Grenache aus 1200 m Höhe. Faszinierend!

Schnell: Wo liegt der höchste Rebberg Europas? Nein, auch wenn es aus Schweizer Sicht schön wäre, eben nicht im Wallis. Da wachsen die Reben auf stolzen 1’150 m, doch in Sizilien, an den Hängen des Ätna, wird diese Höhe noch getoppt, zum Beispiel von alten Grenache-Reben, die auf 1’200 m gedeihen. Und der Wein daraus ist vorzüglich und einzigartig!

Genau genommen halten aber auch diese Reben nicht den Europarekord. In den spanischen Pyrenäen und im Südtirol soll es Reben geben, die auf über 1’300 m gedeihen. Aber eigentlich geht es ja nicht um Rekorde, sondern um Qualität. Und die ist beim heute beschriebenen Wein vom Ätna aussergewöhnlich.

Hong Kong – Los Angeles – Randazzo am Ätna

Sehr speziell ist auch die Geschichte, die hinter diesem Wein steckt. Zwar ist ein grosser Teil der Reben schon jahrzehntealt – 60-100 Jahre. Grenache (bzw. Cannonau) ist am Ätna ohnehin keine seltene Sorte. Aber so richtig spannend wird es ab dem Jahr 2015, als Stef Yim das Gut mit den verstreuten Rebparzellen übernahm. Stef ist Amerikaner mit einer japanischen Mutter und wuchs in Hong Kong auf. In Kalifornien startete er seine Berufskarriere als Sommelier, bevor er eine Pause brauchte und nach Europa zog. Er arbeitete u.a. in Südfrankreich. Die Weine vom Ätna und generell aus vulkanischem Boden hatten ihn aber schon länger in vielen Degustationen begeistert, und so verliebte er sich auch in die Gegend und die vinologischen Möglichkeiten und blieb quasi am Ätna hängen. Er arbeitet biologisch und die Weine werden auf den Wildhefen vergoren und möglichst zurückhaltend geschwefelt.

Der Ätna aus der Perspektive der Weinberge. Tanz mit dem Feuer? (Bild ab Homepage von Sciara)

Bei Sciara werden die meisten Weine nach der Höhenlage bezeichnet, in der sie wachsen. So gibt es einen „760“ (Jahrgang 2020: sehr feine helle Frucht, feine Tannine und toller Säure, sehr elegant, 16,5 Punkte) und einen „980“ (Jahr 2020: dunklere Beeren, würzig, viel Tannin und sehr druckvoll mit viel Eleganz, 17 Punkte). Die beiden Weine werden grossmehrheitlich bzw. ganz aus der Sorte Nerello Mascalese hergestellt und bestechen durch eine eigenständige und sehr elegante Art. Zusätzlich produziert das Gut auch einen Wein aus wurzelechten Reben sowie einen Weisswein.

Tages- und Nachtunterschied: 35 Grad!

Der speziellste Wein (wobei ich die beiden letzten nicht probiert habe) ist aber der „1200 metri“. Das ist aufgrund der Aromen unverkennbar Grenache – aber im Mund würde man niemals auf diese Sorte tippen. Er wirkt wie ein „cool climate-Wein“ und überzeugt durch eine umwerfende Fruchtigkeit und Frische. Cool climate ist freilich hier nicht richtig. Zwar wird es auf dieser Höhe kühl bzw. im Winter kalt – aber in Sizilien wird es eben auch heiss. Es gibt zuweilen Tage in der Vegetation, in denen das Thermometer um 35 Grad schwankt!

1200 metri, 2020, IGT Etna Rosso, Sciara, 100 % Grenache spagnolo (Cannonau)
(kein DOC-Wein, da diese nur bis in eine Höhe von 800 m gilt)
Mittleres Rot; dezent würzig (u.a. Lorbeer und Wacholder), helle und dunkle Frucht, etwas Rhabarber; im Mund ganz anders, als man einen Grenache erwarten würde: eher schlank und sehr elegant, enorm fruchtbetont, extreme Frische, prägnante, aber gut eingebundene Säure, recht viel Tannin. Völlig untypischer, „cooler“, aber interessanter Grenache. Speziell, aber grossartig. 17,5 Punkte.

PS. Für alle mitlesenden Schweizer Weinhändlerinnen und Weinhändler: Sciara hat noch keine Vertretung. Das wäre doch eine Chance auf eine echte Rarität (vom „1200“ gibt es z.B. nur rund 1000 Flaschen)

Und noch ein PS für alle: Man kann auf dem Gut auch übernachten.

Home | mysite (sciaraetna.com)

Und hier ein spannender und ausführlicher Hintergrundartikel:
Stef Yim of Sciara: A Mount Etna Natural Wine Journey from Hong Kong via California (grapecollective.com)


Interessennachweis:
Der Wein wurde auf Einladung von Vinum im Rahmen von „Vini d’Italia von Gambero Rosso“ in Zürich zuerst an der Masterclass-Degustation und danach nochmals am Degustationstisch des Gutes in der „Walk around“-Degustation verkostet.


Dieser Wein zaubert ein Lächeln ins Gesicht!

Blaufränkisch ist schon seit längerer Zeit eine meiner Lieblingssorten. Und wenn ein Wein so gelungen ist wie der Ungerberg 2015 von Pittnauer, dann ist Blaufränkisch einfach umwerfend gut!

„Dieser Wein hat mir nur schon beim Schnuppern ein Lächeln ins Gesicht gezaubert“, das waren die Worte eines Weinfreundes, der zu einer spannenden Blinddegustation geladen hatte – noch bevor bekannt war, um welchen Wein es sich handelt. Das Degustationsformat war ungewöhnlich, aber extrem spannend, da die Weine bunt gemischt nach Herkunft, Sorte und Jahrgang gereicht wurden. Ich wusste nicht, was mich erwartet, aber eine solche wirkliche Blinddegustation ist fordernd und macht, auch wenn ich durchaus Erfolge beim Zuordnen hatte, auch etwas demütig in Bezug auf das eigene Weinwissen ….

Trotz teils auch deutlich teurerer „Konkurrenz“ stach ein Wein aus allen hervor, eben der Ungerberg 2015 des Weingutes Pittnauer aus Gols. Der Wein befindet sich in der ersten Trinkreife und wirkt einfach berührend – eben, zaubert ein Lächeln ins Gesicht!

Bio-dynamisch – und „weniger ist mehr“ im Keller

Gerhard und Brigitte Pittnauer – Mitglieder bei Pannobile – bewirtschaften ihr rund 18 Hektar grosses Gut seit rund 15 Jahren nach bio-dynamischen Grundsätzen und halten sich im Keller so weit wie möglich mit Eingriffen zurück. Der Ungerberg, bekannterweise eine Top-Lage (auch wenn der Ausdruck „Berg“ masslos übertrieben ist), bringt auf perfekte Art Finesse, Druck und Tiefe gleichzeitig – und das bei einem vorbildlich tiefen Alkoholgehalt von nur 12,5 % vol.!

Die Etiketten des Gutes sind künstlerisch gestaltet; den Text zum Ungerberg konnte ich zwar teils entziffern, aber die Bedeutung ist wohl Geheimnis des Künstlers.

Blaufränkisch, Ried Ungerberg, Pittnauer, 2015
Mittleres, schon leicht gereiftes Rubin; sehr feine, vielschichtige, füllige Nase mit roter Frucht, „süssliche“ Anflüge und auch florale Noten; im Mund zuerst sehr feingliedrig und elegant wirkend, dann aber auch mit viel Druck, tolles Tannin, gute Säure, „saftig“, sehr langer Abgang. Toller, berührender Wein. 18 Punkte.
Ich durfte den Rest der Flasche nach Hause nehmen und konnte ihn am Abend zufällig zu einem Schmorbraten geniessen – der Wein wirkte zum Essen noch grossartiger und hielt auch der konzentrierten Sauce problemlos Stand. Ich wäre geneigt gewesen, noch einen halben Punkt in der Bewertung nachzubessern ….

Der Wein ist sogar noch im Handel erhältlich:
Weingut Gerhard Pittnauer Blaufränkisch Ried Ungerberg 2015, Bio, 0,75 l – 9Weine (neunweine.ch)

pittnauer.wine (die Site des Weingutes ist leider noch nicht aktiv, man kann sich aber für einen Newsletter anmelden)

sylvia petz * Agentur für organisierten Genuss – Trophée Gourmet A la Carte für G. & B. Pittnauer (sylvia-petz.at) (ein schönes Kurzportrait des Weingutes)

Und ein anderer herrlicher Ungerberg:

Hier noch ein Link auf einen früheren Beitrag in meinem Blog über einen anderen herausragenden Wein vom Ungerberg – ebenfalls bio-dynamisch! (Dort gibt es auch zwei Bilder vom Ungerberg).
Ungerberg 2012 von Paul Achs: Blaufränkisch vom Feinsten! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Interessennachweis:
Der Wein wurde im Rahmen einer privaten Degustation bei einem Weinfreund blind degustiert.

