St. Laurent ist eine eher unbekannte Rebsorte – zu Unrecht, wie eine Blinddegustation zeigte. Die Sorte, deren Herkunft immer noch nicht völlig klar ist, läuft in Österreich zu Hochform auf und verdient viel mehr Beachtung!
Als ich vor ein paar Jahren an einer Degustation einen österreichischen Winzer fragte, wie man denn die Sorte St. Laurent richtig ausspreche, schaute er mich ziemlich verständnislos an und sprach ein sehr deutsches „Sankt Laurent“ aus. Dass ein Schweizer auf die Idee kommen könnte, französisch „sän loron“ zu betonen, ist ja aber nicht ganz abwegig. Dies umso mehr, als der Ursprung der St. Laurent im Elsass liegen könnte (wobei – damals wurde dort deutsch gesprochen).
Erstaunlicherweise ist aber die Abstammung des St. Laurent bisher offenbar nicht zweifelsfrei geklärt. Während die einen ihn zur Pinot-Familie zählen, sehen andere eine eigenständige Sorte. Auf die Abstammung vom Pinot deutet eines der vielen Synonyme hin, welches – französisch! – „Pinot Saint-Laurent“ lautet. Pierre Galet weist dies in seinem Standardwerk von 1990 „Cépages et Vignobles de France“ allerdings als Irrtum zurück. Gemäss einer DNA-Analyse von Ferdinand Regner (Stift Klosterneuburg) soll es sich indessen um einen natürlichen Burgundersämling handeln.
Heimat Elsass – oder etwa doch Österreich?
Ebenso unklar ist, wo die Sorte erstmals auftauchte. Während viele Quellen auf das Elsass hindeuten, von wo sie via Deutschland nach Oesterreich gelangt sein soll (was einigermassen belegt ist), gibt es auch die Theorie, sie stamme aus Niederösterreich und sei von dort ins Elsass und wieder zurück gelangt. Einig sind sich alle von mir recherchierten Quellen immerhin bei der Namensgebung. Die soll sich nämlich auf den Farbumschlag um den 10. August beziehen – dem Gedenktag des heiligen Laurentius.
Hochburg Österreich? Oder Tschechien und Slowakei!
Obwohl der St. Laurent einer der Elternteile des Zweigelt ist, fristete er lange Zeit ein Schattendasein und ist auch heute noch keine wichtige Sorte. Interessanterweise liegen die grössten Anbaugebiete in Tschechien und der Slowakei. Gefühlt wird freilich Österreich als eigentliches „St. Laurent-Land“ wahrgenommen. Hier kommt er in allen Weinbaugebieten vor und bedeckt eine Fläche von etwas über 700 Hektar – davon allein 40 im Stift Klosterneuburg. (Quellen u.a.: Wikipedia, Stift Klosterneuburg, Winzerblog.at, ZeitfürGenuss).
Das Handicap des St. Laurent ist seine Anfälligkeit auf Verrieseln sowie die Schwäche gegenüber Peronospora (falscher Mehltau) und Botrytis. Umgekehrt führt seine relativ dicke Schale dazu, dass die Weine etwas farbintensiver und tanninhaltiger ausfallen als beim Pinot noir.
Blinde Faszination „Ried Frauenfeld“
Ich war kürzlich bei einem Weinfreund zu einer Blinddegustation eingeladen, wobei ich nicht wusste, um welche Weine bzw. Sorten es sich handelt. Ebenfalls war mir nicht bekannt, dass alle Weine biologisch produziert wurden. Ich gebe zu, ich wäre niemals auf St. Laurent gekommen – und auf eine mögliche Pinot-Verwandtschaft auch nicht (wobei der Sieger der Degustation Samtigkeit, Eleganz und gleichzeitig Kraft zeigt, was durchaus an Pinot denken lässt). Ebenfalls wenig liess darauf schliessen, dass es sich in zwei Fällen um den jeweils gleichen Wein aus zwei verschiedenen Jahrgängen handelte; die Jahrgangsunterschiede sind erstaunlich.
Aber alle fünf Weine sind tolle Werte und zeigen, dass es sich lohnt, sich mit dem St. Laurent näher zu befassen. Der 2018er Ried Frauenfeld vom Johannishof Reinisch ist sogar umwerfend gut, in diesen Wein habe ich mich richtig verliebt! Und dabei handelt es sich noch nicht mal um das St. Laurent-Flaggschiff des Betriebes!
Fünf St. Laurent, fünf Bioweine, drei Winzer: sehr überzeugende Argumente für den St. Laurent!
St. Laurent 2018, Ried Frauenfeld, Thermenregion, Johannishof Reinisch Mittleres Rubin; sehr elegante, vielschichtige Nase (überwiegend helle Früchte, dazu etwas Neuholz); im Mund sehr „saftig“, schöne, angepasste Säure, ausgesprochen feine Tannine, tolle Struktur, Holz sehr gut eingebunden, fruchtiger, langer Abgang. Wunderschöner, eleganter Wein – ein Wurf! 18 Punkte.
St. Laurent 2019, Ried Frauenfeld, Thermenregion, Johannishof Reinisch Dunkles Purpur; anfangs etwas reduktiv, angetönte helle Frucht, sehr holzbetont (Neuholz); auch im Mund sehr holzgeprägt aber auch fruchtig, vollgepackt mit viel feinem Tannin, etwas trocknend, eher filigrane Struktur, mittlerer Abgang. 16,5 Punkte. (Nach der Aufdeckung der Weine fragte ich mich angesichts des 2018er’s, ob sich das Holz bis in einem Jahr auch so gut integriert hat? Falls ja, länge meine Note zu tief).
St. Laurent alte Reben 2018, Niederösterreich (Carnuntum), Walter Glatzer Mittleres Rubin; helle und dunkle Beeren, Anflug von Garrique, erinnert fast etwas an einen Grenache; im Mund elegant, spürbare Säure, feine Tannine, etwas trocknend, sehr rund fliessend; mittlerer Abgang mit spürbarem Säuretouch. Sehr schöner Wein für alle, die sich durch eine relativ pointierte Säure nicht abschrecken lassen. 16,5 Punkte.
St. Laurent alte Reben 2019, Niederösterreich (Carnuntum), Walter Glatzer Mittleres Rubin; dunkle Frucht (Cassis, Jostabeeren, Blaubeeren), etwas Süssholz, etwas Apfel; im Mund ungemein fruchtig, viel, aber etwas trocknendes Tannin, zuerst kaum spürbare, aber im mittleren Abgang recht prägnante Säure. 16,5 Punkte.
St. Laurent vom Dorf, 2019, Gerhard und Brigitte Pittnauer (Neusiedlersee) Dunkles Rubin, leichte Trübung; in der Nase Heidelbeeren, Sternfrucht, Tabak, dazu auch würzige und florale Töne; im Mund etwas eigenartige Textur, säurebetont und eher schlank, feine Tannine, relativ langer, säurebetonter Abgang, Machart „Naturwein“. Wirkt fast, als wäre er noch etwas in der Gärung. Fruchtiger, spezieller, aber auch spannender Wein, wohl nicht jedermanns Sache. 15,5 Punkte.
Michael Broger kreiert am Ottenberg bei Weinfelden seit bald zwei Jahrzehnten Weine, die zu den allerbesten und sicher den eigenständigsten in der Schweiz gehören. Sein Spitzen-Pinot „alte Rebe“ des Jahrgangs 2016 ist nun in der ersten Trinkreife und begeistert enorm!
