Dem Tod von der Baggerschaufel gesprungen!

Der älteste in der Schweiz angebaute Pinot noir heisst heute Servagnin – und wäre, trotz 600 Jahren Geschichte, beinahe ausgestorben. Zum Glück blieb er uns erhalten. Hier die abenteuerliche Geschichte und ein toller Wein!

Um als unsichere Legende abgetan zu werden, sind die Geschehnisse noch zu jung. Dennoch sind bereits verschiedene, allerdings im Kern ähnliche Varianten im Umlauf. Besonders gut gefällt mir jene von Vinum (9/22) und die geht so: Der Salvagnin (bzw. Servagnin, siehe dazu später) galt im vorigen Jahrhundert als unzeitgemäss und kapriziös, also wurde er nach und nach durch andere Sorten bzw. Klone ersetzt. Als die letzte Rebfläche gerodet wurde, war das dem Baggerfahrer dann doch zu viel des Frevels. Also nahm er ein paar Stöcke nach Hause und pflanzte sie in seinem Garten. Dort überlebten je nach Quelle einer oder einige Stöcke, und aus diesen bzw. diesem gewann 1963 der Winzer Pierre-Alain Tardy die ersten Zweige, um die Sorte wieder neu zu lancieren.

Pinot aus dem Privatgarten

Als gesichert gilt jedenfalls, dass der Gartenbesitzer Werner Kaiser hiess und tatsächlich bei einem Bauunternehmen arbeitete. Da auch die Rodung der letzten Parzelle mit Salvagnin/Servagnin als wissentlicher Akt dargestellt wird, kann als sicher angenommen werden, dass es sich beim Rettungsversuch für die Sorte um eine bewusste Handlung des Werner Kaiser handelte. Er war sich denn später auch sicher, Pierre-Alain Tardy tatsächlich die von ihm gesuchte Sorte zur Verfügung stellen zu können.

Inzwischen bauen wieder 20 Winzer die Sorte auf rund sieben Hektar rund um Morges an, und die Qualitäten des fast ausgestorbenen Salvagnin/Servagnin werden heute wieder hoch geschätzt. Wenn man etwas weiter in der Geschichte zurückblättert, ist das auch gar nicht so verwunderlich:

Pest- oder Wirtschaftsflüchtende?

In die Schweiz gebracht, genauer nach Saint-Prex bei Morges, wurde die Sorte im Jahr 1420 durch Marie de Bourgogne, die Gemahlin eines Herzogs von Sayoyen. Je nach Quelle flüchtete sie vor der Pest – oder aber aus finanziellen Gründen. Jedenfalls wurde sie am Genfersee gut aufgenommen und als Dank für die Gastfreundschaft liess sei einige Setzlinge des Salvagnin aus dem Burgund nach Morges kommen. Salvagnin ist eine alte Bezeichnung für den Pinot noir – und damit gilt als gesichert, dass die Region Morges die erste in der (späteren) Schweiz war, in der Pinot noir angepflanzt wurde.

Die „Côte“ und der Genfersee vom Signal de Bougy aus gesehen. (St. Prex und Morges befinden sich links ausserhalb des Fotos)

Nun gilt es noch die Namensgebung aufzulösen: Die Rebe fand unter dem Namen Salvagnin de Morges oder Salvagnin de Saint-Prex, aber auch als Pinot Salvagnin und als Servagnin Verbreitung – bis zum Niedergang in den vorigen zwei Jahrhunderten. Nach der „Wiedergeburt“, welche gegen Ende des letzten Jahrhunderts speziell durch Raoul Cruchon (Domaine Henri Cruchon, Morges, heute einer der Top-Betriebe der Region) vorangetrieben wurde, konnte er nicht unter dem ursprünglich am meisten verwendeten Namen „Salvagnin“ auf dem Markt gebracht werden. Dieser Name wird nämlich inzwischen als Gattungsbezeichnung für einen in der Regel eher einfachen Wein aus dem Waadtland genutzt, welcher – als Pendant zum Dôle im Wallis – meist aus einer Mischung von Pinot noir und Gamay oder auch nur aus Pinot besteht. Mit etwas Graben im Archiv wurde aber schliesslich auch die frühere Bezeichnung Servagnin gefunden, und so heisst heute eben ein Salvagnin de Morges oder de Saint-Prex neu „Servagnin“.

Kürzlich bin ich im Keller auf eine jener „irgendwann zu Degustieren“-Flaschen gestossen, welche oft eher enttäuschen, hin und wieder aber auch ein echtes Highlight darstellen. Und beim Servagnin von Perey vins war es definitiv „hin und wieder“. Welch wunderschöner Pinot (sorry, Servagnin)!

Perey vignerons-encaveurs, sind eigentlich zwei Güter, die Domaine de la Balle in Vufflens-le-Château, und die Domaine des Abesses in Echandes, die allerdings nur etwa drei Kilometer auseinander domiziliert sind. Zusammen ergeben sich so rund 10,5 Hektar Reben. Der Servagnin wird aus Trauben beider Güter komponiert.

Die Etiketten erscheinen übrigens für alle Servagnin gleich, nur der Zusatz unterhalb gibt den Hinweis auf den jeweiligen Produzenten. Das ist meines Erachtens sehr gutes Marketing – wer sagt denn, Winzer könnten nicht gemeinsam etwas Tolles schaffen!?

Servagnin, Morges Crand Cru, 2019, Perey
Relativ dunkles Rot; eher verhaltene, aber sehr vielschichtige Nase mit fruchtigen Noten von Johannis- und Himbeeren, würzige Anflüge, aber auch Noten von Dörrpflaumen. Im Mund ausgesprochen dicht, schöne, feine Tannine, angepasste Säure, „saftig“ und mundfüllend, trotz Kraft auch mit einer gewissen Eleganz, langer Abgang. Würde man blind vielleicht durch seine Fülle nicht gleich als Pinot einschätzen, aber ein sehr schöner, erfreulicher Wein. 16,5 Punkte.

