Stephan Herter, der Winzer mit den richtigen Rezepten: Einsatz, Beharrlichkeit und Empathie!

Stephan Herter zeigt am Winterthurer „Taggenberg“, dass er als gelernter Koch auch in der Weinherstellung die richtigen Rezepte gefunden hat. Seine Weine sind hervorragend und gleichzeitig sowohl klassisch wie auch eigenständig.

Eigentlich ist er ja gelernter Koch, und dank einem sehr guten Lehrabschluss hatte er die Möglichkeit, sich in der absoluten Spitzengastronomie weiter zu entwickeln. Allerdings kam Stephan Herter da auch intensiv mit Wein in Kontakt, und das hat ihn nie mehr losgelassen. Nach einigen Jahren im Weinbusiness, zuerst als Weintechnologe, dann in fast jeder Position in einer führenden Schweizer Weinhandlung, wollte er sein eigenes Weingut gründen. Diverse Stages brachten ihm viele Impulse, ganz besonders beeindruckt hat ihn die Tätgigkeit auf der Domaine Leflaive, wo er in einem Team mit einer wundervollen Person (Zitat Herter) an der Spitze (die leider inzwischen verstorbene Anne-Claude Leflaive) auch die biodynamische Arbeitsweise kennenlernte.

Das Gute liegt so nah
Umgesehen hat er sich für ein Weingut dann weit in der Weinwelt. Südfrankreich wäre eine Option gewesen, aber eigentlich mag er den nördlichen Weinstil besser. Im Rheingau hätte er ein Gut übernehmen können – aber „nur“ Riesling, das war ihm zu wenig spannend. Schliesslich begann er auch in der Deutschschweiz zu suchen, wobei sein Vorgehen einzigartig war. Er ging nicht den Angeboten nach, sondern suchte zusammen mit einem Freund, der Geologe ist, nach einem bodentechnisch perfekten Ort. Gefunden hat er diesen dann in Winterthur, „seiner“ Stadt, in der er lange gelebt hat und die ihm ans Herz gewachsen ist (dem Schreibenden übrigens auch). Der Taggenberg, eine kleine Erhebung am westlichen Stadtrand, weist nämlich eine ganz aussergewöhnliche geologische Struktur auf. Er wurde geprägt vom Gletscher, aber anders als etwa der silex-geprägte benachbarten Hügelzug des Irchels gibt es hier Buntsandstein – und zwar nachweislich aus der Pfalz stammend und vom Gletscher hierhier transportiert. Aber damit nicht genug: Den Hügel durchzieht auch eine Kalkzunge, welche wiederum aus der Champagne stammt. Es gibt Lagen am Taggenberg, die nur rund 20 cm Humus aufweisen – darunter kommt direkt der Stein. Das zwingt zwar den Winzer zum Bohren, wenn er Pfähle einschlagen will, gleichzeitig aber auch die Rebe, ganz tief und weit durch den Kalk zu wurzeln. Kein Wunder also, dass hier vor rund 30 Jahren das Ehepaar Hans und Therese Herzog schon einmal absolute Spitzenweine produzierte, bevor es nach Neuseeland auswanderte.

Perfekte Weinlage am Rand der Stadt: Der geologisch einzigartige „Taggenberg“ in Winterthur.

Beharrlichkeit bringt Reben
Was aber tun mit diesem Wissen? Der Hang war weiterhin mit den von Herzog’s bepflanzten Reben bestockt, aber das Land ist auf etwa ein Dutzend Besitzer aufgeteilt und war zudem verpachtet. Es war immerhin ein schon über dem Pensionsalter stehender Landwirt, der die Reben pflegte. Und so änderte Herter seine Gewohnheiten: Statt ins obere Tösstal führten ihn seine Ausfahrten mit dem Moutainbike neu tössabwärts und in Richtung Irchel – und dabei fast jedes Mal vorbei am Hof des alten Bauern, um ihn zu überzeugen, die Reben doch abzugeben. Und tatächlich, irgendwann war er durch Herters Hartnäckigkeit „weichgeklopft“, ab dem Jahrgang 2012 konnte Herter die Reben am Taggenberg übernehmen. Wobei, ganz so einfach war auch das noch nicht, denn aufgrund seiner Ausbildung ging Herter amtlich nicht als Winzer durch. Also musste er sich noch im Schnellgang ausbilden. Auch diese „Lehre“ hat ihn geprägt, er konnte sie bei Michael Broger am Ottenberg absolvieren
vgl. hier: Michael Broger – der Pinot-Magier – Victor’s Weinblog
von dem er nicht nur weintechnisch, sondern auch menschlich („grandios“, Zitat Herter) viel profitieren konnte.