Den Lesern meines Blogs, die von Anfang an dabei waren, ist Michael Broger natürlich schon ein Begriff (für alle anderen: siehe Links am Schluss des Beitrages). Und unbekannt ist er in der Schweizer Weinszene ja ohnehin nicht mehr. Aber irgendwie scheint er mit seiner bescheidenen, nie marktschreierischen Art doch nicht ganz das Renommée zu erreichen, das er aufgrund der Qualität seiner Weine verdient hätte.
Der Ottenberg zwischen Ottoberg und Weinfelden, hoch über dem Thurtal. Ein hervorragendes Terroir. Bloss der Fotograf war etwas ungeschickt, denn der Hof von Michael Broger versteckt sich ausgerechnet hinter dem grossen Baum in der Bildmitte. Aber vielleicht ist das fast ein wenig sinnbildlich für Broger: Lieber im Stillen Hervorragendes schaffen als sich gross in den Vordergrund stellen.
Eigentlich hatte ich jetzt gar keinen Blogeintrag über Broger geplant, es gab ja schon diverse Beiträge über ihn. Aber dann habe ich gestern die zweite Flasche seines Pinots „Alte Rebe“ aus dem Jahr 2016 geöffnet. Schon vor rund einem Jahr zeigte er sich sehr schön, aber noch zu jung. Jetzt hat er seine erste Trinkreife erreicht – und ich bin so begeistert, dass ich gar nicht anders kann als darüber berichten. Seit einigen Jahren lese ich bei Schreiber-Kollegen und -kolleginnen immer mal wieder von „vibrierenden“ Weinen. Ich habe das nie richtig verstanden, aber dieser Broger-Wein gibt vielleicht einen kleinen Eindruck davon, was damit gemeint sein kann: Ein Wein, der nicht einfach stromlinienförmig über den Gaumen rollt aber – mag er noch so gut und meinetwegen 20 bzw. 100 Punkte wert sein – den Trinkenden letztlich nicht „herausfordert“. Nicht so bei Broger, ganz allgemein, aber sehr pointiert bei der „alten Rebe“ 2016 im aktuellen Stadium: Dieser hervorragende Wein wandelt sich im Mund, wirkt im Antrunk ganz anders als im Abgang, scheint sich ständig einer Metamorphose zu unterziehen, fordert Achtsamkeit und will keinesfalls einfach so beiläufig getrunken werden. Kurz: Ein lebendiger, extrem vielschichtiger Wein, über den man den ganzen Abend philosophieren kann. Oder soll ich jetzt einfach schreiben „ein vibrierender Wein“? Vielleicht ist es wirklich ein Paradebeispiel dafür!
Michael Broger, „alte Rebe“ 2016, Pinot noir Mittleres Rubin; feine, vielschichtige Frucht (Brombeer, Johannisbeer, Zwetschge), leichter Anflug von Teer, Waldboden und etwas Grüntee; im Mund vorab unglaublich „saftig“ und „lebendig“, extreme Frische, passende, eher „weich“ wirkende Säure, viele, aber sehr feine Tannine, enorm fruchtig. Im Abgang zuerst ein kleines Loch von 1-2 Sekunden, dann aber plötzlich ein fein-feuriger, fruchtiger und fast nicht endend wollender Abgang. Ein Wurf von einem Wein, zum Ausflippen schön! 18,5 Punkte.
In Berlin geboren, an der Ostsee aufgewachsen, in Jenins heimisch und als Quereinsteiger Winzer geworden, der mit seinem „französischen“ Stil auch als Burgunder durchginge: Sven Fröhlich ist ein neuer Name aus der Bündner Herrschaft, den man sich merken muss!
Studach, Gantenbein, Salenegg, Schlegel, Lipp, Liesch (U.+J.), Hermann (Ch): Das ist nicht nur eine Aufzählung einiger der renommiertesten Betriebe der Bündner Herrschaft, sondern auch eine der Arbeitsstationen des Sven Fröhlich. Er kam 2004 mit einem ganz anderen Beruf in die Schweiz, hat sich aber seit 2007 dem Wein verschrieben, zuerst als Praktikant beim Thomas Studach, danach als Lehrling bei Ueli und Jürg Liesch. Seine erste Arbeitsstation waren während fünf Jahren Gantenbein’s und danach war er bei den weiteren erwähnten Gütern tätig.
Goldenes Weinbaugebiet: die Bündner Herrschaft im Kanton Graubünden, ganz oben am Rhein (das Bild zeigt nicht die Reben von Fröhlich).
2015 konnte er eine Parzelle mit 300 Rebstöcken pachten und damit erstmals selbst Wein produzieren. Der „grosse“ Schritt erfolgte 2018, als er in Jenins eine Hektar Rebfläche übernehmen konnte. Und für den fehlenden Keller zur Weinbereitung halfen alte Kontakte, er durfte den ehemaligen Keller von Thomas Studach mieten.
Ich habe mir eine Flasche von seinem Pinot noir 2019 gesichert (daneben gibt es auch einen „Riesling x Sylvaner“ bzw. Müller-Thurgau). Der Wein überzeugt sehr, wobei, wenn man denn schon vergleichen will, ich ihn stilistisch eher bei Studach als bei Gantenbein ansiedle. Aber eigentlich scheint mir Fröhlich mit dem 2019er durchaus eine eigene Handschrift gefunden zu haben, und die liegt in einer zwar sehr filigranen Art, die aber so viel Finesse mitbringt, dass man unwillkürlich an einen Wein aus dem Burgund denkt. Und was vor allem auch gefällt ist, dass die Frucht des Weines nicht vom Holz überdeckt wird.
Es mag sein, dass einige Weinfreunde sich einen etwas körperreicheren, dichteren Pinot wünschten. Wer aber in einem Wein eher die Finesse sucht, der wird mit diesem mit Sicherheit sehr glücklich. Auf jeden Fall ist Fröhlich ein neuer Name, den man sich unbedingt merken muss.
Die Hummel soll das erste Tier gewesen sein, welches Fröhlich’s in ihrem ersten Rebberg gesehen haben; so wurde es zum „Wappentier“.
Pinot noir 2019 Helles Rot; zuerst eher verhaltener Duft, mit etwas Luft sehr schöne Noten von Walderdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren, minimale, „neckische“ Anflüge von Liebstöckel und Marzipan; im Mund filigran und „tänzerisch“, sehr fruchtbetont, schönes Gleichgewicht von feinen Tanninen und Säure. Sowohl der Alkohol als auch das Holz sind nur dezent spürbar, unterlegen den Wein aber trotzdem sehr schön; mittlerer Abgang. Ungemein feiner, fruchtiger, burgundisch (Côte de Beaune) anmutender Pinot. 17 Punkte.
Stephan Herter zeigt am Winterthurer „Taggenberg“, dass er als gelernter Koch auch in der Weinherstellung die richtigen Rezepte gefunden hat. Seine Weine sind hervorragend und gleichzeitig sowohl klassisch wie auch eigenständig.
Eigentlich ist er ja gelernter Koch, und dank einem sehr guten Lehrabschluss hatte er die Möglichkeit, sich in der absoluten Spitzengastronomie weiter zu entwickeln. Allerdings kam Stephan Herter da auch intensiv mit Wein in Kontakt, und das hat ihn nie mehr losgelassen. Nach einigen Jahren im Weinbusiness, zuerst als Weintechnologe, dann in fast jeder Position in einer führenden Schweizer Weinhandlung, wollte er sein eigenes Weingut gründen. Diverse Stages brachten ihm viele Impulse, ganz besonders beeindruckt hat ihn die Tätgigkeit auf der Domaine Leflaive, wo er in einem Team mit einer wundervollen Person (Zitat Herter) an der Spitze (die leider inzwischen verstorbene Anne-Claude Leflaive) auch die biodynamische Arbeitsweise kennenlernte.