Accueil | Perey Vignerons-Encaveurs | Vufflens-le-Château | Vins vaudois la Côte (vins-perey.ch)

Es gibt auch die Möglichkeit, einen Degustationskarton mit Servagnin’s zu bestellen, allerdings weiss man nicht, welche Güter im Karton vertreten sind. Zum Kennenlernen ist das aber sicher eine sehr gute Möglichkeit:

Coffrets autour du Servagnin – Vins de Morges


Interessennachweis: Der Wein wurde im vorigen Jahr durch die Organisation „Vins de Morges“ im Rahmen der Lancierung des Projektes „Winify“ zu Degustationszwecken gratis zur Verfügung gestellt.

Das Projekt „Winify“ liess mich persönlich – auch augrund fehlender Informationen zum Zusammenspiel von Wein und Musik – etwas ratlos. Die Idee an sich finde ich cool, aber ich würde halt schon gerne wissen, weshalb jetzt gerade die ausgewählte Musik zum Wein besonders passen soll bzw., was sich der/die Person gedacht hat, als sie die Playlist zusammenstellte.

Sie können es aber gerne persönlich nachprobieren, hören kann man auch ohne Wein zu bestellen: WINIFY – Vins de Morges

Und übrigens: Im Paket zu Winify enthalten war auch ein Flasche Chasselas von der Domaine des Vaugues (Les Ecoussons 2020) in Chigny. Auch dieser Wein hat mich qualitativ überzeugt. Die Region westlich von Lausanne ist eine Entdeckung wert!

Bündner Herrschaft: geniale «Garagen-Weine» aus dem Profikeller.

Auch in einem eigentlich kleinräumigen, übersichtlichen Gebiet wie der Bündner Herrschaft kann man noch Unbekanntes entdecken. Und der Newcomer Fadri Itin etabliert sich qualitativ gleich in der Spitze.

Wunderbarer Wein aus herrlicher Gegend, die Bündner Herrschaft zwischen Maienfeld und Fläsch. (Symbolbild ohne direkten Bezug zum Winzer)

Wenn man Neues entdecken will, hält man sich am besten an Freunde und Bekannte in der entsprechenden Gegend. Oder an Sommeliers und Restaurantinhaber. Oder an Weinfreaks, die schon alles wissen. Und in der neuen Zeit genügt es manchmal auch, sich auf die Algorithmen der Social Media zu verlassen. Kürzlich erschien auf Instagram ein Beitrag eines Fadri Itin, der Wein präsentierte. Nach etwas Recherche bestellte ich je eine Flasche Chardonnay und Pinot noir – und war rundum begeistert. So macht Neues entdecken total Spass!

Fadri Itin an der Arbeit (Bild mit freundlicher Genehmigung ab seiner Homepage)

Aber der Reihe nach: Man sagt, dass hinter jeder Leistung eines erfolgreichen Mannes eine starke Frau steht. In Fadri’s Fall sind es eigentlich gleich zwei. Denn Winzer werden, das wäre ihm gar nicht in den Sinn gekommen – wie auch, wenn man in Trin bei Flims aufwächst, wo es Weiden und Steine, aber keine Reben gibt. Seine Mutter fand aber während der Berufswahl, «schnuppere doch mal bei einem Winzer». Obwohl seine erste Schnupperlehre – im Kanton Zürich! – ihn nicht begeisterte, folgten zwei weitere bei Hanspeter Lampert und Andrea Davaz, und danach war seine Berufswahl klar. Seine Lehre absolvierte er dann auch in diesen beiden Betrieben, womit eine qualitativ sehr gute Grundlage gelegt wurde. Allerdings hatte er da bereits Auslanderfahrung, er verbrachte vor der Lehre einige Zeit in Neuseeland und konnte da bei einem «kleinen» Betrieb mit 10 Hektar Reben mithelfen und erste Erfahrungen sammeln. Nach dieser Stage war für ihn erst recht klar, dass er den richtigen Beruf lernen würde.

Heute arbeitet Fadri Itin auf Schloss Salenegg in Maienfeld, gemäss Organigramm auf der Homepage als Winzer, gemäss Fadri aber auch als Helfer im Keller. Schloss Salenegg ist eine Referenz in der Herrschaft. Das Gut produzierte schon vor Jahrzehnten hervorragende Weine, welche sich vom damaligen schmalbrüstigen Einheitsbrei der Gegend wohltuend abhoben. Meiner Meinung nach hat das Gut dann aber einige Jahre ein wenig den Anschluss verpasst, plötzlich spielten Donatsch, Gantenbein, Studach und Co, die erste und bessere Geige. Inzwischen hat Schloss Salenegg aber nachgezogen und gehört wieder zu den qualitativ wichtigsten Adressen in der Herrschaft. Hier arbeiten zu können, ist also durchaus schon ein Privileg. (Und die Weine des Gutes probieren zu können übrigens auch!).

Schloss Salenegg in Maienfeld – das Wirkungsfeld von Fadri Itin. Die Weine des Gutes sind hervorragend und mehr als eine (Wieder-)Entdeckung wert.

Mit der Besitzerin von Schloss Salenegg, Helene von Gugelberg, kommt nun die zweite wichtige Frau ins Spiel. Fadri ist augenscheinlich voller Kraft und ehrgeizig, weshalb er auch seinen eigenen Wein herstellen wollte. Auf seine Bitte, etwas von den von ihm gepflegten Trauben von Schloss Salenegg kaufen zu dürfen, reagierte Helene von Gugelberg positiv. Und damit Fadri seine Barriques nicht in einer Garage aufstellen muss, darf er auch gleich noch den Keller des Weinschlosses mitbenutzen.