Marokko – auch beim Wein eine tolle Überraschung!

Die Mannschaft Marokkos bringt die Fussballwelt gerade zum Staunen. Ein Syrah aus Marokko brachte mich während des Fussballspiels auch dazu. Selbst, wenn er eher an Radfahren erinnert!

Seit einigen Monaten stand im Keller eine Flasche Syrah aus Marokko, die ich gekauft hatte, um wieder einmal einen „exotischen“ Wein zu probieren. Das gestrige Menu mit einem Lammfilet passte dann sehr gut dazu, aber noch mehr natürlich das anstehende Fussballspiel an der WM.

Fast 100-jähriges Weingut

Ouled Thaleb ist das älteste noch existierende Weingut Marokkos, das 1923 gegründet wurde und 1927 die erste Ernte einfuhr. Es befindet sich in Ben Silmane, nordöstlich von Casablanca und etwa 40 Kilometer vom Atlantik entfernt auf rund 500 m.ü.M. Der Betrieb wurde während der Kolonialzeit nicht etwa von Fanzosen, sondern von einer belgischen Firma gegründet. Heute gehörte es der Gruppe Thalvin-Ebertec bzw. der Diana-Holding, welche u.a. in der Speiseöl- und Fischindustrie und eben auch im Weinbau tätig ist und unter anderem 7 verschiedene Weingüter in Marokko besitzt.

Ouled Thaleb ist ein vergleichsweise riesiges Gut, rund 800 Hektar stehen heute unter Reben. Es ist damit der zweitgrösste Betrieb in Marokko. Man wundert sich überhaupt über die Ausmasse – das grösste Gut umfasst 2’500 Hektar – und das in einem muslimischen Land.

Hermitage lässt grüssen – und die Radfahrer auch

Dass der Wein auf der Etikette des Syrah ein Tandem zeigt und auch so heisst, kommt nicht von ungefähr. Tandem entstand aus der Begegnung zwischen Jacques Poulain, einem Oenologen aus Bordeaux, der das Gut seit 1997 führt, und Alain Graillot , einem Winzer aus Crozes Hermitage. Dieser hatte sein Gut seinen Söhnen überlassen, um sich als beratender Oenologe zu betätigen. So verwundert es nicht, dass der Syrah aus Marokko durchaus an Weine von der Rhone erinnert. Gemäss Etikette lernten sich die beiden übrigens auf einer Radtour kennen; der Name des Weines spielt also darauf an.

Trau keinen Angaben im Netz

Alle diese Aussagen basieren allein auf Online-Recherchen, und da kam dann doch auch einiges an Unklarheit zusammen. Trauen Sie also den Angaben nicht zu sehr. Denn was da alles zu lesen ist, ist an Differenz fast nicht zu überbieten. Gesichert ist, wie auch auf der Etikette vermerkt, dass Alain Graillot an diesem Wein beteiligt ist. Dann aber beginnt es schon – gemäss Etikette begegnete er radfahrenderweise dem Besitzer von Thalvin bzw. Ouled Thaleb. Das Ganze gehört aber offensichtlich zur Diana-Holding, wie aus deren Homepage zu ersehen ist. Weiter geht es damit, dass die Angaben von internationalen Weinhändlern über die Grösse der Domaine von 200 bis 800 Hektar variieren. Und auch die Bewirtschaftung wird unterschiedlich beschrieben, bei den einen handelt es sich um einen Biobetrieb, bei anderen wird „konventionell“ gearbeitet (die Wahrheit dürfte sein, dass der Betrieb sich in Umstellung befindet). Und die Böden von Ouled Thaleb werden einerseits als „wie im Médoc“ beschrieben, andererseits „wie in Crozes Hermitage“. Und einige sehen das Gut quasi direkt am Meer, andere im hohen Altlas – hier liegt die Realität etwa in der Mitte.

Egal – den Wein kann man sehr geniessen

Sicherheit könnte da wohl nur eine Recherche vor Ort geben, aber eine solche Reise steht gerade nicht an. Aber egal, die Qualität des Weines ist jedenfalls sehr gut, es ist erstaunlich, wie auf diesem Breitengrad ein so frischer und eleganter Syrah gedeihen kann.

Ich hätte ja auch noch ein paar Flaschen portugisischen Weins im Keller gehabt, aber dieser Syrah aus Marokko traf genau das Momentum – wie die Fussballer des Landes. Er verteidigte sich auch sehr erfolgreich gegen gebratenen Knoblauch und Rosmarin und verdient sich damit die Qualifikation für einen Blogbeitrag absolut.

Es gibt sicher noch bessere Mannschaften (sorry, Weine) auf dieser Welt, aber für den Moment macht der Tandem einfach total Spass.

Degustationsnotiz Domaine Ouled Thaleb, Syrah „Tandem“ 2019
Mittleres Purpur; Duft nach Brombeeren, Pflaumen und getrockneten Zwetschgen, weissem Pfeffer und Thymian; im Mund erstaunlich frisch, mit knackiger, gut eingebundener Säure, viel feines Tannin, „saftig“ und fruchtig, eher auf der eleganten Seite, mittlerer Abgang. Richtig schöner Wein, der tatsächlich als Crozes Hermitage durchginge. Jetzt toll zu trinken, dürfte aber auch noch ein paar Jahre reifen können. 16,5 Punkte.

Bezugsquelle CH, allerdings mit Nachfolgejahrgang (in D habe ich leider keinen Anbieter gefunden):

Tandem Syrah 2020 75.0 cl kaufen bei Schubi Wein


Interessennachweis: Der Wein wurde im Handel gekauft.

Frankreich oder Südafrika? Beides, wenn es um Chenin blanc geht!

Chenin blanc ist eine jener weissen Sorten, die leider viel zu wenig Beachtung erhalten. Dabei ergibt diese Rebe auf sehr hohem Niveau einfach alles: Vom Schaumwein bis zum Süsswein, und dazwischen tolle trockene wie auch feinherbe Weine. Hier zwei besonders gelungene Chenin blanc aus Frankreich und Südafrika.

Hand auf’s Herz: Wie oft im Jahr trinken Sie einen Chenin blanc? Selten bis nie? Sorry, aber Sie verpassen grossartigen Genuss! Für mich persönlich gehört sie zu den allerbesten Weissweinsorten und ich vergleiche sie gerne mit dem Riesling, der auch ein Alleskönner auf höchsten Niveau ist. Selbst geschmacklich gibt es gewisse Parallelen. Vielleicht bringt der Riesling etwas elegantere Weine hervor, während die Chenin blanc in der Regel voluminöser und kräftiger daherkommt. Eine Verwandtschaft zwischen den Sorten besteht nach heutigem Wissen nicht – belassen wir es also bei einer von mir frei erfundenen „Seelenverwandtschaft“.

Der erste Nachweis der Sorte stammt aus dem 9. Jahrhundert im Anjou – also an der mittleren Loire, wo die Sorte heute noch die wichtigste Stellung einnimmt (Quelle: Pierre Galet, Cépages et Vignobles de France). Das grösste Anbaugebiet befindet sich allerdings in Südafrika, wo mit rund 17’000 Hektar mehr als die Hälfte der weltweiten Anbaufläche gepflegt wird. Frankreich folgt mit rund 9’500 Hektar.

Eine Art Vermächtnis der grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaive

Ich habe kürzlich einen besonders gelungenen Wein aus Südafrika im Glas gehabt, was mich spontan daran erinnerte, dass noch eine Flasche von der Loire im Keller steht, die ich schon lange probieren wollte – ein Clau de nell, dem heute 12 Hektar grossen Loire-Weingut der leider verstorbenen grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaife. Sie kaufte das rund 25 Km westlich von Saumur gelegene Anwesen im Jahr 2008 zusammen mit ihrem Ehemann Christian Jacques, der das Gut heute noch führt, und rettete es damit vor dem Bankrott. Wie im Burgund wird auch hier nach den Prinzipien der Biodynamie gearbeitet. Anne-Claude Leflaive war es auch, welche den Anbau der Chenin blanc auf dem Gut wünschte. 2015 konnte der erste Jahrgang geerntet werden. Damit war es der im gleichen Jahr verstorbenen „Grande Dame“ leider nicht mehr vergönnt, ihren eigenen Chenin blanc zu verkosten.

