Schnell: Wo liegt der höchste Rebberg Europas? Nein, auch wenn es aus Schweizer Sicht schön wäre, eben nicht im Wallis. Da wachsen die Reben auf stolzen 1’150 m, doch in Sizilien, an den Hängen des Ätna, wird diese Höhe noch getoppt, zum Beispiel von alten Grenache-Reben, die auf 1’200 m gedeihen. Und der Wein daraus ist vorzüglich und einzigartig!
Genau genommen halten aber auch diese Reben nicht den Europarekord. In den spanischen Pyrenäen und im Südtirol soll es Reben geben, die auf über 1’300 m gedeihen. Aber eigentlich geht es ja nicht um Rekorde, sondern um Qualität. Und die ist beim heute beschriebenen Wein vom Ätna aussergewöhnlich.
Hong Kong – Los Angeles – Randazzo am Ätna
Sehr speziell ist auch die Geschichte, die hinter diesem Wein steckt. Zwar ist ein grosser Teil der Reben schon jahrzehntealt – 60-100 Jahre. Grenache (bzw. Cannonau) ist am Ätna ohnehin keine seltene Sorte. Aber so richtig spannend wird es ab dem Jahr 2015, als Stef Yim das Gut mit den verstreuten Rebparzellen übernahm. Stef ist Amerikaner mit einer japanischen Mutter und wuchs in Hong Kong auf. In Kalifornien startete er seine Berufskarriere als Sommelier, bevor er eine Pause brauchte und nach Europa zog. Er arbeitete u.a. in Südfrankreich. Die Weine vom Ätna und generell aus vulkanischem Boden hatten ihn aber schon länger in vielen Degustationen begeistert, und so verliebte er sich auch in die Gegend und die vinologischen Möglichkeiten und blieb quasi am Ätna hängen. Er arbeitet biologisch und die Weine werden auf den Wildhefen vergoren und möglichst zurückhaltend geschwefelt.
Der Ätna aus der Perspektive der Weinberge. Tanz mit dem Feuer? (Bild ab Homepage von Sciara)
Bei Sciara werden die meisten Weine nach der Höhenlage bezeichnet, in der sie wachsen. So gibt es einen „760“ (Jahrgang 2020: sehr feine helle Frucht, feine Tannine und toller Säure, sehr elegant, 16,5 Punkte) und einen „980“ (Jahr 2020: dunklere Beeren, würzig, viel Tannin und sehr druckvoll mit viel Eleganz, 17 Punkte). Die beiden Weine werden grossmehrheitlich bzw. ganz aus der Sorte Nerello Mascalese hergestellt und bestechen durch eine eigenständige und sehr elegante Art. Zusätzlich produziert das Gut auch einen Wein aus wurzelechten Reben sowie einen Weisswein.
Tages- und Nachtunterschied: 35 Grad!
Der speziellste Wein (wobei ich die beiden letzten nicht probiert habe) ist aber der „1200 metri“. Das ist aufgrund der Aromen unverkennbar Grenache – aber im Mund würde man niemals auf diese Sorte tippen. Er wirkt wie ein „cool climate-Wein“ und überzeugt durch eine umwerfende Fruchtigkeit und Frische. Cool climate ist freilich hier nicht richtig. Zwar wird es auf dieser Höhe kühl bzw. im Winter kalt – aber in Sizilien wird es eben auch heiss. Es gibt zuweilen Tage in der Vegetation, in denen das Thermometer um 35 Grad schwankt!
1200 metri, 2020, IGT Etna Rosso, Sciara, 100 % Grenache spagnolo (Cannonau) (kein DOC-Wein, da diese nur bis in eine Höhe von 800 m gilt) Mittleres Rot; dezent würzig (u.a. Lorbeer und Wacholder), helle und dunkle Frucht, etwas Rhabarber; im Mund ganz anders, als man einen Grenache erwarten würde: eher schlank und sehr elegant, enorm fruchtbetont, extreme Frische, prägnante, aber gut eingebundene Säure, recht viel Tannin. Völlig untypischer, „cooler“, aber interessanter Grenache. Speziell, aber grossartig. 17,5 Punkte.
PS. Für alle mitlesenden Schweizer Weinhändlerinnen und Weinhändler: Sciara hat noch keine Vertretung. Das wäre doch eine Chance auf eine echte Rarität (vom „1200“ gibt es z.B. nur rund 1000 Flaschen)
Und noch ein PS für alle: Man kann auf dem Gut auch übernachten.
Interessennachweis: Der Wein wurde auf Einladung von Vinum im Rahmen von „Vini d’Italia von Gambero Rosso“ in Zürich zuerst an der Masterclass-Degustation und danach nochmals am Degustationstisch des Gutes in der „Walk around“-Degustation verkostet.
Die Tenuta Luce delle vite in Montalcino produziert hervorragende, aber auch teure Weine wie den Luce oder den Luce Brunello. Indessen bietet das der Familie Frescobaldi gehörende Gut auch eine Klasse tiefer mit dem „Lucente“ einen tollen Wert – so richtig, um in diesen kalten Tagen den warmen Süden Einzug halten zu lassen.
Frecobaldi – zusammen mit Antinori ist das der ganz grosse Familienname im Weinbereich Italiens. Das Familienunternehmen hat eine schon fast unwirklich lange Geschichte, denn die ersten dokumentarisch gesicherten Hinweise auf Weinbau datieren von 1308. Reich wurden die Frescobaldis allerdings ursprünglich mit Finanzgeschäften und dem Textilhandel.
Weine für Katharina von Medici und für Michelangelo
Die Frescobaldis, bzw. korrekt de‘ Frescobaldis, belieferten in der Folge den fanzösischen (unter Katharina von Medici) und den englischen Königshof mit Weinen und unterhielten Geschäftsbeziehungen mit den Fugger’s aus Augsburg. Sogar Michelangelo soll mit den Frescobaldis Kunstwerke gegen Wein getauscht haben (Quelle: Wikipedia).
Die Familie behauptet sich nun aber seit Jahrhunderten im Weinbau, und zwar auf enorm hohem Qualitäts- und auch Innovationsniveau. Schon im vorletzten Jahrhundert wurden beispielsweise in Pomino (etwa 40 Km östlich von Florenz in einem Seitental des Arno) auch Chardonnay- und Pinot blanc-Pflanzen angebaut. Es verwundert deshalb nicht und hat eben schon eine lange Tradition, wenn heute der „Benefizio Riserva“ mit Reben aus dem Jahr 1973 einen Massstab für Chardonnay-Weine aus Italien darstellt. Im gleichen Gebiet des Chianti-Rufina werden auf dem Castello di Nipozzano seit über 150 Jahren auch Cabernet Sauvignon und Petit Verdot angepflanzt. Daraus entsteht seit 1983 mit dem Mormoreto ein hervorragender Wein, der als eine Art „Super-Toscan“ auf eine längere Geschichte zurückblicken kann als die meisten anderen. Dass dem Mormoreto seit einigen Jahren auch etwas Sangiovese beigemischt wird, unterstreicht nur, dass die Frescobaldis nicht einfach nur Neuerungen suchten, sondern auch den traditionellen Sorten treu geblieben sind.
Tradition erhält man am besten mit Innovation – das gilt auch beim Wein
Von wegen Sangiovese: Das traditonelle Gegenstück zum Mormoreto ist der Montesodi vom Castello di Nipozzano, ein grandioser Sangiovese. Und der klassische Castello di Nipozzano ist für mich, vor allem auch im Preis-/Leistungsvergleich, einer der am meisten verkannten Chiantis – vielleicht deshalb und zu Unrecht, weil er ein Chianti Rufina und nicht Classico ist.
Sangiovese – das steht auch für Montalcino, selbst wenn die Traube bzw. der meistens eingesetzte Klon hier Brunello heisst. Und auch hier stellt die Familie Frescobaldi auf der Tenuta CastelGiocondo, etwas westlich des Städtchens gelegen, einen grossartigen Brunello di Montalcino her. Dieser Wein war übrigens der erste Brunello, den ich in meinem Leben probieren konnte, und die Erinnerung an dieses Erlebnis ist heute noch sehr lebendig.
Blick über Montalcino in die südtoskanische Landschaft. Die Tenuta Luce delle vite befindet sich einige Kilometer westlich von hier.
Luce und Lucente – und die Geburtshilfe von Robert Mondavi
Der heute vorgestellte Wein stammt auch aus dieser Gegend, ist aber kein Brunello und enthält nebst Sangiovese auch Merlot. Anfangs der 1990er Jahre wurde die Tenuta Luce als joint venture der Familien Frescobaldi und Mondavi gegründet – aber 2005 von Lamberto Frescobaldi ganz übernommen. Das Weingut befindet sich in der Nähe von CastelGiocondo und besitzt auch einen Teil Land in den Gemarkungen von Montalcino (und deshalb gibt es nebst dem „Luce“ auch einen „Luce Brunello“). Der „Luce“ ist der erste Wein, der in Montalcino aus einer Assemblage von Sangiovese und Merlot hergestellt wurde. Er ist grossartig (auch wenn einzelne Kritiker das früher zuweilen anders sahen), hat aber auch seinen (dreistelligen) Preis.
