahl). Ihn als Zweitwein abzutun, würde ihm aber nicht gerecht. Der Lucente ist ein wirklich toller Wein, der nicht nur, aber gerade in dunklen und kalten Winterzeiten mit seiner eleganten und gleichzeitig kraftvollen Fülle so richtig Licht ins Dunkel bringt. Und mit rund 30 Franken ist er auch noch bezahlbar.

Von wegen Licht: damit sind wir bei der Etikette. Als dem Zeitgeist entspechend kann man diese ja nicht gerade bezeichnen. Das ist auch nicht verwunderlich, wurde doch das Symbol der Sonne ähnlich gestaltet, wie jenes, das sich am Hochaltar der Kirche Santo Spirito in Florenz befindet – einer Kirche übrigens, die einst auf einem Landbesitz der Familie Frescobaldi erreichtet wurde. So steht die Etikette also auch als Symbol für das – bei aller Innovationskraft – weiterhin bestehende Traditionsverständnis der Frescobaldis. Und wer weiss, vielleicht schlägt das Pendel zurück und eines Tages entspricht sogar die Etikette wieder dem Zeitgeist. Der Wein tut es jedenfalls schon heute.

Lucente 2020, Tenuta Luce delle vite, Toskana IGT
Dunkles, dichtes Purpur; feiner Duft nach Dörrpflaumen, Cassis, Brombeeren, Bergheu, leichter Vanille-Touch; im Mund sehr dicht und mundfüllend, rund und ausgewogen, viel feines Tannin, schön angepasste Säure und tolle Frische; ein Powerwein, der aber auch eine sehr sanfte, elegante Seite hat. Alles andere aus „nur“ ein Zweitwein. 17 Punkte.

Tenuta Luce – Toskanische Weine von Montalcino
Man kann hier übrigens auch übernachten.

Und mehr über Frescobaldi und die weiteren Güter der Familie hier:
Innovatives Traditionsweingut Toskana | Frescobaldi


Interessennachweis: Der Lucente 2020 wurde mir von der Tenuta Luce delle vite zu Degustationszwecken frei von jeder Verpflichtung gratis zur Verfügung gestellt.

Refosco von Castello di Buttrio: Toller Botschafter für das Friaul.

Das Friaul ist eine jener Weingegenden, die chronisch unterschätzt werden. Das Gebiet im Nordosten Italiens hat aber ganz viel zu bieten, vor allem auch hervorragende autochthone Sorten.

Mit rund 20’000 Hektar Fläche ist das Friaul zwar ein recht grosses Weinbaugebiet, bekannt sind die Weine hierzulande aber nicht besonders (zum Vergleich: Die Pfalz weist eine um rund 1’000 Hektar höhere Fläche auf, die bestockte Fläche im Wallis ist rund viermal kleiner). Am ehesten noch finden sich Pinot Grigio in den Gestellen hiesiger Weinhändler, oder dann andere internationale Sorten wie Sauvignon Blanc und Merlot, wobei letzterer in dieser Ecke Italiens schon seit rund 170 Jahren kultiviert wird.

Tolle Landschaft gleich hinter dem Castello: friulanische Weingärten mit Blick auf Udine und die Alpen.

So richtig entdeckenswert sind aber die wirklich einheimischen Sorten wie die Ribolla Gialla und Friulano (weiss), die Schiopettino und die Pignolo (rot) oder eben die Refosco (mit vollem Namen „Refosco dal Peduncolo Rosso“). Die meisten dieser Sorten lassen sich im Friaul bis ins 13. bzw. 14. Jahrhundert zurückverfolgen und sind, abgesehen von Pflanzungen im direkt angrenzenden Gebiet von Goriska Brda in Slowenien, autochthon.

Wir genossen kürzlich ein paar Tage Ferien auf dem Castello di Buttrio, welches nicht nur einen Weinbaubetrieb, sondern auch ein Hotel und eine Osteria betreibt (beide sehr empfehlenswert, wenn auch nicht gerade billig). So hatte ich die Möglichkeit, die meisten Weine des Gutes in Ruhe zu probieren, sei es zum Apéro oder zum Nachtessen. Spätestens am zweiten Abend, nach dem Genuss einer Flasche Refosco dal Peduncolo rosso 2018 war auch klar, dass ich über das Gut schreiben würde.

Ein Paradestück des Gutes: Das „Amphitheater“ direkt neben dem Castello.

Mit diesem Wein schloss sich für mich persönlich auch ein wenig ein Kreis. Meinen ersten Schluck Refosco genoss ich vor über 30 Jahren an einer Einkaufsdegustation bei Divo, und der Wein „elektrisierte“ mich: etwas wild, aber ungemein spannend und enorm ausdrucksstark! Und jener Wein stammte aus Buttrio, von Girolamo Dorigo, der damals als Nebenerwerbswinzer Massstäbe setzte (und dessen Gut heute von Sohn Alessio geführt wird).

Zurück zu den Weinen des Castello: Das Sortiment weist ein hohes und gleichmässiges Qualitätsniveau auf. Bei etwas näherer Betrachtung wurde dann auch klar, weshalb. Die Eigentümerin des Castello ist Alessandra Felluga, und sie ist die Tochter von Marco Felluga, einer Legende des Weinbaus im Friaul. Nebst seinen Betrieben Azienda Marco Felluga und Russiz Superiore kaufte er 1994 auch das damals heruntergekommende Castello di Buttrio (das inzwischen sehr stilvoll restauriert wurde). Seit 2007 führt Tochter Alessandra das Gut (während für die beiden anderen Betriebe heute Marco’s Enkelin Ilaria verantwortlich ist, da Sohn Roberto im letzten Jahr viel zu früh verstarb). Der Rebbauzweig des Castello di Buttrio ist heute 26 Hektar gross.

Refosco dal Puduncolo Rosso 2018, Castello di Buttrio (DOC Friuli Colli Orientali)
Dunkles Purpur; dunkle Frucht nach Brombeer und Dörrzwetschgen, Tabak, würzige Anflüge von Korianderfrucht; im Mund mineralisch-frisch, kräftige Tannine und angepasste Säure, Alkohol kaum spürbar. Wirkt im Mund enorm präsent, stürmisch-kraftvoll und trotzdem ausgewogen. Charakterwein der tollen Art. 17 Punkte.

Und hier noch ein paar Hinweise auf weiter schöne Weine des Gutes (aus der Erinnerung und ohne spezielle Degustationsnotiz, ich hatte schliesslich Ferien vor Ort …):

Ribolla Gialla:
Sehr verhalten, aber tolle, dichte Struktur mit stützender Säure und viel Mineralik. Dürfte in 1-2 Jahren noch zulegen. 16,5 Punkte.