Das Gute liegt so nah Umgesehen hat er sich für ein Weingut dann weit in der Weinwelt. Südfrankreich wäre eine Option gewesen, aber eigentlich mag er den nördlichen Weinstil besser. Im Rheingau hätte er ein Gut übernehmen können – aber „nur“ Riesling, das war ihm zu wenig spannend. Schliesslich begann er auch in der Deutschschweiz zu suchen, wobei sein Vorgehen einzigartig war. Er ging nicht den Angeboten nach, sondern suchte zusammen mit einem Freund, der Geologe ist, nach einem bodentechnisch perfekten Ort. Gefunden hat er diesen dann in Winterthur, „seiner“ Stadt, in der er lange gelebt hat und die ihm ans Herz gewachsen ist (dem Schreibenden übrigens auch). Der Taggenberg, eine kleine Erhebung am westlichen Stadtrand, weist nämlich eine ganz aussergewöhnliche geologische Struktur auf. Er wurde geprägt vom Gletscher, aber anders als etwa der silex-geprägte benachbarten Hügelzug des Irchels gibt es hier Buntsandstein – und zwar nachweislich aus der Pfalz stammend und vom Gletscher hierhier transportiert. Aber damit nicht genug: Den Hügel durchzieht auch eine Kalkzunge, welche wiederum aus der Champagne stammt. Es gibt Lagen am Taggenberg, die nur rund 20 cm Humus aufweisen – darunter kommt direkt der Stein. Das zwingt zwar den Winzer zum Bohren, wenn er Pfähle einschlagen will, gleichzeitig aber auch die Rebe, ganz tief und weit durch den Kalk zu wurzeln. Kein Wunder also, dass hier vor rund 30 Jahren das Ehepaar Hans und Therese Herzog schon einmal absolute Spitzenweine produzierte, bevor es nach Neuseeland auswanderte.
Perfekte Weinlage am Rand der Stadt: Der geologisch einzigartige „Taggenberg“ in Winterthur.
Beharrlichkeit bringt Reben Was aber tun mit diesem Wissen? Der Hang war weiterhin mit den von Herzog’s bepflanzten Reben bestockt, aber das Land ist auf etwa ein Dutzend Besitzer aufgeteilt und war zudem verpachtet. Es war immerhin ein schon über dem Pensionsalter stehender Landwirt, der die Reben pflegte. Und so änderte Herter seine Gewohnheiten: Statt ins obere Tösstal führten ihn seine Ausfahrten mit dem Moutainbike neu tössabwärts und in Richtung Irchel – und dabei fast jedes Mal vorbei am Hof des alten Bauern, um ihn zu überzeugen, die Reben doch abzugeben. Und tatächlich, irgendwann war er durch Herters Hartnäckigkeit „weichgeklopft“, ab dem Jahrgang 2012 konnte Herter die Reben am Taggenberg übernehmen. Wobei, ganz so einfach war auch das noch nicht, denn aufgrund seiner Ausbildung ging Herter amtlich nicht als Winzer durch. Also musste er sich noch im Schnellgang ausbilden. Auch diese „Lehre“ hat ihn geprägt, er konnte sie bei Michael Broger am Ottenberg absolvieren vgl. hier: Michael Broger – der Pinot-Magier – Victor’s Weinblog von dem er nicht nur weintechnisch, sondern auch menschlich („grandios“, Zitat Herter) viel profitieren konnte.
Beharrlichkeit musste Stephan Herter aber auch in andere Hinsicht beweisen. Er hat inzwischen 9 Jahrgänge gekeltert, und davon verliefen gerade deren zwei „normal“. Abgesehen von, wie Herter selbst einräumt, eigenen Fehlern, waren vor allem die beiden Frostjahre 2016 und 2017 schlimm und existentbedrohend. Aber Herter kaufte in diesen Jahren fremdes Traubenmaterial, und daraus entstand die Weinlinie „Väterchen Frost“. Handeln statt jammern – kein schlechtes Rezept!
Durchhaltewille zeigt er auch in der Bewirtschaftung. Er hat in all den Jahren nie eine „chemische“ Spritzung durchgeführt. Herter arbeitet nach biologisch bzw. bio-dynamischen Grundsätzen, ist aber nicht zertifiziert. Dies vor allem auch deshalb, weil er sich mit den Weltansichten des Rudolf Steiner schwertut und Bio-Suisse inzwischen als Instrument des Grosshandels empfindet – mit beidem will er nicht in Verbindung gebracht werden.
Aber auch ohne Zertifikat ist Herter beharrlich. Es kam auch im Jahr 2020, das durch den ständigen Wechsel von Nässe und Sonne in der Pilzabwehr problematisch war, mit nur 800 g Kupfer pro Hektar aus (erlaubt sind im Biorebbau 5 Kg), was auch nicht mehr signifikant höher liegt, als es für den anfälligeren Teil der Piwi-Sorten auch noch notwendig ist. Piwi ist für Herter ohnehin kein Ersatz; seiner Meinung nach kommen diese qualitativ vorerst einfach noch nicht an die Europäersorten heran, jedenfalls dann, wenn es darum geht, mineralische, trockene und ausdrucksstarke Terroirweine zu produzieren.
Herter tut aber auch so viel für die Natur. In mehreren Projekten zusammen mit der Naturschutzorganisation „Birdlife“ hat er Naturräume geschaffen, in denen sich Nützlinge ansiedeln und die Biodiversität verbessern können. Er ist überzeugt, dass er unter anderem auch deshalb noch nie wirkliche Probleme mit der Kirchessigfliege hatte. Zweifellos sind diese naturnahen Massnahmen der Weinqualität zuträglich. Ganz abgesehen davon ist er mit seinem Rebberg in einer privilegierten Lage: Er schneidet die Reben heute auf etwa 10 Augen zurück, und das ergibt dann aufgrund des Alters (ca. 45 Jahre) genau den bescheidenen Ertrag, den er für seine Weine anstrebt. Im Klartext: Herter muss keine „vendange verte“ ausführen, die Ertragsregulierung übernehmen die Pflanzen selbst.
Voller Einsatz bringt Infrastruktur Mögen die Voraussetzung noch so gut sein, ein Newcomer ohne viel Geld kann nur bestehen, wenn er auch mit grossem Einsatz bei der Sache ist. Beim kontinuierlichen Ausbau seines Hofes legte und legt Herter immer selbst Hand an. Zurecht mit Stolz zeigt er den Barrique-Keller, ein Bauwerk, da er innert weniger Monate zu einem grossen Teil und selbst auf dem Bagger sitzend geschaffen hat.
Der mit den guten Rezepten und dem selbst geschaffenen Barrique-Keller: Stephan Herter.
Herausfordernd war auch die Corona-Sitation. Bedingt durch seine frühere Tätigkeit in der Gastronomie und dem Weinhandel war Herter im Absatz stark von Restaurants abhängig. Sozusagen von einem Tag auf den anderen blieben im Frühjahr 2020 die Bestellungen aus. Statt jammern suchte Herter sämtliche ihm bekannten Adressen von Kunden, Freunden und Bekannten zusammen und bot die Weine forciert im Direktverkauf an. Das Resultat: Bald stand Stephan statt im Rebberg tagelang im Keller und schnürte Pakete bzw. im Büro und schrieb Rechnungen!