Der „Lucente“ ist so etwas wie sein kleiner Bruder und wird in beachtlicher Menge hergestellt (6-stellige Flaschenzahl). Ihn als Zweitwein abzutun, würde ihm aber nicht gerecht. Der Lucente ist ein wirklich toller Wein, der nicht nur, aber gerade in dunklen und kalten Winterzeiten mit seiner eleganten und gleichzeitig kraftvollen Fülle so richtig Licht ins Dunkel bringt. Und mit rund 30 Franken ist er auch noch bezahlbar.
Von wegen Licht: damit sind wir bei der Etikette. Als dem Zeitgeist entspechend kann man diese ja nicht gerade bezeichnen. Das ist auch nicht verwunderlich, wurde doch das Symbol der Sonne ähnlich gestaltet, wie jenes, das sich am Hochaltar der Kirche Santo Spirito in Florenz befindet – einer Kirche übrigens, die einst auf einem Landbesitz der Familie Frescobaldi erreichtet wurde. So steht die Etikette also auch als Symbol für das – bei aller Innovationskraft – weiterhin bestehende Traditionsverständnis der Frescobaldis. Und wer weiss, vielleicht schlägt das Pendel zurück und eines Tages entspricht sogar die Etikette wieder dem Zeitgeist. Der Wein tut es jedenfalls schon heute.
Lucente 2020, Tenuta Luce delle vite, Toskana IGT Dunkles, dichtes Purpur; feiner Duft nach Dörrpflaumen, Cassis, Brombeeren, Bergheu, leichter Vanille-Touch; im Mund sehr dicht und mundfüllend, rund und ausgewogen, viel feines Tannin, schön angepasste Säure und tolle Frische; ein Powerwein, der aber auch eine sehr sanfte, elegante Seite hat. Alles andere aus „nur“ ein Zweitwein. 17 Punkte.
Interessennachweis: Der Lucente 2020 wurde mir von der Tenuta Luce delle vite zu Degustationszwecken frei von jeder Verpflichtung gratis zur Verfügung gestellt.
Petite Arvine aus dem Tessin? Wo sich die Sorte doch standhaft weigert, ausserhalb des Wallis und des Aostatals gut zu gedeihen – was selbst der grosse Angelo Gaja erfahren musste. Nun, der Wein, den ich heute vorstelle, stammt auch aus dem Wallis, wurde aber im Tessin vinifiziert. Und er ist sehr gut, wie fast alle erhältlichen Weine aus dieser Sorte!
Das Angebot in einem Laden in Ascona, welcher aussschliesslich regionale Produkte vertreibt (siehe ganz unten), war zu verlockend, um genauer hinzusehen: Eine Petite Arvine eines Tessiner Produzenten! Und dann war der Wein auch noch ausgesprochen gut!
Kein Olivenöl, sondern gelb funkelnder Wein von grosser Klasse.
Erst die Recherche hat dann gezeigt, dass die Trauben nicht im Tessin, sondern im Wallis gewachsen sind. Sie wurden im Herkunftskanton der Petite Arvine selektioniert und über den Simplon nach Ascona gebracht, wo sie in den Kellern der Chiodi SA in Ascona vinifiziert wurden. Es handelt sich aber nicht nur um ein alpenübergreifendes Weinabenteuer, sondern auch um ein Gemeinschaftsprojekt von Andrea Arnaboldi und Davide Ghidossi (Gault&Millau-Rooky des Jahres 2020). Arnaboldi steht für die Familiengeschichte der Kellerei Chiodi, welche allerdings durch den Verkauf der Mehrheit der Aktien an die Cantina Ghidossi, mit der schon länger eine Parnterschaft bestand, vor ein paar Jahren ein teilweises Ende fand. Augenscheinlich harmonieren aber Arnaboldi und Ghidossi hervorragend, denn der gemeinsame Wein ist äusserst gelungen. Der Prima goccia zeigt auch, dass die Petite Arvine durchaus einem Holzeinsatz nicht abgeneigt ist, der Wein wurde sowohl im Holz vergoren als auch ausgebaut, zeigt aber trotzdem eine tolle Frucht und eine schöne Ausgewogenheit!
Prima Goccia, Indicazione Geografica Tipica Svizzera IGT 2021 Mittleres Goldgelb; Duft nach Aprikosen und Mirabellen, auch florale Töne, etwas Honig; im Mund knackige, aber schöne Säure, sehr dichter Körper, fruchtbetont mit spürbarer, aber gut eingebundener Holznote, minimer, schöner Bittertouch, etwas feines Tannin. Dichter und sehr frisch wirkender, anspruchsvoller Wein. Aufgrund des Holzeinsatzes etwas atypisch, aber sehr gelungen. 16,5 – 17 Punkte.
Nachfolgend nun noch etwas mehr zur Petite Arvine – im Wallis (Der Text basiert teilweise auf einer französischen Fassung von „Swiss Wine Valais“)
Die Petite Arvine ist für den Walliser Weinbau ein absoluter Glücksfall. Während die als traditionell angesehenen Weine wie der Fendant oder der Dole aufgrund früherer Versäumnisse – zu Unrecht – immer noch mit einem Imageproblem kämpfen, werden Weine aus der Petite Arvine – zu Recht – als hochklassig wahrgenommen. Auch wenn die produzierte Menge relativ klein ist, wird die Petite Arvine somit zu einer eigentlichen Botschafterin für das Wallis.
Eine Sorte für jeden Weinstil
Meistens wird die Petite Arvine zwar trocken ausgebaut. Sie kann aber auch sehr gut mit einer feinherben Restsüsse versehen werden, und sie bringt auch hervorragende Süssweine hervor. Nur wenige, ausnahmslos grosse Rebsorten sind auch so vielfältig, etwa der Riesling oder die Chenin blanc. Allein das ist schon ein Zeichen für die Qualität der Petite Arvine.
Trocken und klassisch: Gehaltvoll, frisch und fruchtig
Die Mehrheit der Weine wird trocken ausgebaut. Typisch sind dann Düfte von Zitrusfrüchten und Glyzinien, manchmal auch dezente Anflüge von exotischen Früchten. Im Mund ist ein guter trockener Petite Arvine fast immer mineralisch-frisch, körperbetont dicht, elegant, mit einem langen, «feurigen», oft leicht «salzigen» Abgang.
Kulinarisch ist ein trockener Petite Arvine extrem breit einsetzbar: Der Alpenwein versteht sich sehr gut mit Meeresfischen und -früchten, aber auch zu Spargel und zu weissem Fleisch passt er sehr gut. Eigentlich kann man kulinarisch mit einem Petite Arvine fast nichts falsch machen.
Die feinherbe Art: süffig und rund
Ein Petite Arvine, der mit etwas Restsüsse ausgebaut wird, kann – stilistisch – ohne Weiteres mit einem feinherben Riesling verglichen werden. Häufig kombiniert sich in diesen Weinen – nebst schon beim trockenen Pendant vorhandenen Düften und Aromen – an Rhabarber erinnernde Säure mit leicht «konfitüriger» Süsse. Einen besseren Begleiter zu einem Curry oder anderen asiatischen Gerichten kann man sich kaum vorstellen. Aber auch zu crèmigen Gerichten (z.B. Huhn an Rahmsauce) passt das wunderbar.
«Flétri» – Süsswein der Extraklasse
Als absolute Rarität gibt es auch einen Süsswein aus der Petite Arvine. «Flétri» heisst im Wallis das Zauberwort (auch für andere Traubensorten). Dabei werden die Trauben am Stock lange hängengelassen und dabei eingetrocknet – wie Rosinen. Solche Weine entwickeln exotische Aromen, etwa von Ananas, Mango und Passionsfrucht. Die nicht vergorene Süsse wird immer getragen von einer erfrischenden Säure.
Grandiose Reblandschaft im Wallis, wo sich die Petite Arvine wohl fühlt – Symbolbild, hier bei Chamoson.
Eine Rarität – und trotzdem bezahlbar
Die mit Petite Arvine bepflanzte Rebfläche hat in den letzten Jahren stetig etwas zugenommen, gesamthaft sind im Wallis aber immer noch «nur» rund 170 Hektar bepflanzt. Diese Fläche entspricht umgerechnet 23 Fussballfeldern (oder einer Fläche von rund 1,7 x 1,0 Km – man würde die Fläche, wäre sie zusammenhängend, also locker in weniger als einer Stunde zu Fuss umrunden).