Sauvignon blanc:
Enorm fruchtiger Wein, ohne irgendwelche exotischen Exzesse, schöner Trinkfluss; sehr sortentypisch. 16 Punkte

Friulano:
Schöne Frucht, im Mund ausgeprägt mineralisch und fast ein wenig asketisch. Nicht jedermann’s Sache, meine schon. 16,5 Punkte.

Chardonnay:
Aus dem Stahltank, aber lange auf der Feinhefe gelagert. Enorm fruchtbetont (u.a. mit Ananas, aber ohne exotisch zu wirken), sehr dicht, rund, schöne Säure. Toller Chardonnay; Man könnte sich diesen Wein auch gut vorstellen, wenn er in der Barrique gewesen wäre. 16,5 Punkte.

Ebenfalls gut sind der Pinot Grigio und der Merlot, wobei es hier spannendere Weine gibt. Nicht degustiert habe ich die Riservas des Hauses.

Homepage | Castello di Buttrio

Das Castello aus der Ebene. Tolles Anwesen. Leider beginnt gleich links des Fotos die Industriezone, die man optisch besser ausblendet, wenn man hier logiert und geniesst.

Hier noch Links auf frühere Beiträge zum Friaul und zu Slowenien:
Viva l’Italia! Pignolo – aber kein bisschen kleinlich! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Brda in Slowenien: Sollte man sich merken! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Interessennachweis:
Alle Weine wurden zu normalen Konditionen vor Ort bestellt und bezahlt.

Die 2020-er der Domaine Léandre-Chevalier: Ein genialer Neustart!

Grossartig, was Dominique Léandre-Chevalier und Reto Erdin im ersten Jahrgang nach der Wiedergeburt der Domaine im Bordelais präsentieren! Jetzt muss nur noch die Weinwelt endlich merken, welche tolle Weine hier kreiert werden!

Dominique Léandre-Chevalier war Insidern schon lange ein Begriff, denn er produzierte an den Cotes de Blaye, also quasi am „falschen“, rechten Ufer der Garonne, jahrelang authentische, manchmal auch etwas verrückte, aber immer hervorragende Bordeaux-Weine auf Spitzenniveau. Leider vergass der Qualitätsfanatiker Léandre-Chevalier dabei, dass auch die kommerzielle Seite stimmen muss, und so musste er die Domaine aufgeben. Die schon fast wundersame Rettung kam durch den Schweizer Reto Erdin, der das Gut erwarb und zusammen mit Dominique Léandre-Chevalier wieder aufbaute. Details zu diesem Abenteuer hier:
Domaine Léandre Chevalier: Die märchenhafte Rettung eines Ausnahmegutes in Bordeaux! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Mit dem 2020-er liegt nun der erste gemeinsame Jahrgang von Dominique und Reto vor oder kommt demnächst in den Verkauf. Wenn man Reto Erdin zuhört staunt man, welch grosses Wissen er sich schon angeeignet hat, und wie sehr er sich auch selbst einbringt – auch wenn er das Genie des Léandre-Chavalier weiter wirken lässt.

Ich hatte die Gelegenheit, alle Weine des Jahrgangs 2020 (ausser dem Rosé) bei Reto Erdin zu degustieren. Und ich kann es kurz machen:

Der Jahrgang 2020 der Domaine Léandre-Chevalier (DLC) ist hervorragend gelungen! Welch toller, vielversprechender Neustart!

Natürlich hat es auch die Natur in diesem Jahr sehr gut gemeint, aber trotzdem kann man nur den Hut davor ziehen, was hier in die Flasche gelangte. Die Weine sind zwar gegenüber früher etwas teurer geworden, aber das ist ja nicht verwunderlich, denn es wird weiterhin alles unternommen oder ausgebaut, was der Qualität zuträglich ist. Und auch an die Umwelt wird gedacht: Die Domaine arbeitet biologisch (wenn auch unzertifiziert) und ist dafür seit Kurzem als CO2-neutral anerkannt!

Und dass dieser Qualitäts-Fanatismus ohne angemessene Verkaufspreise nicht funktioniert, wurde auf dem Gut ja schon negativ „bewiesen“. Reto Erdin sagt denn auch klar, er betreibe die Domaine als Hobby, und das Ziel sei lediglich, innert nützlicher Frist Break-Even zu erreichen. Aber aktuell läuft es wirtschaftlich nicht gerade gut. Zwar blieben einige der bisherigen Absatzwege im Fachhandel erhalten, aber die Gastronomie in Frankreich, die früher ein sehr wichtiger Kanal war, ist aufgrund der Coronakrise fast völlig weggebrochen. Nur gut, dass es sich um sehr langlebige Weine handelt!

Reto Erdin, der neue Besitzer der DLC – er setzt die Qualitätsphilosophie vollumfänglich fort!

Tiefgründige, lebendige Rotweine – perfekt auch für die Gastronomie

Dabei, da war sich die kleine Degustationsrunde einig, würden sich die Weine der DLC hervorragend für die Gastronomie eignen (für die Privatgebrauch natürlich ohnehin!). Vom günstigen (CHF 17.90) Einstiegswein in Rot, dem „Gentilhomme“, einem fruchtbetonten, fröhlichen, merlotlastigen Wein, der trotz fehlendem Holz ganz „Bordeaux“ ist und viel Tiefgang aufweist, bis zum Paradewein DLC Tricolore, einem reinen Petit Verdot aus alten, wurzelechten Reben, der sündhaft teuer ist (CHF 150.00), der mit seiner Kraft und Finesse aber absolut begeistert und den man nur zu gerne einmal als Pirat in einer ganz höchstklassigen Serie sehen würde. Und dann wäre da ja noch „Le Joyau“, der Klassiker der Domaine mit gleichen Anteilen an Merlot und Cabernet Sauvignon sowie etwas Petit Verdot, den man mit seinen CHF 39.00 problemlos vielen teureren Cru Bourgeois und auch Classés vom anderen Ufer der Gironde gegenüberstellen (und vorziehen) kann.

Dazu eine kleine Geschichte am Rand: Ich trank während der Degustation keinen Schluck, schliesslich brauche ich meinen Fahrausweis noch. Dafür durfte ich den nicht zu knappen Rest des Joyau mit nach Hause nehmen. Dort habe ich ihn genossen – und wie! Unglaublich, wie zugänglich und saftig er sich im Moment gibt, und wie viel Finesse und Tiefgang er aufweist. Und mit jedem Schluck, wohl auch mit jedem Luftkontkakt mehr, wurde er noch besser und die Aromen noch abwechslungsreicher und spannender. Es war fast ein wenig ergreifend – mon Dieu, wie ich diesen jungen Wein genossen habe!