Empathie für die Mitmenschen und für den Wein Weil er deshalb während der arbeitsintensivsten Zeit im Rebberg fehlte, suchte der via soziale Medien nach Helfern – mit grossem Erfolg. Das war auch deshalb wichtig, weil aufgrund von Covid ein Teil seiner regelmässigen Helfer ausfiel. Seit Jahren bietet Herter nämlich Menschen, die eher auf der Schattenseite des Lebens stehen, die Möglichkeit, zeitweise bei ihm zu arbeiten und damit eine Aufgabe zu haben. In diesem sozialen Engagement habe er schon „Junkies“, „Knastis“ und „Alkis“ auf dem Betrieb gehabt und durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Mit Abstand am schwierigsten, sagt ausgerechnet ein Winzer, sei der Umgang mit alkoholabhängigen Personen – das sei ein unvorstellbares Elend. Eine Warnung an uns alle, die wir den Wein so gerne haben, mit Mass und Vernunft zu geniessen!
Empathie, oder meinetwegen Fingerspitzengefühl, beweist Stephan aber vor allem auch bei der Weinproduktion. Natürlich profitiert er von einer hervorragenden Lage und alten Reben – und noch dazu davon, dass der erwähnte Hans Herzog „en fräche Siech“ gewesen ist, und damals nebst verbotenen Sorten auch spezielle Klone aus Frankreich gesetzt hat. Aber ganz offensichtlich hat Stephan Herter auch viel gelernt und dazu noch viel mehr Gefühl für den Wein entwickelt. Auf eigenen Hefen vergoren, so wenig Eingriffe wie möglich, ein trockener und eleganter Stil, der die Weine vor allem als Essensbegleiter aufblühen lässt und einen vielleicht nicht mit einem Bluffer-Stil sofort anspringen. Das Sortiment ist absolut überzeugend – der Koch findet auch als Winzer die feinsten Rezepte!
Aber lesen Sie selbst die nachstehenden Degustationsnotizen.
Sehr wichtig ist für Stephan Herter auch, dass die Weine ihre Herkunft zeigen – auf der Suche nach dem brühmten „Terroir“ sozusagen. Dass das nicht nur grosse Worte sind, zeigt er mit einem „Experiment“ mit dazugekauften Trauben aus Stein am Rhein. In diesem Fass lagert ein Pinot, der auf reinem Nagelfluh gewachsen ist, und mit dem Herter den Unterschied der verschiedenen Gesteins-Untergründe aufzeigen will.
Die Degustationsnotizen
Fabelhafte Parade der Fabelwesen: Herter’s tolles Sortiment (und es gibt noch mehr!)
„Väterchen Frost“, Schaumwein Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; sehr fruchtbetont und „weinig“, Golden-Delicious-Apfel, Stachelbeeren, weisser Pfirsich, leichter, sehr feiner Hefeton; im Mund füllig, gut stützende Säure, kaum spürbarer Alkohol, neckische, dezente Süssnote, langer Abgang. Ein Masstab für Schweizer Schaumwein! 17 Punkte (= sehr gut).
Ferdinand, Räuschling 2019 (Degunotiz aus der Erinnerung, ich habe den Zettel verloren … aber der Eindruck ist sehr geblieben!) Helles Gelb; Duft nach Orangen und Mirabellen, blumige Anflüge (u.a. etwas Flieder); im Mund mit knackiger Säure, filigran aber trotzdem für einen Räuschling erstaunlich dicht, langer Abgang. Toller Räuschling der eher traditionellen, aber doch etwas modern umgesetzten Art! 16 Punkte (= am oberen Ende gut).
Rufus, Sauvignon blanc, 2019 Mittleres Gelb, Stachelbeeren, Holunderblätter, nasses Gras; im Mund enorm frisch, sehr mineralisch, knackige Säure, sehr langer Abgang. Toller, mineralischer Sauvignon, den man blind in der Steiermark ziemlich weit vorne ansiedeln würde. 17 Punkte (= sehr gut).
Stix, Chardonnay 2019 Helles Strohgelb, Williams-Birne, Lychee, etwas neues Holz; im Mund rund mit ausgeprägter Fruchtsüsse, Holz und Toastung spürbar, gute Säure und gut eingebundener Alkohol. Schöner Wein, der als einziger stilistisch etwas aus dem Rahmen fällt. Mir ganz persönlich würde er etwas weniger „ausladend“ und dafür stählern noch besser gefallen. 16 Punkte (= am oberen Ende gut).Und Liebhaber dieses Stils würden ihn wohl noch höher bewerten.
Grimbart, Pinot noir 2019 Eher helles Rot; in der Nase zurückhaltend, rote Johannisbeeren, etwas Himbeer, würzig (Anflug von Lorbeer), leichter Holzton; im Mund filigran, herrlich ausgewogen mit spürbaren, feinen Tanninen und stützender, aber nicht aufdringlicher Säure, Alkohol erst im mittleren Abgang mit etwas „Feuer“ spürbar, leichter, schön eingebundener Holzton. Eleganter, frischer und charaktervoller Pinot der leichteren Art. 16,5 Punkte (= sehr gut).
Adelheid, Pinot noir/Cabernet, 2019 Recht dunkles Purpur; in der Nase Cassis und helle Fruchttöne, etwas Thymian; trotz spürbarer Säure und prägnanten Tanninen im Mund wie Samt und Seide, frisch und saftig, mittlerer Abgang. Eigentlich bin ich immer skeptisch gegenüber ausgefallenen Assemblagen, aber das hier ist eine schöne nördlich-frische Alternative, wenn eigentlich ein südlicher Wein passen würde (ich habe ihn zu Lamm sehr gut gefunden). 16,5 Punkte (= sehr gut).
Ruprecht, Pinot noir 2018 Für einen Pinot sehr dunkles Purpur; wunderschöne, pinot-typische Nase mit Himbeeren, Johannisbeeren, ganz dezent spürbares Holz; im Mund ein Feuerwerk: dicht, enorme Frische, gute Säure, trotz hohem Gehalt Alkohol kaum spürbar, langer und sehr „saftiger“ Abgang. Ein traumhaft guter, an das Burgund erinnernder Pinot, eine Referenz in der Schweiz. 18 Punkte (= hervorragend). Leider ausverkauft.
Der Mann ist noch keine 30 Jahre jung. Und wollte eigentlich gar nicht wirklich Winzer werden – bis ihn lange Degustationsabende als Praktikant bei Hanspeter und Edeltraud Ziereisen so faszinierten, dass es kein Halten mehr gab. Den Namen muss man sich merken, seine Weine sind offenbar schon jetzt genial – und auch schon gesucht. Ich habe bisher nur einen verkostet – und der hat mich fasziniert, wohl fast so, wie Saalwächter bei Ziereisens verzaubert wurde!
Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Der Ausspruch stimmt wohl, aber es geht auch anders: Wer lange genug wartet, der hat es einfacher. Diese Aussage trifft nicht auf Carsten Saalwächter zu, aber auch mich. Ich hatte von Weinfreund Florian Bechtold vgl. hier: Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein! – Victor’s Weinblog als „Beilage“ zu einer damals bestellten Weinlieferung eine Musterflasche von Saalwächters „Assmannshauser Spätburgunder La Première 2018“ erhalten. Der Wein hat mich total fasziniert, die Degunotiz war erstellt, mein Bildarchiv erfolgreich nach Assmannshausen durchforstet, und ein Text im Kopf bereit gelegt. Tja, und dann kommt Blogger- und Weinfreund Adrian van Velsen und schreibt soeben über den gleichen Wein! Zufall ist das natürlich nicht, wir waren zusammen mit Florian Bechtold bei Ziereisen, und auch er hat eine Musterflasche zur Weinbestellung dazu erhalten.