Zwei nicht gleichnamige Brüder mit grossem Sozialengagement

Der südafrikanische Wein, der mich begeisterte, stammt vom Weingut Stellenrust, das im Vergleich mit Clau de nell riesengross ist: 250 Hektar stehen hier unter Reben. Das südlich von Stellenbosch gelegene Gut befindet sich in Familienbesitz und wird auch durch die Besitzer Tertius Boshoff und Kobie van der Westhuizen geführt. Die Reben für den degustierten Wein sind 55 Jahre alt. Stellenrust, das gesamthaft 400 Hektar gross ist, machte auch durch soziales Engegement auf sich aufmerksam: Man beteiligte 55 Arbeiterfamilien als Mehrheitsaktionäre an 100 Hektar Farmland, die sie als eigene Parzelle bewirtschaften, ernten und ausbauen dürfen. So initialisierte man eines der besten und erfolgreichsten „black empowerment projects“ auf dem ganzen Kontinent (Quelle: eggerssohn.com)

Degustationsnotizen:

Stellenrust 55 Barrel Fermented Chenin blanc, 2019
Eher helles Gelb, „süssliche“ Frucht nach Papaya und Quitte, etwas rauchig; im Mund rund und sehr dicht, tolle, gut eingebundene Säure, welche ein schönes Wechselspiel mit einer leichten Restsüsse (4,1 g) eingeht, langer Abgang. Sehr schöner, etwas opulenter, aber trotzdem frischer Wein. 17,5 Punkte.

Clau de nell, Chenin blanc, 2020
Mittleres Gelb, fruchtig (Wassermelone) und würzig (reife Koriandersamen), frisches Gras, wirkt etwas „wild“; enorme mineralische Frische im Mund, schöne Säure, dezente Frucht“süsse“, schöne Struktur, leichter, aber nicht störender Medizinalton im langen Abgang (verschwand nach einem Tag in der Flasche). Frischebetonter, etwas wilder und doch eleganter Wein, der noch sehr viel Reserven hat. 17,5 Punkte.

Fazit: Da standen zwei Chenin blanc nebeneinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten, die aber beide grossartig sind. Einerseits der schöne und gehaltvolle Schmeichler aus Südafrika, der wohl allen gefällt. Andererseits der biodynamische Loire-Wein, der durch seine etwas wilde Art manchen nicht auf den ersten Schluck zugänglich sein dürfte, der aber ungemein vielschichtig ist. Er kommt mir vor wie eine Person im perfekten Anzug oder Kostüm, die etwas künstlerisch zerzauste Haare hat. Ich persönlich finde ihn grossartig.

Die beiden Weine zeigen perfekt, wie unterschiedlich Weine aus dieser Sorte gekeltert werden können. Und dabei ist das ja nur ein ganz kleiner Ausschnitt. Wer Chenin blanc auslässt, ist wirklich selber schuld!

Accueil – Clau de nell
HOME | Stellenrust Wines

Bezugsquellen u.a.:
Schweiz: Kapweine und Paul Ullrich für Stellenrust / Gerstl für Clau de nell
Deutschland: Eggerssohn und Ludwig von Kapf / Lobenberg und Vinaturel


Interessennachweis: Beide Weine wurden im Weinhandel gekauft.

Ein herrlicher Riesling vom Schweizer Weingut des Jahres.

Vorgestern wurde das Weingut „Cave du Rhodan – Mounir Weine“ aus Salgesch zum Schweizer Weingut des Jahres 2022 gekürt. Das ist für Kenner natürlich keine Überraschung und hochverdient. Mir gibt es den perfekten Anlass, über einen schon vor einigen Monaten degustierten (Rhein-)Riesling des Gutes zu berichten, der den Vertretern vom Rhein das (Rhone-)Wasser absolut reichen kann.

Cave du Rhodan ist wohl jenes Weingut, über das ich schon am meisten geschrieben habe (Links siehe am Schluss des Artikels). Im Frühjahr konnte ich einen Riesling des Gutes probieren, dessen Qualität mich begeisterte. Die Degustationsnotizen liegen seither herum, ich habe sie bisher noch nicht gepostet, weil ich ja nicht immer „nur“ über die gleichen Produzenten schreiben will.

Dass das Weingut von Sandra und Olivier Mounir nun aber am Grand Prix des Vins Suisse, einem von Vinum und Vinea gemeinsam durchgeführten hochkarätigen Wettbewerb, zum „Weingut des Jahres 2022“ erkoren wurde, gibt sicher den perfekten Anlass, über den Riesling zu berichten, Denn die Qualität hat es in sich.

Riesling von der Rhone? Aber klar!

Riesling gehört an den Rhein und seine Nebenflüsse! Allenfalls noch an die Donau in Oesterreich. Aber an die Rhone? So abwegig ist das aber gar nicht, denn im Wallis gedeiht, klug angesetzt, bearbeitet und vinifiziert, ja fast das ganze Konzert der bekannten Rebsorten. Und das Gut Desfayes-Crettenand hat schon vor über drei Jahrzehnten gezeigt, dass man im Wallis sehr wohl honorigen Riesling produzieren kann.

Symbolbild: Walliser Weinlandschaft zwischen Salgesch und Sierre. Aufgenommen übrigens an der Rue de la Petite Arvine, unweit der Gemeindegrenze!

Die Reben für den Riesling „Diversitas“ wurden erst 2015 gepfanzt und werden biologisch bewirtschaftet. Ausgebaut wird der Wein je zu einem Drittel im Holzfass, in der Amphore und im Stahltank. Ich habe für die Degustation bewusst einen deutschen Rielsing des gleichen Jahrgangs aus dem Keller geholt. Die Wahl fiel auf den „Tonschiefer“ 2019 von Dönhoff. Dieser ist zwar nicht die alleroberste Klasse dieses Spitzenweingutes, aber ist immer ausgesprochen gelungen und stellte schon mal eine richtige Hürde dar.

Rhone vs. Nahe: 1 : 1 (oder 35 : 34,5)

Das Resultat dieses Vergleichs: Der Diversitas von der Rhone obsiegt klar! Natürlich hinken solche Vergleiche immer ein wenig, voeliegend um so mehr, als die Stilistik doch ziemlich verschieden ausfällt. Trotzden: Der Tonschiefer ist ein wunderschöner Wein, aber der Diversitas ist dichter und vielschichtiger.

Entsprechend wurde die Latte danach deutlich höher gelegt. Als Vergleich diente nun ein Grosses Gewächs aus dem Jahr 2018 (also ein Jahr gereifter als der Diversitas), der Goldloch von Diel. Wie schon bei Dönhoff bekam es die Cave du Rhodan also wieder mit einem der ganz grossen Namen zu tun.

Nun, in diesem Vergleich behielt Deutschland ganz knapp die Oberhand. Allerdings braucht sich der Diversitas selbst hier nicht zu verstecken, letzlich waren es Nuancen, welche in meiner Wertung den Ausschlag für Diel gaben. Auch in diesem Vergleich bringt der Diversitas mehr Dichte und Konzentration mit, aber das Grosse Gewächs von Diel war eine Spur finessreicher, komplexer, eleganter und wohl halt auch „Riesling-typischer“. Der Goldloch 2018 ist ein absolut grossartiges Gewächs (96 Punkte James Suckling), und wenn da ein – noch dazu günstigerer – Wein aus dem Wallis praktisch mithält, dann gibt es nur eines: Chapeau, Sandra und Olivier Mounir. Und herzliche Gratulation zu diesem Riesling und natürlich zum Schweizer Weingut des Jahres!

Die Degustationsnotizen:

Riesling Diversitas 2019, Caves du Rhodan
Helles Gelb, dezente, aber sehr vielschichtige Nase, Stachelbeere, neckische Anfüge von Ananas und Lychee, auch etwas grüne Noten, etwas Muskat; im Mund mit aussergewöhnlicher Frische, mineralisch, sehr dicht gewobener Körper, „saftg“, schön angepasste Söure, ganz leicht spürbares Holz, das aber sehr gut eingebunden ist, den relativ hohen Alkoholgehalt (13,5 %) spürt man überhaupt nicht. Langer Abgang. Eigenständiger aber nicht untypischer Riesling, toll gemacht! 17,5 Punkte.

Tonschiefer 2019, Dönhoff
Helles Gelb; gradlinie Nase, zuerst mit etwas Petrol, mit etwas Luft dann weisse Johannisbeeren, Stachelbeeren und Fliederduft; im Mund recht dicht mit enormer Fruchtigkeit und einem Touch von Fruchtsüsse, prägnante, aber schöne Säure. Mittlerer Abgang. Schöner, erfreulicher Wein. 16,5 Punkte.