Zurück zur Gastronomie: Wenn ich ein Restaurant führen würde, käme der Gentilhomme sofort in mein Sortiment der Offenweine. Der hat alles, was es für einen ernst zu nehmenden Essensbegleiter braucht, er ist ein „Flatteur“, ohne anzubiedern. Und dank seiner aktuell etwas reduktiven Art kann er auch mal ein paar Tage offen bleiben, ohne gleich an Qualität zu verlieren.

Die Parade der roten 2020er der DLC – hochkarätig in allen Preissegmenten.

Spannende, eigenständige Weissweine

Sehr bemerkenswert ist auch das Sortiment der Weissweine. Allerdings handelt es sich nur in zwei Fällen um klassische Weisse. Die DLC stellt nämlich gleich mehrere Weissweine aus Rotweintrauben her. Was anfangs mehr als Anpassung an den Zeitgeist gedacht war (die Konsumenten wollen auch im inzwischen oft heissen Bordeaux Weissweine, und die Bestockung mit Weissweintrauben hinkt eher hinterher), hat sich bei der DLC zu einem eigenständigen Weinstil entwickelt. Die absolute Rarität, einen weissen Cabernet-Sauvignon, hatte ich hier schon einmal beschrieben:
Domaine Léandre-Chevalier: Die letzten Weine von der Insel. Und ein herrlicher Weisswein voller Rätsel. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog) (siehe unten im Beitrag).

Ab 2020 gibt es den reinen CS als „Blanc de noir Cuve“ aus dem Stahltank. Neu gibt es aber nun auch noch – im Holz ausgebaut – einen weissen Merlot (Le Flatteur) sowie eine Mischung aus Merlot und CS, den „Blanc de noir fût“.

Ganz neu für die Domaine sind aber zwei „echte“ Weissweine aus Sauvignon blanc. Da ist zuerst der bemerkenswerte „Le Séducteur“, ein in neuem Holz ausgebauter Wein mit nur 11 % Alkohol (Ernte am 1. September 2020!), und dann der „Vin d’Amphore“, ein Orangewein, dem man aber freilich nur am Duft anmerkt, dass er ein „Vin orange“ ist.

Degustationsnotizen in Kurzform:

Weissweine:

Vin d’Amphore 2020, Sauvignon blanc, 10 Tage an der Maische (Orangewein, aber kein „Naturwein“ und deshalb auch haltbar), nur ca. 11 % Alkohol.
Mittleres Gelb (nicht wirklich „orange“); Lychee, Papaya, Schwarztee; knochentrocken, schöne, eher weiche Säure, leicht adstringierend, langer Abgang. Sehr spannender Wein. 16,5 Punkte.

Le Séducteur 2020, Sauvignon blanc, in neuen Barriques ausgebaut, nur ca. 11 % Alkohol
Intensiv, aber schön holzbetont, etwas Zitrusfrucht, weisse Johannisbeeren; tolle, knackige, aber nicht übertriebene Säure, sehr frisch, ganz leicht adstingierend, schlank, aber trotzdem mit einem gewissen Schmelz, langer Abgang. Schöner, durch seinen tiefen Alkoholgehalt eigenständiger SB. 17 Punkte.

Blanc de noir Cuve 2020, Cabernet Sauvignon weiss ausgebaut, Stahltank
Frische, knackige Frucht (Stachelbeeren, weisser Pfirsich, etwas Zitrus); Im Körper spürt man die Rotweinsorte, dicht, mit toller Säure, mundfüllend und rund, spürbarer, aber gut eingebundener Alkohol, mittlerer Abgang. Spannender Wein! 17 Punkte.

Blanc de noir Fût 2020, je 50 % Cabernet Sauvignon und Merlot, weiss ausgebaut in Barriques
Exotische Frucht, viel neues Holz; im Mund rund, fast etwas mollig, eher tiefe Säure, aber mit schöner Frische, spürbare, aber nicht dominante Restsüsse, Alkohol im langen Angang leicht spürbar. Spannender, vielen wohl sehr gefallender Wein; zu einer Käseplatte wohl rundum perfekt. 16 Punkte.

Le Flatteur 2020, 100 % Merlot, in neuem Holz ausgebaut und die „Malo“ durchlaufen
Süsslicher Duft, exotisch nach Ananas und Papaya, etwas Lindenblüte; im Mund mit ziemlich dominanter Restsüsse (auch wenn der Wein noch als trocken gilt), mollige Rundheit, spürbare, aber eher dezente Säure. Geschmacksache, durchaus spannend, vielen wird der sogar sehr gefallen, aber von mir gibt es der Molligkeit wegen nur 15,5 Punkte (was immer noch „gut“ bedeutet!)

Rotweine:

Le Gentilhomme 2020 (80 % Merlot, 20 % Cabernet Sauvignon)
Zuerst sehr reduktive Töne in der Nase, ohne Luft fast schon störend nach Vulkan und Pferdestall. Mit etwas Luft dann plötzlich nur noch sehr fruchtig (Brombeer, Pflaume), etwas rote Peperoni; im Mund sehr ausgewogen, rund und üppig, mit toll eingebundener Säure, fruchtig. Mittlerer Abgang. Süffiger, fruchtiger Wein, der aber auch eine erstaunliche Stuktur und „Rückgrat“ aufweist. Auch wenn es abgelatscht ist: Preis-/Leistung fast unschlagbar! 16 Punkte.

Le Joyau 2020 (48 % Merlot, 48 % Cabernet Sauvignon, 4 % Petit Verdot), 100 % neue Barriques
Sehr noble Nase, Zedernholz, Tabak, dunkle und getrocknete Früchte, keine Spur von Neuholz zu riechen!; im Mund elegant, feingliedrig aber auch druckvoll, enorm vollgepackt mit sehr feinen Tanninen, im Moment sehr fruchtbetont und extrem „saftig“, langer Abgang. Rundum einfach ein toller Wein! 18 Punkte.

33’333, 2020 (100 % Merlot aus Parzelle mit 33’333 Stöcken pro Hektar („normal“ sind ca. 5’000 bis 8’000).
In der Nase noch etwas verhalten, etwas Brombeer und Zwetschge; im Mund mit enormer Finesse, herrlich feine Tannine, gut integrierte Säure, leicht spürbar neues Holz, spürbare Fruchtsüsse macht ihn rund und – sorry für den Ausdruck – „wohllüstig“. Ich habe schon „klassischere“ 33’333 gehabt, aber der 2020er ist ein tolles, rundes „Elixier“. 18 Punkte.