Der Jahrgang 2020 war sein Erstling, inzwischen gärt aber bereits der 2022-er. Auch wenn er auf Salenegg vinifizieren darf – seinen Wein macht er allein und so, wie er es gut findet. Wenn es um die Weine von Salenegg geht, ist der Kellermeister und Betriebsleiter Silas Hörler sein Chef, der befiehlt und entscheidet, bei seinen eigenen lässt er sich aber nicht dreinreden. Immerhin, fachlicher Austausch unter den beiden findet trotzdem statt, so holte Fadri sich u.a. bei Silas Rat als es darum ging, die besten Barriques anzuschaffen.

So gut, wie Fadris Weine gelungen sind, ist nicht auszuschliessen, dass sie in einer Blinddegustation einmal gar besser abschneiden könnten als jene von Schloss Salenegg. Auf die Frage, wie dann wohl der Kellermeister des Schlosses reagieren würde, sagt Fadri: «Ich weiss es natürlich nicht, aber ich denke er würde sagen, gut gemacht!» Die menschliche Chemie scheint auf Salenegg zu stimmen.

Allerdings dürften die Gelegenheiten zu Blinddegustationen ohnehin begrenzt sein. Fadri Itin ist sich bewusst, dass er nicht ständig bei Frau von Gugelberg stehen und um noch mehr Menge bitten kann. Und anderweitig Trauben oder gar Rebland in der Herrschaft zu erhalten, ist sehr schwierig. So ist Fadris Ziel, jedes Jahr je drei Barriques Chardonnay und Pinot noir herstellen zu können, was rund 900 Flaschen pro Sorte ergibt.

Die Weine des Fadri Itin werden also in einer Gegend der raren Weine wohl immer eine Super-Rarität bleiben. Trotzdem muss man als Neuling den Wein ja auch zuerst einmal verkaufen können. Zwar fragte er anfangs in einem ihm bekannten Restaurant erfolgreich nach, ob seine Weine ins Sortiment aufgenommen würden. Dann aber ging alles fast wie von selbst, und inzwischen verfügt Fadri von den aktuellen Jahrgängen (2020 bzw. 2021) nur noch über je rund 100 Flaschen. Wer also noch probieren will, muss sich beeilen!

Cool gemacht: Profil und Fingerabdruck kombiniert.

Fadri verfügt auch über eine professionell gestaltete, wenn auch informationsmässig noch etwas karge Homepage mit Webshop. Überhaupt ist der Auftritt sehr professionell und selbstbewusst. Die Etiketten zeigen sein Konterfei – in der Form eines Fingerabdruckes gestaltet-, als wollte er sagen: «Da bin ich, dafür signiere ich». Auch wenn das sehr selbstbewusst daher kommt, überheblich wirkt Fadri im Gespräch überhaupt nicht, eher bescheiden und geerdet.

Aber es war ihm wichtig, das Produkt und das Marketing hochwertig auszugestalten: «Wenn ich schon so etwas mache, dann richtig, und ich will mich auch optisch freuen können, wenn eine meiner Flaschen auf dem Tisch steht.“

Die Flasche überzeugt aber nicht nur optisch, sondern und vor allem auch durch ihren Inhalt. Es sind beides grossartige Weine, die auch einen eigenständigen Stil aufweisen und sich meiner Wahrnehmung nach eher an Burgund als an anderen Herrschäftlern orientieren.

Auf jeden Fall war da ein junger Mann am Werk, der augenscheinlich über enorm viel Feingefühl und Können in der Weinbereitung verfügt. Diese Raritäten muss man einfach weiterverfolgen!

Degustationsnotizen:

Polischet, Chardonnay Maienfeld, 2021

Helles Gelb ; in der Nase vielschichtig fruchtbetont (u.a. Aprikose, Lychee), auch würzige Anflüge, «mineralisch», spürbares neues Holz; im Mund tolle Frische, schöne Säure, eher filigran aber mit spürbarem Fruchtextrakt im Abgang, feine Tanninspuren spürbar, das Holz ist im Mund sehr gut eingebunden; langer Abgang. Rundum gelungener, toller Wein. (Wenn man, allerdings auf extrem hohem Niveau, etwas kritisieren wollte, dann vielleicht die ausgeprägte Frucht»süsse», die in einem sonst sehr «nördlichen Chardonnay» etwas an einen südlichen erinnert). 17-17,5 Punkte.

Sgraflin, Pinot noir Maienfeld, 2020

Mittleres, glänzendes Rot ; sowohl helle als auch dunkle Beerenaromen, etwas Gewürznelken; im Mund dicht und rund, viel Tannin, das aber sehr gut eingebunden ist, mittlere, harmonische Säure, ganz leichter, sehr schöner Bittertouch, fruchtbetont, burgundisches «Feuer» im sehr langen Abgang. Ein Wurf von einem Pinot, erinnert mich an einen Volnay, wobei es durchaus ein 1er-Cru sein könnte! 18 Punkte.

«Sgraflin» und «Politschet», Mauerläufer und Zaunkönig in romanisch, Fadris Muttersprache. Die Weinnamen stellen eine Hommage an seinen Arbeitsweg in der Lehrzeit dar, auf dem ihn das Vogelgezwischter jeweils begleitete.

FadriItin-Wein.ch

Schloss Salenegg Maienfeld: Weingut und Essigmanufaktur (schloss-salenegg.ch)


Interessennachweis: Die beiden Weine wurden vom Autor zu normalen Konditionen gekauft und degustiert/genossen. Das Gespräch mit Fadri Itin fand erst anschliessend statt.

Franciacorta: Die heimliche Schweizer Liebe denkt an die Umwelt und das Klima.

Raten Sie mal: In welches Land werden am meisten Weine aus der Franciacorta exportiert? USA? Japan? Deutschland? Belgien? Grossbritannien? Alles falsch! Die Reihenfolge stimmt zwar, aber deutlich davor steht die Schweiz mit einem Anteil von fast jeder vierten Flasche! Vielleicht kann man da sagen: „Champagner predigen und Franciacorta trinken“? Wobei das angesichts des Qualitäts- und Preisniveaus auch ganz vernünftig wäre. Und erst recht aufgrund des weltrekordverdächtigen Bio-Anteils in der Franciacorta.