Beharrlichkeit musste Stephan Herter aber auch in andere Hinsicht beweisen. Er hat inzwischen 9 Jahrgänge gekeltert, und davon verliefen gerade deren zwei „normal“. Abgesehen von, wie Herter selbst einräumt, eigenen Fehlern, waren vor allem die beiden Frostjahre 2016 und 2017 schlimm und existentbedrohend. Aber Herter kaufte in diesen Jahren fremdes Traubenmaterial, und daraus entstand die Weinlinie „Väterchen Frost“. Handeln statt jammern – kein schlechtes Rezept!

Durchhaltewille zeigt er auch in der Bewirtschaftung. Er hat in all den Jahren nie eine „chemische“ Spritzung durchgeführt. Herter arbeitet nach biologisch bzw. bio-dynamischen Grundsätzen, ist aber nicht zertifiziert. Dies vor allem auch deshalb, weil er sich mit den Weltansichten des Rudolf Steiner schwertut und Bio-Suisse inzwischen als Instrument des Grosshandels empfindet – mit beidem will er nicht in Verbindung gebracht werden.

Aber auch ohne Zertifikat ist Herter beharrlich. Es kam auch im Jahr 2020, das durch den ständigen Wechsel von Nässe und Sonne in der Pilzabwehr problematisch war, mit nur 800 g Kupfer pro Hektar aus (erlaubt sind im Biorebbau 5 Kg), was auch nicht mehr signifikant höher liegt, als es für den anfälligeren Teil der Piwi-Sorten auch noch notwendig ist. Piwi ist für Herter ohnehin kein Ersatz; seiner Meinung nach kommen diese qualitativ vorerst einfach noch nicht an die Europäersorten heran, jedenfalls dann, wenn es darum geht, mineralische, trockene und ausdrucksstarke Terroirweine zu produzieren.

Herter tut aber auch so viel für die Natur. In mehreren Projekten zusammen mit der Naturschutzorganisation „Birdlife“ hat er Naturräume geschaffen, in denen sich Nützlinge ansiedeln und die Biodiversität verbessern können. Er ist überzeugt, dass er unter anderem auch deshalb noch nie wirkliche Probleme mit der Kirchessigfliege hatte. Zweifellos sind diese naturnahen Massnahmen der Weinqualität zuträglich. Ganz abgesehen davon ist er mit seinem Rebberg in einer privilegierten Lage: Er schneidet die Reben heute auf etwa 10 Augen zurück, und das ergibt dann aufgrund des Alters (ca. 45 Jahre) genau den bescheidenen Ertrag, den er für seine Weine anstrebt. Im Klartext: Herter muss keine „vendange verte“ ausführen, die Ertragsregulierung übernehmen die Pflanzen selbst.

Voller Einsatz bringt Infrastruktur
Mögen die Voraussetzung noch so gut sein, ein Newcomer ohne viel Geld kann nur bestehen, wenn er auch mit grossem Einsatz bei der Sache ist. Beim kontinuierlichen Ausbau seines Hofes legte und legt Herter immer selbst Hand an. Zurecht mit Stolz zeigt er den Barrique-Keller, ein Bauwerk, da er innert weniger Monate zu einem grossen Teil und selbst auf dem Bagger sitzend geschaffen hat.

Der mit den guten Rezepten und dem selbst geschaffenen Barrique-Keller: Stephan Herter.

Herausfordernd war auch die Corona-Sitation. Bedingt durch seine frühere Tätigkeit in der Gastronomie und dem Weinhandel war Herter im Absatz stark von Restaurants abhängig. Sozusagen von einem Tag auf den anderen blieben im Frühjahr 2020 die Bestellungen aus. Statt jammern suchte Herter sämtliche ihm bekannten Adressen von Kunden, Freunden und Bekannten zusammen und bot die Weine forciert im Direktverkauf an. Das Resultat: Bald stand Stephan statt im Rebberg tagelang im Keller und schnürte Pakete bzw. im Büro und schrieb Rechnungen!