100 % Provocateur 2020 (100 % Petit Verdot, ebenfalls aus einer Parzelle mit rund 33’000 Stöcken)
Wirkt aktuell etwas im Tiefschlaf, sehr zurückhaltende, verschlossene Nase mit edlen Düften nach Zedern und angetönter Frucht; im Mund enorme Menge an schönen Tanninen, aktuell etwas „trocknend“, schöne Säure, elegant und dicht. Für mich in Moment schwer beurteilbar, wirkt gerade etwas spröde, aber wenn ich an frühere Jahrgänge denke, hat er eine grosse Zukunft. 17,5 Punkte (was vermutlich zu wenig ist).

Tricolore 2020 (100 % Petit Verdot, Parzelle mit rund 33’000 Stöcken, aber alle alt und wurzelecht)
Fazinierende Nase auf der würzigen Seite, Sandelholz, dezent Eucalyptus, dunkle Frucht; im Mund umwerfend: extreme Dichte, fast zum Abbeissen, gleichzeitig aber fein und extrem elegant, tolle Säure und viele, aber enorm feine Tannine, äusserst langer, eleganter Abgang. Traumhaft! 19 Punkte.

Zur Homepage mit Onlineshop:

Hommecheval – Weingenuss aus dem Bordeaux

Die meisten Weine werden in der CH auch durch Gerstl und in D durch Lobenberg vertrieben.

Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon = Dézaley? (!)

Dézalay, die schönste und beste Weinlage im Weltkulturerbe Lavaux, wird meistens „nur“ mit der Traubensorte Chasselas verbunden. Doch es geht auch anders – und es lohnt sich, diese verblüffende Andersartigkeit zu entdecken! Die verkannten Chasselas-Weine übrigens auch, aber das folgt später.

Wer mit dem Zug von Bern nach Lausanne fährt, dem kann es nach einem kurzen Tunnel wirklich die Sprache verschlagen: Der plötzlich freie Blick über die Reben des Lavaux und den Genfersee hin zu den Savoyer Alpen gehört zu den eindrücklichsten Bahnerlebnissen überhaupt! Der Zug fährt am westlichen Ende oberhalb der Appellation Dézaley aus dem Tunnel, unweit des höchsten Punktes beim Tour de Marsens auf 550 m über Meer. Dézaley – inzwischen offiziell als einer von zwei Waadländer Grand Crus deklariert – erstreckt sich aber über rund 54 ha bis hinunter an den Genfersee auf 375 m. ü. M.

Die Schönheit der Gegend kann eigentlich gar nicht in Worte gefasst werden. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass das Lavaux – etwas ungenau ausgedrückt zwischen Lausanne und Vevey – 2007 unter dem Titel „Weinterrassen von Lavaux mit Blick auf den See und die Alpen“ in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Und vielleicht noch das: Fast das ganze Gebiet wird auf teils kleinen Terassen bewirtschaftet – anders ginge es gar nicht bei einem natürlichen Gefälle von teils über 100 %!

„Weinterrassen mit Blick auf den See und die Alpen:“ Fast wie irgendwo zwischen Himmel und Erde: das Lavaux.

Aber nun genug der Tourismusförderung – Kenner der Gegend mögen mir diese Ausschweifung verzeihen. Bekannt ist Dézaley praktisch nur durch seinen Weisswein – rund 90 % der Fläche sind hauptsächlich mit der Chasselas-Traube (Gutedel) bestockt. Diese lange als minderwertig angsehene Sorte bringt es hier zu ungeahnten qualitativen Höhenflügen und verblüfft überdies durch ein enormes Altersungpotential. Aber das ist eine Geschichte für sich, welche in diesem Blog noch folgen wird.

Auf den nun zu beschreibenden Wein bin ich offen gesagt nur durch Zufall gestossen. Da Degustationen aufgrund von Corona nicht möglich sind, wurde auf sozialen Medien ein Degupaket mit sechs mit dem Terravin-Goldlabel ausgezeichneten Weinen zum Versand angeboten. Neugierig wie ich bin, habe ich bestellt. Das Paket enthielt verschiedene Chasselas aus dem Lavaux, von respektabel bis sehr gut. Vor allem aber gab es da auch einen Rotwein, einen Dézaley 2019 der Domaine Antoine Bovard. Ich degustierte den Wein in der Erwartung, einen reinen Pinot noir oder eine Assemblage mit Gamay im Glas zu haben. Völlig verblüfft begann dann mit der nachfolgenden Degustationsnotiz die Suche nach den enthaltenen Rebsorten:

Dézaley Grand Cru, 2018, Domaine Antoine Bovard
Dunkles Prupur; rote Pflaumen, Rosinen, auch einige rote Fruchttöne, Anflug von Lorbeer und Thymian; auch im Mund sehr fruchtbetont, geschmeidig, schöne Balance von Säure, Süsskomplex und leicht trocknenden Tanninen, leichter, aber sehr fein eingewobener Bittertouch, langer Abgang. Schöner, spannender Wein! 17 Punkte (= sehr gut).

Der Wein wirkt wie nicht in der Schweiz gewachsen, spannend, elegant, aber doch eher südlich anmutend. Keine Ahnung, welche Sorte(n) ich da im Glas hatte. Die Etikette half nicht weiter, aber immerhin das www. Der Wein besteht aus 40 % Merlot, 40 % Syrah, 10 % Cabernet Sauvignon und 10 % Pinot noir!

Von der Ausnahme zum Normalfall – das Klima machts
Bloss – darf ein Winzer das überhaupt? Sind diese Sorten in einem Dézaley Grand Cru zugelassen? Recherchieren und Nachfragen bringt die Klärung: Ja, bzw. früher nein! Heute ist der Wein mit diesen Sorten hochoffiziell zugelassen, alle stehen auf der waadtländischen Sortenliste und dürfen deshalb auch in einem Grand Cru-Gebiet angebaut werden. Allerdings war dem noch nicht so, als Antoine Bovard die Reben pflanzte. Er merkte, dass die Pinot noir-Trauben vor allem entlang der wärmenden Mauern aufgrund der Klimaveränderung immer früher reiften und brandig zu werden drohten. Er setzte deshalb auf südlichere Sorten und erhielt schliesslich eine Ausnahmebewilligung dafür. Deshalb dürfen wir heute einen wunderschönen „Rhone-Bordeaux-Burgund-Blend“ aus dem Lavaux geniessen.

