Lacrima di Morro d’Alba. Würzig-fruchtige Unikate abseits des Mainstreams!

Mainstream – also Cabernet, Merlot und Chardonnay aus irgendwo – war gestern! Gefragt sind authentische, einzigartige Weine, die es nicht an jeder Ecke zu kaufen gibt und welche die Geschichte eines Fleckens Erde zu erzählen haben. So wie der Lacrima di Morro d’Alba, der in den Marken, unweit der Hafenstadt Ancona wächst.

lacrima ansicht morro 2
Blick über einen Teil des Weinbaugebietes auf Morro d’Alba.

Lacrima? Alba? Nein, die Rede ist weder von Kampanien (Lacrimea Christi) noch vom Piemont. Morro d’Alba ist eine kleine Gemeinde in den Marken, wenige Kilometer von der umtriebigen Hafenstadt Ancona entfernt  – mit freiem Blick aufs Mittelmeer. Hier gedeiht auf nur rund 400 Hektar Fläche die Traubensorte Lacrima – was den Lacrima di Morro d’Alba (oder Lacrima di Morro) ergibt.

Wenn Ihnen das jetzt gerade nichts sagt, dann bin ich beruhigt. Ich kannte den Wein nämlich bis vor einem Jahr auch nicht. Im Juni 2019 – das war damals, als man noch unbeschwert reisen konnte – haben wir unbekannte Gebiete der Emilia-Romagna und der Marken bereist. Noch in der Emilia empfahl uns ein Hotelier auf meine Bitte, mir einen unbekannten Wein aus der Gegend zu servieren, eine Flasche von der er behauptete, das hätte ich sicher noch nie getrunken. Er sollte recht behalten, und ich machte die erste schöne Bekanntschaft mit der Lacrima di Morro d’Alba. (Zum Hotel siehe ganz am Schluss).

lacrima4
Reben, Oliven, Korn: Wunderschöne Landschaft bei Morro d’Alba

Zwei Tage, und zwei Flaschen Lacrima di Morro d’Alba später besuchten wir dann das Herkunftsgebiet dieses Weines. Morro d’Alba ist ein für italienische Verhältnisse kleines, typisches Städtchen, schön auf einer kleinen Anhöhe gelegten und von sanften, reben- oliven- und kornbewachsenen Hügelzügen umgeben – mit herrlichem Blick auf die azurblaue Adria.

lacrima mit mittelmeer
Sanfte Hügel, markante Kirche von Morro d’Alba in der Bildmitte – und freier Blick aufs Mittelmeer!

Seit 1985 geniesst Lacrima di Morro d’Alba den DOC-Status, wobei dem Vernehmen nach damals nicht nur die Qualität zu diesem Status beigetragen haben soll, sondern auch die Absicht, diese Rebsorte vor dem Aussterben zu bewahren. Heute werden in der DOC rund 400 Hektar angepflanzt, was etwa 85 % der welt- oder besser italienweiten Anbaufläche entspricht.

Die Herkunft der Traube scheint noch weit gehend unerforscht, immerhin wird eine Verwandtschaft mit der Aleatico-Traube (vermutlich eine Mutation des Gelben Muskatellers) angenommen, aus der hauptsächlich Passito-Weine hergestellt werden, und die dafür auf Elba sogar eine DOCG besitzt. Diese These würde gut dazu passen, dass auch aus der Lacrima in Morro d’Alba Passito’s hergestellt werden, und auch die würzig-florale Art der Lacrima würde passen. Zum Namen gibt es zwei Theorien: Die eine nimmt die tränenartige Form der Trauben als Basis, die andere die Tatsache, dass die Traube in vollreifem Zustand gerne aufplatzt und „tränt“.