Dorsheim Goldloch 2018, GG, Schlossgut Diel
Mittleres Gelb mit grünen Reflexen; feine Nase mit Stachelbeere, Aprikose und weissem Pfirsich, würzige Noten; im Mund mieralisch, dicht, finessereich und fruchtig, mundfüllend aber trotzdem nicht langweilig „rund“ wirkend, langer Abgang. Grossartiger Wein, 18 Punkte.

Link zum Weingut:
Walliser Weine aus Salgesch direkt beim Winzer kaufen | Cave du Rhodan

Und zum Grand Prix du Vin Suisse 2022:
https://www.vinum.eu/fileadmin/user_upload/Awards/GPVS/GPVS_2022/GPVS_2022_Pressemitteilung_Die_Gewinner_und_alle_Resultate.pdf

Hier die Links auf frühere Artikel:
Handeln statt jammern! Cave du Rhodan ist erneut innovativ. Und ein toller Pinot dazu. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Domaine Trong der Cave du Rhodan: (bio-)dynamisch an die Spitze! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Corona macht erfinderisch: spannende Online-Degustationen zum Mitmachen! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Walliser Weine: Spitzenklasse! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Interessennachweis:
Der Diversitas der Cave du Rhodan wurde mir als Dankesgeste nach meinem Artikel über den Pinot noir zusammen mit einer Flasche jenes Weines ohne jede Verpflichtung zugestellt. Die beiden deutschen Rieslinge wurden im Handel gekauft.

Der „Alpen-Nebbiolo“ aus dem Veltlin trumpft ganz gross auf!

Nebbiolo delle Alpi: Diesen Ausdruck verwendet die Branchenorganisation der Veltliner Winzer auf ihren Werbemitteln. Und tatsächlich ist das Veltlin ein imposantes Alpental im Schatten des keine 40 Kilometer entfernten 4’000-er Piz Bernina im Norden und der Bergamasker Alpen im Süden. Und von wegen Schatten: In einer Blinddegustation stellten die besten Veltliner weit bekanntere Nebbiolo-Weine in denselbigen!

Das Veltlin entwickelt sich immer mehr zum Geheimtipp – was eigentlich falsch ist, denn die Weine hätten die grosse Bühne verdient. Dass das Gebiet international noch kaum bekannt ist, hat einerseits mit der vergleichsweise geringen Anbaufläche (knapp unter 1’000 Hektar, schwergewichtig Nebbiolo – hier „Chiavennasca“ genannt). Allerdings entspricht dies fast einem Fünftel der ganzen mit Nebbiolo bepflanzten Fläche in Italien und einem Sechstel weltweit. Oder auch etwa der Hälfte des Barolo-Gebietes. Das Potential für den grossen Auftritt wäre also da.

Das Bernina-Massiv mit dem 4000er Piz Bernina in der Bildmitte. Keine 40 Kilometer dahinter versteckt sich ein echter Geheimtipp für Nebbiolo-Liebhaber, das Alpental Veltlin! Mehr als nur eine (Wieder-)entdeckung wert!

Vielleicht spielt aber auch die Geschichte eine grosse Rolle. Während Jahrhunderten gehörte das Gebiet zu den Drei Bünden (Graubünden), und im Rahmen des Wiener Kongresses wären die Veltliner auch bereit gewesen, zur Schweiz geschlagen zu werden. Religiöser Eifer (die Bündner hatten Angst vor zu grossem Einfluss der Katholiken aus dem Veltlin) und eine undurchdachte Verhandlungsführung (scheint eine Schweizer Spezialität im Umgang mit Europa zu sein ….) führten aber dazu, dass das Veltlin der Lombardei zugeteilt wurde. Trotzdem spielten aber die Schweizer weintechnisch im italienischen Veltlin lange weiterhin eine dominierende Rolle. Grosse Teile der Reben gehörten (und gehören teils noch) Schweizern, und das führte dazu, dass der Umgang mit dem „Vetliner“ gar Eingang in die Handelsabkommen zwischen der Schweiz und Italien fanden und dass schliesslich im Jahr 1969 gar ein bilaterales „Abkommen zwischen der Schweiz und Italien betreffend einige Veltliner Weine“ abgeschlossen wurde, welches es den Schweizern erlaubte, italienischen Wein aus dem Veltlin im Schweizer Puschlav auszubauen und zu lagern.

Noch 1981 wurden 50’000 Hektoliter Veltliner Wein in die Schweiz eingeführt – 2011 waren es nur noch 4’300 hl. Diese Menge entsprach allerdings immer noch rund einem Zehntel der Gesamtproduktion – was, selbst unter der Annahme, dass die produzierten Mengen pro Hektar 1981 viel höher lagen, darauf schliessen lässt, dass noch vor 40 Jahren ein grosser Teil der Veltliner Weine in der Schweiz getrunken wurde. Der Veltiner war damals zumindest im östlichen Teil der Schweiz auch so etwas wie das Nationalgetränk.

Allerdings war früher die Qualität der Weine eher bescheiden, und es ist nicht verwunderlich, dass vielen Schweizern der Veltliner eigentlich nur in den Ferien im Bündnerland so richtig schmeckte. Bestellt wurde dort dafür um so öfter einen „Pfiff“, ein dünner Veltliner, serviert in einer Art Zahnglas („Pfiff“ abgeleitet von einem alten Mengenmass).

Der Veltliner leidet in der Schweiz auch heute noch unter diesem „Pfiff-Image“, obwohl führende Schweizer „Veltliner-Betriebe“ wie Triacca oder Plozza schon lange auf Qualität setzen. Fand man früher in einem Supermarkt etwa 10 verschiedene Veltliner, so muss man heute suchen, um überhaupt noch einen Vertreter aus diesem Alpental zu finden.

Dafür haben die italienischen Produzenten um so mehr zugelegt. Schon zu Zeiten des grossen „Veltinerbooms“ in der Schweiz gab es auch ernst zu nehmende Betriebe im Tal selbst, etwas das Traditionshaus Nino Negri. Und es gab damals auch Winzer wie Sandro Fay (dem Sieger dieser Degustation, siehe unten), die ganz neu mit der Weinherstellung begannen und schnell eine gewisse Beachtung fanden. Heute sind von 37 Weinproduzenten die meisten im „Consorzio di Tutela Vini Valtellina“ organisiert.

Ich habe in meinem Blog schon zweimal „Schweizer“ Weine aus dem Veltlin vorgestellt und gerühmt. Vgl. hier:
Veltliner – Italianità made in Switzerland, Wiederentdeckung empfohlen! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Keller, Zündel und Triacca: Schöpfer dreier herrlicher Weinbotschafter aus dem Veltlin. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Das Hauptgewicht auf einer kürzlich zusammen mit einem Weinfreund durchgeführten Blinddegustation mit Weinen aus den Jahren 2016 oder 2017 lag deshalb diesmal auf den Gewächsen italienischer Produzenten, wobei der von mir im vorstehenden Beitrag so gelobte „Sertola“ von Triacca quasi als Eichung diente. Zudem wurden drei „Piraten“ eingeschmuggelt, je ein guter Barolo, Barbaresco und Gattinara.

Die besten Vetliner sind absolute Spitzenklasse!

Das Resultat der Blinddegustation: Die Veltiner Weine sind umwerfend gut! An der Spitze der Rangliste stehen gleich drei Veltiner, bevor die drei Piraten folgen. Dass am Ende der Skala die drei anderen Vertreter aus dem Veltin stehen, kann den Erfolg der Alpen-Nebbioli nicht schmälern, handelt es sich doch auch bei diesen um gute Vertreter der Region, von denen einer auf die gleiche Punktzahl wie die Piraten kommt und selbst die beiden letzplatzierten sehr gute Ansätze zeigen, aber in der Vinifikation bzw. im Weinstil noch etwas zulegen können.

Wohl habe ich bei der eher zufälligen Auswahl der Weine aus anderen Nebbiolo-Regionen nicht gerade die Spitzencrus ausgesucht (was wohl sogar ein Fehler war, eine Wiederholung ist fast programmiert), aber mit dem Barolo von Pio Cesare stand auch kein Nowbody in der Degustation, im Gegenteil: Der degustierte Jahrgang 2016 hat bei Falstaff 95 Punkte erhalten! Das mag etwas gar hoch sein, aber es ist ein sehr guter Wein, und als Hinweis auf die grandiose Qualität der Veltliner ist es im Vergleich allemal bemerkenswert! Dass der Barolo dann auch noch über CHF 20.00 teurer ist als die Veltliner, ist nochmals eine andere Geschichte. Und auch der Barbaresco wurde sehr gut bewertet, Vinum gab dem Rabajà von Luisin 17 Punkte und schrieb von einem gelungenen Wein, was durchaus zutrifft.