Eine kleine Geschichte am Rand: Die Ausnahmebewilligung war freilich nicht umsonst zu haben! Antoine Bovard musste während Jahren immer Muster der geernteten Trauben und des gekelterten Weins an die Forschungsanstalt Changins (heute Agroscope) senden. Wetten, dass die sich über den aussergewöhnlichen Wein jeweils sehr gefreut haben?

Bovard: Eine Familie auf der Qualitäts-Schiene
Domaine Bovard? Antoine Bovard und Sohn Denis Bovard, der die Domaine seit 2011 führt? Auf die Gefahr hin, peinlich zu sein, stellt man hier einfach die Frage nach der allfälligen Verwandtschaft mit der bekannteren Domaine Louis Bovard. Und für einmal führt eine peinliche Frage zu einem Volltreffer!

Denis und Antoine Bovard: Sohn und Vater auf gleicher Wellenlänge!

Bovard ist ein alteingesessenes, traditionelles Weingut im Lavaux. Anfangs der 1960er Jahre hätte Louis-Philippe Bovard das elterliche Gut übernehmen sollen. Allerdings passte ihm das nicht so ins Konzept, als Jurist konnte er sich auch einen anderen Werdegang vorstellen. 1964 übernahm er deshalb die Leitung des „Office des Vins Vaudois“. Aus diesem Grund wurde sein Bruder Antoine, der an der ETH Zürich Physik studierte, auf das elterliche Gut zurückgebeten. Nachdem aber Louis-Philippe doch auch einsteigen wollte, wurde die Besitzung geteilt, und Antoine gründete 1983 sein eigenes Weingut. Eine Frage der Farbe sozusagen. Während Antoine das „gelbe Haus“ in Treytorrons-en-Dézaley übernahm, bekam Louis-Philippe das „rosa Haus“ in Cully.

Beste Lagen – mit ökologischer Handschrift
Allerdings ist das Gut von Antoine Bovard kleiner. Heute umfasst es etwas über 7 Hektar, fast ausschliesslich in allerbesten Lagen in Epesses und Dézaley – dazu mit kleinen Flächen in St.-Saphorin und Calamin, dem zweiten Grand Cru im Waadtland. Während Louis-Philippe in der Weinwelt sehr bekannt wurde und heute oft als „Grandseignieur“ des Lavaux beschrieben wird, blieb es um Antoine eher stiller. Beide gingen aber sehr konsequent und schon, als im Waadtland Quantität noch vor Qualität stand, ihren Weg hin zu hochklassigen Weinen. Antoine führte dabei sogar früher die zukunftsgerichtete, ökologische Klinge. Schon unmittelbar nach der Gründung im Jahr 1983 verzichtete er auf jeglichen Einsatz von synthetischem Dünger. Schon früh experimentierte er auch mit bio-dynamischem Weinbau. Sein Sohn Denis, der die Domaine – wie er selbst sagt, sehr im Geist seines Vaters – führt, treibt das Gut nun definitiv zum Bioweinbau voran.

Denis Bovard freute sich, als ich ihn im Hinblick auf diesen Artikel kontaktierte, war aber gleichzeitig fast ein wenig enttäuscht, dass ich „nur“ über den roten Dézaley schreiben wollte. Ihm ist es ein ausserordentliches Anliegen, auf die hohe Qualität und auf die Langlebigkeit der Chasselas-Weine aus dem Lavaux hinzuweisen. Chasselas – diese verrufene Rebsorte ist eben zu allem fähig. Dass das Paradepferd seines Onkels Louis-Philippe, die Médinette, sehr gut altert, ja eigentlich zur vollen Entfaltung schon ein paar Jahre Lagerung braucht, ist inzwischen bekannt. Offenbar sind aber die Spitzen-Chasselas des Gutes Antoine Bovard ebenso langlebig. Da gibt es nur eines zu sagen: affaire à suivre!

Domaine Antoine Bovard (domaine-antoine-bovard.ch)

Zur Gegend bzw. der Einsufung als Unesco Weltkultgurerbe:
Lavaux, Vineyard Terraces – UNESCO World Heritage Centre

Und einer meiner früheren Artikel zur Médinette der Domaine Louis Bovard:
Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker! – Victor’s Weinblog


Und noch den Hinweis auf die Herkunft des beschriebenen 6er-Pakets (nicht mehr genau in der von mir erhaltenen Form angeboten, aber wohl vergleichbar):

coffret connaisseur Terravin (provino.ch)

Chasse-Spleen: weiss vor rot? Zumindest spannender!

Château Chasse-Spleen, ein bekannter Cru Bourgeois, stellt auch einen weissen Bordeaux her, der sehr gefällt und der durchaus mehr als nur rund 3 % der Produktionsmenge ausmachen dürfte.

Chasse-Spleen – Verteiber der Schwermut*! In meinem Fall könnte man auch sagen, „der Weisse von Chasse-Spleen, Vertreiber des Vorurteils“. Früher, und das heisst in meinem Fall vor 30 Jahren, gehörte das damals von Bernadette Villars geführte Gut zu meinen Lieblingsweinen, von den ganz Grossen einmal abgesehen. Irgendwann fand ich aber, das Château sei im Vergleich mit anderen ein wenig stehen geblieben, und der Wein fand seit dem Jahrgang 2004 keinen Eingang mehr in meinen Keller.

Kürzlich habe ich – einfach aus Neugierde, weil ich den Wein nicht kannte – nun den Weisswein des Châteaux probiert – und ich war begeistert!

Mittleres Gelb, Duft nach weissem Pfirsich, Quitten und Verveine, frisch gemähtes Gras, dezenter, feiner Holzton. Im Mund sehr ausgeglichen, gut eingebundene Säure, frisch, leicher Bitter- und Holzton, kaum spürbarer Alkohol. Sehr langer Abgang. Toller Wein, der auch noch gut reifen dürfte.

Weisswein wird auf Chasse-Spleen schon seit anfangs der 1990-er Jahren produziert, damals wurden rund 2 Hektar mit 65 % Semillon und 35 % Sauvignon blanc bepflanzt. Das Château schreibt selbst auf der Homepage, dass keine Erfahrung mit Weisswein vorhanden war, und dass es Mut brauchte, auf einem „roten“ Terroir, das roter gar nicht sein könnte, auch Weisswein anzubauen. Noch heute sind im Médoc die Weissen äusserst rar (aber fast immer sehr gut, ich denke da nicht nur an Pavillon blanc oder Cos, sondern auch an bezahlbare Gewächse wie etwa Cygne de Fonréaux, vgl. hier:
https://victorswein.blog/2020/02/22/mein-lieber-schwan-le-cygne-weisser-bordeaux-vom-feinsten/
oder du Retout).
Anfangs wurde der Wein nicht vermarktet, sondern auschliesslich in der Familie und von Angestellten genossen. 1995 wurde er erstmals kommerzialisiert, aber noch heute stehen 15’000 produzierte Flaschen rund 500’000 rotem Chasse-Spleen gegenüber. Bloss: Der Weisse kann wirklich überzeugen, das Gut schreibt dazu selbst:
Puis, notre travail et la signature Chasse-Spleen persuadèrent, peu à peu, un nombre croissant d’aficionados. Aujourd’hui, nous affirmons nos techniques, nos aptitudes à la dégustation le long du processus de la plante au vin, et Blanc de Chasse-Spleen tutoie de plus en plus les meilleurs vins blancs bordelais.
Dem ist nichts beizufügen!