Wie schmeckt denn ein Lacrima? Würzig-floral ist das Schlüsselwort. Fast alle Lacrima sind in der Nase auffällig intensiv, ein ganzer Gewürzschwall kombiniert mit einem Früchtekorb kommt einem entgegen. Diese Eigenschaft wirkt aber in keinem der degustierten Weine aufgesetzt, sondern immer harmonisch und trotz Intensität nicht übertrieben. Im Mund sind die Weine eher leicht, in der Art durchaus vergleichbar mit einem Beaujolais, aber für die südliche Herkunft erstaunlich frisch. Ein Lacrima ist deshalb auch kulinarisch breit einsetzbar, vom kräftigen Fisch bis hin zu hellerem Fleisch oder einfach zu Gemüse, und selbst zu exotischen Speisen würden viele passen.

Es sind zwar keine grossen Weine, aber es sind Gewächse mit Charakter und mit einer spannenden Eigenständigkeit, die ich einem banalen Wein aus einer der eingangs erwähnten Weltsorten jederzeit vorziehe. Eine Entdeckung waren und sind die Lacrima di Morro d’Alba auf jeden Fall wert!

Degustationsnotizen (und ausnahmsweise auch Punkte, es geht ja um einen Vergleich):

lacrima flasschne-2
Die Flaschen in der Reihenfolge meiner Wertungen (von rechts nach links)

Orgioli, Lacrima superiore 2016, Marotti Campi, Morro d’Alba
Intensives, dichtes Rubin; dunkle Kirschen, Brombeeren, Gewürznelken, kleiner Anflug von altem Holz; im Mund sehr rund und ausgewogen, Säure, Tannine und Alkohol in gutem Gleichgewicht, im erstaunlich langen Abgang leicht „trocknende“ Tannine. Schöner, fruchtiger Wein, der aber auch ersstaunlich viel Tiefgang hat. 17 Punkte.

Paucca, Lacrima superiore, 2017, F.lli Badiali, Morro d’Alba
Mittleres bis dunkles Rubin; fruchtig (Himbeeren, Brombeeren), würzig, Noten von Tabak und Garrique; frische Säure, hoher, aber gut eingebundener Alkoholgehalt, leicht trocknende Tannine, druckvoll und erstaunlich dicht. Süffiger, fruchtiger aber nicht harmloser Wein, der mit etwas weniger Alkohol noch besser gefallen würde. 16,5 Punkte.

Lacrima superiore 2015, Stefano Mancinelli, Morro d’Alba
Mittleres Purpur mit leichten orangen Reflexen; würzig-pfeffrig, Maiglöckchen, Brombeeren, Pflaumen; Im Mund viel Tannin, schöne Struktur mit guter Säure, leichter, für mich schöner Bitterton, erstaunlich langer Abgang. 16,5 Punkte.

Lacrima 2018, F.lli Badiali, Morro d’Alba
Mittleres, glänzendes Rot, Durf nach Pflaumen und Johannisbeeren; sehr harmomische Säure, Tannin und Alkohol gut eingebunden, recht dicht, fruchtbetont. Mach Spass. 16 Punkte.

„Querci Antica“, 2015, Velenosi s.r.l., Ascoli Piceno
Mittleres Purpur; Duft nach frischem Tabak, Trüffel, Gewürznelken, Brombeeren; spürbare Tannine, mittlere Säure, mittlerer Körper, marginal spürbare Süsse im Abgang. Süffiger, sympathischer Wein. 15,5 Punkte.

„Le Cantarelle“, Lacrima 2014, Podere Santa Lucia, Monte San Vito
Dunkles Rot; Rauchton, Weichselkirschen, Brombeeren; knackige Säure, spürbarer Alkohol, schlank. Süffiger, fruchtiger Wein, der aber auch etwas harmlos ist. Wäre vermutlich jünger genussvoller zu geniessen gewesen. 15 Punkte.

Lacrima 2016, Luigi Giusti, Piersio Vanni, Montignano
Mittleres Rot; Himbeeren, Johannisbeeren, Waldpilze; markante, etwas „spitzige“ Säure, wenig Tannin, spürbarer Alkohol, schlank. Fruchtig-harmloser Wein. 15 Punkte.