So einfach wie bei einem Fussballfeld ist es aber freilich nicht: Praktisch alle Lagen befinden sich in teils schwindelerregenden Steillagen. Obwohl sie rar ist und die Pflege viel Aufwand bringt, sind die Weine zwar nicht billig, aber noch bezahlbar – angesichts der Qualität im internationalen Vergleich eigentich sogar günstig.
Eine nahbare Diva, die bloss weiss, was sie braucht
Auf jedem Fussballplatz fühlt sich die Petite Arvine aber nicht zuhause. Sie will eine gewisse Menge an Wasser, sonst neigt sie zu übertriebener Bitterkeit, und überdüngte Parzellen verabscheut sie, dann bringt sie nichtssagenden Wein. Die Lage muss zudem relativ windgeschützt sein (was im Wallis aufgrund der inneralpinen Winde nicht ganz einfach ist), sonst wird sie anfällig. Und zu allem ist sie spätreifend, was aber in Zeiten der Klimaerwärmung eher einen zusätzlichen Vorteil darstellt. Alle Winzer, welche die Bedürfnisse der Petite Arvine berücksichtigen und ihr das richtige Umfeld bieten, werden indessen mit wundervollem Traubenmaterial beschenkt.
Eine waschechte Walliserin trotz bei Angelo Gaja
So ganz sicher ist das mit der Ur-Walliserin zwar nicht, denn die Petite Arvine gilt auch im Zeitalter der DNA-Analysen als Waisenkind. Beide Eltern sind unbekannt. Urkundlich erwiesen ist hingegen, dass sie seit dem Jahr 1602 im Wallis heimisch ist. Und nach mehr als 400 Jahren darf man ja sicher von einer waschechten Einheimischen reden! Sie wurde übrigens früher nur Arvine genannt, der Zusatz «Petite» wird erst seit etwa 100 Jahren verwendet, um sie von der Grosse Arvine zu unterscheiden. Lustigerweise ist die «Grosse» in Tat und Wahrheit aber die Kleine, denn mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Petite Arvine ihre Grossmutter. Da aber bei Traubensorten «klein» eigentlich immer besser als «gross» ist, spielt die Grosse Arvine heute kaum mehr eine Rolle. Man könnte – und darf auch – wieder auf Arvine zurückwechseln.
Die Petite Arvine kann übrigens auch eine ziemlich trotzige Walliserin sein. Zwar wird sie inzwischen in der Schweiz auch in anderen Kantonen auf kleinen Flächen angebaut und auch im benachbarten Aostatal gedeiht sie gut. Aber weiter weg von Zuhause scheint sie an Heimweh zu leiden. Selbst der grosse Angelo Gaja, der von der Petite Arvine so begeistert war, dass er sie im Piemont pflanzte, musste wieder aufgeben, da sie sich trotzig gegen die Verpflanzung zur Wehr setzte. Die Petite Arvine ist halt so etwas wie eine Königin: Die Traubenkönigin des Wallis und damit der Alpen! Aber einen Versuch im Tessin wäre sie sicher wert!
Ohne Zweifel ein Wein der Zukunft
400 Jahre alt und kein bisschen müde! Im Gegenteil, der Petite Arvine gehört zu Zukunft! Es ist ohne Übertreibung eine der qualitativ grossartigen Rebsorten der Welt. Und à propos Welt: Noch hat diese die Petite Arvine nicht so richtig entdeckt. Aber die Schweizer Alpenkönigin hat alle Anlagen zu einer internationalen Karriere als Schweizer Weinbotschafterin. Nobel, edel, divenhaft. Aber zum Trinken so richtig zugänglich und unvergleichlich gut!
Interessennachweis: Der beschriebene Wein wurde im Handel gekauft – bei „Genuinity Prodotti del Ticino“, Via Buonamano 2, Ascona – ein tolles Geschäft mit einheimischen Produkten – wenn sie nicht gerade ursprünglich aus dem Wallis stammen 🙂
Blaufränkisch ist schon seit längerer Zeit eine meiner Lieblingssorten. Und wenn ein Wein so gelungen ist wie der Ungerberg 2015 von Pittnauer, dann ist Blaufränkisch einfach umwerfend gut!
„Dieser Wein hat mir nur schon beim Schnuppern ein Lächeln ins Gesicht gezaubert“, das waren die Worte eines Weinfreundes, der zu einer spannenden Blinddegustation geladen hatte – noch bevor bekannt war, um welchen Wein es sich handelt. Das Degustationsformat war ungewöhnlich, aber extrem spannend, da die Weine bunt gemischt nach Herkunft, Sorte und Jahrgang gereicht wurden. Ich wusste nicht, was mich erwartet, aber eine solche wirkliche Blinddegustation ist fordernd und macht, auch wenn ich durchaus Erfolge beim Zuordnen hatte, auch etwas demütig in Bezug auf das eigene Weinwissen ….
Trotz teils auch deutlich teurerer „Konkurrenz“ stach ein Wein aus allen hervor, eben der Ungerberg 2015 des Weingutes Pittnauer aus Gols. Der Wein befindet sich in der ersten Trinkreife und wirkt einfach berührend – eben, zaubert ein Lächeln ins Gesicht!
Bio-dynamisch – und „weniger ist mehr“ im Keller
Gerhard und Brigitte Pittnauer – Mitglieder bei Pannobile – bewirtschaften ihr rund 18 Hektar grosses Gut seit rund 15 Jahren nach bio-dynamischen Grundsätzen und halten sich im Keller so weit wie möglich mit Eingriffen zurück. Der Ungerberg, bekannterweise eine Top-Lage (auch wenn der Ausdruck „Berg“ masslos übertrieben ist), bringt auf perfekte Art Finesse, Druck und Tiefe gleichzeitig – und das bei einem vorbildlich tiefen Alkoholgehalt von nur 12,5 % vol.!
Die Etiketten des Gutes sind künstlerisch gestaltet; den Text zum Ungerberg konnte ich zwar teils entziffern, aber die Bedeutung ist wohl Geheimnis des Künstlers.
Blaufränkisch, Ried Ungerberg, Pittnauer, 2015 Mittleres, schon leicht gereiftes Rubin; sehr feine, vielschichtige, füllige Nase mit roter Frucht, „süssliche“ Anflüge und auch florale Noten; im Mund zuerst sehr feingliedrig und elegant wirkend, dann aber auch mit viel Druck, tolles Tannin, gute Säure, „saftig“, sehr langer Abgang. Toller, berührender Wein. 18 Punkte. Ich durfte den Rest der Flasche nach Hause nehmen und konnte ihn am Abend zufällig zu einem Schmorbraten geniessen – der Wein wirkte zum Essen noch grossartiger und hielt auch der konzentrierten Sauce problemlos Stand. Ich wäre geneigt gewesen, noch einen halben Punkt in der Bewertung nachzubessern ….
Die Mannschaft Marokkos bringt die Fussballwelt gerade zum Staunen. Ein Syrah aus Marokko brachte mich während des Fussballspiels auch dazu. Selbst, wenn er eher an Radfahren erinnert!
Seit einigen Monaten stand im Keller eine Flasche Syrah aus Marokko, die ich gekauft hatte, um wieder einmal einen „exotischen“ Wein zu probieren. Das gestrige Menu mit einem Lammfilet passte dann sehr gut dazu, aber noch mehr natürlich das anstehende Fussballspiel an der WM.
Fast 100-jähriges Weingut
Ouled Thaleb ist das älteste noch existierende Weingut Marokkos, das 1923 gegründet wurde und 1927 die erste Ernte einfuhr. Es befindet sich in Ben Silmane, nordöstlich von Casablanca und etwa 40 Kilometer vom Atlantik entfernt auf rund 500 m.ü.M. Der Betrieb wurde während der Kolonialzeit nicht etwa von Fanzosen, sondern von einer belgischen Firma gegründet. Heute gehörte es der Gruppe Thalvin-Ebertec bzw. der Diana-Holding, welche u.a. in der Speiseöl- und Fischindustrie und eben auch im Weinbau tätig ist und unter anderem 7 verschiedene Weingüter in Marokko besitzt.
Ouled Thaleb ist ein vergleichsweise riesiges Gut, rund 800 Hektar stehen heute unter Reben. Es ist damit der zweitgrösste Betrieb in Marokko. Man wundert sich überhaupt über die Ausmasse – das grösste Gut umfasst 2’500 Hektar – und das in einem muslimischen Land.
Hermitage lässt grüssen – und die Radfahrer auch
Dass der Wein auf der Etikette des Syrah ein Tandem zeigt und auch so heisst, kommt nicht von ungefähr. Tandem entstand aus der Begegnung zwischen Jacques Poulain, einem Oenologen aus Bordeaux, der das Gut seit 1997 führt, und Alain Graillot , einem Winzer aus Crozes Hermitage. Dieser hatte sein Gut seinen Söhnen überlassen, um sich als beratender Oenologe zu betätigen. So verwundert es nicht, dass der Syrah aus Marokko durchaus an Weine von der Rhone erinnert. Gemäss Etikette lernten sich die beiden übrigens auf einer Radtour kennen; der Name des Weines spielt also darauf an.