Blanc ou rouge? Der Weisse hebt sich zumindest mehr von allen anderen ab!

Das schöne Erlebnis mit dem Weissen hat mich dazu bewogen, noch am gleichen Abend eine der letzten Flaschen an rotem Chasse-Spleen aus dem Keller zu holen, die mir noch bleiben. 2004 war kein Ausnahmejahr, aber der Wein gefiel mir auch, ja, ich war positiv überrascht:

Gereiftes, aber noch präsentes Purpur mit leichten Braunreflexen; in der Nase Leder, Tabak und Dörrpflaumen sowie immer noch etwas Brombeer; im Mund an sich ausgeglichen und rund, allerdings mit einigen Grüntönen und ein klein wenig spröd wirkend. Trotzdem, ein schöner Wein und ein echter Trinkgenuss!

Rot oder Weiss? Die Frage ist aufgrund der beiden verkosteten Jahrgänge natürlich nicht seriös zu beantworten. Trotzdem: Der Weisse von Chasse-Spleen steht bei mir in Zukunft definitiv auf der Einkaufsliste, den Roten werde ich wieder besser verfolgen.

http://www.chasse-spleen.com/#!/home
Der weisse Chasse-Spleen ist trotz kleiner Produktion bei diversen Händlern erhältlich, ich selbst habe ihn ausgerechnet beim „Italiener“ als Einzelflasche zu einer „italienischen“ Bestellung dazu gekauft: https://www.bindella.ch/de/p/weissweine/france/bordeaux/blanc-de-chasse-spleen-16840.html

* nach „Hubrecht Duijker, die guten Weine von Bordeaux“, Müller Verlag, 1980, erhielt das Gut demnach seinen Namen von Lord Byron, der den Aufenthalt 1821 so angenehm fand, dass seine Schwermut vertrieben wurde.
Se non e vero, e ben trovato.

Conte di Luna 1995 – sensationell jugendlich!

Durch Zufall bin ich in den Genuss eines alten Weins gekommen, der ein Beispiel mehr dafür ist, wie gut Schweizer Gewächse sind – und wie toll sie altern können!

Quizfrage: Wie alt ist dieser Wein? (Conte di Luna von Werner Stucky)? 5 Jahre? 8 Jahre? 10 Jahre? Gar 15 Jahre? Nun gut, im Titel steht es bereits – aber wären sie darauf gekommen?

Ich wollte ihn eigentlich gar nicht, diesen Wein. Ich habe über die Festtage wieder einmal etwas bei „Ricardo“ rumgestöbert und bin dabei auf ein Angebot für einen Conte di Luna von Werner Stucky aus dem Jahr 1995 gestossen. Stucky war, neben Huber und Zündel, einer der Deutschschweizer Neueinsteiger, die den Tessiner Rebbau positiv geprägt und nachhaltig verändert haben.
Vgl. auch hier zu Daniel Huber: https://victorswein.blog/2019/09/29/magischer-abschluss-fur-daniel-huber-mit-einem-merlot-der-weltspitze/

Ich habe auf den Conte di Luna 1995, ein Bordeaux-Blend mit Merlot und Cabernet Sauvignon, zu einem moderaten Preis geboten – und die Flasche blieb mir entgegen der Erwartungen (günstiger als ein junger Jahrgang). Beim Öffnen machte ich mich auf einen bestensfalls noch trinkbaren, aber müden Wein gefasst. Weit gefehlt, er zeigte sich noch in enorm toller Form:

Degustationsnotiz:
Mittleres, leicht gereiftes Rot ohne jeden Braunanteil; in der Nase zuerst sehr verschlossen, nach einigen Minuten an der Luft mit Duft von Lakritze, roten Johannisbeeren, roten Peperoni; im Mund noch voll präsent, etwas spitze Säure, viel sanftes Tannin, wirkt im Antrunk sehr frisch und jugendlich, fällt in der Mitte ein wenig in ein Loch, weist aber danach einen unglaublich langen Abgang aus. Toll gereifter Wein. Ich ziehe den Hut!

Und am Rande vermerkt: Der Conte di Luna 1995 bestand zum Essen problemlos neben Braten mit intensiver Weinsauce sowie Rotkraut! Und ich liess bewusst ein wenig in der Flasche – auch nach einem und zwei Tagen war er noch voll präsent und machte Freude! Genial – und einmal mehr, Schweizer (Spitzen-)Wein ist einfach unterschätzt!

Spezielle Etikette, grossartiger Wein, 25 Jahre jung!

https://cantinestuckyhuegin.ch/cms/de/

Le vin suisse existe – même après dix ans!

Vielleicht wäre der Titel ja treffender mit „le vin suisse n’existe pas“ – zumindest in den Köpfen immer noch vieler Schweizer „Weinfreunde“. Und ganz sicher mit einem Blick von ausserhalb der Schweiz. Aber das ist falsch! Der Schweizer Wein existiert – auf sehr hohem Niveau. Und er kann altern – und wie!

Das grosse Swiss Wine Tasting der besten Schweizer Weine von anfangs Dezember war mehr als einen Besuch wert (und auch mehr als nur einen Artikel hier – Fortsetzung folgt). Angesichts der unglaublichen Vielfalt an Spitzenweinen war der Eintritt von Fr. 20.00 schon fast läppisch tief. Dies vor allem auch, weil zusätzlich zur „normalen“ Ausstellung auch Weine des „Swiss Wine Vintage Award“ aus dem Jahrgang 2009 degustiert werden konnten.

Wer möchte sich da nicht einschenken lassen? Schweizer Spitzenweine aus dem Jahrgang 2009 in Reih und Glied!