Lacrima 2017, Stefano Mancinelli, Morro d’Alba
Dunkles Violett-Rot; Fehlton in der Nase (Lack), daneben fruchtig mit Tönen von dunklen Kirschen und Weichselkirschen, Anflug von Lebkuchen; im Mund bestätigt sich der Fehlton, ansonsten fruchtbetont mit schöner Struktur, Säure, Tannin und Alkohol in schönem Gleichgewicht. Schade für den Fehler, wäre sonst bei den Allerbesten. 14 Punkte.

http://www.marotticampi.it/
http://www.comune.morrodalba.an.it/index.php?option=com_contact&view=contact&id=50:az-agricola-fratelli-badiali&catid=32&Itemid=143
http://mancinellivini.it/
https://www.velenosivini.com/querciantica-lacrima-doc-superiore/
http://www.poderesantalucia.com/
https://www.lacrimagiusti.it/scheda.php?idpagina=11

Und falls sich jemand für die genauen DOC-Vorschriften interessiert:
http://www.ismeamercati.it/flex/AppData/Redational/pdf/Lacrima%20di%20Morro%20o%20Lacrima%20di%20Morro%20dAlba.pdf


Das Hotel mit dem guten Weintipp: Auch sonst einen Aufenthalt wert!
Hier ausnahmsweise wieder einmal ein touristischer Tipp: In diesem Hotel empfahl mir der deutsche Hotelier, der den Betrieb schon seit einem Vierteljahrhundert führt und der es geschafft hat, dass auch sehr viele Einheimische sein Restaurant besuchen, den ersten Lacrima. Übrigens jenen, den ich in der Degustation am besten bewertet habe. Das Hotel liegt sehr ruhig in freier Natur in den „Bergen“, rund 45 Fahrminuten ab Rimini. Es ist als Ausgangslage für Wanderungen, Biketouren und Ausflügen nach San Marino, San Leo, Urbania und eben Rimini ideal gelegen. Die Anfahrt ist kurvig, was gerade auch für Motorradfahrer spannend ist. Wenn Sie in der Gegend sind, ein Besuch lohnt sich!
http://www.piandelbosco.com/de/index.html

 

 

Alter Name – neue Dynamik: Ferraton in Tain l’Hermitage.

Ferraton Père et Fils, ein alt eingesessenes Gut in Hermitage, hat sich in den letzten Jahren gewandelt – von gut zu aussergewöhnlich. Syrah und Marsanne zum Wiederentdecken, auch in den kleineren Appellationen! Und alles bio-dynamisch.

Hermitagehügel
Der berühmte Hügel von Hermitage von Tournon aus gesehen (Aufnahme aus 1991)

Ich erinnere mich gut an einen Besuch bei Ferraton Père et Fils in der Altstadt von Tain l’Hermitage im Jahr 1991. Michel Ferraton empfing mich sehr zurückhaltend und taute erst etwas auf, nachdem ich seine Weine positiv kommentiert hatte. Er erzählte mir danach von seiner Frustration über eine in der Woche zuvor erschienene Publikation von Michel Bettane, in der die Weine vor Ferraton geradezu verrissen worden waren. Ich konnte das nicht nachvollziehen, auch wenn Ferratons Weine nicht wirklich Spitze waren, so hatten sie doch Charakter und waren sauber – im Gegensatz zu einigen anderen Weinen aus der nördlichen Rhone zu jener Zeit. Und selbst Parker himself benotete die Cuvée des Miaux der 80er-Jahre regelmässig mit 90 Punkten.

Allerdings war es damals auch nicht ganz so schwierig, beim Hermitage weit vorne im Ranking zu stehen. Chave war outstanding (ich habe allerdings im Parker-Buch „The Wines of the Rhône Valley“ nachgesehen, auch er schaffte in jenen Jahren nur 3 Parker-Punkte mehr), Paul Jaboulet Aîné war gerade daran, mit seiner „La Chapelle“ auf ein ähliches Niveau aufzusteigen und Guigal sowie Delas brachten schöne Hermitage in die Flasche. Aber sonst? Châpoutier, heute absolute Spitze, war qualitativ in einer tiefen Baisse und Sorrel pendelte zwischen genial und schwierig. Und Faurie, Grippat und Fayolle brachten jedenfalls keine besseren Weine hervor als Ferraton.