Empathie für die Mitmenschen und für den Wein
Weil er deshalb während der arbeitsintensivsten Zeit im Rebberg fehlte, suchte der via soziale Medien nach Helfern – mit grossem Erfolg. Das war auch deshalb wichtig, weil aufgrund von Covid ein Teil seiner regelmässigen Helfer ausfiel. Seit Jahren bietet Herter nämlich Menschen, die eher auf der Schattenseite des Lebens stehen, die Möglichkeit, zeitweise bei ihm zu arbeiten und damit eine Aufgabe zu haben. In diesem sozialen Engagement habe er schon „Junkies“, „Knastis“ und „Alkis“ auf dem Betrieb gehabt und durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Mit Abstand am schwierigsten, sagt ausgerechnet ein Winzer, sei der Umgang mit alkoholabhängigen Personen – das sei ein unvorstellbares Elend. Eine Warnung an uns alle, die wir den Wein so gerne haben, mit Mass und Vernunft zu geniessen!

Empathie, oder meinetwegen Fingerspitzengefühl, beweist Stephan aber vor allem auch bei der Weinproduktion. Natürlich profitiert er von einer hervorragenden Lage und alten Reben – und noch dazu davon, dass der erwähnte Hans Herzog „en fräche Siech“ gewesen ist, und damals nebst verbotenen Sorten auch spezielle Klone aus Frankreich gesetzt hat. Aber ganz offensichtlich hat Stephan Herter auch viel gelernt und dazu noch viel mehr Gefühl für den Wein entwickelt. Auf eigenen Hefen vergoren, so wenig Eingriffe wie möglich, ein trockener und eleganter Stil, der die Weine vor allem als Essensbegleiter aufblühen lässt und einen vielleicht nicht mit einem Bluffer-Stil sofort anspringen. Das Sortiment ist absolut überzeugend – der Koch findet auch als Winzer die feinsten Rezepte!

Aber lesen Sie selbst die nachstehenden Degustationsnotizen.

Sehr wichtig ist für Stephan Herter auch, dass die Weine ihre Herkunft zeigen – auf der Suche nach dem brühmten „Terroir“ sozusagen. Dass das nicht nur grosse Worte sind, zeigt er mit einem „Experiment“ mit dazugekauften Trauben aus Stein am Rhein. In diesem Fass lagert ein Pinot, der auf reinem Nagelfluh gewachsen ist, und mit dem Herter den Unterschied der verschiedenen Gesteins-Untergründe aufzeigen will.

Die Degustationsnotizen

Fabelhafte Parade der Fabelwesen: Herter’s tolles Sortiment (und es gibt noch mehr!)

„Väterchen Frost“, Schaumwein
Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; sehr fruchtbetont und „weinig“, Golden-Delicious-Apfel, Stachelbeeren, weisser Pfirsich, leichter, sehr feiner Hefeton; im Mund füllig, gut stützende Säure, kaum spürbarer Alkohol, neckische, dezente Süssnote, langer Abgang. Ein Masstab für Schweizer Schaumwein! 17 Punkte (= sehr gut).

Ferdinand, Räuschling 2019
(Degunotiz aus der Erinnerung, ich habe den Zettel verloren … aber der Eindruck ist sehr geblieben!)
Helles Gelb; Duft nach Orangen und Mirabellen, blumige Anflüge (u.a. etwas Flieder); im Mund mit knackiger Säure, filigran aber trotzdem für einen Räuschling erstaunlich dicht, langer Abgang. Toller Räuschling der eher traditionellen, aber doch etwas modern umgesetzten Art! 16 Punkte (= am oberen Ende gut).

Rufus, Sauvignon blanc, 2019
Mittleres Gelb, Stachelbeeren, Holunderblätter, nasses Gras; im Mund enorm frisch, sehr mineralisch, knackige Säure, sehr langer Abgang. Toller, mineralischer Sauvignon, den man blind in der Steiermark ziemlich weit vorne ansiedeln würde. 17 Punkte (= sehr gut).

Stix, Chardonnay 2019
Helles Strohgelb, Williams-Birne, Lychee, etwas neues Holz; im Mund rund mit ausgeprägter Fruchtsüsse, Holz und Toastung spürbar, gute Säure und gut eingebundener Alkohol. Schöner Wein, der als einziger stilistisch etwas aus dem Rahmen fällt. Mir ganz persönlich würde er etwas weniger „ausladend“ und dafür stählern noch besser gefallen. 16 Punkte (= am oberen Ende gut). Und Liebhaber dieses Stils würden ihn wohl noch höher bewerten.