Trau keinen Angaben im Netz
Alle diese Aussagen basieren allein auf Online-Recherchen, und da kam dann doch auch einiges an Unklarheit zusammen. Trauen Sie also den Angaben nicht zu sehr. Denn was da alles zu lesen ist, ist an Differenz fast nicht zu überbieten. Gesichert ist, wie auch auf der Etikette vermerkt, dass Alain Graillot an diesem Wein beteiligt ist. Dann aber beginnt es schon – gemäss Etikette begegnete er radfahrenderweise dem Besitzer von Thalvin bzw. Ouled Thaleb. Das Ganze gehört aber offensichtlich zur Diana-Holding, wie aus deren Homepage zu ersehen ist. Weiter geht es damit, dass die Angaben von internationalen Weinhändlern über die Grösse der Domaine von 200 bis 800 Hektar variieren. Und auch die Bewirtschaftung wird unterschiedlich beschrieben, bei den einen handelt es sich um einen Biobetrieb, bei anderen wird „konventionell“ gearbeitet (die Wahrheit dürfte sein, dass der Betrieb sich in Umstellung befindet). Und die Böden von Ouled Thaleb werden einerseits als „wie im Médoc“ beschrieben, andererseits „wie in Crozes Hermitage“. Und einige sehen das Gut quasi direkt am Meer, andere im hohen Altlas – hier liegt die Realität etwa in der Mitte.
Egal – den Wein kann man sehr geniessen
Sicherheit könnte da wohl nur eine Recherche vor Ort geben, aber eine solche Reise steht gerade nicht an. Aber egal, die Qualität des Weines ist jedenfalls sehr gut, es ist erstaunlich, wie auf diesem Breitengrad ein so frischer und eleganter Syrah gedeihen kann.
Ich hätte ja auch noch ein paar Flaschen portugisischen Weins im Keller gehabt, aber dieser Syrah aus Marokko traf genau das Momentum – wie die Fussballer des Landes. Er verteidigte sich auch sehr erfolgreich gegen gebratenen Knoblauch und Rosmarin und verdient sich damit die Qualifikation für einen Blogbeitrag absolut.
Es gibt sicher noch bessere Mannschaften (sorry, Weine) auf dieser Welt, aber für den Moment macht der Tandem einfach total Spass.
Degustationsnotiz Domaine Ouled Thaleb, Syrah „Tandem“ 2019 Mittleres Purpur; Duft nach Brombeeren, Pflaumen und getrockneten Zwetschgen, weissem Pfeffer und Thymian; im Mund erstaunlich frisch, mit knackiger, gut eingebundener Säure, viel feines Tannin, „saftig“ und fruchtig, eher auf der eleganten Seite, mittlerer Abgang. Richtig schöner Wein, der tatsächlich als Crozes Hermitage durchginge. Jetzt toll zu trinken, dürfte aber auch noch ein paar Jahre reifen können. 16,5 Punkte.
Bezugsquelle CH, allerdings mit Nachfolgejahrgang (in D habe ich leider keinen Anbieter gefunden):
Chenin blanc ist eine jener weissen Sorten, die leider viel zu wenig Beachtung erhalten. Dabei ergibt diese Rebe auf sehr hohem Niveau einfach alles: Vom Schaumwein bis zum Süsswein, und dazwischen tolle trockene wie auch feinherbe Weine. Hier zwei besonders gelungene Chenin blanc aus Frankreich und Südafrika.
Hand auf’s Herz: Wie oft im Jahr trinken Sie einen Chenin blanc? Selten bis nie? Sorry, aber Sie verpassen grossartigen Genuss! Für mich persönlich gehört sie zu den allerbesten Weissweinsorten und ich vergleiche sie gerne mit dem Riesling, der auch ein Alleskönner auf höchsten Niveau ist. Selbst geschmacklich gibt es gewisse Parallelen. Vielleicht bringt der Riesling etwas elegantere Weine hervor, während die Chenin blanc in der Regel voluminöser und kräftiger daherkommt. Eine Verwandtschaft zwischen den Sorten besteht nach heutigem Wissen nicht – belassen wir es also bei einer von mir frei erfundenen „Seelenverwandtschaft“.
Der erste Nachweis der Sorte stammt aus dem 9. Jahrhundert im Anjou – also an der mittleren Loire, wo die Sorte heute noch die wichtigste Stellung einnimmt (Quelle: Pierre Galet, Cépages et Vignobles de France). Das grösste Anbaugebiet befindet sich allerdings in Südafrika, wo mit rund 17’000 Hektar mehr als die Hälfte der weltweiten Anbaufläche gepflegt wird. Frankreich folgt mit rund 9’500 Hektar.
Eine Art Vermächtnis der grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaive
Ich habe kürzlich einen besonders gelungenen Wein aus Südafrika im Glas gehabt, was mich spontan daran erinnerte, dass noch eine Flasche von der Loire im Keller steht, die ich schon lange probieren wollte – ein Clau de nell, dem heute 12 Hektar grossen Loire-Weingut der leider verstorbenen grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaife. Sie kaufte das rund 25 Km westlich von Saumur gelegene Anwesen im Jahr 2008 zusammen mit ihrem Ehemann Christian Jacques, der das Gut heute noch führt, und rettete es damit vor dem Bankrott. Wie im Burgund wird auch hier nach den Prinzipien der Biodynamie gearbeitet. Anne-Claude Leflaive war es auch, welche den Anbau der Chenin blanc auf dem Gut wünschte. 2015 konnte der erste Jahrgang geerntet werden. Damit war es der im gleichen Jahr verstorbenen „Grande Dame“ leider nicht mehr vergönnt, ihren eigenen Chenin blanc zu verkosten.
Zwei nicht gleichnamige Brüder mit grossem Sozialengagement
Der südafrikanische Wein, der mich begeisterte, stammt vom Weingut Stellenrust, das im Vergleich mit Clau de nell riesengross ist: 250 Hektar stehen hier unter Reben. Das südlich von Stellenbosch gelegene Gut befindet sich in Familienbesitz und wird auch durch die Besitzer Tertius Boshoff und Kobie van der Westhuizen geführt. Die Reben für den degustierten Wein sind 55 Jahre alt. Stellenrust, das gesamthaft 400 Hektar gross ist, machte auch durch soziales Engegement auf sich aufmerksam: Man beteiligte 55 Arbeiterfamilien als Mehrheitsaktionäre an 100 Hektar Farmland, die sie als eigene Parzelle bewirtschaften, ernten und ausbauen dürfen. So initialisierte man eines der besten und erfolgreichsten „black empowerment projects“ auf dem ganzen Kontinent (Quelle: eggerssohn.com)
Degustationsnotizen:
Stellenrust 55 Barrel Fermented Chenin blanc, 2019 Eher helles Gelb, „süssliche“ Frucht nach Papaya und Quitte, etwas rauchig; im Mund rund und sehr dicht, tolle, gut eingebundene Säure, welche ein schönes Wechselspiel mit einer leichten Restsüsse (4,1 g) eingeht, langer Abgang. Sehr schöner, etwas opulenter, aber trotzdem frischer Wein. 17,5 Punkte.
Clau de nell, Chenin blanc, 2020 Mittleres Gelb, fruchtig (Wassermelone) und würzig (reife Koriandersamen), frisches Gras, wirkt etwas „wild“; enorme mineralische Frische im Mund, schöne Säure, dezente Frucht“süsse“, schöne Struktur, leichter, aber nicht störender Medizinalton im langen Abgang (verschwand nach einem Tag in der Flasche). Frischebetonter, etwas wilder und doch eleganter Wein, der noch sehr viel Reserven hat. 17,5 Punkte.
Fazit: Da standen zwei Chenin blanc nebeneinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten, die aber beide grossartig sind. Einerseits der schöne und gehaltvolle Schmeichler aus Südafrika, der wohl allen gefällt. Andererseits der biodynamische Loire-Wein, der durch seine etwas wilde Art manchen nicht auf den ersten Schluck zugänglich sein dürfte, der aber ungemein vielschichtig ist. Er kommt mir vor wie eine Person im perfekten Anzug oder Kostüm, die etwas künstlerisch zerzauste Haare hat. Ich persönlich finde ihn grossartig.
Die beiden Weine zeigen perfekt, wie unterschiedlich Weine aus dieser Sorte gekeltert werden können. Und dabei ist das ja nur ein ganz kleiner Ausschnitt. Wer Chenin blanc auslässt, ist wirklich selber schuld!