Vielleicht ist es ja aufgrund der Umsätze in der Schweiz unnötig, aber dennoch: Die Franciacorta liegt am Südufer des Iseosees nördlich von Brescia, dem zu Unrecht unbekanntesten der grossen oberitalienischen Seen. Und Nomen ist manchmal tatsächlich Omen: Das „Francia“ geht zurück auf die Zisterzienser-Mönche aus Cluny (südliches Burgund, unbedingt sehenswert!), die sich in der Gegend vor bald tausend Jahren niederliessen und von der Steuer befreit waren (Francea Curtes = steuerbefreite Hof-/Gerichtszone). Und der Bezug zu Frankeich passt natürlich auch heute: Hier wird hochstehender Schaumwein nach der gleiche Methode wie in der Champagne hergestellt, und auch die Sortenwahl ist fast identisch. Chardonnay und Pinot noir herrschen vor, nur als Nebensorte ist hier Pinot blanc und nicht Pinot meunier zugelassen.

Wunderschöne Gegend: Blick aus Norden auf den Iseosee und Iseo; am Südufer beginnt die Zone für den Franciacorta DOCG.

Im Gegensatz zum französischen Vorbild ist die Geschichte der Schaumweine aus der Franciacorta allerdings noch sehr jung. Die erste Flasche wurde nämlich erst vor rund 50 Jahren (1961) produziert. Schon sechs Jahre später erhielt das Gebiet aber die DOC, doch erst anfangs der 1990-er Jahre kam wirklich Schwung in das Gebiet: Der Name wurde urheberrechtlich geschützt und es wurden neue Produktionsvorschriften erlassen. 1995 wurde das Gebiet schliesslich in den DOCG-Status erhoben. Heute beträgt die Anbaufläche knapp 3’000 Hektar, und über hundert Betriebe verkaufen knapp 14 Millionen Flaschen im Jahr (1980 waren es noch 9 Betriebe mit rund 200’000 Flaschen!). Die Weine der Franciacorta brauchen sich heute im Durchschnitt durchaus nicht mehr vor jenen aus dem französischen Vorbild zu verstecken.

Bio – nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart

Im biologischen Weinbau ist die Franciacorta vermutlich Weltmeister. Rund zwei Drittel der Rebflächen werden hier bereits zertifiziert biologisch bewirtschaftet oder sind in Umstellung. Zwar gibt es noch nicht so viele Flaschen mit dem Bio-Label auf dem Markt. Das liegt daran, dass es Weingüter gibt, die noch nicht die ganze Fläche umgestellt haben und die Biotrauben nicht separat verarbeiten wollen. Zudem lagert der Wein jahrelang, bevor er auf dem Markt kommt – der Markt hinkt deshalb der Realität im Rebberg hinterher.

Erbamat, die Sorte der Zukunft, die dem Klimawandel trotzen soll

Offensichtlich ist man sich am Iseosee, wo die Weine auf einer Meereshöhe von 200 bis 400 Meter wachsen (die Champagne liegt zwar noch tiefer, aber auch etwa 500 Kilometer nördlicher und hat keinen Mittelmeereinfluss) bewusst, dass der Klimawandel einen grossen Einfluss auf den Weinbau haben kann. Vermutlich kommt hier auch die fehlende Tradition zu Hilfe, wenn es um Neuerungen geht. Jedenfalls wurde eine neue Traubensorte zugelassen, die Erbamat. Während Chardonnay und Pinot noir heute schon im August geerntet werden müssen, braucht die Erbamat rund einen Monat länger bis zur Reife. Sie ist seit dem 15. Jahrhundert beurkundet, erlangte aber nie eine grosse Bedeutung und wurde bis vor Kurzem nur noch auf wenigen Hektar in Norditalien angebaut. Sie ist sehr säurebetont, weist einen tiefen Ph-Wert auf und ist relativ neutral im Aroma. Die Hoffnung ist deshalb, dass die Erbamat den Weinen Frische verleihen wird, ohne das aromatische Profil der Franciacorta-Weine deutlich zu verändern. Aktuell ist sie erst bis zu einem Anteil von 10 % erlaubt, womit ihr Potential langsam getestet werden soll. Bisher haben auch erst 10 Weingüter diese Sorte effektiv angepflanzt. Es gibt auch noch kaum Weine mit Erbamat-Anteilen auf dem Markt (siehe dazu weiter unten), aber es wird spannend zu beobachten sein, wie sich das entwickelt. Sieht man den rasanten Aufschwung in der Franciacorta der letzten 50 Jahren an, dürfte es nicht lange dauern, bis wir Schaumweine mit Erbamat-Anteil geniessen!

Verschiedene Schaumwein-Typen

Die Bezeichnung und die dafür zulässigen Rebsorten, die Lagerung, der Druck und die Dosage sind in der Franciacorta klar geregelt. Abgesehen von den Jahrgangsweinen und den Riservas gibt es drei Typen:

„Franciacorta“ steht für einen Grundwein aus Chardonnay, Pinot noir, Pinot blanc (höchstens 50 %) und Erbamat (höchstens 10 %), wobei sortenreine Weine aus Chardonnay oder Pinot noir möglich sind. Die Flaschen müssen nach der zweiten Gärung mindestens 18 Monate in der Flasche reifen und der Druck liegt zwischen 5 und 6 Atmosphären. Zudem kann dieser Wein in der Dosage mit Zero, Extra Brut, Brut, Extra Dry, Dry und Demi Sec hergestellt werden. Die möglichen Varianten aus Traubensorten und Dosage sind also fast unerschöpflich.