Sandro Fay und Triacca – zweimal grandios

Mein persönlicher, wenn auch knapper Sieger ist der „Carteria“ von Sandro Fay. Der Wein hat alles, was ein hervorragender Nebbiolo haben muss, und als Extra noch eine Frische und Finesse, die überzeugt. Ganz knapp dahinter, mit der gleichen Punktzahl, folgt der „Schweizer“ Vertreter, der Sertola von Triacca (mehr dazu via Link „Keller, Zündel, Triacca“ oben), ein tiefgründiger und gleichzeitig eleganter, biodynamischer Wein, den mein Weinfreund übrigens an erster Stelle einstufte. Mein persönliches Erfolgserlebnis war, dass ich den diesmal blind degustierten Sertola 2016 mit der genau gleichen Punktezahl auszeichnete wie seinerzeit den Vorgängerjahrgang.

Und hier die Rangliste der Degustation (bei gleicher Punktzahl entspricht die Reihenfolge meinen Präferenzen, auch wenn es Nuancen sind):

Die Weine der Blinddegustation, der dritte und der erste von Links als Sieger, die – auch guten – Piraten rechts.

Sandro Fay, Carteria, Valtellina Superiore Valgella, Riserva 2017
Relativ dunkles Rot; zuerst sehr verhalten in der Nase, dann rote Früchte, Veilchen, Aprikose und weisser Pfirsich; im Mund sehr ausgewogen, spürbare Säure gepaart mit enorm feinen Tanninen, im Mund sehr fruchtbetont mit schöner Extrakt“süsse“, ausgesprochen frisch und elegant. Langer Abgang. Hervorragender, feiner Wein, 17,5 Punkte

Triacca, Sertola, Valtellina Superiore, 2016
Mittleres, noch jugendliches Rubin; verhaltene rote Frucht, etwas neues Holz (aber nicht negativ), Nelken und Anflug von Rosinen; im Mund voller sehr feiner Tannine, gute Säure, spürbares, etwas „süssliches“, aber sehr gut eingebundenes Holz, „feurig“ wie ein Burgunder, sehr eleganter Wein mit langem Abgang. Toll! 17.5 Punkte.

Nino Negri, Mazèr, Valtellina Superiore, 2017
Mittleres, gereiftes Rubin; sehr fruchtbetont (helle, rote Beeren sowie Rosinen), würzig (Anflüge von Thymian); äusserst feine Tannine, angepasste Säure, im Mund fruchtbetont mit etwas Fruchtsüsse, druckvoll, mittlerer Abgang. Stimmiger, schöner Wein, der allerdings jetzt schon seine schönste Trinkreife erreicht haben dürfte. 17 Punkte.

Barolo, Pio Cesare, 2016
Mittleres Rubin mit ersten Brauntönen; verhalten, feiner Sandelholzduft, etwas helle Frucht; sehr viele, etwas trocknende Tannine, mittlere Säure, leichter Bittertouch, viel Extraktsüsse, etwas Holz, etwas stark spürbarer Alkohol. Gesamthaft aber schöner Wein, elegant und ausgewogen, mittlerer Abgang. 16,5 Punkte.

Gattinara, Antoniolo, Riserva 2017
Mittleres, eher „dünnes“ Rubin; sehr fruchtbetont (Weichselkirschen, Johannisbeeren); erinnert in der Nase an einen schönen Chianti; fruchtetont auch im Mund, schöne Dichte, viel Tannin bei guter Säure, etwas Holz spürbar, langer Abgang. Schöner, fruchtiger, vielleicht etwas „altmodischer“ Wein. 16,5 Punkte.

Barbaresco Rabajà, Cascina Luisin, 2016
Mittleres Rot; sehr verhalten, etwas helle, „säuerliche“ und rote Frucht; im Mund mit eher tiefer Säure, etwas trocknende Tannine, daneben enorm fruchtig und „fruchtsüss“, langer Abgang. Eher etwas rustikaler, aber schöner Wein, der auf seinem Zenith stehen dürfte. 16,5 Punkte.

Tenuta Scerse, Essenza, Valtellina Superiore, 2017
Helles, leicht gereiftes Rot; leichter Hefe-/Brotrindenton, zuerst fast keine Frucht, später kommen Anflüge von Dörrzwetschge; im Mund elegant, Säure und Tannin in schöner Balance, Tannine allerdings etwas trocknend, eher kurzer Abgang. Sehr erfreulicher Wein, der aber nicht mehr zulegt und besser jetzt getrunken wird. 16,5 Punkte.
(Dem „nicht mehr Zulegen“ widerspricht allerdings mein Weinfreund, der diese Flasche nach Hause nahm und in den Tagen danach wieder probierte – der Wein habe sich noch geöffnet und verfüge über Reserven).

Luca Faccinelli, Tell, Valtellina Superiore Grumello, 2017
Mittleres jugendliches Rubin; zuerst etwas „muffig“ und „schweflig“, was aber mit Luftkontakt verschwindet (dekantieren!), dann etwas altes Holz und Frucht (Johannis- und Brombeere) sowie blumige Anflüge (Glyzinie); im Mund mit extrem viel Tannin und prägnanter, fast etwas zu dominanter Säure, eher elegant-filigran, mittlere Abgang. In der Nase zuerst etwas irritierend, aber nach Belüftung und im Mund sehr angenehm, Wein mit sehr guten Ansätzen. 16 Punkte.

Mamete Prevostini, Valtellina Superiore, Riserva 2017
Mittlereres, im Vergleich aber eher dunkles Rot; säuerlich-fruchtig, Eisbonbons, viel neues Holz; auch im Mund sehr holzbetont bzw. -dominiert, vom Holz auch leicht „süsslich“ wirkend, mässige Säure, viel Tannin, schlank mit kurzem Abgang. Eigentlich ein spannender Wein mit guten Ansätzen, der aber vom Holz erschlagen wird. Ev. zu verfolgen, ob sich das mit der Zeit noch gibt, ich glaube zwar eher nicht. Zudem wird es Konsumenten geben, welche diese Art von Wein lieben. 15,5 Punkte.

Fazit: Leute, immer nur den grossen Namen nachjagen und erst noch viel Geld ausgeben? Oder doch lieber auch mal etwas Neues entdecken, das erst noch herausragend sein kann? Ein Blick ins Veltlin lohnt sich!

Und aus Schweizer Sicht: Hätten unsere Vorfahren doch bloss in Wien besser verhandelt!

Valtellina il Nebbiolo delle Alpi | Consorzio di Tutela dei Vini di Valtellina

Società Agricola Fay – vini Valtellina (vinifay.it)
Casa Vinicola Fratelli Triacca – Weine der Zukunft
Cantina Nino Negri – Passione nel cuore della valtellina
Tenuta Scerscé – Vini di Valtellina (tenutascersce.it)
Luca Faccinelli | Valtellina Wines
Mamete Prevostini | Weine des Veltlins


Interessennachweis: Alle Weine wurden ohne das Wissen der Produzenten im Handel zu Listenpreisen eingekauft. Die Degustation erfolgte blind.

Franciacorta: Die heimliche Schweizer Liebe denkt an die Umwelt und das Klima.

Raten Sie mal: In welches Land werden am meisten Weine aus der Franciacorta exportiert? USA? Japan? Deutschland? Belgien? Grossbritannien? Alles falsch! Die Reihenfolge stimmt zwar, aber deutlich davor steht die Schweiz mit einem Anteil von fast jeder vierten Flasche! Vielleicht kann man da sagen: „Champagner predigen und Franciacorta trinken“? Wobei das angesichts des Qualitäts- und Preisniveaus auch ganz vernünftig wäre. Und erst recht aufgrund des weltrekordverdächtigen Bio-Anteils in der Franciacorta.

Vielleicht ist es ja aufgrund der Umsätze in der Schweiz unnötig, aber dennoch: Die Franciacorta liegt am Südufer des Iseosees nördlich von Brescia, dem zu Unrecht unbekanntesten der grossen oberitalienischen Seen. Und Nomen ist manchmal tatsächlich Omen: Das „Francia“ geht zurück auf die Zisterzienser-Mönche aus Cluny (südliches Burgund, unbedingt sehenswert!), die sich in der Gegend vor bald tausend Jahren niederliessen und von der Steuer befreit waren (Francea Curtes = steuerbefreite Hof-/Gerichtszone). Und der Bezug zu Frankeich passt natürlich auch heute: Hier wird hochstehender Schaumwein nach der gleiche Methode wie in der Champagne hergestellt, und auch die Sortenwahl ist fast identisch. Chardonnay und Pinot noir herrschen vor, nur als Nebensorte ist hier Pinot blanc und nicht Pinot meunier zugelassen.