Grimbart, Pinot noir 2019
Eher helles Rot; in der Nase zurückhaltend, rote Johannisbeeren, etwas Himbeer, würzig (Anflug von Lorbeer), leichter Holzton; im Mund filigran, herrlich ausgewogen mit spürbaren, feinen Tanninen und stützender, aber nicht aufdringlicher Säure, Alkohol erst im mittleren Abgang mit etwas „Feuer“ spürbar, leichter, schön eingebundener Holzton. Eleganter, frischer und charaktervoller Pinot der leichteren Art. 16,5 Punkte (= sehr gut).

Adelheid, Pinot noir/Cabernet, 2019
Recht dunkles Purpur; in der Nase Cassis und helle Fruchttöne, etwas Thymian; trotz spürbarer Säure und prägnanten Tanninen im Mund wie Samt und Seide, frisch und saftig, mittlerer Abgang. Eigentlich bin ich immer skeptisch gegenüber ausgefallenen Assemblagen, aber das hier ist eine schöne nördlich-frische Alternative, wenn eigentlich ein südlicher Wein passen würde (ich habe ihn zu Lamm sehr gut gefunden). 16,5 Punkte (= sehr gut).

Ruprecht, Pinot noir 2018
Für einen Pinot sehr dunkles Purpur; wunderschöne, pinot-typische Nase mit Himbeeren, Johannisbeeren, ganz dezent spürbares Holz; im Mund ein Feuerwerk: dicht, enorme Frische, gute Säure, trotz hohem Gehalt Alkohol kaum spürbar, langer und sehr „saftiger“ Abgang. Ein traumhaft guter, an das Burgund erinnernder Pinot, eine Referenz in der Schweiz. 18 Punkte (= hervorragend).
Leider ausverkauft.

HerterWein – Winterthur/Hettlingen

Und der Link zum „frechen“ Hans Herzog in Neuseeland:
Hans Herzog Marlborough Organic Winery

Weinlese – „Wümmet“ – am 19.9.2020: Noch nie so früh im Jahr. Aber so schön, trotz Wespen.

Für einmal vor lauter Freude in eigener Sache: Seit 33 Jahren pflege ich nun meinen eigenen kleinen Rebberg. In den ersten Jahren war es üblich, die Trauben ab dem 20. Oktober lesen zu können, der späteste Termin unseres Wümmet war der 1. November bei 4°. Und nun kommt 2020 ein neuer Rekord nach vorne: Weinlese am 19. September bei 27°!

2020 war wirklich ein spezielles Jahr, und wer noch nicht an den Klimawandel glaubt, könnte sich so langsam mit dem Gedanken befassen! Dabei war der Austrieb der Reben nicht einmal so früh, und es war auch kein aussergewöhnliches Hitzejahr. Aber es war einfach immer warm, und, obwohl es sehr trocken war, auch immer im für die Reben gerade richtigen Moment doch wieder mal mit Regen gesegnet. Einzig nicht so passend war die Blüte, da regnete es oft, was zu einem leichten „Verrieseln“ der Trauben führte.

Es war auch das erste Jahr, in dem ich allein für die 4 Aaren Reben verantwortlich war. Ich schätzte die neue Freiheit sehr und nutzte sie, um eine seit Langem erwünschte rigorose Ertragsbeschränkung vorzunehmen. In fünf Durchgängen von Ende Juni bis Ende August entfernte ich zurückgebliebene Trauben, und schliesslich konnte ich einen Ertrag ernten, der nicht einmal halb so gross war wie früher – obwohl wir auch zuvor nach gängigen Massstäben nie hohe Mengen einfuhren.

Massiv reduzierter Ertrag für hohe Qualität.
Ich erntete 60 Kg auf 400 m2 bzw. ca. 330 g pro Stock.

Ich gehe davon aus und hoffe, dass sich dies auch in der Qualität des Weins niederschlagen wird, auch wenn ich in diesem Jahr aus den Blauburgunder-Trauben „nur“ einen Blanc de Noirs herstellen lasse. Eigenen Rotwein habe ich noch zur Genüge (man will ja nicht immer nur den gleichen Wein trinken ….)

Die Ernte war auch deshalb speziell, weil es an diesem 19. September 2020 27° warm wurde. Erstmals überhaupt begann ich deshalb schon am frühen Morgen mit der Ernte (normalerweise muss man die Sonne abwarten, damit sie die Feuchtigkeit des Nebels trocknet). Diesmal war es anders, denn zu hohe Temperaturen tun dem Traubengut nicht gut. Das Timing war perfekt, kurz nach Mittag war die Ernte beendet, und genau da schaffte es die Sonne durch den Hochnebel.