„Franciacorta Satèn“ ist eine Exklusivität der Gegend. Er darf nur aus Chardonnay (mind. 50 %) und Pinot blanc (höchstens 50 %) hergestellt werden, muss 2 Jahre in der Flasche lagern und darf nur als Brut auf den Markt kommen (wobei es durchaus tiefere Zuckerwerte gibt, die Bezeichnung lautet dann aber trotzdem Brut). Der entscheidende Unterschied liegt aber im Druck der Flasche; dieser muss unter 5 Atmosphären liegen – der Satèn sprudelt also etwas weniger und wirkt dadurch runder und „weiniger“.

„Franciacorta Rosé“ schliesslich kann wieder aus allen vier Traubensorten bestehen, vorgeschrieben sind aber mindestens 35 % Pinot noir. Die Flaschenlagerung muss 2 Jahre dauern. Die übrigen Vorschriften entsprechen jenen des „Franciacorta“.

Kleine Degustation in Zürich

Sehr sympathisch, professionell und unterhaltsam gleichzeitig: Sommelier Nicola Mattana.

Die allermeisten Betriebe der Region sind Mitglied im „Consortio per la tutela del Franciacorta“. Und dort ist man sich natürlich der Bedeutung des Schweizer Marktes bewusst. Kürzlich fand deshalb auf Einladung des Konsortiums eine kleine Präsentation und Degustation im „Signau House & Garden“ in Zürich statt (das „Signau“ ist übrigens ein Hotel in toller, aber ruhiger Lage mit einem wunderschönen Garten – eine echte Oase beim Kreuzplatz, relativ nahe des Stadtzentrums). Präsentiert wurden je ein Wein der drei Grundtypen, und die Präsentation lebte vor allem auch vom Charme und dem Fachwissen des beigezogenen Sommeliers Nicola Mattana.

Besonders gefallen hat mir dabei der Franciacorta „Golf 1927“ von Barone Pizzini:

Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; dezente, frische Frucht mit etwas Brioche und leichtem, schönem Hefeton; im Mund feingliedrig und elegant, trocken aber nicht knochentrocken wirkend (4 g RZ und 8 mg Säure). Schöner Schaumwein, der trotz Schwergewicht auf der Eleganz durchaus auch gehaltvoll ist. 16,5 Punkte.

Und wenn wir schon bei Barone Pizzini sind: Dieses Haus war nicht nur der erste Bio-Betrieb, sondern auch der erste, der im vergangenen Jahr mit dem „Animante“ einen Franciacorta mit einem Anteil der Rebsorte Erbamat auf dem Markt brachte (der Anteil beträgt noch bescheidene 3 %). Falls Sie danach suchen, achten Sie auf das Datum der Flaschenfüllung vom April 2019 oder später. Vorausgegangen waren die Pflanzung der Sorte auf rund einer Hektar im Jahr 2008 und viele Versuche in der Vinifikation. Daraus resultierten Weine, die leider nie auf dem Markt erscheinen durften, da ihr Erbamat-Anteil zu hoch war (erlaubt sind 10 %, siehe oben), aus denen aber sehr viel Wissen über das Verhalten der Erbamat gewonnen werden konnte.

Vorbildliche Information auf den Flaschen

Toll ist übrigens, dass auf fast allen Flaschen aus der Franciacorte die technischen Daten wie Säure und Zuckergehalt vor allem aber auch das Datum der Flaschenfüllung und des Dégorgements angegeben werden. Da könnten sich viele Francesi ein Vorbild nehmen!

Franciacorta: Nach uns die Zukunft! Das italienische „Qualitäts-Schaumweinzentrum“ auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.

Ach ja, und übrigens gibt es aus der Franciacorta auch stille Weine, ein Beispiel siehe hier:
Ca‘ del Bosco – eine Perle mit mehr als nur Perlen – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Links:
Consorzio tutela del Franciacorta, Strada del Franciacorta
Barone Pizzini: Organic Winery in Franciacorta


Interessennachweis:
Dieser Artikel entstand aufgrund der Anregung im Rahmen der oben beschriebenen Einladung des Consortio per la tutela del Franciacorta, im Weiteren aber ohne jede Einflussnahmen oder Verpflichtungen des/gegenüber dem Konsortium oder einzelner Produzenten.

„Alte Reben“ von Saalwächter – so grossartig kann Sylvaner sein!

Sylvaner – na ja, viel Positives wird dieser Sorte ja nicht zugeschrieben und „Weinkenner“ meiden sie eher. Ich finde, ganz grundsätzlich zu Unrecht, es gibt viele schöne Sylvaner. Aber was Carsten Saalwächter mit dem 2019er „alte Rebe“ in die Flasche gebracht hat, ist schlicht ergreifend!

Von Carsten Saalwächter war hier schon einmal die Rede:
„La Première“ von Carsten Saalwächter: Ein junger Mann macht Furore! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Inzwischen konnte ich mir von Weinfreund Florian Bechtold einige Flaschen Nachschub besorgen, und ausgerechnet ein „Basiswein“ hat mich total begeistert. Natürlich konnte ich es auch nicht lassen, den Spätburgunder vom Assmannshäuser Höllenberg 2018 zu probieren, der rote Spitzenwein des Gutes. Dieser zeigt sich akuell ziemlich verschlossen. Aber der Reihe nach:

Es gibt Weine, die fahren ein wie ein Blitz, und genau das ist beim Sylvaner alte Reben 2019 der Fall. Selten habe ich im Mund eine derartige „Frische-Explosion“ erlebt, die den ganzen Mund füllt und nicht mehr abklingen will. Das ist ganz grosse Klasse – und ein Wein notabene, der unter 15 Euro kostet! Hier die ganze Degustationsnotiz:

Carsten Saalwächter, Sylvaner alte Reben, 2019
Mitteleres Gelb; in der Nase zuerst zurückhaltend, etwas Belüftung tut ihm gut, dann schöne Töne von Mirabellen, weissen Johannisbeeren, Rharbarber, leichter Anflug von Holz; im Mund wie beschrieben eine reine Explosion von Frische, total mundfüllend und fast unendlich nachklingend, rassige, aber sehr gut eingebundene Säure, dezente, schöne Bitternote, leicht adstringierend, enorm dicht, langer Abgang. Ein Wurf – begeisternd und berührend! 17,5 Punkte.