Genug der Erinnerungen: Bei Ferraton übernahm schon bald Sohn Samuel das Ruder, und heute gehören die Weine zum Allerbesten, was die nördliche Rhone zu bieten hat. Die Entwicklung hängt eng zusammen mit der Metamorphose, welche das Haus Châpoutier erlebt hat. Dort entschied sich der junge Michel Châpoutier voll für Qualität und bio-dynamischen Rebbau und setzte (und setzt) damit Qualitätsmassstäbe. Den Ferratons freundschaftlich verbunden, übernahm er den Betrieb um die Jahrtausendwende (je nach Quelle beteiligte er sich auch „nur“ finanziell), und auch die Reben von Ferraton wurden fortan bio-dynamisch bewirtschaftet. Das Gut blieb aber eigenständig und verstärkte sich in den Folgejahren auch zusätzlich mit hervorragenden Oenologen. Mit grossem Erfolg, das Haus gehört heute zu den angesehensten Betrieben der nördlichen Rhone – und erzielt leider auch entsprechende Preise für die Spitzenweine. Diese liegen in einer Grössenordnung, welche nicht zum Konzept meines Blogs passen und welche ich auch ganz privat nur in wenigen Ausnahmefällen zu bezahlen bereit bin.

Es war deshalb naheliegend, die „kleineren“ Weine des Betriebes zu probieren. Die Chance dazu bot sich, weil Gerstl neu einige Weine von Ferraton im Angebot hat. Also bestellte ich bei passender Gelegenheit je einen Syrah aus Crozes-Hermitage und einen Marsanne aus St. Joseph dazu. Beide Weine überzeugten vollauf:

crozes-hermitageCrozes-Hermitage Les Pichères 2015
Dunkles, sehr dichtes Purpur; Pfeffer, Cassis, Heidelbeeren; satte, leicht trocknende Tannine, prägnante, schön stützende Säure, „feurig“, gesamthaft sehr kraftvoll und doch mit schöner Eleganz und Harmonie, mittlerer Abgang. Toller Syrah, der jetzt schon grosse Freude macht, dem aber ein paar Jahre Langerung noch gut tun.

St. Joseph La Source 2016 (weiss)
Mittleres Strohgelb; Mirabellen, weisse Pflaumen, grüne Töne; sehr dicht im Mund, spürbarer Süsskomplex bei eher tiefer Säure, dafür sehr mineralisch, mundfüllend und rund, sehr langer Abgang. Schöner, sehr typischer Marsanne, der mit einer Nuance mehr Säure noch spannender wäre. (Im Gegensatz zu Gerstl, der ihn als idealen Sommerwein sieht, würde ich ihn an kühlen Herbsttagen hervorholen. Dafür gibt ihm Gerstl auch „nur“ 17,5 Punkte. Ich würde 16,5 Punkte verteilen, was dann relativ gesehen aufgrund der Notenskala von Gerstl aber eigentlich höher liegt – schön, wenn ein Weinhändler nicht übertreibt!).

Rundum: Zwei sehr gelungene, empfehlenswerte Weine aus kleineren Appellationen der nördlichen Rhone, welche noch bezahlbar sind (rund CHF 30.00). Sie machen Lust auf die grossen Weine von Ferraton – wären da nur nicht die Preise um CHF 100.00 (was ja immerhin, verglichen mit einigen anderen, immer noch „günstig“ ist).