Bezugsquellen u.a.: Schweiz: Kapweine und Paul Ullrich für Stellenrust / Gerstl für Clau de nell Deutschland: Eggerssohn und Ludwig von Kapf / Lobenberg und Vinaturel
Interessennachweis: Beide Weine wurden im Weinhandel gekauft.
Nizza. Bei diesem Stichwort muss jemand ein ziemlicher Weinfreak sein, um nicht zuerst an Meer und Sonne zu denken. Dem Weinfreund kann man aber nur den Blick auf das andere Nizza – Nizza Moferrato im Piemont – empfehlen. Hier werden herausragende Weine aus der Barbera erzeugt, einer Rebsorte, der eine grosse Zukunft prognostiziert werden kann. Eine kürzlich durchgeführte Degustation des Weinmagazins Vinum gab einen Einblick in grossartige Weine.
Barbera? Das war in meiner Jugend jener eigentlich ungeniessbare Tropfen, der in Pizzerias als Hauswein angeboten wurde und dem ich heute mit Sicherheit ein Glas Wasser vorziehen würde. Diese „Weine“ haben das Image der Traubensorte Barbera hierzulande ziemlich nachhaltig beschädigt. Es brauchte Leute wie Giacomo Bologna, der an die Sorte glaubte und mit dem Bricco dell’Uccellone auch einen wirklich herausragenden Wein produzierte, der zum Umdenken anregte – 2022 feiert dieser Wein gerade sein 40-Jahr-Jubiläum.
Bilderbuchlandschaft in der DOCG Nizza bei Nizza Monferrato (Bild am Homepage der Associazione)
Nochmals 20 Jahre später gründete eine Reihe von Barbera-Produzenten im Bereich von Nizza Monferrato die „Associazione Produttori del Nizza“ mit dem Ziel, das Anbaugebiet um die Stadt unter den Barbera-Produzenten als besonders herauszustreichen. Tatsächlich kann man angesichts der heutigen qualitativen Dichte von einer Art „Grand Cru“ der Barberas sprechen. Das wird auch belegt durch den Umstand, dass das früher zu Barbera d’Asti gehörende Gebiet im Jahr 2014 den Status einer DOCG erhielt. Nizza DOCG bedeutet, ohne dass es ersichtlich wäre, dass der Wein zu 100 % aus Barbera gekeltert sein muss – dies im Unterschied zu anderen Barbera-Appellationen, wo 10 – 15 % andere Sorten zugelassen sind.
Barbera: Hitzebeständig und säurebetont
Zwar ist die Barbera – deren Heimat übrigens im Monferrato vermutet wird – eine der weltweit am meisten angebauten Sorten, aber eben, ihr Image ist immer noch schlecht, siehe Einleitung. Dabei hat sie nicht nur ein an guten Lagen hervorragendes Qualitätspotential, sondern auch Eigenschaften, die sie wie geschaffen für den Anbau in Zeiten der Klimaerwärmung macht. Freilich schrieb Jancis Robinson schon 1986 in ihrem Buch „Reben – Trauben – Weine“: „… die Barbera über ein hochgezüchtetes Potential besitzt, allerdings nur in Gegenden, die kühler sind als die, wo sie so enthusiastisch gepfegt wird. Nordwestitalien sagt ihr am besten zu“. Mit der enthusiastischen Pflege waren vor allem heisse Gegenden im Süden gemeint.
Umgekehrt schrieb die Autorin schon damals, dass die Barbera als Sorte gilt, die auch in heissen Gegenden zuverlässig Weine mit erfreulich hohem Säuregehalt hervorbringt. Und genau diese Eigenschaft, gepaart mit mässigem Tanningehalt, macht sie heute so spannend. Was will man mehr: Eine Sorte, die bei guter Pflege und guten Böden qualitativ hervorragend ist, gleichzeitig aber auch hitzebeständig, die über eine hohe Säure verfügt, aber auch über Dichte und Struktur, so dass selbst ein guter gemachter Wein mit 14,5 Vol-% Alkohol absolut nicht plump oder alkoholisch wirkt. Da die Winzer gleichzeitig besser gelernt haben, mit heissen Sommern umzugehen – z.B. durch einen Verzicht auf das Auslauben der Traubenzone – kann auch in Hitzejahren die Qualität herausragend ausfallen.
Barolowinzer kaufen sich in Nizza ein
In den 20 Jahren seit der Gründung der Associazione Produttori del Nizza hat sich das Gebiet unglaublich entwickelt. Die Produzenten konnten zeigen, welch Potential die Barbera hier hat, und ein Teil der Weinwelt hat das auch schon gemerkt, was zu einem – aus Produzentensicht – erfreulichen Preisniveau geführt hat. Zumindest der produzierende Teil der Weinwelt wurde auf die Appellation ohnehin aufmerksam, und deshalb kauften auch immer mehr renommierte Güter wie Prunotto (= Antinori) oder Stefano Gagliardo auch Reben in der DOCG Nizza.
Die Karte für eine grosse Zukunft: Das Verständnis für die Terroirs soll zu noch besseren Weinen führen. Und vielleicht zu echten Crus.
Wie die nachfolgenden Degustationsnotizen zeigen, weisen die Weine aus Nizza schon heute eine tolle Qualität auf. Es könnte aber mit den Jahren an der Spitze sogar noch besser werden. Denn die einzelnen Lagen im Gebiet sind noch nicht gut erforscht. Stefano Chiarlo, Präsident der Associazione Produttori del Nizza, sagt denn auch, es sei noch zu früh, Lagen zu klassieren, es fehle an Erfahrung. Klar sei aber, dass es grosse Unterschiede gebe, und dass es wahrscheinlich sei, dass auch im Gebiet Nizza eines Tages „Crus“ entstehen. Ein erster Schritt dazu wurde im kürzlich mit einer Karte über das DOCG-Gebiet gelegt. Fachmann Alessandro Masnaghetti, der bereits Barolo und Barbaresco kartographiert hat, schuf eine Grundlage, die von grossem Wert sein dürfte. Dass es grosse Unterschiede gibt, die sich auch im Wein bemerkbar machen müssen, lässt sich allein aus der Tatsache ableiten, dass es im Gebiet unterschiedliche Böden mit Sand, Lehm und Schiefer gibt – von der Ausrichtung, dem Mikrokilma und der Meereshöhe einmal ganz abgesehen.
Sympathische Protagonisten der Degustation: Stefano Chiarlo, Präsident der Associazione Produttori de Nizza (und Inhaber des Gutes Michele Chiarlo, welches meinen Siegerwein stellte) und Christian Eder, Italien-Redaktor von Vinum.
Vinum lud zusammen mit der Associazione Produttori del Nizza in Zürich zu einer Deugstation mit 12 Weinen ein, davon 5 Riservas. Es war eine tolle Auswahl, verteilt auf die Jahrgänge 2020 – 2014. Vinums Italien-Redaktor Christian Eder führte stilsicher durch den Anlass und Stefano Chiarlo, Präsident der Associazione Produttori del Nizza gab spannende, ergänzende Hinweise aus erster Hand.
Hier meine Notizen:
Nizza DOCG Riserva la Court 2019, Michele Chiarlo Mittleres Rot; feiner Duft nach sowohl hellen als auch dunklen Früchten, schwarze Kirschen und einem ganzen Strauss von Gewürzen; im Mund dicht, aber auch sehr elegant, hohe, aber wunderschöne Säure, für einen Barbera mit viel Tannin versehen, das sehr fein ausfällt. Langer Abgang. Inspirierender, grossartiger Wein. 18 Punkte
Nizza DOCG Riserva 2018, Tenuta Olim Bauda Eher dunkles Rot mit leichten Reifetönen; sehr feine, vielschichtige Nase mit eher hellen Fruchttönen und würzigen Anflügen; im Mund hohe, aber sehr schöne, „saftige“ Säure, dichte Struktur. Im langen Abgang wieder fruchtbetont. Charaktervoller, im Stil „altmodischer“, aber wunderbarer Wein. 17,5 Punkte
Nizza DOCG Riserva Epico 2019, Pico Maccario Mittleres Rot; feiner Duft nach Rosinen, würzig, Holznote; im Mund ebenfalls spürbar neues Holz, daneben sehr fruchtig, tolle, gut eingebundene Säure, feine Tanninstruktur, elegant, langer Abgang. Aufgrund des Einsatzes von neuem Holz etwas untypisch, aber ein sehr schöner, eleganter Wein. 17 Punkte.
Nizza DOCG Riserva Bricco Bonfante 2016, Marco Bonfante Mittleres Rot; verhaltene, aber elegante Nase mit getrockneten, dunklen Früchten und dunklen Kirschen, balsamisch; im Mund erstaunlich fruchtig, dezenter Holztouch, saftige, schöne und straffe Säure, leicht trocknende Tannine, langer Abgang. Fruchtbetoner, schöner, vielleicht etwas gar „geschliffener“ Wein. Ist trotz seines Alters noch absolut frisch und deutet an, wie gut Barbera altern kann. 16,5 Punkte.