Das wunderbare Herbstwetter der letzten Wochen erlaubte es aber auch, absolut gesunde Trauben ohne jegliche Fäulnis zu ernten – ein Traum für unsere Breitengrade! Trotzdem war die Lese herausfordernd: Die Wespen hatten auch Freude am guten Wetter und leider auch an den Traubenbeeren. Es gab fast keine Traube, die nicht ein oder mehrere angefressene Beere(n) aufwies. Und so war die Lesearbeit doppelt sinnlich: Jede Traube musste begutachtet und angefressene Beeren entfernt werden, weil sonst unerwünsche Essig-Bakterien in den Wein gelangten könnten. Dabei spielt natürlich das Auge eine wichtige Rolle, aber ebenso die Finger, welche mit einem Abtasten der Trauben so manche ausgehöhlte Beere spüren, die von blossem Auge unentdeckt bliebe.

Ganze Arbeit der Wespen: Eine Beere ist völlig ausgehöhlt!

Kurzum: Die Ernte 2020: Friedlich, stresslos, sinnlich! Einfach ein tolles Erlebnis. Wenn da nur nicht die Frage wäre, was mit dem Klima und uns passiert.

Corona macht erfinderisch: spannende Online-Degustationen zum Mitmachen!

Die einen stecken den Kopf in den Sand, die anderen handeln. Hier zwei Beispiele innovativer Winzerinnen und Winzer, welche das Beste aus der Situation machen. Und wer weiss, vielleicht ist das bis in ein paar Jahren gar die Normalität?

Als Weinblogger fragt man sich natürlich in diesen Zeiten, ob man überhaupt noch Beiträge schreiben soll, darf, kann oder gar muss. Es gibt in diesen Tagen wahrlich Wichtigeres als Wein – und ist es nicht schon fast peinlich, Texte über die wichtigste Nebensache der Welt zu schreiben (die bisher wichtigste liegt ja inzwischen ganz auf Eis)? Ich für mich habe vorerst entschieden, weiter zu bloggen, behalte mir aber vor, in ein paar Wochen je nach Entwicklung anders zu denken. Der Hauptgedanke: Etwas Schönes muss der Mensch ja auch noch haben!

Der heutige Beitrag fällt mir da um so leichter, als er lediglich einen Hinweis auf Leistungen anderer darstellt. Wenn Degustationen vor Ort verboten sind (ausgerechnet im Frühling, wenn die neuen Weine auf den Markt kommen und üblicherweise die höchsten Umsätze erzielt werden), haben sich zwei Winzer unabhängig voneinander zu einer speziellen Aktion entschlossen: online degustieren!

Schwarz Wein aus Freienstein: Wine goes online!

SchwarzWein in Freienstein (ZH) schreibt dazu: „So was haben wir noch nie gemacht. Jetzt ist ja die Zeit um etwas Neues auszuprobieren.“
Und die Cave du Rhodan (VS), über die ich eben erst hier berichtet habe,
https://victorswein.blog/2020/03/07/domaine-trong-der-cave-du-rhodan-bio-dynamisch-an-die-spitze/
notiert: Bleiben Sie Zuhause, bleiben Sie gesund – wir kommen zu Ihnen. Das Projekt #WalliserSonnenschein geht in die nächste Runde und bietet Ihnen die Möglichkeit interaktiv und Live online Weine zu degustieren.

Und die gleiche Idee der Cave du Rhodan. Die Daten passen sogar, man kann am 2.4. Weine aus dem Wallis und am 3.4. (sowie weiteren Daten) aus dem Zürcher Unterland degustieren!

Soll man in diesen Zeiten noch bloggen? Wenn man so innovativen Winzern damit vielleicht ein wenig zusätzlich helfen kann, dann ist die Antwort ohnehin ja. Aber wie ausgeführt, es werden auch weitere, „normale“ Beiträge folgen!

Anzumerken ist noch dies: Beide Weingüter haben sich schon länger durch eine ausgeprägt moderne Art und Weise auch Online und in den sozialen Medien präsentiert. Und sicher nur deshalb waren beide auch in der Lage, sofort zu reagieren und die Weindegustation online anzubieten. Erfolg kommt also nur sehr selten zufällig, sondern ist erarbeitet – damit es auch in Krisenzeiten noch läuft!