Wunderschöne Gegend: Blick aus Norden auf den Iseosee und Iseo; am Südufer beginnt die Zone für den Franciacorta DOCG.

Im Gegensatz zum französischen Vorbild ist die Geschichte der Schaumweine aus der Franciacorta allerdings noch sehr jung. Die erste Flasche wurde nämlich erst vor rund 50 Jahren (1961) produziert. Schon sechs Jahre später erhielt das Gebiet aber die DOC, doch erst anfangs der 1990-er Jahre kam wirklich Schwung in das Gebiet: Der Name wurde urheberrechtlich geschützt und es wurden neue Produktionsvorschriften erlassen. 1995 wurde das Gebiet schliesslich in den DOCG-Status erhoben. Heute beträgt die Anbaufläche knapp 3’000 Hektar, und über hundert Betriebe verkaufen knapp 14 Millionen Flaschen im Jahr (1980 waren es noch 9 Betriebe mit rund 200’000 Flaschen!). Die Weine der Franciacorta brauchen sich heute im Durchschnitt durchaus nicht mehr vor jenen aus dem französischen Vorbild zu verstecken.

Bio – nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart

Im biologischen Weinbau ist die Franciacorta vermutlich Weltmeister. Rund zwei Drittel der Rebflächen werden hier bereits zertifiziert biologisch bewirtschaftet oder sind in Umstellung. Zwar gibt es noch nicht so viele Flaschen mit dem Bio-Label auf dem Markt. Das liegt daran, dass es Weingüter gibt, die noch nicht die ganze Fläche umgestellt haben und die Biotrauben nicht separat verarbeiten wollen. Zudem lagert der Wein jahrelang, bevor er auf dem Markt kommt – der Markt hinkt deshalb der Realität im Rebberg hinterher.

Erbamat, die Sorte der Zukunft, die dem Klimawandel trotzen soll

Offensichtlich ist man sich am Iseosee, wo die Weine auf einer Meereshöhe von 200 bis 400 Meter wachsen (die Champagne liegt zwar noch tiefer, aber auch etwa 500 Kilometer nördlicher und hat keinen Mittelmeereinfluss) bewusst, dass der Klimawandel einen grossen Einfluss auf den Weinbau haben kann. Vermutlich kommt hier auch die fehlende Tradition zu Hilfe, wenn es um Neuerungen geht. Jedenfalls wurde eine neue Traubensorte zugelassen, die Erbamat. Während Chardonnay und Pinot noir heute schon im August geerntet werden müssen, braucht die Erbamat rund einen Monat länger bis zur Reife. Sie ist seit dem 15. Jahrhundert beurkundet, erlangte aber nie eine grosse Bedeutung und wurde bis vor Kurzem nur noch auf wenigen Hektar in Norditalien angebaut. Sie ist sehr säurebetont, weist einen tiefen Ph-Wert auf und ist relativ neutral im Aroma. Die Hoffnung ist deshalb, dass die Erbamat den Weinen Frische verleihen wird, ohne das aromatische Profil der Franciacorta-Weine deutlich zu verändern. Aktuell ist sie erst bis zu einem Anteil von 10 % erlaubt, womit ihr Potential langsam getestet werden soll. Bisher haben auch erst 10 Weingüter diese Sorte effektiv angepflanzt. Es gibt auch noch kaum Weine mit Erbamat-Anteilen auf dem Markt (siehe dazu weiter unten), aber es wird spannend zu beobachten sein, wie sich das entwickelt. Sieht man den rasanten Aufschwung in der Franciacorta der letzten 50 Jahren an, dürfte es nicht lange dauern, bis wir Schaumweine mit Erbamat-Anteil geniessen!

Verschiedene Schaumwein-Typen

Die Bezeichnung und die dafür zulässigen Rebsorten, die Lagerung, der Druck und die Dosage sind in der Franciacorta klar geregelt. Abgesehen von den Jahrgangsweinen und den Riservas gibt es drei Typen:

„Franciacorta“ steht für einen Grundwein aus Chardonnay, Pinot noir, Pinot blanc (höchstens 50 %) und Erbamat (höchstens 10 %), wobei sortenreine Weine aus Chardonnay oder Pinot noir möglich sind. Die Flaschen müssen nach der zweiten Gärung mindestens 18 Monate in der Flasche reifen und der Druck liegt zwischen 5 und 6 Atmosphären. Zudem kann dieser Wein in der Dosage mit Zero, Extra Brut, Brut, Extra Dry, Dry und Demi Sec hergestellt werden. Die möglichen Varianten aus Traubensorten und Dosage sind also fast unerschöpflich.

„Franciacorta Satèn“ ist eine Exklusivität der Gegend. Er darf nur aus Chardonnay (mind. 50 %) und Pinot blanc (höchstens 50 %) hergestellt werden, muss 2 Jahre in der Flasche lagern und darf nur als Brut auf den Markt kommen (wobei es durchaus tiefere Zuckerwerte gibt, die Bezeichnung lautet dann aber trotzdem Brut). Der entscheidende Unterschied liegt aber im Druck der Flasche; dieser muss unter 5 Atmosphären liegen – der Satèn sprudelt also etwas weniger und wirkt dadurch runder und „weiniger“.

„Franciacorta Rosé“ schliesslich kann wieder aus allen vier Traubensorten bestehen, vorgeschrieben sind aber mindestens 35 % Pinot noir. Die Flaschenlagerung muss 2 Jahre dauern. Die übrigen Vorschriften entsprechen jenen des „Franciacorta“.

Kleine Degustation in Zürich

Sehr sympathisch, professionell und unterhaltsam gleichzeitig: Sommelier Nicola Mattana.

Die allermeisten Betriebe der Region sind Mitglied im „Consortio per la tutela del Franciacorta“. Und dort ist man sich natürlich der Bedeutung des Schweizer Marktes bewusst. Kürzlich fand deshalb auf Einladung des Konsortiums eine kleine Präsentation und Degustation im „Signau House & Garden“ in Zürich statt (das „Signau“ ist übrigens ein Hotel in toller, aber ruhiger Lage mit einem wunderschönen Garten – eine echte Oase beim Kreuzplatz, relativ nahe des Stadtzentrums). Präsentiert wurden je ein Wein der drei Grundtypen, und die Präsentation lebte vor allem auch vom Charme und dem Fachwissen des beigezogenen Sommeliers Nicola Mattana.

Besonders gefallen hat mir dabei der Franciacorta „Golf 1927“ von Barone Pizzini:

Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; dezente, frische Frucht mit etwas Brioche und leichtem, schönem Hefeton; im Mund feingliedrig und elegant, trocken aber nicht knochentrocken wirkend (4 g RZ und 8 mg Säure). Schöner Schaumwein, der trotz Schwergewicht auf der Eleganz durchaus auch gehaltvoll ist. 16,5 Punkte.

Und wenn wir schon bei Barone Pizzini sind: Dieses Haus war nicht nur der erste Bio-Betrieb, sondern auch der erste, der im vergangenen Jahr mit dem „Animante“ einen Franciacorta mit einem Anteil der Rebsorte Erbamat auf dem Markt brachte (der Anteil beträgt noch bescheidene 3 %). Falls Sie danach suchen, achten Sie auf das Datum der Flaschenfüllung vom April 2019 oder später. Vorausgegangen waren die Pflanzung der Sorte auf rund einer Hektar im Jahr 2008 und viele Versuche in der Vinifikation. Daraus resultierten Weine, die leider nie auf dem Markt erscheinen durften, da ihr Erbamat-Anteil zu hoch war (erlaubt sind 10 %, siehe oben), aus denen aber sehr viel Wissen über das Verhalten der Erbamat gewonnen werden konnte.

Vorbildliche Information auf den Flaschen

Toll ist übrigens, dass auf fast allen Flaschen aus der Franciacorte die technischen Daten wie Säure und Zuckergehalt vor allem aber auch das Datum der Flaschenfüllung und des Dégorgements angegeben werden. Da könnten sich viele Francesi ein Vorbild nehmen!

Franciacorta: Nach uns die Zukunft! Das italienische „Qualitäts-Schaumweinzentrum“ auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.

Ach ja, und übrigens gibt es aus der Franciacorta auch stille Weine, ein Beispiel siehe hier:
Ca‘ del Bosco – eine Perle mit mehr als nur Perlen – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Links:
Consorzio tutela del Franciacorta, Strada del Franciacorta
Barone Pizzini: Organic Winery in Franciacorta


Interessennachweis:
Dieser Artikel entstand aufgrund der Anregung im Rahmen der oben beschriebenen Einladung des Consortio per la tutela del Franciacorta, im Weiteren aber ohne jede Einflussnahmen oder Verpflichtungen des/gegenüber dem Konsortium oder einzelner Produzenten.