Erst beim Aufarbeiten der Notizen wird mir hier bewusst, dass ich vier der fünf Riservas an die Spitze gesetzt habe! Spannend – und offenbar ist da schon was dran an der noch eine Spur höheren Qualität!
Nizza DOCG Tre Secoli 2017, Tre Secoli Mittleres Purpur; vor allem helle Frucht, daneben auch Anflüge von Dürrpflaumen und Gewürz; im Mund tolle Frische, schöne Säure, etwas trocknende Tannine, rund und ausgewogen, mittlerer Abgang. Schöner Wein, der alle Vorurteile gegen Genossenschaften widerlegt. 16,5 Punkte.
Nizza DOCG Viti Vecchie 2019, Gianni Dolgia Mittleres Rot; etwas verhalten mit heller Frucht und roten Kirschen; eleganter, aber auch kraftvoller Wein, prägnante, saftige Säure, spürbares, aber sehr feines Tannin, mittlerer, sehr fruchtiger Abgang. Schöner, eleganter Wein. 16,5 Punkte.
Nizza DOCG RU 2014, Erede di Chiappone Armando Mittleres Rot mit leichten braunen Reifetönen; getrocknete Aprikosen und Pflaumen, dazu auch helle Fruchttöne; im Mund sehr ausgewogen, sehr schön gereift und immer noch frisch, schöne, gut eingebundene Säure, leichter, aber schöner Bittertouch, langer Abgang. Macht jetzt richtig Spass, schöner Wein aus einem nicht ganz einfachen Jahr. Und ein Beweis für das grosse Reifepotential der Nizza-Weine! 16,5 Punkte
Nizza DOCG Riserva Neuvsent Gianola 2015, Cascina Garitina Vorab: Das ist ein etwas polarisierender Wein, dem ich, trotz immer noch sehr guter Note, vielleicht etwas unrecht tue. Der Wein ist mit einem Drehverschluss versehen, und vielleicht hätte er einfach noch viel mehr Luft benötigt. Freilich kann es auch am Ausbau liegen, der Wein ruhte 3 Jahre im Holz. Dunkles Rot, sehr starke reduktive Töne; dunkle, reife und getrocknete Früchte, erinnert ein wenig an einen gelungenen Zinfandel; im Mund gute Säure, fruchtig, aber fast etwas „überreif“, gewinnt aber mit der Zeit sowohl an Aromen als auch an Audruckskraft im Mund, langer Abgang. Spezieller, spannender Wein, der es lohnte, ihn weiter zu verfolgen. 16,5 Punkte.
Weitere degustierte und für gut befundene Weine: Nizza DOCG Favã, 2020 Tenuta Garetto. Etwas rustikaler Wein, der dennoch eine gewisse Eleganz aufweist. 16 Punkte Nizza DOCG Cala delle Mandrie 2018, La Giribaldina. Gut gemacht, getrockente Früchte vorherrschend, trocknende Tannine, mir fehlt ein wenig die Ausdruckskraft, 16 Punkte Nizza DOCG Cremosina 2019, Bersano. Schöner, süffiger Wein, dem etwas die Ecken geschliffen wurden, 15,5 Punkte Nizza DOCG Bric del Marchese 2018, Coppo. Ein wenig in Richtung „Fruchtbombe“ vinifiziert, aber gut gemacht, Geschmacksache. 15,5 Punkte
Mein persönliches Fazit, ganz im Ernst: Die besten Nizza DOCG können, obwohl die Weine eigentlich nicht vergleichbar sind, in Sachen Qualität mit Spitzenweinen aus Barolo und Barbaresco mithalten. Das Rennen um die „besten“ Weine des Piemont ist eröffnet.
Der älteste in der Schweiz angebaute Pinot noir heisst heute Servagnin – und wäre, trotz 600 Jahren Geschichte, beinahe ausgestorben. Zum Glück blieb er uns erhalten. Hier die abenteuerliche Geschichte und ein toller Wein!
Um als unsichere Legende abgetan zu werden, sind die Geschehnisse noch zu jung. Dennoch sind bereits verschiedene, allerdings im Kern ähnliche Varianten im Umlauf. Besonders gut gefällt mir jene von Vinum (9/22) und die geht so: Der Salvagnin (bzw. Servagnin, siehe dazu später) galt im vorigen Jahrhundert als unzeitgemäss und kapriziös, also wurde er nach und nach durch andere Sorten bzw. Klone ersetzt. Als die letzte Rebfläche gerodet wurde, war das dem Baggerfahrer dann doch zu viel des Frevels. Also nahm er ein paar Stöcke nach Hause und pflanzte sie in seinem Garten. Dort überlebten je nach Quelle einer oder einige Stöcke, und aus diesen bzw. diesem gewann 1963 der Winzer Pierre-Alain Tardy die ersten Zweige, um die Sorte wieder neu zu lancieren.
Pinot aus dem Privatgarten
Als gesichert gilt jedenfalls, dass der Gartenbesitzer Werner Kaiser hiess und tatsächlich bei einem Bauunternehmen arbeitete. Da auch die Rodung der letzten Parzelle mit Salvagnin/Servagnin als wissentlicher Akt dargestellt wird, kann als sicher angenommen werden, dass es sich beim Rettungsversuch für die Sorte um eine bewusste Handlung des Werner Kaiser handelte. Er war sich denn später auch sicher, Pierre-Alain Tardy tatsächlich die von ihm gesuchte Sorte zur Verfügung stellen zu können.
Inzwischen bauen wieder 20 Winzer die Sorte auf rund sieben Hektar rund um Morges an, und die Qualitäten des fast ausgestorbenen Salvagnin/Servagnin werden heute wieder hoch geschätzt. Wenn man etwas weiter in der Geschichte zurückblättert, ist das auch gar nicht so verwunderlich:
Pest- oder Wirtschaftsflüchtende?
In die Schweiz gebracht, genauer nach Saint-Prex bei Morges, wurde die Sorte im Jahr 1420 durch Marie de Bourgogne, die Gemahlin eines Herzogs von Sayoyen. Je nach Quelle flüchtete sie vor der Pest – oder aber aus finanziellen Gründen. Jedenfalls wurde sie am Genfersee gut aufgenommen und als Dank für die Gastfreundschaft liess sei einige Setzlinge des Salvagnin aus dem Burgund nach Morges kommen. Salvagnin ist eine alte Bezeichnung für den Pinot noir – und damit gilt als gesichert, dass die Region Morges die erste in der (späteren) Schweiz war, in der Pinot noir angepflanzt wurde.
Die „Côte“ und der Genfersee vom Signal de Bougy aus gesehen. (St. Prex und Morges befinden sich links ausserhalb des Fotos)
Nun gilt es noch die Namensgebung aufzulösen: Die Rebe fand unter dem Namen Salvagnin de Morges oder Salvagnin de Saint-Prex, aber auch als Pinot Salvagnin und als Servagnin Verbreitung – bis zum Niedergang in den vorigen zwei Jahrhunderten. Nach der „Wiedergeburt“, welche gegen Ende des letzten Jahrhunderts speziell durch Raoul Cruchon (Domaine Henri Cruchon, Morges, heute einer der Top-Betriebe der Region) vorangetrieben wurde, konnte er nicht unter dem ursprünglich am meisten verwendeten Namen „Salvagnin“ auf dem Markt gebracht werden. Dieser Name wird nämlich inzwischen als Gattungsbezeichnung für einen in der Regel eher einfachen Wein aus dem Waadtland genutzt, welcher – als Pendant zum Dôle im Wallis – meist aus einer Mischung von Pinot noir und Gamay oder auch nur aus Pinot besteht. Mit etwas Graben im Archiv wurde aber schliesslich auch die frühere Bezeichnung Servagnin gefunden, und so heisst heute eben ein Salvagnin de Morges oder de Saint-Prex neu „Servagnin“.
Kürzlich bin ich im Keller auf eine jener „irgendwann zu Degustieren“-Flaschen gestossen, welche oft eher enttäuschen, hin und wieder aber auch ein echtes Highlight darstellen. Und beim Servagnin von Perey vins war es definitiv „hin und wieder“. Welch wunderschöner Pinot (sorry, Servagnin)!
Perey vignerons-encaveurs, sind eigentlich zwei Güter, die Domaine de la Balle in Vufflens-le-Château, und die Domaine des Abesses in Echandes, die allerdings nur etwa drei Kilometer auseinander domiziliert sind. Zusammen ergeben sich so rund 10,5 Hektar Reben. Der Servagnin wird aus Trauben beider Güter komponiert.