Der Höllenberg in Assmannshausen ist wohl die Pinot-Lage in Deutschland schlechthin. Aus dieser Steillage über den Dorf und dem Rhein kommt das rote „Flaggschiff“ von Saalwächter. Der 2018 springt einen in seiner aktuellen Verfassung nicht gerade an. Er ist eher verschlossen, etwas krautig wirkend und braucht viel Luft. Sein Potential zeigt er aber sehr gut. Mir fehlt zwar die Erfahrung mit Saalwächter’s Weinen, aber ich bin überzeugt, dass es sich lohnt, die restlichen Flaschen ein paar Jahre liegen zu lassen um dann einen reifen und begeisternden Wein im Glas zu haben. Was auf jeden Fall für eine hohes Alterungspotential spricht: Es gab einen kleinen Rest in der Flasche, den ich nach einer vollen Woche nochmals probierte – und da war der Wein zugänglicher und noch kein bisschen müde oder gar oxydativ.

Carsten Saalwächter, Assmannshäuser Höllenberg, Spätburgunder 2018
Mittleres Rubin; etwas krautig mit Schwergewicht auf Brennesseln duftend, daneben dezente Frucht nach Johannisbeeren und Brombeeren, leichter Hefe-Touch; im Mund schöne Säure, vollgepackt mit feinen Tanninen, dicht gewoben, sehr vielschichtig, sozusagen ein friedlliches Nebeneinander von Fülle und Wucht mit Eleganz und Filigranität, auch im Mund etwas kräuterig und dezent hefig, sehr langer Abgang. Von wegen Abgang: Da denkt man plötzlich, dass kein bisschen von störendem Alkohol zum Vorschein kommt, also dreht man die Flasche und liest, dass der Wein nur bekömmliche 12,5 % Alkohol ausweist. Für mich ein Wein mit grossartigem Potential, ich sehe ihn bei 18 Punkten oder gar mehr, bin mir aber – aufgrund fehlender Erfahrung – nicht absolut sicher.

Assmannshausen und der steile Höllenberg.

Weingut Saalwächter – Weingut in Familientradition seit 1872 (saalwaechter.de)


Interessennachweis:
Beide Weine wurden zu normalen Konditionen käuflich erworben bei:
florian.bechtold@bechtold-partner.de

Handeln statt jammern! Cave du Rhodan ist erneut innovativ. Und ein toller Pinot dazu.

Die Familie Mounir von der Cave du Rhodan macht nicht nur hervorragenden Wein, sondern geht auch immer wieder mit innovativen Ideen voraus. Neu geplant ist die Installation eines Solar-Faltdaches über einer Rebparzelle, welches nicht nur Energie liefert, sondern die Reben auch vor Frost und Hitze schützen kann.

Wenn ich nur noch Wein aus einem einzigen Anbaugebiet trinken dürfte, dann würde meine Wahl auf das Wallis fallen. Praktisch nirgendwo sonst ist die Vielfalt an Rebsorten und damit Weinen grösser, und insbesondere die Spezialitäten bringen teils umwerfende Weine. Aber auch bei den internationalen Sorten wird inzwischen von den guten Betrieben ein qualitatives Niveau erreicht, das keinen Vergleich zu scheuen braucht. Es gibt keine Mahlzeit oder Gelegenheit, zu der nicht irgend ein Wein aus dem Wallis passen würde! Und das Schönste daran: Auch (bzw. vor allem) die absoluten Spitzenweine bewegen sich preislich noch immer in einem vernünftigen Rahmen.

Aber es ist manchmal auch so eine Sache mit dem Wallis. Die Strukturen im Rebbau sind mit vielen Kleinbesitzern immer noch problematisch – und insbesondere stimmensuchende Politiker spielen sich als „Oberjammeri“ des Landes auf. So forderte der (bürgerliche!) Nationalrat Benjamin Roduit in einer Motion kürzlich allen Ernstes, dass Einfuhrkontingente für Wein von der einheimischen Produktion abhängen sollen. Im Klartext: Nur wer Schweizer Wein produziert, darf auch quotenmässig ausländischen importieren.

Die Motion wurde schliesslich zurückgezogen, aber nur gegen das Pfand, dass der Bund den Absatz von Schweizer Wein weiterhin mit Millionen untertützt. Damit könnte man als Weinfreund noch leben, aber neu soll zusätzlich eine „Klimareserve“ für den Schweizer Wein geschaffen werden. Darunter zu verstehen ist, dass die Winzerinnen und Winzer pro Quadratmeter in bestimmten Fällen mehr Trauben ernten dürfen, als es die kantonale Quote zulässt. Man hat ja dann dafür ein paar Millionen übrig, mit denen der Absatz von minderwertiger Ware gefördert werden kann ….

Innovation hoch 2: Cave du Rhodan geht wieder voran

Wenden wir uns aber doch erfreulicheren Themen zu. Die Familie Mounir gehört mit ihrem Cave du Rhodan schon seit einiger Zeit nicht nur zu den qualitativen Spitzenbetrieben, sondern hat sich auch der Nachhaltigkeit verschrieben. Besonders erwähnenswert ist dabei die Transparenz, welche die Familie an den Tag legt. Unter diesem Link:
Nachhaltigkeit – Cave du Rhodan
kann nachvollzogen werden, was ganz konkret schon umgesetzt wurde und woran noch gearbeitet wird. Welch ein Gegensatz zum Geplauder von Politikern!

Vorbildlich: Sandra und Olivier Mounir, Cave du Rhodan

Nun wollen Mounir’s gar nochmals einen Schritt weiter gehen. Geplant ist, auf einer geeigneten Parzelle ein Solarfaltdach anzubringen, das eine Mehrfachnutzung der Rebfläche ermöglichen würde (Wein und Strom). Man verspricht sich auch Vorteile durch die Anlage, so vor allem ein gewisser Frostschutz durch das „Dach“ und auch die Möglichkeit, dank einer gezielten Beschattung auch die Hitze erträglicher zu machen und damit die Reife herauszuzögern. Das Projekt muss allerdings noch einige Hürden nehmen (unter anderem auch solche, für welche die Politik zuständig ist ….).