Ich kann es mir deshalb ziemlich einfach machen und bloss einen Link setzen (siehe unten). Dies um so mehr, als mir Adrian mit seinem Text so richtig aus dem Herzen spricht. Viel mehr gibt es zum Wein gar nicht mehr zu sagen. Wer spät kommt, den belohnt das Leben ….
Carsten Saalwächter (Bild ab Website des Gutes)
Kein verglimmendes Sternchen! Trotzdem noch dies: Carsten gilt schon als „shooting star“ – bei Vinum war er „Entdeckung des Jahres“. „Shooting star“ steht für eine Person, die plötzlich Erfolge verzeichnet und Aufmerksamkeit geniesst. Der Begriff ist insofern für Carsten Saalwächter also richtig, denn er hat schon hohe Aufmerksamkeit und seine Weine sind bereits sehr gesucht. Dem Ausdruck hängt aber auch ein wenig das Kurzfristige, Vergängliche an. Die Mehrheit der Stars verblasst bekanntlich sehr schnell. Nach allem, was ich über Carsten Saalwächter gelesen (und dem wenigen, das ich getrunken habe) wage ich aber die Prognose, dass uns dieser Name in den kommenden Jahrzehnten als Leuchtstern der deutschen Weinwirtschaft begleiten wird. Dies um so mehr, als er sich einem naturnahen Weinbau verschrieben hat. „Mehr davon“ überschrieb Adrian van Velsen seinen Blogbeitrag. Für Weinfreunde heisst das vor allem: Mehr davon im eigenen Keller!
Spitzenlage Höllenberg in der deutschen „Rotweinhauptstadt“ Assmannshausen im Rheingau. Das Weingut Saalwächter liegt zwar auf der anderen Rheinseite in Ingelheim und damit in Rheinhessen, verfügt aber auch hier über Reben – der La Première stammt aus hoch gelegenen Lagen in Assmannshausen. Und einer der absoluten Spitzenweine des Gutes gedeiht hier am abgebildeten Höllenberg.
Degustationsnotiz: Spätburgunder Assmannshausen La Première, 2018 Mittleres Purpur; Duft nach roten Johannisbeeren und Walderdbeeren, grüne Töne (Grüntee!), etwas Zitrus, etwas Kaffee. Im Mund spürbare, sehr feine Tannine, schöne, aber dezente Fruchtsüsse in sehr harmonischem Spiel mit einer guten Säure, saftig, langer Abgang. Vielschichtiger, toller Wein! 18 Punkte.
Adrian van Velsen hat recht: Technisch betrachtet gibt er dem La Première 89 Punkte, „gefühlt“ aber 93. Mich hat dieser Wein an einen Ausdruck erinnert, den ich in letzter Zeit immer wieder lese, mir aber eigentlich nichts darunter vorerstellen kann: „vibrierender Wein“! Tatsächlich hat der La Première so etwas Lebendiges, Unergründliches an sich. Vielleicht ist ja das „vibrieren“? Wie auch immer, ich bin hin und weg von diesem Wein! Mehr davon!
Und hier ein Kontakt zu Florian Bechtold, grossartiger Kenner der „vibrierendsten“ 🙂 Weinadressen in Deutschland. Vielleicht hat er noch Saalwächter – und sonst sicher ganz viele Alternativen: florian.bechtold@bechtold-partner.de
Regelmässigen Lesern meines Blogs ist bekannt, dass ich Michael Broger zu den absoluten Ausnahmewinzern der Schweiz zähle. Der neuste Beweis ist eine private Gegenüberstellung von zwei Jahrgängen seiner „alten Rebe“. Und die Gelegenheit ist gut, auch ein wenig über die enorme Qualitätsdichte am Ottenberg im Kanton Thurgau zu schreiben!
Der Weingeschmack meiner Frau entspricht nicht immer dem meinen, aber in einem sind wir uns einig: Die Weine von Michael Broger sind einfach immer grossartig und ausdrucksstark. Inzwischen ist insbesondere sein Spitzenwein, die „alte Rebe“, bei uns schon fast so etwas wie der „Hauswein“. Natürlich nicht im Sinne eines Alltagsweines, dafür ist er mit inzwischen gegen CHF 40.00 dann doch zu teuer. Aber wenn ein spezieller Moment ansteht, wie kürzlich der Geburtstag meiner Frau, und wenn zum Essen ein Pinot passt, dann muss es einfach eine „alte Rebe“ sein.
Dem Geschmack meiner Frau entsprechend, welche die jugendliche Frucht eines Pinots am meisten mag, holte ich zuerst eine Flasche des Jahres 2016 aus dem Keller. Nach dem Probieren war mir schnell klar, dass ihr im Falle von Broger ein gereifterer Wein besser gefallen würde. Deshalb öffnete ich auch einen 2012-er, und so wurde der Geburtstag auch zu einer kleinen, privaten Degustation.
Zwei tolle Jahrgänge – wie immer bei Broger!
Michael Broger, „alte Rebe“, 2012 Mittleres Rubin mit hellen Rändern; in der Nase noch sehr fruchtig, Brombeer, rote Kirschen, Anflug von Waldpilzen, dezenter, feiner Holzton. Im Mund „lebendig und fibrierend“, feine, spürbare Tannine, schön eingebundene Säure, elegant und eher der filigrane Typ, gleichzeitig aber auch druckvoll und „saftig“, leichter Bittertouch im sehr langen Abgang. Toller, frischer und noch immer jugendlich wirkender Wein! Erst jetzt so richtig in der ersten Trinkreife.
Michael Broger, „alte Rebe“, 2016 Dunkles Rubin; in der Nase etwas Pflaumen, florale und würzige Noten, dezenter Anflug von Caramel; im Mund noch wild, adstringierend (aber feine Tannine), prägnante Säure, extrem „saftig“ und sehr fruchtig, mittlerer Abgang. Wunderbarer, aber noch zu junger Wein (es sei denn, man mag – wie ich – diese wilde Ungezähmtheit. Mir hat er jetzt schon sehr gemundet!, aber der hat noch viel Reserve)
Beide Weine sind ganz weit weg vom heutigen Mainstream, aber sie sind gleichzeitig absolut unverkennbare Pinots, einfach mit einer eigenen „Sprache“ und mit Persönlichkeit. Und je älter sie werden, desto mehr erinnern die dann eben doch ans Burgund! Gerade der 2012-er zeigt, wie lange ein „Broger“ braucht, bis er sich öffnet – dafür dann um so schöner und sortentypischer!
Der Ottenberg als Qualitäts-Hotspot: Bachtobel, Wolfer, Burkhart!
Gestern lag passend noch die neuste Ausgabe des „Falstaff“ im Briefkasten. Dort gibt es einen Artikel über Thurgauer Weine und auch diverse Verkostungsnotizen. Der am besten benotete Wein ist – Sie ahnen es – die „alte Rebe“ 2017 mit 94 Punkten! Aber auch Broger’s Müller Thurgau wurde mit 92 Punkten (!) benotet. Der lesenwerte Artikel zeigt aber auch auf, wie enorm die Qualitätsdichte im Thurgau, und vor allem am Ottenberg ob Weinfelden, inzwischen ist. Hier zeigte zwar schon vor 30 Jahren Hans Ulrich Kesselring auf dem nur ein paar hundert Meter von Broger’s Anwesen entfernten Schlossgut Bachtobel, dass im Thurgau Spitzenweine angebaut werden können – seine Weine waren damals schon eine Referenz, und die heutigen seines Neffen Johannes Meier sind es noch immer (Broger hat übrigens einige Zeit bei Kesselring gearbeitet). Inzwischen sind aber mit Martin Wolfer und Michael Burkhart auch weitere Produzenten hinzugekommen, welche den Ottenberg zu einem eigentlichen „Hotspot“ der Schweizer Weinszene werden lassen. Ich habe im letzten Jahr beide Sortimente degustiert und war gesamthaft begeistert. Wolfer überzeugte kürzlich auch mit seinem Sauvignon blanc und 94 Punkten in der internationalen „Sauvignon blanc-Trophy“, ebenfalls im Falstaff. Und Burkhart wiederum konnte für den „Duett“ (Pinot vom Ottenberg und Diolinoir aus Salgesch) eine Zusammenarbeit mit der Familie Mounir vom Walliser Spitzenbetrieb Cave du Rhodan eingehen, was letztere sicher nicht ohne ein hohes Qualitätsbewusstein beim Partner tun würden. Vgl. hier: https://victorswein.blog/2020/03/07/domaine-trong-der-cave-du-rhodan-bio-dynamisch-an-die-spitze/
Der langgestreckte Hügelzug des Ottenberg im Thurtal bei Weinfelden. Qualität wird von den meisten Winzern gross geschrieben.