In einer Sonderschau waren 57 Schweizer Weine aus dem Jahr 2009 vertreten, davon 19 weisse (inkl. 2 Süssweine) und 38 rote. Das Resultat mit einem Wort vorweg: beeindruckend! Nicht einer der präsentierten Weine war schon zu alt, kaum einer war unangenehm gereift und einige waren gar erst so richtig in Hochform!

Am meisten überraschten die Weissweine. Selbst die Chasselas machten noch alle Spass, einzelne wie der Dézaley Médinette von Bovard, der Clos de Mangold der Domaine Cornulus oder der Le Brez der Domaine de Colombe präsentierten sich sogar noch richtig jugendlich. Am meisten beeindruckt haben mich bei den Weissen aber der Completer von Donatsch (trotz leichter Restsüsse), der Petit Arvive Château Lichten von Rouvinez und – ganz besonders – die beiden senstationellen Räuschlinge vom Zürichsee von Lüthi (dicht und jugendlich) und noch mehr von Schwarzenbach (unglaubliche Frische).

Umwerfend war der mit Restsüsse gekelterte Petit Arvine Grain Noble Domaine des Claives von Marie-Thérèse Chappaz – diese Frische, diese Ausgewogenheit, diese Finesse, nichts Klebriges – das ist ganz einfach ein Wein zum Träumen!

Bei den Roten gefielen fast alle Tessiner Merlots, für mich persönlich allen voran der sanfte, würdevoll gereifte Orizzonte von Zündel und der Balin von Kopp von der Crone Visini sowie der mit Cabernet Franc gemischte Insieme von Weingartner.

Spannend bei den Spezialitäten, wenn auch schon spürbar gealtert, der Lemberger (=Blaufränkisch) von Schwarzenbach, der trotz Alterstönen noch sehr saftige Syrah L’Odalisque von Thierry Constantin, der enorm frische Cornalin der Domaine Cornulus und der noble, saftige Grand’Cour Cabernet Franc + Sauvignon von Pellegrin.

Und die Pinots, von denen gleich 15 Weine gezeigt wurden? Wenn es gesamthaft gesehen eine leise Enttäuschung – wenn auch auf hohem Niveau – gab, dann hier. Es scheint, dass die Vorschusslorbeeren dieses „Jahrhundertjahrgangs“ nicht immer gerechtfertigt waren. Die Pinot noir-Traube ist wenig überraschend wohl einfach nicht für so heisse Jahre gemacht und es brauchte viel Fingerspitzengefühl des Winzers (und kühle Lagen), um auch in solchen Jahren typische Pinots herzustellen. Weine wie der Aagne von Gysel, der mir schon in der Jugend mit seiner üppig-„süsslich“ Art nicht gefiel, wirken heute uninteressant, wenn auch durchaus noch trinkbar. Auch untypisch, aber interessant zeigte sich der „Hommage“ der Cave du Rhodan, der zweifellos mit mehr Säure heute noch spannender wäre, der aber dank einer ausgeprägten, jetzt ausgewogenen Tanninstruktur Freude macht. Trotz dieser Ausnahme, Pinots, bei denen Eleganz und Frische vorherrscht, können heute am meisten überzeugen, allen voran aus dem Kanton Baselland (!) der für mich beste Pinot der Serie, Clos Martha von Möhr-Niggli, aber auch Kloster Sion vom Weingut Sternen, Stadtberg von Pircher, Pinot noir Nr. 3 vom Schlossgut Bachtobel und der Churer Gian-Battista des Weingutes von Tscharner.

Alles in allem: Eine hervorragende Leistungschau der Schweizer Spitzenwinzer, die mit ihrer Arbeit schon vor 10 Jahren bewiesen haben, welch hervorragendes Potential die Schweizer Weine aufweisen! Le vin suisse existe – und sollte endlich auch auf der Weltbühne seinen berechtigten Platz finden!

https://www.swiss-wine-tasting.ch/?L=0
http://www.mdvs.ch/de/home.html

Swiss Wine Connection: Schon Mitglied?
Und übrigens: Wenn Sie für Fr. 50.00 pro Jahr Mitglied bei der „Swiss Wine Connection“ meiner Freunde Susi Scholl und Andreas Keller werden, geniessen Sie beim nächsten Event Gratiseintritt:
http://www.swiss-wine-connection.ch/friends/

Und hier die Links auf die erwähnten Weingüter:
http://www.domainebovard.com/de/home.php
https://cornulus.ch/de/
https://www.lacolombe.ch/de/
https://www.donatsch.info/
https://famillerouvinez.com/de/
https://www.luethiweinbau.ch/
https://www.schwarzenbach-weinbau.ch/
https://www.chappaz.ch/
http://www.zuendel.ch/ (nur Titelbild, offenbar sonst noch „off“)
http://www.cantinabarbengo.ch/ (Kopp von der Crone Visini)
https://www.weingartner.ch/
http://www.thierryconstantin.ch/2011/?page_id=14&lang=de
https://www.geneveterroir.ch/de/domaine-grandcour/4457 (Pellegrin, offenbar noch ohne eigene Homepage – hat er gar nicht nötig!)
https://aagne.ch/
https://rhodan.ch/
http://www.moehr-niggli.ch/
https://www.weingut-sternen.ch/
http://www.weingut-pircher.ch/data/index.php/de/
https://www.bachtobel.ch/de
https://www.reichenau.ch/weinbau/



Das Momentum liegt bei Jürg Marugg. Und auch die Zukunft!

Schon wieder Jürg Marugg! Dabei hatte ich ja eben erst über ihn geschrieben. Kürzlich wurde mir aber auf Schloss Wartenstein in Pfäfers überhalb Bad Ragaz der „Momentum“ empfohlen. Das war ein sehr passender Tipp und ein Grund für einen neuen Beitrag.

Jürg Marugg ist einer der bemerkenswersten Newcomer in der Bündner Herrschaft. Er hat für mich gerade das Momentum auf seiner Seite. Und eigentlich nicht nur das, die Zukunft gehört ihm sicher auch! Beschrieben habe ich das schon hier:
https://victorswein.blog/2019/07/27/weinbau-marugg-hoch-4-in-flasch-und-jurg-als-speziell-interessant/
Danke des Tipps im Restaurant kommt hier nun eine Forsetzung: Momentum – eine Assemblage aus Syrah und Merlot, empfohlen zu einem Wildteller.

Wunderschöne Reblandschaft: Blick auf Fläsch in der Bündner Herrschaft, dem Wohnort von Jürg Marugg (Foto von Schloss Wartenstein aus, von der anderen, der St. Galler, Rheinseite)

Ich war eher skeptisch, aber weil ich gerne Neues entdecke und mich auch je länger, je lieber auf Weinempfehlungen des Servicepersonals verlasse, habe ich also eine Flasche „Momentum 2016“ bestellt.