Und Michel Bettane? Er scheint Ferraton auch wieder zu mögen. Er gibt, bzw. Bettane + Desseauve geben, dem Pichères 2015 auf den ersten Blick bescheidene 15 Punkte. Das ist aber eine wirklich gute Note; die beiden französischen Weinkritiker haben sich nie der „Punkteinflation“ angeschlossen. Zum Vergleich: Die Domaine de Thalabert 2014, eine Referenz für die Appellation Crozes-Hermitage von Jaboulet Aîné, bekommt 14,5 Punkte – Parker gibt dem gleichen Wein 91!

http://www.ferraton.fr/
https://www.gerstl.ch/de/sortiment/weisswein/frankreich/rhone/rhone-nord/ferraton-pere-fils-la-source-product-15528.html (der Syrah ist nicht mehr im Angebot)
https://www.gute-weine.de/frankreich/rhone/nordrhone/ferraton-pere-et-fils/

https://www.chapoutier.com/fr/


Infos zu den Weinbaugebieten:

Crozes-Hermitage: Diese Appellation liegt am linken Ufer der Rhone und ist das grösste Gebiet der nördlichen Rhone mit rund 1’400 Hektar Reben, wobei mehr als 90 % der Produktion auf Rotwein aus Syrah entfällt. Für Weisswein sind Marsanne und Roussanne zugelassen. Das Zentrum des Gebietes ist eigentlich Tain l’Hermitage, das Anbaugebiet befindet sich nördlich, südlich und östlich des Städtchens. Je teurer und gefragter die Weine vom Hermitagehügel werden, desto mehr verlangert sich das Interesse auf dieses Gebiet, das in den beiden letzten Jahrzehnten auch enorme qualitative Fortschritte gemacht hat.

Hermitage: Direkt überhalb von Tain l’Hermitage liegt der Hermitage-Hügel (siehe Bild), der je nach Lage von Granit, Lehm, Sand oder Sandstein geprägt ist. Auf diese Appellation entfallen nur 136 Hektar Rebfläche, und entsprechend rar sind die Weine. Hermitage gilt in der nördlichen Rhone, etwas konkurrenziert durch die nördlich am anderen Rhoneufer gelegene Appellation Côte Rôtie, als die Paradelage für Weltklasse-Syrah (und ein wenig Weisswein aus den gleichen Sorten wie in Crozes-Hermitage).

Hermitge-chapelle
Blick von ganz oben. Die „Chapelle“ auf dem Hermitagehügel. Unten Tain l’Hermitage und auf der anderen Seite der Rhone Tournon (und ein Teil des Anbaugebietes von St. Joseph).

St. Joseph: Diese Appellation befindet sich auf der rechten Seite der Rhone und erstreckt sich über rund 50 Kilometer Länge – teils direkt gegenüber von Hermitage bzw. Crozes Hermitage. Es sind rund 1’100 Hektar bepflanzt, und die Traubensorten sind die gleichen wie auf der anderen Rhoneseite. Praktisch gleich wie Crozes-Hermitage hat sich auch St. Joseph zu einem ernst zu nehmenden Gebiet entwickelt.

 

Utiel-Requena, Alpujarras – Reisen bildet auch weinmässig

Endlich Ferien! Vorsommer mit Sonne und Wärme in Südostspanien. Und solche Ferien sind immer auch eine Möglichkeit, Weine kennenzulernen, die man sonst nie im Glas gehabt hätte!

Fast wie im Wallis: Reben in den Alpujarras (almeriense) am Südfuss der Sierra Nevada.

Wann immer wir in Ländern mit Weinbau reisen, ist für mich klar, dass ich örtliche Weine probiere. Und fast immer mache ich gute Erfahrungen damit, den Kellner nach einem Tipp zu fragen. Wir waren soeben zwischen Valencia und Almeria unterwegs (und hätten uns, angesichts der unendlichen Plastik-Plantagen mit all dem Abfall am Strassenand im Einzugsgebiet von Almeria fast abgewöhnt, Gemüse zu essen).