Immerhin stösst es auf hohes Interesse, und es war vorgestern sogar einen Beitrag im „Echo der Zeit“ des Schweizer Radios wert – die für mich beste politische Sendung, die ich kaum je verpasse und die erfunden werden müsste, wenn es sie nicht schon gäbe. Sie können den Beitrag hier nachhören:
Solaranlagen auf dem Bauernacker – Echo der Zeit – SRF
Und hier auch der Link auf den Projektbeschrieb auf der Homepage der Cave du Rhodan:
Das Solarfaltdach im Weinbau von Cave du Rhodan – Agri-Photovoltaik

Toller, ehrlicher und frischer Pinot noir

Kommen wir zurück zum Anfang. Tatsächlich gibt es ja inzwischen im Wallis Weine aus internationalen Sorten, die sich mit den besten der Welt durchaus messen können, so etwa Syrah’s, Merlot’s und Gamay’s. Bloss um die Pinot noir habe ich lange einen Bogen gemacht, zu sehr waren sie vom warmen Sommerklima geprägt: Tiefe Säure, keine Frische, fehlende Eleganz, dafür rund und nicht selten gar etwas brandig. Bei meinem ersten Besuch bei der Cave du Rhodan musste mich Sandra Mounir deshalb auch fast nötigen, damit ich auch einen Pinot probiere. Und ja, es war ein Erlebnis! Und ebenfalls ja, es gibt inzwischen eine ganze Reihe von Produzenten, die es auch im Wallis schaffen, charaktervolle, finessenreiche und elegante Pinot noir zu produzieren.

Mein heutiger Tipp betrifft indessen nicht den Spitzen-Pinot der Cave (das wäre der „Diversitas Hommage Pinot noir“, der auch in der Mémoire des Vins Suisse vertreten ist), sondern einen aus dem Bio-Sortiment der Mounir’s. Es handelt sich um einen Prototypen eines Schweizer Pinot’s mit Tiefgang, der im Stahltank ausgebaut wurde und deshalb die Typizität und Fruchtigkeit der Pinottraube direkt zum Ausdruck bringt. Für mich etwas vom Besten, was es in der Schweiz an „Nicht-Barrique-Pinots“ gibt.

Pinot noir, Cuvée Espace 2018 (bio):
Eher helles, glänzendes Rubin; In der Nase rote Johannisbeeren, Walderdbeeren, Anflüge von Flieder und Grüntee; im Mund frisch, gute Säue, dabei aber auch kräftige Tannine, das Ganze sehr ausgewogen und fruchtbetont-saftig, dichter Körper, leichter, dem Wein aber sehr gut anstehender Bittertouch und ganz hinten im erstaunlich langen Abgang dann doch noch ein kleines Anzeichen auf das Wallis durch Aromen von Rosinen und Dörrzwetschgen. 16,5 Punkte (= sehr gut)

Walliser Weine aus Salgesch direkt beim Winzer kaufen | Cave du Rhodan

Mehr zu diesem Weingut siehe auch in meinen früheren Beiträgen:
Domaine Trong der Cave du Rhodan: (bio-)dynamisch an die Spitze! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Online-Degustationen sind mehr als nur ein Lückenfüller! Und die Weinzeitschriften pennen. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Und hier noch ein Link zu einem Artikel zum erwähnten Vorstoss von Benjamin Roduit in der Kommission es Nationalrates:

Schweizer Wein mit 9 Millionen fördern – Schweizer Bauer


Interessenhinweis: Den beschriebenen Wein habe ich käuflich erworben.

Die „alte Rebe“ 2016 von Michael Broger: umwerfend gut! Vielleicht ist es das, was andere mit „vibrierendem Wein“ meinen?

Michael Broger kreiert am Ottenberg bei Weinfelden seit bald zwei Jahrzehnten Weine, die zu den allerbesten und sicher den eigenständigsten in der Schweiz gehören. Sein Spitzen-Pinot „alte Rebe“ des Jahrgangs 2016 ist nun in der ersten Trinkreife und begeistert enorm!

Den Lesern meines Blogs, die von Anfang an dabei waren, ist Michael Broger natürlich schon ein Begriff (für alle anderen: siehe Links am Schluss des Beitrages). Und unbekannt ist er in der Schweizer Weinszene ja ohnehin nicht mehr. Aber irgendwie scheint er mit seiner bescheidenen, nie marktschreierischen Art doch nicht ganz das Renommée zu erreichen, das er aufgrund der Qualität seiner Weine verdient hätte.

Der Ottenberg zwischen Ottoberg und Weinfelden, hoch über dem Thurtal. Ein hervorragendes Terroir. Bloss der Fotograf war etwas ungeschickt, denn der Hof von Michael Broger versteckt sich ausgerechnet hinter dem grossen Baum in der Bildmitte. Aber vielleicht ist das fast ein wenig sinnbildlich für Broger: Lieber im Stillen Hervorragendes schaffen als sich gross in den Vordergrund stellen.