Natürlich kann man sich fragen, ob es Syrah und Merlot nördlich der Alpen wirklich braucht. Und man kann auch zu irgendwelchen Assemblagen ein Fragezeichen setzen, und ganz besonders zur Mischung von Syrah und Merlot. Aber das Resultat in Form des Momentums ist überzeugend!

Mittleres, glänzendes Purpur; dunkle und helle Beeren (Brombeere, Johannisbeere), Thymian; im Mund druckvoll, gut stützende Säure bei spürbaren Tanninen, enorme Frische, eleganter, langer Abgang mit einem dezenten Nachhall nach neuem Holz. Schöner, eigenständiger Wein!

Das Lustige daran: Ich hätte blind darauf getippt, dass in diesem Wein auch Pinot noir enthalten ist. Aber vielleicht hat das ja nur damit zu tun, dass der Momentum eben seine Herkunft nicht versteckt. Zwar kann man – jedenfalls, wenn man es weiss … – durchaus Syrah und Merlot herausspüren, und die Komplexität des Weines deutet auch eher auf eine südlichere Herkunft, aber diese enorme Frische, das ist dann eben schon wieder „Norden“! Der Wein lagert 18 Monate in Holzfässern, davon sind 2/3 neu. Aber dieser Holzeinsatz ist nur erstaunlich dezent spürbar; Merlot und Syrah kommen zusammen offenbar sehr gut mit dem Neuholz zurecht bzw. werden daduch gar geadelt!

Es bleibt dabei: Schweizer Weine sind, zumindest an der Spitze, hervorragend, und man kann inzwischen tatsächlich jede Speise mit einem absolut geeigneten Schweizer Wein begleiten. Das hat der „Momentum“ wunderbar bewiesen, selbst wenn ein Pinot aus der Herrschaft sicher auch passend gewesen wäre! Aufgrund des Momentums hätte es ja gut einer von Jürg Marugg sein können!

https://www.marugg-weingut.ch/

Magischer Abschluss für Daniel Huber mit einem Merlot der Weltspitze!

Montagna Magica 2015: Ein magischer Traumwein zum Abschluss einer ebenso magischen Winzerkarriere. Daniel Huber gelingt mit dem letzten Jahrgang unter seiner Verantwortung nochmals ein ganz grosser Wurf!

In der Vinum-Ausgabe 7/8 des Jahres 1986 schrieb der damals wie heute wohl profundeste Kenner der Tessiner Weinszene, Martin Kilchmann, prophetische Worte: „Er liebäugelt auch mit der Barrique, doch überstürzt wird nichts. Die Entwicklung (hin zur Spitze) vollzieht sich bei ihm allmählich, doch wohl unaufhaltsam“.
Die Rede war von Daniel Huber, der damals eben seine beiden ersten Jahrgänge Merlot del Ticino gekeltert hatte (den ersten noch im Keller von Werner Stucky). Huber, Forstingenieur mit ETH-Abschluss, hatte in den Jahren zuvor in Monteggio, im äussersten Zipfel des Malcantone, überhalb des Flüsschens Tresa an der italienischen Grenze, den Hang des „Ronco del Persico“ gerodet und auf 2,6 Hektar Reben gepflanzt. Heute ist der Betrieb rund 7 Hektar gross, und inzwischen hat auch ein Generationenwechsel stattgefunden – seit dem Jahrgang 2016 zeichnet Sohn Jonas für die qualitativ unverändert hochklassigen Weine verantwortlich.

Martin Kilchmann sollte recht behalten: Daniel Huber schaffte es wirklich bis ganz an die Spitze. Schon 1988 belegte eine Riserva von Huber an einer Welt-Merlot-Degustation den zweiten Platz – ex aequo mit Château Pétrus! Dabei wurde der Spitzenwein des Gutes, der „Montagna Magica“, damals noch gar nicht produziert. Diesen Wein gibt es seit 1990, und verwendet werden dafür die jeweils besten Trauben des ganzen Gutes. Ein Anteil Cabernet Franc rundet den Merlot ab – das Libournais lässt grüssen.

Jedes Jahr eine Etikette eines/einer anderen Kunstschaffenden. Auch das erinnert an einen Spitzenwein aus Bordeaux!

Obwohl Daniel Huber nicht völlig in Pension geht, sondern seinem Sohn Jonas im Betrieb erhalten bleibt, war 2015 also der letzte Jahrgang, für den er „verantwortlich“ zeichnete. Was für ein Finale:
Fruchtbetone Nase mit Anflügen von Heidelbeeren, Brombeeren und Thymian; unglaublich finessenreich und elegant, sehr feine, aber präsente Tannine, gute Säure, enorm langer Abgang. Ein Traum von einem Wein für alle, welche Finesse und Frische mögen und mit „Fruchtbomben“ nicht so viel anfangen können.

Besser kann man einen Merlot (mit etwas Cabernet Franc) im Tessin kaum herstellen, höchstens noch anders. Und nur zu gerne würde ich diesen Wein in einer neuen „Welt-Merlot-Degustation“ sehen. Ich bin überzeugt, dass er es ganz an die Spitze schaffen würde. Mit Fr. 52.00 ist der Wein alles andere als billig – aber verglichen mit seinen hochklassigen – eben nicht Vor-, sondern Ebenbildern aus St. Emilion oder Pomerol, ist er immer noch preiswert.

Schöner als mit einem solchen Wein kann man eigentlich als Weinkreateur nicht abtreten! Daniel Huber: Ein rodenden „Krampfer“ und gleichzeitig ein feinfühliger, genialer Weinmacher, was für eine schöne Geschichte. Und noch schöner, dass sein Sohn augenscheinlich mehr als nur in seine Fussstapfen tritt.

Lassen Sie mich etwas euphorisch mit einem Zitat aus Martin Kilchmanns Buch „Merlot del Ticino“ aus dem Jahr 1989 enden:
„Meine Bitte um eine Selbsteinschätzung hat er bezeichnenderweise wie folgt erwidert: <Mein eigentliches Interesse gehört nicht dem Wein, sondern der Verfassung (körperlich, geistig, seelisch). Wenn die stimmt, kann der Wein nicht anders als gut herauskommen>“.
Augenscheinlich hat seine Verfassung hervorragend gepasst und uns einen mehr als nur würdevollen Abschied Daniel Huber’s geschenkt!

http://www.hubervini.ch

Matin Kilchmann’s Buch „Merlot del Ticino“ ist mit etwas googlen noch erhältlich und auch heute noch lesenwert:
ISBN-13: 978-3275009701