Die Frage im Restaurant nach einem empfehlenswerten Wein aus der Region führte immer zu einem tollen Erlebnis – nebenbei zu einem immer sehr anständigen Preis. Nicht einer der empfohlenen Weine enttäuschte, es waren allesamt spannende, (wein-)horizonterweiternde Tipps. So etwa der überaus fruchtige, sehr sortentypische Monastrell „Tarima Hill“ der Bodegas Volver aus dem Hinterland von Alicante – aber eben nicht aus Jumilla oder Yecla, den Monastrell-Hochburgen, sondern aus dem benachbarten Pinoso (mit der DO Alicante).
https://bodegasvolver.com/

Oder der zwar kräftige, aber auch erstaunlich frische Sauvignon blanc der Bodegas Garcia Gil aus dem bereits in Andalusien, und eigentlich in einer Halbwüste, gelegenen Oria im Hinterland von Almeria.
http://www.bodegasgarciagil.es/

Utiel-Requena und Bobal – alles klar?

Eigenständiger Wein, ebensolche Etikette: Bobal der (sozusagen schweizerischen) Bodegas Murviedro aus Requena.

Absolut spannend war auch die (Wieder-)Entdeckung der Rebsorte Bobal. Haben Sie schon einmal von Utiel-Requena gehört? Dieses mit rund 40’000 ha recht grosse Weinbaugebiet liegt im Hinterland von Valencia auf einer Meereshöhe von rund 700 Metern, und ist lagemässig sehr vergleichbar mit den 100 km südlicher, auf gleicher Höhe und gleich weit vom Meer entfernt gelegenen Gebieten von Jumilla und Yecla. Hier aber kommt der Sorte Bobal eine wichtige Rolle zu. Bobal? Nie gehört? Aber fast sicher schon mal getrunken. Diese Rebsorte nimmt in Spanien nämlich die zweitgrösste Anbaufläche aller Sorten ein, wird aber oft nur als Färber- und Verschnittwein eingesetzt. Seit einigen Jahren wird nun auch das Potential der Bobal wieder erkannt, eigenständige Spitzenweine hervorzubringen.

Der empfohlene Bobal „Sercis 2015“ der Bodegas Murviedro erwies sich als so etwas wie eine wunderbare Mischung aus einem Beaujolais (herrliche Frucht) und einem Gigondas (Kraft, Farbe, Tannine, Wucht), dem auch der leise Holztouch sehr gut anstand. Im ersten Moment fast etwas frustrierend war dann freilich die Recherche zu diesem Wein und dieser Bodega: Da ist nichts von Entdeckung oder kleinem Familienbetrieb oder dergleichen; vielmehr gehört die Firma Murviedra zum Schweizer Schenk-Konzern. Dass gross (Schenk ist die grösste Weinfirma der Schweiz) aber durchaus auch gut bedeuten kann, zeigt nicht nur der beschriebene Bobal, sondern wurde in diesem Blog auch schon anhand eines Walliser Weines aufgezeigt:
https://victorswein.blog/2018/08/05/amigne-walliser-raritaet-mit-enormem-potential/
Für mich persönlich sehr speziell war dann auch, dass ich bei der Suche nach Bezugsquellen in der Schweiz nebst anderen auf die Weinhandlung Danieli in Wallisellen stiess: Mit Ottavio Danieli – nebenbei gesagt 1975 Skip des ersten Schweizer Curling-Weltmeisterteams – verbindet mich, in völlig anderem Zusammenhang, eine hochachtungsvolle, freundschaftliche Bekanntschaft. Man verzeihe mir deshalb, dass ich nur diese Quelle angebe:
http://shop.danieliweine.ch/pi/Cepas-Viejas-Bobal.html

„Bergwein“ vom Schönsten

Das eigentliche önologische Highlight dieser Reise waren aber zwei Weine aus dem Alpujarras. Dabei handelt es sich um eine landschaftlich extrem reizvolle Bergregion, die sich auf rund 100 Kilometern südlich der Sierra Nevada entlang erstreckt. Der bekanntere, westlich gelegene Teil, die Alpujarras granadina (von Granada abgeleitet – obwohl sich die Stadt auf der nördlichen Seite der Sierra befindet), liegt direkt unter den höchsten Gipfeln des über 3000 m hohen Gebirgszuges. Nicht weniger reizvoll sind aber auch die östlich und tiefer gelegenen Alpujarras almeriense (genannt nach Almeria), in denen auch in etwas grösserem Stil Wein angebaut wird.