Zu Priska und Andreas Schwarz wollte ich übrigens schon lange auch schreiben, nicht nur, weil ich deren Weine toll (und Teile davon manchmal auch „genial-verrückt“ modern) finde, sondern auch, weil sie selbst einen „Video-Weinblog“ betreiben, in dem mit gut gemachten Filmen auf wunderbare Art und Weise vermittelt wird, was auf dem Gut gerade abgeht). http://winzerblog.ch/.

https://rhodan.ch/blogs/news/live-weindegustation-so-funktionierts
https://weingutschwarz.ch/eventsver/live-weindegustation/

Mutiger Gemeinderat als Geburtshelfer: 25 Jahre Markus Weber auf dem „Turmgut“!

Bürokratisch, stur und ohne Innovationskraft. Das sind so Attribute, mit welchen auch heute noch eine Gemeinde oft beurteilt wird. Völlig zu unrecht, und zwar schon seit einem Vierteljahrhundert, wie das Beispiel des Turmgutes in Erlenbach zeigt!

Das Turmgut mit seinen Reben in Erlenbach: einzigartig am Zürichsee!

Es war Ende der 1990er Jahre, und wir waren bei Freunden in Erlenbach am Zürichsee zu Gast. Das war die Zeit, als erste Schweizer Winzer auch tollen Pinot noir (oder eben Blauburgunder) produzierten – aber am „Zürisee“? Ich hatte zuvor während einem Jahrzehnt mit diesen Freunden zusammen die Firstclass-Weinkarte der Swissair produziert, und so war zu erwarten, dass sie einen guten Wein servierten. Er war auch gut – sehr gut sogar – aber er wurde blind serviert. Ich fand ihn toll, ein Pinot ohne Zweifel, aber woher nur? Sicher nicht vom „Zürisee“! Falsch: Der Wein stammte vom Turmgut in Erlenbach, produziert von dem mir damals völlig unbekannten Jungwinzer Markus Weber.

Inzwischen ist dieses Weingut eine „Institution“ und ein Betrieb, der seit nunmehr 20 Jahren zeigt, dass biologischer Weinbau auch in unseren Breitengraden erfolgreich betrieben werden kann.

Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, an einer kleinen Degustation mit Markus Weber teilzunehmen – und ihm dabei erstmals überhaupt persönlich zu begegnen: Ein total spannender Gastgeber, extrovertiert, aber nie ein „Plauderi“; ein Mann, der weiss, wovon er in Sachen Wein spricht (das Thema war fast kein anderes, er wäre garantiert auch sonst ein spannender Gesprächspartner), und ein Mann, der weiss, was er kann – aber auch, was er nicht kann. Einfach rundum sympathisch!

Markus Weber, der engagierte Biowinzer des Turmgutes.

Und die Weine heute: Den Pinot noir „Valeria“ 2017 fand ich etwas holzgeprägt, aber das wird sich wohl nach wenigen Jahren noch geben. Der Wein ist ungemein ausdrucksvoll, mit einer – trotz Holz – schönen Frucht und mit einer Struktur, die eine schöne Zukunft prognostizieren lässt. Der Müller-Thurgau – bei Weber immer noch „Riesling Sylvaner“ genannt – weit über dem, was man von dieser Sorte so erwarten kann. Und der (anderweitig degustierte) Räuschling genau das, was diese Sorte vom Zürichsee so faszinierend macht. Absolut begeistert hat mich der Sauvignon blanc 2017: welch geniale Ausdrucksweise dieser Rebsorte! Dieser Wein scheint geradezu zu „fibrieren“, er vereint alle (auch, aber eben gerade nicht nur, vordergründigen) Düfte, die einen Sauvignon ausmachen, und er weist im Mund eine Fülle bei gleichzeitiger Frische aus, die wundervoll ist. Das ist Weltklasse, und ich stelle ihn in der Schweiz auf die höchste Stufe, zusammen mit den Sauvignons von Marco Casanova und Irene Grünenfelder! (Spannend: Weber und Casanova arbeiten biologisch, und Grünenfelder ist in Umstellung!)

Dem Raumplanungsgesetz sei Dank!