Der Ottenberg steht damit als Sinnbild und „Hotspot“ im Zentrum des Mostkantons Thurgau in der Ostschweiz (deshalb im Volksmund auch „Mostindien“ genannt) für einen enormen Qualitätsschub im Weinbau!
Junge Schweiz – neue Winzer. So heisst eine Vereinigung, der sichunter 40-jährige Winzerinnen und Winzer anschliessen können. Am „Swiss Wine Tasting“ traten sie kürzlich mit je zwei Weinen auf – und überzeugten auf der ganzen Linie.
„Die jungen Wilden“, so wurde der Gemeinschaftsstand im Katalog bezeichnet. Der Titel war nicht ganz richtig, genau wie die räumliche Platzierung der Gruppe in einer engen Nische – die acht teilnehmenden Weingüter hätten einen besseren Platz verdient. Wobei acht eigentlich ohnehin die falsche Zahl ist, denn mit Johann-Baptista von Tscharner, Patrick Adank, Martin Wolfer, Robin Haug, Alain Schwarzenbach, Susi Steiger-Wehrli, Fabrice und Stéphane Simonet, Marylène und Louis Bovard-Chervet, Martin Porret sowie Jonas Huber waren zehn weitere Güter am Anlass vertreten – aber eben einfach nicht am Gemeinschaftsstand, sondern im grossen Saal und somit unter der Gilde der etablierten Güter (bzw. an prominenteren Sonderstand „Zürisee“ im Falle von Schwarzenbach). Um auf den eigentlich verdienten besseren Platz zurückzukommen: Alle acht Jungwinzerinnen und -winzer am „Katzentisch“ halten qualitativ ohne Weiteres mit den grossen Weingütern mit. Deshalb stellt sich schon die Frage, ob sie künftig nicht einfach in die Ausstellung gehörten und dort allenfalls als Mitglied von „Junge Schweiz – neue Winzer“ gekennzeichnet werden könnten.
Dezent in der Beschriftung, gross im Auftritt: die jungen Winzerinnen und Winzer (hier das Eingangstor zur Cave Caloz in Miège).
Wie auch immer: Was die acht am Gemeinschaftsstand vertretenen Güter zeigten, ist Spitzenklasse:
Bechtel-Weine, Eglisau, Mathias Bechtel Ein holzbetonter, aber schöner Chardonnay 2017 und ein herrlicher Pinot noir 2017, mit dem Bechtel zeigt, dass er während seiner Jahre als Kellermeister von Pircher viel Pinot-Klasse verinnerlicht, sich aber gleichzeitig auch mit einem etwas weniger filigranen Stil emanzipiert hat.
Schott-Weine, Twann, Anne-Claire Schott Spannender, dichter, aber auch etwas gewöhnungsbedürftiger „Blanc orange“ 2018 aus vier Traubensorten und ein charaktervoller, kräftiger Pinot noir 2018 (Mon vieux Pinot noir) ohne Schwefelzugabe.
Javet + Javet, Lugnorre, Etienne Javet Ein filigraner Pinot noir 2017 (aimetere de la Chamba) und ein unglaublich gehaltvoller und frischer „orange Chasselas“ 2018 (Or du temps) – orange wine vom Feinsten!
Cave de l’Orlaya, Fully, Mathilde Roux Ein Bilderbuch-Gamay 2017 (vieilles vignes), fruchtig und mit Tiefe sowie ein schöner Petite Arvine 2018, der mir persönlich ohne die – freilich dezente – Restsüsse noch besser gemundet hätte.
Cave Corbassière, Saillon, Nicolas Cheseaux Herausragender, frischer und fruchtiger Petite Arvine 2017 (Saillon Grand Cru) mit Tiefgang und der wohl beste Diolinoir (2016), den ich je gekostet habe und der zeigt, was in dieser Sorte steckt: dicht und gleichzeitig elegant, fruchtig, würzig und mit einer unglaubliche Frische (ohne Schwefelzusatz!).
Sélection Comby, Chamoson, Yann Comby Ein sehr schöner, salzbenonter Petite Arvine 2018 (La Tsoume) und ein typischer Cornalin 2018 (La Crête) mit Potential.
Cave Caloz, Miège, Sandrine Caloz Sehr schöner Marsanne Blanche 2018 (Vieilles Vignes Les Clives) mit Restsüsse und ein ungemein saftiger, fruchtiger, mit viel Tannin unterlegter, herrlicher Humagne Rouge 2018 (Les Bernunes).
Weingut Cipolla, Raron, Romain Cipolla Ein saftiger, sortentypischer und für Walliser Verhältnisse sehr frischer Sauvignon blanc 2018 (Heidnischbiel) und ein schöner, zarter Pinot noir 2018 (Bieltin), der mit ein bisschen mehr Säure noch bemerkenswerter wäre.
16 präsentierte Weine, keine einzige Enttäuschung, sieben absolute Spitzenweine und ein ganz generell sehr hohes Niveau: Genial, was die Jungen hier zeigten. So wild, wie sie benannt wurden, sind sie aber nicht. Wohl suchen sie teils neue Wege – Anne-Claire Schott wäre da vorab zu nennen -, aber letztlich sind es einfach aussergewöhnliche Winzer(innen)-Talente, die beim nächsten Mal definitiv allesamt mit in die Präsentation der Etablierten gehören.
Nicolas Cheseaux – Primus inter pares? Auch wenn es etwas unfair ist, dann hebe ich jetzt trotz allem einen Winzer besonders hervor: Nicolas Cheseaux von der Cave Corbassière. Die beiden präsentierten Weine waren eindrücklich, aber ich konnte bei ihm auch schon mal das ganze Sortiment probieren und empfehle Ihnen, sich diesen Namen speziell zu merken: hier zeigt sich das Talent eines Spitzenwinzers, der das Zeug hat, international für Furore zu sorgen.
Nicolas Cheseaux, Cave Corbassière, Saillon: Merken Sie sich alle Namen der jungen Winzer, und diesen ganz besonders! http://www.corbassiere.ch/
Hier der Verweis auf die Homepage von „Junge Schweiz – neue Winzer“. Die Links zu den einzelnen Mitgliedern finden Sie auf dieser Seite unter „Winzer“.
Bürokratisch, stur und ohne Innovationskraft. Das sind so Attribute, mit welchen auch heute noch eine Gemeinde oft beurteilt wird. Völlig zu unrecht, und zwar schon seit einem Vierteljahrhundert, wie das Beispiel des Turmgutes in Erlenbach zeigt!