Wunderschöne Berglandschaft in den Alpujarras almeriense. Im Hintergrund die noch leicht schneebedeckten Ausläufer der Sierra Nevada.

Am einen Abend genossen wir den Syrah „Cepa Bosquet“ 2017 der Bodegas y Vinedos Laujar, aus einem Gebiet, dass keine DO besitzt, sondern die Weine „nur“ unter dem Titel „Indication Geografico Protegida“ vermarkten darf. Der Wein stand für 18 Euro auf der Karte eines „Paradores“, wäre aber dank seiner sehr sortentypischen Art, seiner feinen Tannine, seiner Frucht und Eleganz ohne Weiteres als sehr guter St.-Joseph durchgegangen.

Fast noch spannender war am Abend danach ein Weisser der gleichen Bodega, ein Macabeo 2017. Diese Rebsorte spielt in Spanien eine sehr wichtige Rolle und ist im Norden, etwa in der Rioja und Rueda, aber auch im Penedes für die Herstellung von Schaumwein, unter dem Namen Viura die wichtigste weisse Sorte.
Während die Weine des Nordens immer sehr süffig, fruchbetont, aber oft auch etwas „schmalbrüstig“ ausfallen, zeigt dieser Macabeo nebst einer ebenfalls erstaunlichen Frische auch Kräuternoten und eine schöne Dichte – und vor allem eine wunderbar mineralische Note, welche den Macabeo zu einem wirklich aussergewöhnlichen Erlebnis werden liess: kein grosser Wein, aber einer, der das Herz erwärmt!
https://cepabosquet.es/

Klar, ich hätte während einer Ferienwoche in Spanien auch die grossen Weine des Landes trinken können – ein Valbuena etwa stand einmal auf einer Karte eines Restaurantes günstiger, als man ihn in der Schweiz kaufen kann. Aber ich möchte diese wunderbaren Entdeckungen nicht missen – es sind letztlich solche Erlebnisse, die den Weinhorizont wirklich erweitern und die eine Reise enorm bereichern!

Monte Olmi zum Zweiten: ein Gesamtkunstwerk

Mein letzter Artikel beschrieb den Amarone „Capitel Monte Olmi“ 2004 von Tedeschi.
https://victorswein.blog/2019/03/03/tedeschi-monte-olmi-2004-ueberzeugend-gereifter-amarone/

Gleich zwei der drei den Betrieb führenden Geschwister Tedeschi kommentierten darauf per Mail den Beitrag, und Riccardo, verantwortlich für die Weinherstellung schrieb: „es stimmt, Amarone altert farblich nicht so gut, aber in den Aromen sehr wohl“. Und zum beschriebenen Jahrgang: „Das Problem des 2004ers (von mir vor zwei Wochen degustiert) ist, dass er im Mund immer noch jung ist“. Dem kann ich mehr als zustimmen (ich hatte geschrieben, dass der Wein auch in 10 Jahren noch gefallen werde), aber das Wort „Problem“ würde ich nicht verwenden – da ist keines, der Wein ist einfach nur toll und wird es noch lange bleiben!

Riccardo Tedeschi hat mir auch zwei Fotos des Rebberges zugestellt. So kommen Sie hier also in den Genuss des richtigen Monte Olmi – und nicht nur eines Stimmungsbildes aus der Gegend, wie ich es aus eigenem Bestand verwendet hatte.

Ist das Titelfoto nicht einfach fabelhaft? Diese gepflegte Anlage wirkt auf mich wie feine Architektur, wie Kunst – herrliche Kulturlandschaft . Dieses Foto und die Qualität des Weines – ein Gesamtkunstwerk. Das unbeschnittene Foto hier:

Das nachfolgende zweite Bild zeigt den Rebhang von Monte Olmi im Kontext mit der traumhaften Landschaft des Valpolicella. Im letzten Beitrag hatte ich geschrieben, die Gegend sei einen Abstecher wert. Ich korrigiere mich: sie ist eine Reise wert. Und die Weine eine hohe Beachtung!