Die Geschichte ist aber mit einem kurzen Eingehen auf die heutigen Weine nicht zu Ende – im Gegenteil, sie beginnt im Jahr 1994 – oder eigentlich noch früher, 1986. Damals unterstellte der Kanton Zürich den Rebberg des Turmgutes in Erlenbach, das sich damals in Privatbesitz befand, einer „regionalen Freihaltezone“, was bedeutete, dass in diesem Bereich nicht gebaut werden durfte (sonst gäbe es heute an diesem Hang mit Sicherheit keine Reben mehr, sondern Villen – dem Raumplanungsgesetz des Bundes, welches diesen Eingriff erst möglich machte, sei Dank!). Das Bundesgericht urteilte Jahre später, dass dieser Entscheid keine „materielle Einteignung“ darstelle und somit nicht entschädigungspflichtig sei. Der Eigentümer pochte darauf auf dem sogenannten „Heimschlagsrecht“, was zur Folge hatte, dass der Rebberg zuerst, zum Schätzpreis als Rebland, an den Kanton Zürich fiel, welcher seinerseits das Land der Gemeinde Erlenbach übergab.

Pachtantritt am 15.11.1994: Diesen November feiert Markus Weber sein 25-jähriges Jubiläum

Der Gemeinderat Erlenbach suchte deshalb einen Pächter für die Reben und bewies sehr viel Mut – und aus heutiger Sicht Weitsicht! Die Turmgutreben wurden an den damals erst 26-jährigen Markus Weber verpachtet, der zuvor noch nie einen Betrieb geführt hatte und der zum Zeitpunkt der Ausschreibung erst noch in Australien weilte. Weber hatte aber das Glück, gleichzeitig noch weitere Rebanlagen übernehmen und die Weine vorerst bei einem anderen Weinbauern keltern zu dürfen.

Ausschnitt aus der Lokalzeitung von Mitte September 1994 – mit dem jungen Markus Weber als Newcomer.

Das Ganze war ein unglaubliches Wagnis. Nicht nur für die Gemeinde Erlenbach, deren Gemeinderat Innovationsgeist bewies, sondern auch für Markus Weber. Die NZZ berichtete am 19.1994 dazu Folgendes: „Markus Weber steht ein gerütteltes Mass an Arbeit bevor. Die Turmreben sind schlecht erschlossen, teilweise stark überaltert, die Hälfte der Weinstöcke sind immer noch an Stickeln befestigt, und der ganze Rebberg ist unterassiert und somit nur von Hand zu bearbeiten. Die rund 2,2 Hektar Rebfläche bieten eine insgesamt eher schmale Existenzgrundlage.“

Nun, die Reben wurden inzwischen (von der Gemeinde) terrassiert, und Markus Weber kann im November des laufenden Jahres als erfolgreicher Winzer sein Vierteljahrhundert-Jubiläum feiern!

Die Schaffenskraft von Weber hat zusammen mit der Weitsicht der Gemeindebehörden zu einem Vorzeige-Projekt im Rebbau geführt. Auch wenn es sachlich nicht ganz korrekt ist: Vielleicht wurde der Ausdruck „privat-public-partnership“ in Erlenbach erfunden!

http://www.turmgut.ch
Und der Link zur Gemeinde, die heute noch innovativ und sympathisch ist:
http://www.erlenbach.ch

Pircher – Pinot-Klasse am „Hochrhein“

„Home of Pircher“, der Eglisauer Stadtberg – eine auch landschaftlich sehr reizvolle Spitzenlage am oberen Rhein, Kanton Zürich, Schweiz. (Bild ab Homepage Urs Pircher).

Wir reden – zurecht – immer wieder über Newcomer. Dabei gehen die Klassiker nur zu oft vergessen. Einer dieser – nach Schweizer Verhältnissen – schon fast „ewig Etablierten“ ist Urs Picher aus Eglisau. Während andere noch netten Blauburgunder herstellten, vinifizierte Pircher schon einen hochklassigen Pinot noir aus der Barrique, der sich das Burgund als Vorbild genommen hatte. Seit 20 oder mehr Jahren, und bis heute, sind seine Pinots ein Inbegriff von Feinheit, Eleganz und Finesse !

Burgundische Pinots, als andere noch schliefen

Schon im Jahr 2000 – damals hatten viele von uns noch nicht einmal einen Internetanschluss – und eigentlich schon Jahre zuvor, kelterte Pircher Weine, die zu jener Zeit nicht in dieses Weinbaugebiet passten. Immerhin ist elektronisch ein schöner Artikel erhalten, der aufzeigt, was Pircher ausmacht(e):
https://folio.nzz.ch/2000/oktober/urs-pircher-selbstkelterer

All die tollen Newcomers, über die wir heute so gerne und zurecht schreiben, gab es damals noch gar nicht; und mehrere, wie Peter Gehring aus Freienstein, lernten gar ihr „Handwerk“ bei Pircher. (So ganz nebenbei: auch in neuerer Zeit machte sich Pircher als „Lehrmeister“ für führende Winzer verdient, so arbeitete auch Matthias Bechtel, ein neuer Stern am Schweizer Weinhimmel, seine Sporen bei Pircher ab).