Die Etiketten erscheinen übrigens für alle Servagnin gleich, nur der Zusatz unterhalb gibt den Hinweis auf den jeweiligen Produzenten. Das ist meines Erachtens sehr gutes Marketing – wer sagt denn, Winzer könnten nicht gemeinsam etwas Tolles schaffen!?
Servagnin, Morges Crand Cru, 2019, Perey Relativ dunkles Rot; eher verhaltene, aber sehr vielschichtige Nase mit fruchtigen Noten von Johannis- und Himbeeren, würzige Anflüge, aber auch Noten von Dörrpflaumen. Im Mund ausgesprochen dicht, schöne, feine Tannine, angepasste Säure, „saftig“ und mundfüllend, trotz Kraft auch mit einer gewissen Eleganz, langer Abgang. Würde man blind vielleicht durch seine Fülle nicht gleich als Pinot einschätzen, aber ein sehr schöner, erfreulicher Wein. 16,5 Punkte.
Es gibt auch die Möglichkeit, einen Degustationskarton mit Servagnin’s zu bestellen, allerdings weiss man nicht, welche Güter im Karton vertreten sind. Zum Kennenlernen ist das aber sicher eine sehr gute Möglichkeit:
Interessennachweis: Der Wein wurde im vorigen Jahr durch die Organisation „Vins de Morges“ im Rahmen der Lancierung des Projektes „Winify“ zu Degustationszwecken gratis zur Verfügung gestellt.
Das Projekt „Winify“ liess mich persönlich – auch augrund fehlender Informationen zum Zusammenspiel von Wein und Musik – etwas ratlos. Die Idee an sich finde ich cool, aber ich würde halt schon gerne wissen, weshalb jetzt gerade die ausgewählte Musik zum Wein besonders passen soll bzw., was sich der/die Person gedacht hat, als sie die Playlist zusammenstellte.
Sie können es aber gerne persönlich nachprobieren, hören kann man auch ohne Wein zu bestellen: WINIFY – Vins de Morges
Und übrigens: Im Paket zu Winify enthalten war auch ein Flasche Chasselas von der Domaine des Vaugues (Les Ecoussons 2020) in Chigny. Auch dieser Wein hat mich qualitativ überzeugt. Die Region westlich von Lausanne ist eine Entdeckung wert!
Vorgestern wurde das Weingut „Cave du Rhodan – Mounir Weine“ aus Salgesch zum Schweizer Weingut des Jahres 2022 gekürt. Das ist für Kenner natürlich keine Überraschung und hochverdient. Mir gibt es den perfekten Anlass, über einen schon vor einigen Monaten degustierten (Rhein-)Riesling des Gutes zu berichten, der den Vertretern vom Rhein das (Rhone-)Wasser absolut reichen kann.
Cave du Rhodan ist wohl jenes Weingut, über das ich schon am meisten geschrieben habe (Links siehe am Schluss des Artikels). Im Frühjahr konnte ich einen Riesling des Gutes probieren, dessen Qualität mich begeisterte. Die Degustationsnotizen liegen seither herum, ich habe sie bisher noch nicht gepostet, weil ich ja nicht immer „nur“ über die gleichen Produzenten schreiben will.
Dass das Weingut von Sandra und Olivier Mounir nun aber am Grand Prix des Vins Suisse, einem von Vinum und Vinea gemeinsam durchgeführten hochkarätigen Wettbewerb, zum „Weingut des Jahres 2022“ erkoren wurde, gibt sicher den perfekten Anlass, über den Riesling zu berichten, Denn die Qualität hat es in sich.
Riesling von der Rhone? Aber klar!
Riesling gehört an den Rhein und seine Nebenflüsse! Allenfalls noch an die Donau in Oesterreich. Aber an die Rhone? So abwegig ist das aber gar nicht, denn im Wallis gedeiht, klug angesetzt, bearbeitet und vinifiziert, ja fast das ganze Konzert der bekannten Rebsorten. Und das Gut Desfayes-Crettenand hat schon vor über drei Jahrzehnten gezeigt, dass man im Wallis sehr wohl honorigen Riesling produzieren kann.
Symbolbild: Walliser Weinlandschaft zwischen Salgesch und Sierre. Aufgenommen übrigens an der Rue de la Petite Arvine, unweit der Gemeindegrenze!
Die Reben für den Riesling „Diversitas“ wurden erst 2015 gepfanzt und werden biologisch bewirtschaftet. Ausgebaut wird der Wein je zu einem Drittel im Holzfass, in der Amphore und im Stahltank. Ich habe für die Degustation bewusst einen deutschen Rielsing des gleichen Jahrgangs aus dem Keller geholt. Die Wahl fiel auf den „Tonschiefer“ 2019 von Dönhoff. Dieser ist zwar nicht die alleroberste Klasse dieses Spitzenweingutes, aber ist immer ausgesprochen gelungen und stellte schon mal eine richtige Hürde dar.
Rhone vs. Nahe: 1 : 1(oder 35 : 34,5)
Das Resultat dieses Vergleichs: Der Diversitas von der Rhone obsiegt klar! Natürlich hinken solche Vergleiche immer ein wenig, voeliegend um so mehr, als die Stilistik doch ziemlich verschieden ausfällt. Trotzden: Der Tonschiefer ist ein wunderschöner Wein, aber der Diversitas ist dichter und vielschichtiger.
Entsprechend wurde die Latte danach deutlich höher gelegt. Als Vergleich diente nun ein Grosses Gewächs aus dem Jahr 2018 (also ein Jahr gereifter als der Diversitas), der Goldloch von Diel. Wie schon bei Dönhoff bekam es die Cave du Rhodan also wieder mit einem der ganz grossen Namen zu tun.
Nun, in diesem Vergleich behielt Deutschland ganz knapp die Oberhand. Allerdings braucht sich der Diversitas selbst hier nicht zu verstecken, letzlich waren es Nuancen, welche in meiner Wertung den Ausschlag für Diel gaben. Auch in diesem Vergleich bringt der Diversitas mehr Dichte und Konzentration mit, aber das Grosse Gewächs von Diel war eine Spur finessreicher, komplexer, eleganter und wohl halt auch „Riesling-typischer“. Der Goldloch 2018 ist ein absolut grossartiges Gewächs (96 Punkte James Suckling), und wenn da ein – noch dazu günstigerer – Wein aus dem Wallis praktisch mithält, dann gibt es nur eines: Chapeau, Sandra und Olivier Mounir. Und herzliche Gratulation zu diesem Riesling und natürlich zum Schweizer Weingut des Jahres!
Die Degustationsnotizen:
Riesling Diversitas 2019, Caves du Rhodan Helles Gelb, dezente, aber sehr vielschichtige Nase, Stachelbeere, neckische Anfüge von Ananas und Lychee, auch etwas grüne Noten, etwas Muskat; im Mund mit aussergewöhnlicher Frische, mineralisch, sehr dicht gewobener Körper, „saftg“, schön angepasste Söure, ganz leicht spürbares Holz, das aber sehr gut eingebunden ist, den relativ hohen Alkoholgehalt (13,5 %) spürt man überhaupt nicht. Langer Abgang. Eigenständiger aber nicht untypischer Riesling, toll gemacht! 17,5 Punkte.
Tonschiefer 2019, Dönhoff Helles Gelb; gradlinie Nase, zuerst mit etwas Petrol, mit etwas Luft dann weisse Johannisbeeren, Stachelbeeren und Fliederduft; im Mund recht dicht mit enormer Fruchtigkeit und einem Touch von Fruchtsüsse, prägnante, aber schöne Säure. Mittlerer Abgang. Schöner, erfreulicher Wein. 16,5 Punkte.
Dorsheim Goldloch 2018, GG, Schlossgut Diel Mittleres Gelb mit grünen Reflexen; feine Nase mit Stachelbeere, Aprikose und weissem Pfirsich, würzige Noten; im Mund mieralisch, dicht, finessereich und fruchtig, mundfüllend aber trotzdem nicht langweilig „rund“ wirkend, langer Abgang. Grossartiger Wein, 18 Punkte.
Interessennachweis: Der Diversitas der Cave du Rhodan wurde mir als Dankesgeste nach meinem Artikel über den Pinot noir zusammen mit einer Flasche jenes Weines ohne jede Verpflichtung zugestellt. Die beiden deutschen Rieslinge wurden im Handel gekauft.
Auch in einem eigentlich kleinräumigen, übersichtlichen Gebiet wie der Bündner Herrschaft kann man noch Unbekanntes entdecken. Und der Newcomer Fadri Itin etabliert sich qualitativ gleich in der Spitze.