Grillo und Italien? Wenn es um Wein geht, kann das grossartig sein! 50 Anni Grillo von Massimo Maggio.

Wer heute Grillo hört, denkt vielleicht als erstes an die verkachelte italienische Politik. Es mag tröstlich sein: Politiker kommen und gehen, Reben bleiben, auch wenn sie Hochs und Tiefs erleben.

Der vorstehende Lead stammt aus einer Weinbeschreibung von Delinat zum „50 Anni Grillo“ von Massimo Maggio, dem Wein, um den es in diesem Beitrag geht. Dieser Weisswein aus der fast nur in Sizilien vorkommenden Traubensorte Grillo hat mich begeistert.

Ganz grundsätzlich beobachte ich Delinat und dessen Weine praktisch seit es die Firma gibt, also bereits Jahrzehnte. Und eigentlich gibt es keine sympathischere Weinhandlung, denn hier geht es nicht einfach um Weinhandel, sondern vor allem auch um biologischen Anbau und seit einiger Zeit ganz besonders auch um Nachhaltigkeit und Biodiversität. Das Gut von Massimo Maggio ist beispielsweise mit 3 „Schnecken“ ausgezeichnet, was bedeutet, dass es nicht nur die Richtlinien von Delinat zum biologischen Landbau und zur ökologischen Vielfalt einhalten muss, sondern auch 100 % des Energieverbrauchs aus regenerierbaren Quellen bezieht.

So gesehen, erfüllt eigentlich jeder Delinat-Wein die Prämisse meines Weinblogs: „alles ausser gewöhnlich“. Und Delinat verfügt auch über viele Weine, die rundum begeistern. Einige habe ich hier schon früher schon mal beschrieben:

Roches d’Aric: reinste biologische Medizin! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Extrem lehrreich: „single variedad Rioja“ – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Ich verschweige allerdings auch nicht, dass mich degustativ längst nicht alle Weine von Delinat begeistern (auch wenn alle immer mindestens korrekt sind). Das liegt teilweise daran, dass viele Weine bewusst keine grossen Gewächse sind, dafür sehr preiswert und – im Gegensatz zu den Anfängen der Bioweine – in jedem Fall sauber und süffig. Das liegt aber auch daran, dass ein recht hoher Anteil der Weissweine mit Restsüsse ausgebaut sind. Das liegt ja durchaus im Trend und trifft den Geschmack vieler – meinen aber ganz einfach nicht, und deshalb habe ich bei aller Sympathie vor einigen Jahren auch die Degustationspakete abbestellt.

Nun habe ich aber kürzlich im Verkaufsladen in Winterthur ein paar Einzelflaschen gekauft, und die bisher probierten haben mich überzeugt. Geradezu begeistert war ich eben von diesem Grillo:

Das Weingut Maggiovini in der Nähe von Ragusa auf Sizilien. 100 % der nötigen Energie stammt aus erneuerbaren Quellen (Bild ab Homepag des Gutes).

50 Anni Grillo 2020, Massimo Maggio
Mittleres Gelb; sehr fruchtige, fast etwas süsslich wirkende Nase; Papaya, Aprikose, Reineclaude, leichter Holzton; im Mund frisch, dichte Struktur, schöne Säure, fruchtbetont, spürbares, aber sehr schön integriertes neues Holz, langer Abgang. Sehr überzeugender Wein. 16,5 Punkte.
PS: Und das zu einem Preis von CHF 11.30!

Alles Weitere zu diesem Wein und zum Betrieb brauche ich nicht abzuschreiben, das können Sie gut selbst direkt hier lesen:
50 Anni Grillo | Bio Weisswein | jetzt online bestellen | Delinat

Und hier noch der Link zum Weingut selbst:
Maggio Vini • azienda vitivinicola siciliana


Interessennachweis: Der Wein wurde direkt im Delinat-Laden zu normalen Konditionen gekauft.

Alkoholfreier Schaumwein von Thomson & Scott: Nüchtern betrachtet erstaunlich gut!

Alkoholfreier Wein? Das war für mich bis vor Kurzem ziemlich undenkbar. Zwar habe ich inzwischen einige sehr gute Biere ohne Alkohol kennengelernt, aber Wein? Nachfolgend zwei Schaumweine, die zum Umdenken anregen.

In der „NZZ am Sonntag“ vom 10. April 2022 erschien ein Artikel, der kein gutes Haar am Alkohol lässt und ihn zusammen mit Asbest und Tabak in die Gruppe 1 der karzinogenen Stoffe einreiht. Schon geringe Mengen seien schädlich, und es wird eine Studie zitiert, gemäss der die These, dass kleine Mengen Alkohols gesundheitsförderlich seien, zu den Akten zu legen sei.

Dass Alkohol per se schädlich ist, dürfen auch der grössten Weinfreunde in nüchternem Zustand nicht bezweifeln. Immerhin scheint der Autor des erwähnten Artikels aber wirklich nur nach schlechten Nachrichten gesucht zu haben. Diverse Studien, die bei massvollem Genuss von Wein einen positiven Einfluss auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachwiesen, werden etwas gewagt mit der These abgetan, sie litten an methodischen Schwächen, weil der Alkoholkonsum mit anderen Faktoren korreliere und beispielsweise die Gruppe der gemässigten Geniesser auch anderweitig zum Masshalten neige – mithin also einen generell gesünderen Lebensstil pflege als die Durchschnittsbevölkerung.

Wie dem auch sei, als Winzer würde mich die Entwicklung beunruhigen. Persönlich rechne ich damit, dass der Alkohol in den nächsten Jahrzehnten noch vermehrt in den Fokus des Gesundheitspolitiker gelangen wird – ganz grundsätzlich ja wohl auch zu Recht.

In diesem Kontext kam mir eine Anfrage gerade gelegen, ob ich zwei alkoholfreie Schaumweine, die wirklich mit Genuss getrunken werden könnten, probieren würde. Weil ich allerdings aufgrund länger zurückliegender, schlechter Erfahrungen sehr skeptisch war, betonte ich die Selbstverständlichkeit ganz speziell, dass ich nur darüber schreiben würde, wenn ich tatsächlich selbst überzeugt sei.

Nun, nach dem Degustieren ganz nüchtern: Ja, die Weine sind gut und eine echte Alternative! Freilich können sich beide nicht mit grossen (oder auch nur durchschnittlichen) alkoholhaltigen Gewächsen messen, und beide weisen einen zwar nicht störenden, aber doch etwas speziellen Geschmack in Richtung essigsaurer Tonerde auf.

Aber ich habe beim Rosé die Probe auf’s Exempel gemacht und einen billigen Champagner aus dem Supermarkt gegenübergestellt (der aber deutlich teurer ist als der alkoholfreie Schaumwein). Während der Champagner zwar mehr Körper und die feinere, anhaltendere Perlage aufwies, war der Thomson & Scott fruchtiger und „sauberer“ (der Supermarkt-Champagner wies unangenehme Noten von saurem Most und leicht fauligem Apfel auf).

Das Resultat: Ich habe den ganzen Abend recht genossvoll alkoholfrei getrunken, und das wäre auch so gewesen, wenn ich danach nicht noch Auto gefahren wäre.

Bitte verstehen Sie mich jetzt richtig: Selbstverständlich ziehe ich grundsätzlich weiterhin einen renommierten alkoholhaltigen Schaumwein vor, an dieses Niveau kommen die Thomson & Scott nicht heran. Aber als Alternative für Momente, in denen man ohne Alkohol bleiben will oder muss, sind diese beiden Weine durchaus eine echte Option.

Die Degustationsnotizen:

„Nougthy“, Thomson & Scott, Chardonnay sparkling, alcohol free
Mittleres Gelb mit leichten Rotreflexen; in der Nase fruchtig, u.a. weisser Pfirsich, und leicht grüne Töne; im Mund schlank aber ausgewogen, erfreulich trocken wirkend (2,9 g Restzucker), spürbare Säure, wenig und schnell zusammenfallende Perlage. Im Abgang Anflug von Hefetönen und ein Touch essigsaure Tonerde. Den fehlenden Alkohol merkt man ein wenig am schlanken Körper, so richtig aber erst im sehr kurzen Abgang.

Noughty, Thomson & Scott, Sparkling rosé, alcohol free
Mitteleres Lachsrot; Duft nach Himbeeren und Anflug von essigsaurer Tonerde sowie reifen, weissen Trauben; schlanker Körper, trotz dezent spürbarer Süsse (5,9 g) durchaus noch recht trocken wirkend, schöne Säure, mehr Kohlensäure als der Chardonnay, dadurch spürbare, etwas grobe Perlage, mittlerer, fruchtbetonter Abgang.