Das Turmgut mit seinen Reben in Erlenbach: einzigartig am Zürichsee!
Es war Ende der 1990er Jahre, und wir waren bei Freunden in Erlenbach am Zürichsee zu Gast. Das war die Zeit, als erste Schweizer Winzer auch tollen Pinot noir (oder eben Blauburgunder) produzierten – aber am „Zürisee“? Ich hatte zuvor während einem Jahrzehnt mit diesen Freunden zusammen die Firstclass-Weinkarte der Swissair produziert, und so war zu erwarten, dass sie einen guten Wein servierten. Er war auch gut – sehr gut sogar – aber er wurde blind serviert. Ich fand ihn toll, ein Pinot ohne Zweifel, aber woher nur? Sicher nicht vom „Zürisee“! Falsch: Der Wein stammte vom Turmgut in Erlenbach, produziert von dem mir damals völlig unbekannten Jungwinzer Markus Weber.
Inzwischen ist dieses Weingut eine „Institution“ und ein Betrieb, der seit nunmehr 20 Jahren zeigt, dass biologischer Weinbau auch in unseren Breitengraden erfolgreich betrieben werden kann.
Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, an einer kleinen Degustation mit Markus Weber teilzunehmen – und ihm dabei erstmals überhaupt persönlich zu begegnen: Ein total spannender Gastgeber, extrovertiert, aber nie ein „Plauderi“; ein Mann, der weiss, wovon er in Sachen Wein spricht (das Thema war fast kein anderes, er wäre garantiert auch sonst ein spannender Gesprächspartner), und ein Mann, der weiss, was er kann – aber auch, was er nicht kann. Einfach rundum sympathisch!
Markus Weber, der engagierte Biowinzer des Turmgutes.
Und die Weine heute: Den Pinot noir „Valeria“ 2017 fand ich etwas holzgeprägt, aber das wird sich wohl nach wenigen Jahren noch geben. Der Wein ist ungemein ausdrucksvoll, mit einer – trotz Holz – schönen Frucht und mit einer Struktur, die eine schöne Zukunft prognostizieren lässt. Der Müller-Thurgau – bei Weber immer noch „Riesling Sylvaner“ genannt – weit über dem, was man von dieser Sorte so erwarten kann. Und der (anderweitig degustierte) Räuschling genau das, was diese Sorte vom Zürichsee so faszinierend macht. Absolut begeistert hat mich der Sauvignon blanc 2017: welch geniale Ausdrucksweise dieser Rebsorte! Dieser Wein scheint geradezu zu „fibrieren“, er vereint alle (auch, aber eben gerade nicht nur, vordergründigen) Düfte, die einen Sauvignon ausmachen, und er weist im Mund eine Fülle bei gleichzeitiger Frische aus, die wundervoll ist. Das ist Weltklasse, und ich stelle ihn in der Schweiz auf die höchste Stufe, zusammen mit den Sauvignons von Marco Casanova und Irene Grünenfelder! (Spannend: Weber und Casanova arbeiten biologisch, und Grünenfelder ist in Umstellung!)
Dem Raumplanungsgesetz sei Dank!
Die Geschichte ist aber mit einem kurzen Eingehen auf die heutigen Weine nicht zu Ende – im Gegenteil, sie beginnt im Jahr 1994 – oder eigentlich noch früher, 1986. Damals unterstellte der Kanton Zürich den Rebberg des Turmgutes in Erlenbach, das sich damals in Privatbesitz befand, einer „regionalen Freihaltezone“, was bedeutete, dass in diesem Bereich nicht gebaut werden durfte (sonst gäbe es heute an diesem Hang mit Sicherheit keine Reben mehr, sondern Villen – dem Raumplanungsgesetz des Bundes, welches diesen Eingriff erst möglich machte, sei Dank!). Das Bundesgericht urteilte Jahre später, dass dieser Entscheid keine „materielle Einteignung“ darstelle und somit nicht entschädigungspflichtig sei. Der Eigentümer pochte darauf auf dem sogenannten „Heimschlagsrecht“, was zur Folge hatte, dass der Rebberg zuerst, zum Schätzpreis als Rebland, an den Kanton Zürich fiel, welcher seinerseits das Land der Gemeinde Erlenbach übergab.
Pachtantritt am 15.11.1994: Diesen November feiert Markus Weber sein 25-jähriges Jubiläum
Der Gemeinderat Erlenbach suchte deshalb einen Pächter für die Reben und bewies sehr viel Mut – und aus heutiger Sicht Weitsicht! Die Turmgutreben wurden an den damals erst 26-jährigen Markus Weber verpachtet, der zuvor noch nie einen Betrieb geführt hatte und der zum Zeitpunkt der Ausschreibung erst noch in Australien weilte. Weber hatte aber das Glück, gleichzeitig noch weitere Rebanlagen übernehmen und die Weine vorerst bei einem anderen Weinbauern keltern zu dürfen.
Ausschnitt aus der Lokalzeitung von Mitte September 1994 – mit dem jungen Markus Weber als Newcomer.
Das Ganze war ein unglaubliches Wagnis. Nicht nur für die Gemeinde Erlenbach, deren Gemeinderat Innovationsgeist bewies, sondern auch für Markus Weber. Die NZZ berichtete am 19.1994 dazu Folgendes: „Markus Weber steht ein gerütteltes Mass an Arbeit bevor. Die Turmreben sind schlecht erschlossen, teilweise stark überaltert, die Hälfte der Weinstöcke sind immer noch an Stickeln befestigt, und der ganze Rebberg ist unterassiert und somit nur von Hand zu bearbeiten. Die rund 2,2 Hektar Rebfläche bieten eine insgesamt eher schmale Existenzgrundlage.“
Nun, die Reben wurden inzwischen (von der Gemeinde) terrassiert, und Markus Weber kann im November des laufenden Jahres als erfolgreicher Winzer sein Vierteljahrhundert-Jubiläum feiern!
Die Schaffenskraft von Weber hat zusammen mit der Weitsicht der Gemeindebehörden zu einem Vorzeige-Projekt im Rebbau geführt. Auch wenn es sachlich nicht ganz korrekt ist: Vielleicht wurde der Ausdruck „privat-public-partnership“ in Erlenbach erfunden!
Den Tipp verdanke ich Michael Broger. Er machte mich auf den Newcomer Markus Ruch aufmerksam, der im Klettgau eben erst mit Weinbau begonnen hatte. Wenn jemand, der so geniale Weine herstellen kann, wie Michael Broger – siehe : https://victorswein.blog/2018/01/01/michael-broger-der-pinot-magier/ einen Winzer empfiehlt, dann muss er ja gut sein. Und deshalb bestellte ich blind den Jahrgang 2009 der „Hallauer Chölle“ von Ruch, und der wurde erst noch frei Haus geliefert – vom Winzer selbst. Eines Abends stand ein grossgewachsener, sympathischer junger Mann von der Türe und lieferte einen Karton seines Weines ab. Dank Michael Broger habe ich also das Privileg, einen Wein aus den Anfängen des Markus Ruch verkosten zu können.
Ein herrlicher Pinot der speziellen Art aus dem Kanton Schaffhausen. Ruch’s „Chölle“.