Wunderbarer Wein aus herrlicher Gegend, die Bündner Herrschaft zwischen Maienfeld und Fläsch.(Symbolbild ohne direkten Bezug zum Winzer)
Wenn man Neues entdecken will, hält man sich am besten an Freunde und Bekannte in der entsprechenden Gegend. Oder an Sommeliers und Restaurantinhaber. Oder an Weinfreaks, die schon alles wissen. Und in der neuen Zeit genügt es manchmal auch, sich auf die Algorithmen der Social Media zu verlassen. Kürzlich erschien auf Instagram ein Beitrag eines Fadri Itin, der Wein präsentierte. Nach etwas Recherche bestellte ich je eine Flasche Chardonnay und Pinot noir – und war rundum begeistert. So macht Neues entdecken total Spass!
Fadri Itin an der Arbeit (Bild mit freundlicher Genehmigung ab seiner Homepage)
Aber der Reihe nach: Man sagt, dass hinter jeder Leistung eines erfolgreichen Mannes eine starke Frau steht. In Fadri’s Fall sind es eigentlich gleich zwei. Denn Winzer werden, das wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen – wie auch, wenn man in Trin bei Flims aufwächst, wo es Weiden und Steine, aber keine Reben gibt. Seine Mutter fand aber während der Berufswahl, «schnuppere doch mal bei einem Winzer». Obwohl seine erste Schnupperlehre – im Kanton Zürich! – ihn nicht begeisterte, folgten zwei weitere bei Hanspeter Lampert und Andrea Davaz, und danach war seine Berufswahl klar. Seine Lehre absolvierte er dann auch in diesen beiden Betrieben, womit eine qualitativ sehr gute Grundlage gelegt wurde. Allerdings hatte er da bereits Auslanderfahrung, er verbrachte vor der Lehre einige Zeit in Neuseeland und konnte da bei einem «kleinen» Betrieb mit 10 Hektar Reben mithelfen und erste Erfahrungen sammeln. Nach dieser Stage war für ihn erst recht klar, dass er den richtigen Beruf lernen würde.
Heute arbeitet Fadri Itin auf Schloss Salenegg in Maienfeld, gemäss Organigramm auf der Homepage als Winzer, gemäss Fadri aber auch als Helfer im Keller. Schloss Salenegg ist eine Referenz in der Herrschaft. Das Gut produzierte schon vor Jahrzehnten hervorragende Weine, welche sich vom damaligen schmalbrüstigen Einheitsbrei der Gegend wohltuend abhoben. Meiner Meinung nach hat das Gut dann aber einige Jahre ein wenig den Anschluss verpasst, plötzlich spielten Donatsch, Gantenbein, Studach und Co, die erste und bessere Geige. Inzwischen hat Schloss Salenegg aber nachgezogen und gehört wieder zu den qualitativ wichtigsten Adressen in der Herrschaft. Hier arbeiten zu können, ist also durchaus schon ein Privileg. (Und die Weine des Gutes probieren zu können übrigens auch!).
Schloss Salenegg in Maienfeld – das Wirkungsfeld von Fadri Itin. Die Weine des Gutes sind hervorragend und mehr als eine (Wieder-)Entdeckung wert.
Mit der Besitzerin von Schloss Salenegg, Helene von Gugelberg, kommt nun die zweite wichtige Frau ins Spiel. Fadri ist augenscheinlich voller Kraft und ehrgeizig, weshalb er auch seinen eigenen Wein herstellen wollte. Auf seine Bitte, etwas von den von ihm gepflegten Trauben von Schloss Salenegg kaufen zu dürfen, reagierte Helene von Gugelberg positiv. Und damit Fadri seine Barriques nicht in einer Garage aufstellen muss, darf er auch gleich noch den Keller des Weinschlosses mitbenutzen.
Der Jahrgang 2020 war sein Erstling, inzwischen gärt aber bereits der 2022-er. Auch wenn er auf Salenegg vinifizieren darf – seinen Wein macht er allein und so, wie er es gut findet. Wenn es um die Weine von Salenegg geht, ist der Kellermeister und Betriebsleiter Silas Hörler sein Chef, der befiehlt und entscheidet, bei seinen eigenen lässt er sich aber nicht dreinreden. Immerhin, fachlicher Austausch unter den beiden findet trotzdem statt, so holte Fadri sich u.a. bei Silas Rat als es darum ging, die besten Barriques anzuschaffen.
So gut, wie Fadris Weine gelungen sind, ist nicht auszuschliessen, dass sie in einer Blinddegustation einmal gar besser abschneiden könnten als jene von Schloss Salenegg. Auf die Frage, wie dann wohl der Kellermeister des Schlosses reagieren würde, sagt Fadri: «Ich weiss es natürlich nicht, aber ich denke er würde sagen, gut gemacht!» Die menschliche Chemie scheint auf Salenegg zu stimmen.
Allerdings dürften die Gelegenheiten zu Blinddegustationen ohnehin begrenzt sein. Fadri Itin ist sich bewusst, dass er nicht ständig bei Frau von Gugelberg stehen und um noch mehr Menge bitten kann. Und anderweitig Trauben oder gar Rebland in der Herrschaft zu erhalten, ist sehr schwierig. So ist Fadris Ziel, jedes Jahr je drei Barriques Chardonnay und Pinot noir herstellen zu können, was rund 900 Flaschen pro Sorte ergibt.
Die Weine des Fadri Itin werden also in einer Gegend der raren Weine wohl immer eine Super-Rarität bleiben. Trotzdem muss man als Neuling den Wein ja auch zuerst einmal verkaufen können. Zwar fragte er anfangs in einem ihm bekannten Restaurant erfolgreich nach, ob seine Weine ins Sortiment aufgenommen würden. Dann aber ging alles fast wie von selbst, und inzwischen verfügt Fadri von den aktuellen Jahrgängen (2020 bzw. 2021) nur noch über je rund 100 Flaschen. Wer also noch probieren will, muss sich beeilen!
Cool gemacht: Profil und Fingerabdruck kombiniert.
Fadri verfügt auch über eine professionell gestaltete, wenn auch informationsmässig noch etwas karge Homepage mit Webshop. Überhaupt ist der Auftritt sehr professionell und selbstbewusst. Die Etiketten zeigen sein Konterfei – in der Form eines Fingerabdruckes gestaltet-, als wollte er sagen: «Da bin ich, dafür signiere ich». Auch wenn das sehr selbstbewusst daher kommt, überheblich wirkt Fadri im Gespräch überhaupt nicht, eher bescheiden und geerdet.
Aber es war ihm wichtig, das Produkt und das Marketing hochwertig auszugestalten: «Wenn ich schon so etwas mache, dann richtig, und ich will mich auch optisch freuen können, wenn eine meiner Flaschen auf dem Tisch steht.“
Die Flasche überzeugt aber nicht nur optisch, sondern und vor allem auch durch ihren Inhalt. Es sind beides grossartige Weine, die auch einen eigenständigen Stil aufweisen und sich meiner Wahrnehmung nach eher an Burgund als an anderen Herrschäftlern orientieren.
Auf jeden Fall war da ein junger Mann am Werk, der augenscheinlich über enorm viel Feingefühl und Können in der Weinbereitung verfügt. Diese Raritäten muss man einfach weiterverfolgen!
Degustationsnotizen:
Polischet, Chardonnay Maienfeld, 2021
Helles Gelb ; in der Nase vielschichtig fruchtbetont (u.a. Aprikose, Lychee), auch würzige Anflüge, «mineralisch», spürbares neues Holz; im Mund tolle Frische, schöne Säure, eher filigran aber mit spürbarem Fruchtextrakt im Abgang, feine Tanninspuren spürbar, das Holz ist im Mund sehr gut eingebunden; langer Abgang. Rundum gelungener, toller Wein. (Wenn man, allerdings auf extrem hohem Niveau, etwas kritisieren wollte, dann vielleicht die ausgeprägte Frucht»süsse», die in einem sonst sehr «nördlichen Chardonnay» etwas an einen südlichen erinnert). 17-17,5 Punkte.
Sgraflin, Pinot noir Maienfeld, 2020
Mittleres, glänzendes Rot ; sowohl helle als auch dunkle Beerenaromen, etwas Gewürznelken; im Mund dicht und rund, viel Tannin, das aber sehr gut eingebunden ist, mittlere, harmonische Säure, ganz leichter, sehr schöner Bittertouch, fruchtbetont, burgundisches «Feuer» im sehr langen Abgang. Ein Wurf von einem Pinot, erinnert mich an einen Volnay, wobei es durchaus ein 1er-Cru sein könnte! 18 Punkte.
«Sgraflin» und «Politschet», Mauerläufer und Zaunkönig in romanisch, Fadris Muttersprache. Die Weinnamen stellen eine Hommage an seinen Arbeitsweg in der Lehrzeit dar, auf dem ihn das Vogelgezwischter jeweils begleitete.
Interessennachweis: Die beiden Weine wurden vom Autor zu normalen Konditionen gekauft und degustiert/genossen. Das Gespräch mit Fadri Itin fand erst anschliessend statt.