Ich hatte soeben die Gelegenheit, an einer von Urs Pircher selbst geleiteten Degustation einiger seiner Weine teilzunehmen. Neu war das zwar nicht, denn ich hatte das Weingut schon seit Jahren immer wieder besucht. Erstmals aber durfte ich Urs Pircher selbst als Leiter der Veranstaltung erleben. Was vorerst auffällt: Eigentlich möchte Urs Pircher wohl lieber einfach in den Reben oder im Keller arbeiten, als vor Leute hinzustehen und reden. Aber: er kann auch das, und zwar deshalb, weil er einfach sich selbst bleibt. Seine Ausführungen waren für Weinfreunde ein tolles, authentisches Erlebnis.

Pinot forever: ein „gris“ vom Feinsten

Von wegen Erlebnis: Die degustierten Weine begeisterten. Vorab sein – nur bis und mit vergärtem Most auf dem Weingut hergestellter – Schaumwein ist sehr gut. Gar Spitzenklasse ist sein Pinot gris (2017): leichter Holzeinsatz, längere Lagerzeit auf der Hefe; ein lagerfähiger, ungemein sortentypischer, mit guter Säure versehener und dichter Pinot gris, der mit zunehmender Reife sogar noch gewinnen wird. Gleiches (ausser dem Alterungspotential) gilt für den Räuschling, den ich bei anderer Gelegenheit verkosten konnte; auch hier war ein Meister der Weinbereitung am Werk, und der teilweise Ausbau im grossen Holzfass tut dem Wein erstaunlicherweise sehr gut.

Etwas weniger begeistert war ich persönlich vom Riesling, der erst im dritten Jahrgang hergestellt wird. Mir war die Restsüsse, wenn auch nicht übertrieben, zu hoch, und so richtig „rieslingartig“ wollte mir der Wein auch nicht erscheinen. Er ist sehr gut und reintönig gemacht, liegt marketingmässig vermutlich total im Trend und wird sicher zu recht seine Freunde finden – aber braucht es das in der Schweiz wirklich? (Man zeige mir den Riesling aus der Schweiz, der in Sachen Preis-Leistung auch nur annähernd an einen guten deutschen herankommt!).

Wirklich spannend indessen eine rote Cuvée aus Regent, Zweigelt und Pinot noir. Der 2016-er ist recht „hart“ gekeltert, aber dennoch schon jetzt genussvoll zu trinken. Auch wenn ich persönlich bisher solche Cuvées eher skeptisch sehe: Hier wird es spannend sein, die Entwicklung in den nächsten Jahren zu verfolgen. Persönlich bin ich überzeugt, dass dieser Wein sich noch mehr öffnen wird. Es könnte eine jener Cuvées mit einer Piwi-Sorte sein, die mich meine Vorurteile vergessen  macht.

Urs Pircher, Schweizer Pinot-Pionier der ersten Stunde (er öffnet gerade seinen exzellenten Pinot noir 2016).

Der Höhepunkt aber war der Pinot noir 2016! Wie eingangs erwähnt, Pircher „konnte“ schon Pinots auf die burgundische Art, als der Rest der Ostschweizer Winzer noch ihre innert Jahresfrist zu trinkenden kuranten Blauburgunder herstellte.

Der 2006-er von Pircher landete bei einer von mir 2012 durchgeführten Degustation mit führenden Pinots aus der Schweiz und aus dem Burgund (Level 1er Cru) damals an dritter Stelle – vor jedem Franzosen. Der Jahrgang 2016 nun besticht durch eine fruchtige, schon fast explosiv pinot-typische (Himbeeren, Johannisbeeren, Nelken) und mit dezentem Holzton unterlegten Nase und einen druckvollen, feurigen und doch filigranen, eleganten Auftritt im Gaumen! Ein absoluter Spitzen-Pinot, der sich höchstens vor den Allergrössten dieser Pinot-Welt verstecken müsste!

http://www.weingut-pircher.ch/data/index.php/de/

Und andere erwähnte Winzer:
https://weingut-gehring.ch/
http://www.bechtel-weine.ch/