Eine dieser Flaschen habe ich heute getrunken, und eigentlich war es immer noch zu früh. Aber was für ein toller Wein! Ein Pinot fern des „Mainstreams“ zwar, und vermutlich deshalb auch nicht jedermann’s Sache – aber eben einer jener Weine, die Persönlichkeit und Charakter aufweisen, und die mir deshalb so sehr gefallen:
Für Pinot erstaunlich dunkles Rot mit ersten Reifetönen; Dörrzwetschgen, Thymian und ein leichter Cognac-Ton; im Mund mit Ecken und Kanten, aber ungemein spannend und auch ausgewogen zwischen Säure, Tannin und Alkohol, leichter Anflug von Vanille als einziger Hinweis auf den Holzeinsatz, langer Abgang. Eigenständiger, toller Charakterwein!
tMarkus Ruch war auf bestem Weg, eine Bank-Karriere einzuschlagen. Nach einer kaufmännischen Lehre arbeitete er noch einige Jahre im Bankwesen. Eigentlich bin ich sicher, er hätte auch dort Karriere gemacht. Aber ein Weinbaupraktikum am Strickhof in Wülflingen begeistere ihn so sehr, dass er nicht mehr vom Wein wegkam. Nach diversen Lernaufenhalten bei so renommierten Winzern und Winzerinnen wie Christian Zündel, Marie-Thères Chappaz und Hans-Ulrich Kesselring, aber auch im Burgund bei der Domain Derain, begann er 2007 in Hallau, im „Chlättgi“ (Klettgau, Schaffhausen), selbst Wein zu produzieren.
Seit der Lieferung des Jahrgangs 2009 verfolge ich das Wirken von Markus Ruch praktisch jährlich am traditionellen „Tag der offenen Weinkeller“ am 1. Mai. Allein das Hinuntersteigen in den antiken Keller in der „Zehntenscheune“ zu Hallau und der Keller selbst sind einen Besuch wert. Sein Sortiment wurde breiter, und die Qualität nimmt von Jahr zu Jahr noch zu. Ruch arbeitet bio-dynamisch, und vielleicht deshalb sind seine Weine auch über all die Zeit eigenständig, aber ausdrucksstark und herzerwärmend geblieben.
Der einzige Wermuthstropfen: Ruch’s Weine sind nicht billig, und überhaupt welche zu erhalten, ist schwierig; sie sind immer schnell ausverkauft. Ich scheine nicht der einzige Weinfreund zu sein, der sie mag!
„Home of Pircher“, der Eglisauer Stadtberg – eine auch landschaftlich sehr reizvolle Spitzenlage am oberen Rhein, Kanton Zürich, Schweiz. (Bild ab Homepage Urs Pircher).
Wir reden – zurecht – immer wieder über Newcomer. Dabei gehen die Klassiker nur zu oft vergessen. Einer dieser – nach Schweizer Verhältnissen – schon fast „ewig Etablierten“ ist Urs Picher aus Eglisau. Während andere noch netten Blauburgunder herstellten, vinifizierte Pircher schon einen hochklassigen Pinot noir aus der Barrique, der sich das Burgund als Vorbild genommen hatte. Seit 20 oder mehr Jahren, und bis heute, sind seine Pinots ein Inbegriff von Feinheit, Eleganz und Finesse !
Burgundische Pinots, als andere noch schliefen
Schon im Jahr 2000 – damals hatten viele von uns noch nicht einmal einen Internetanschluss – und eigentlich schon Jahre zuvor, kelterte Pircher Weine, die zu jener Zeit nicht in dieses Weinbaugebiet passten. Immerhin ist elektronisch ein schöner Artikel erhalten, der aufzeigt, was Pircher ausmacht(e): https://folio.nzz.ch/2000/oktober/urs-pircher-selbstkelterer
All die tollen Newcomers, über die wir heute so gerne und zurecht schreiben, gab es damals noch gar nicht; und mehrere, wie Peter Gehring aus Freienstein, lernten gar ihr „Handwerk“ bei Pircher. (So ganz nebenbei: auch in neuerer Zeit machte sich Pircher als „Lehrmeister“ für führende Winzer verdient, so arbeitete auch Matthias Bechtel, ein neuer Stern am Schweizer Weinhimmel, seine Sporen bei Pircher ab).
Ich hatte soeben die Gelegenheit, an einer von Urs Pircher selbst geleiteten Degustation einiger seiner Weine teilzunehmen. Neu war das zwar nicht, denn ich hatte das Weingut schon seit Jahren immer wieder besucht. Erstmals aber durfte ich Urs Pircher selbst als Leiter der Veranstaltung erleben. Was vorerst auffällt: Eigentlich möchte Urs Pircher wohl lieber einfach in den Reben oder im Keller arbeiten, als vor Leute hinzustehen und reden. Aber: er kann auch das, und zwar deshalb, weil er einfach sich selbst bleibt. Seine Ausführungen waren für Weinfreunde ein tolles, authentisches Erlebnis.
Pinot forever: ein „gris“ vom Feinsten
Von wegen Erlebnis: Die degustierten Weine begeisterten. Vorab sein – nur bis und mit vergärtem Most auf dem Weingut hergestellter – Schaumwein ist sehr gut. Gar Spitzenklasse ist sein Pinot gris (2017): leichter Holzeinsatz, längere Lagerzeit auf der Hefe; ein lagerfähiger, ungemein sortentypischer, mit guter Säure versehener und dichter Pinot gris, der mit zunehmender Reife sogar noch gewinnen wird. Gleiches (ausser dem Alterungspotential) gilt für den Räuschling, den ich bei anderer Gelegenheit verkosten konnte; auch hier war ein Meister der Weinbereitung am Werk, und der teilweise Ausbau im grossen Holzfass tut dem Wein erstaunlicherweise sehr gut.
Etwas weniger begeistert war ich persönlich vom Riesling, der erst im dritten Jahrgang hergestellt wird. Mir war die Restsüsse, wenn auch nicht übertrieben, zu hoch, und so richtig „rieslingartig“ wollte mir der Wein auch nicht erscheinen. Er ist sehr gut und reintönig gemacht, liegt marketingmässig vermutlich total im Trend und wird sicher zu recht seine Freunde finden – aber braucht es das in der Schweiz wirklich? (Man zeige mir den Riesling aus der Schweiz, der in Sachen Preis-Leistung auch nur annähernd an einen guten deutschen herankommt!).
Wirklich spannend indessen eine rote Cuvée aus Regent, Zweigelt und Pinot noir. Der 2016-er ist recht „hart“ gekeltert, aber dennoch schon jetzt genussvoll zu trinken. Auch wenn ich persönlich bisher solche Cuvées eher skeptisch sehe: Hier wird es spannend sein, die Entwicklung in den nächsten Jahren zu verfolgen. Persönlich bin ich überzeugt, dass dieser Wein sich noch mehr öffnen wird. Es könnte eine jener Cuvées mit einer Piwi-Sorte sein, die mich meine Vorurteile vergessen macht.
Urs Pircher, Schweizer Pinot-Pionier der ersten Stunde (er öffnet gerade seinen exzellenten Pinot noir 2016).
Der Höhepunkt aber war der Pinot noir 2016! Wie eingangs erwähnt, Pircher „konnte“ schon Pinots auf die burgundische Art, als der Rest der Ostschweizer Winzer noch ihre innert Jahresfrist zu trinkenden kuranten Blauburgunder herstellte.
Der 2006-er von Pircher landete bei einer von mir 2012 durchgeführten Degustation mit führenden Pinots aus der Schweiz und aus dem Burgund (Level 1er Cru) damals an dritter Stelle – vor jedem Franzosen. Der Jahrgang 2016 nun besticht durch eine fruchtige, schon fast explosiv pinot-typische (Himbeeren, Johannisbeeren, Nelken) und mit dezentem Holzton unterlegten Nase und einen druckvollen, feurigen und doch filigranen, eleganten Auftritt im Gaumen! Ein absoluter Spitzen-Pinot, der sich höchstens vor den Allergrössten dieser Pinot-Welt verstecken müsste!