Auf eine Benotung verzichte ich, die beiden Alkoholfreien liegen irgendwie ausser Konkurrenz. Ein „gut“ würde ich ihnen in ihrer Kategorie aber durchaus attestieren.

Und was jetzt auch noch dazu gehört: Die Rücketikette der Weine überquillt fast vor lauter Labels: Organic, Vegan, Halal und Certified B-Corporation.

Bezugsquelle und weitere Informationen:
https://ve-refinery.ch/de


Wie wird alkoholfreier Wein überhaupt hergestellt?

Im Detail kenne ich die Produktionsart dieser beiden Schaumweine zwar nicht, aber generell die besten Resulate für alkoholfreie Weine werden mit dem Vakuumverfahren erzielt (daneben gibt es noch die qualitativ weniger empfohlenen Verfahren der Umkehrosmose und der „Dünnschichtverdampfung“). Dabei wird zuerst ganz „normaler“ Wein produziert. Da Alkohol unter Vakuum schon bei ca. 27 Grad verdampft, kann er mit diesem Verfahren relativ schonend und langsam entfernt werden. Erfunden wurde das Verfahren schon im vorletzten Jahrhundert im Rheingau, aber so richtig in Schwung kommt das Geschäft erst jetzt. Ein so entalkoholisierter Wein ist allerdings – wie beim Bier – auch nie ganz alkoholfrei. Der Restalkohol muss gesetzlich aber unter 0,5 % liegen.
Und noch ein Wort zum alkoholfreien Schaumwein: Dieser kann logischerweise keine zweite Gärung durchlaufen, da ja sonst wieder Alkohol zugefügt würde. Die Kohlensäure wird deshalb nach der Entalkoholisierung wie bei einem Mineralwasser beigefügt.


Interessennachweis:
Von beiden Weinen wurde mir je eine Probeflasche von Victoria Banaszac, ve-refinery.ch, gratis und unverbindlich zugestellt.

Beobachten, nachdenken, lernen! Brocard in Chablis – still und (bio)dynamisch an die Spitze!

Jean-Marc Brocard und Julien Brocard – zwei Domainen aus Chablis mit der gleichen Philosophie und der gleichen Adresse. Vater und Sohn haben es gemeinsam geschafft, an die qualitative Spitze von Chablis zu gelangen. Leider sind sie hierzulande noch viel zu wenig bekannt!

Chablis, dieses in Sachen Weinqualität und Landschaft wunderbare Gebiet im Norden des Burgund bei Auxerre bringt Chardonnay-Weine hervor, die einzigartig sind. Frisch, fruchtbetont, elegant und, wenn gelungen, dicht und ausdrucksvoll. Für mich persönlich „Chardonnay at its best“!

Grand Cru-Lage „Le Clos“ in Chablis: Herrliche Weine, schöne Weinlandschaft.

Die grossen Produzentennamen sind längst bekannt und manchmal auch fast nicht mehr erhältlich bzw. bezahlbar, und selbst Weine von noch etwas weniger bekannten Gütern werden rar (Link zu einem solchen Beitrag in meinem Blog über die Domaine Droin am Schluss des Artikels).

Manchmal entdeckt man bemerkenswerte Weingüter dank Tipps anderer Winzer oder Weinfreunde. Im Fall von Brocard war es ganz einfach Zufall. Weil ich eben bei Droin abgewiesen worden war, nahm ich den „Guide Hachette“ (ich glaube es war die Ausgabe 2013) zur Hand und wählte auf gut Glück ein anderes Gut aus, welches damals mit positiv gewerteten Weinen auffiel und gleich auch noch strategisch ideal auf dem Heimweg lag: Jean-Marc Brocard in Préhy, auf einer Anhöhe südlich von Chablis.

Der Besuch entpuppte sich als Glücksfall! Die Weine begeisterten mich durchwegs, vom einfachen Chablis bis zu den Grands Crus. Und von wegen „einfachem Chablis“, der „Vieilles Vignes“ 2012 war der beste Gemeindewein der Appellation, den ich je im Glas hatte. Leider kaufte ich nur 6 Flaschen, und leider war ich seither auch nie mehr im Gebiet und habe die Entwicklung auch sonst nicht sehr intensiv verfolgt.

Nun bin ich ebenso durch Zufall in einer Weinhandlung auf Weine eines Julien Brocard gestossen. Eine kurze Recherche zeigte, dass es sich dabei um die Linie des Sohnes von Jean Marc Brocard handelt, und dass dieser Julien schon länger auch im elterlichen Betrieb das Sagen hat.

Die Entwicklung der Domaine ist bemerkenswert. Der Ingenieur Jean-Marc Brocard heiratete in eine Weinbaufamilie ein und pflanzte 1973 (dem Geburtsjahr des Sohnes Julien) zudem die ersten Reben in Préhy, wo bald darauf der Weinkeller enstand. Schon 1997 wurde eine erste Parzelle auf bio-dynamischen Weinbau umgestellt, es wurden auch ökologische Nischen geschaffen und Bäume gepflanzt Dabei handelte es sich um die Chablis-Lage „La Boissonneuse“, aus der jetzt einer der Weine aus der Linie „Julien Brocard“ stammt. Wer heute diesen Wein erwirbt, kauft sozusagen ein Vierteljahrhundert Erfahrung in biodynamischem Landbau mit. Bio und Biodynamie sind ja gerade in nördlichen Lagen aufgrund des Klimas nicht einfach umzusetzen. Jean Marc Brocard sagt denn auch in einem Interview, dass beobachten, still nachdenken (wörtlich übersetzt „die Klappe halten“) und lernen die Zutaten zu einer erfolgreichen Entwicklung sind. (Link zum Interview siehe unten).

Nach und nach wurden weitere Flächen umgestellt, und heute sind 60 Hektar biologisch und 40 Hektar bio-dynamisch zertifiziert. Knapp die Hälfte der biodynamischen Weine kommt heute mit dem Label von Julien Brocard auf den Markt.

Ich habe die Möglichkeit genutzt, einen jungen Wein von Julien Brocard und einen etwas gereiften von Jean Marc Brocard nebeneinander zu probieren:

Julien Brocard, 1er Cru Montée de Tonnerre, 2020
Helles Gelb mit leichten Grünreflexen; Duft nach weissen Johannisbeeren, Zitrus und dezent nach Holz; auffallend frisch wirkend, sehr dicht mit guter Säure, elegant, langer Abgang. Schöner, sehr typischer Chablis der noch reifen muss. 17,5 Punkte
.

Jean Marc Brocard, Grand Cru Le Clos 2011
Mittleres Gelb; Duft nach Limetten, Mirabellen, Papaya und etwas Vanille; jugendlich und enorm frisch im Mund, dichte Struktur und eine gewisse „Saftigkeit“, fruchtbetont, rund, mittlerer Abgang. Toller Wein!
17,5 Punkte.
PS: In einem jugendlicherem Stadium hatte dieser Wein auch Anflüge Caramel, die eher störten. Das ist mit der Reife völlig verschwunden!

Bedauernswert ist für uns Weinfreunde nur, dass der Preis des Premier Crus heute schon deutlich über jenem liegt, den ich damals für den Grand Cru bezahlt habe. (Auch der erwähnt „Vieilles Vignes“ ist teurer geworden, wenn er noch so gut ist wie damals, ist es aber immer noch ein „Schnäppchen“).

Links zur Domaine (zu den Domainen):

Vigneron à Chablis, vente vin de Chablis AOC | Domaine Jean-Marc Brocard
Les 7 Lieux – Julien Brocard

Bezugsquellen (u.a.)

CH:
Suchresultate – Baur au Lac Vins
Jean-Marc Brocard – Wein kaufen – de.millesima.ch

D:
Jean-Marc Brocard Chablis 2020 kaufen| Preis und Bewertungen bei Drinks&Co (drinksco.de)
Chablis Sainte Claire von Jean-Marc Brocard online kaufen. | Feinkost Käfer Online (feinkost-kaefer.de)

Und hier die im Text erwähnten Links:
Weine von der „bösen Frau“ – eindrückliche Chablis! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
L’interview « Prenez-en de la graine ! » de Jean-Marc, vigneron en partenariat avec Les Grappes – La Fourche


Intertessennachweis:
Die beiden Weine wurden käuflich erworben, der Le Clos auf dem Gut selbst, der Montée de Tonnerre bei Baur au Lac, Regensdorf. Der Beitrag entstand ohne Wissen des/der Produzenten.