Eigentlich hatte ich jetzt gar keinen Blogeintrag über Broger geplant, es gab ja schon diverse Beiträge über ihn. Aber dann habe ich gestern die zweite Flasche seines Pinots „Alte Rebe“ aus dem Jahr 2016 geöffnet. Schon vor rund einem Jahr zeigte er sich sehr schön, aber noch zu jung. Jetzt hat er seine erste Trinkreife erreicht – und ich bin so begeistert, dass ich gar nicht anders kann als darüber berichten. Seit einigen Jahren lese ich bei Schreiber-Kollegen und -kolleginnen immer mal wieder von „vibrierenden“ Weinen. Ich habe das nie richtig verstanden, aber dieser Broger-Wein gibt vielleicht einen kleinen Eindruck davon, was damit gemeint sein kann: Ein Wein, der nicht einfach stromlinienförmig über den Gaumen rollt aber – mag er noch so gut und meinetwegen 20 bzw. 100 Punkte wert sein – den Trinkenden letztlich nicht „herausfordert“. Nicht so bei Broger, ganz allgemein, aber sehr pointiert bei der „alten Rebe“ 2016 im aktuellen Stadium: Dieser hervorragende Wein wandelt sich im Mund, wirkt im Antrunk ganz anders als im Abgang, scheint sich ständig einer Metamorphose zu unterziehen, fordert Achtsamkeit und will keinesfalls einfach so beiläufig getrunken werden. Kurz: Ein lebendiger, extrem vielschichtiger Wein, über den man den ganzen Abend philosophieren kann. Oder soll ich jetzt einfach schreiben „ein vibrierender Wein“? Vielleicht ist es wirklich ein Paradebeispiel dafür!

Michael Broger, „alte Rebe“ 2016, Pinot noir
Mittleres Rubin; feine, vielschichtige Frucht (Brombeer, Johannisbeer, Zwetschge), leichter Anflug von Teer, Waldboden und etwas Grüntee; im Mund vorab unglaublich „saftig“ und „lebendig“, extreme Frische, passende, eher „weich“ wirkende Säure, viele, aber sehr feine Tannine, enorm fruchtig. Im Abgang zuerst ein kleines Loch von 1-2 Sekunden, dann aber plötzlich ein fein-feuriger, fruchtiger und fast nicht endend wollender Abgang. Ein Wurf von einem Wein, zum Ausflippen schön! 18,5 Punkte.

Weingut – Michael Broger – Weinbau (broger-weinbau.ch)

Und hier noch die versprochenen Links auf bereits publizierte Beiträge in diesem Blog:

Michael Broger – der Pinot-Magier – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Der Pinot-Magier zaubert auch ganz ohne Schwefel! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Wildwest am Ottenberg: Broger’s PetNat-Abenteuer. Spannend wie die Weine selbst! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Kleines Meckern zu einem neuen Weinguide – und ein Happy End mit dem Weingut Riehen.

Ein neu erschienener Weinführer über Schweizer Weingüter füllt eine Lücke, gibt aber auch einige Rätsel auf. Dafür wählt er verdientermassen ein Weingut aus Basel zum besten des Jahres. Etwas Kritik von mir – und Applaus zum Schluss.

Kurz vor den Festtagen lag die neuste Ausgabe von Falstaff im Briefkasten, begleitet von einem Restaurant- und – neu – einem Weinführer für die Schweiz. Edel in schwarz/gold/weiss aufgemacht trägt der Wein Guide den Untertitel „Die besten Weingüter der Schweiz“.

Der Guide ist durchaus lesenswert und kann insbesondere für einen ersten Eindruck über die Elite der Weinschweiz wertvolle Hilfe leisten. Aber eben, über den Ausdruck Elite kann man wohl streiten. Es fiel schon in den letzten Ausgaben der Weinzeitschrift immer mal wieder auf, dass etwa „die besten Pinot noir der Schweiz“ angelobt wurden, allerdings mit einer Produzenten-Auswahl, in der die (vermutlich) wirklich Besten schlicht fehlten. Nichts gegen die jeweiligen Sieger, die anerkannterweise sehr guten Wein kreieren, aber ob sie wirklich die besten sind, blieb dabei leider offen.

Und nun eben dieser neue Weinführer: Mit einem bis vier Sternen werden ausgewählte Güter bewertet und auf jeweils einer bis zwei Seiten mit (wo ich es beurteilen kann, sehr guten) Degustationsnotizen zu einzelnen Weinen ergänzt. Dazu gibt es für jedes Weinbaugebiet eine Auflistung mit einer Kurzbeschreibung „weiterer Weingüter“.

Meine Kritik setzt vor allem bei der Auswahl der portraitierten Betriebe an. So bekommt in der Deutschschweiz etwa „Rimuss & Strada Wein“ eine eigene Seite – wie auch im Wallis das Maison Gilliard. Nichts gegen die beiden Unternehmen, Andrea Davaz hat die verstaubte und verstockte Rimuss schon kräftig positiv aufgemischt und Gilliard bringt tatsächlich einige sehr schöne Weine hervor, der aktuelle Petite Arvine soll gemäss Weinfreund Alexander Ulrich sogar grossartig sein. Trotzdem ist wohl kein Schelm dem auffällt, dass in der parallelen Rezept-Ausgabe des Weinmagazins bzw. im Führer selbst Inserate von Strada und des Gilliard-Besitzers Schuler erschienen. Nicht so direkt beobachtbar, aber vielleicht doch ähnlich gelagert mögen Beschreibungen der Gutsweine von Nauer und Siebe Dupf liegen. Und rätselhaft sind auch die drei Sterne für Provins – allerdings nur so lange bis man feststellt, dass ausschliesslich die Spitzenweine degustiert wurden.

Angesichts solcher Behandlungen erstaunt es schon fast nicht mehr, dass sich absolute Top-Produzenten und -produzentinnen wie von Tscharner, Donatsch, Broger, Besson-Strasser bzw. Marie-Thérèse Chappaz, Sandrine Caloz und Cave du Rhodan mit einem kurzen Eintrag unter „weitere Weingüter“ zufriedenstellen müssen.

Und weiter: Was sollen Portraits von Mikro-Weingütern wie Herbst Wein oder Vogt Weine mit eher „tiefen“ Degustationsnoten, während Vorzeige-Betriebe wie Burkhart, Schmidheiny und gar der Johanniterkeller (Hubacher) völlig fehlen? Und wenn schon ein Kleinbetrieb aus dem Zürcher Weinland: Warum nicht Patrick Thalmann (zur Metzg)?

Nun gut, die Ausgestaltung eines Weinführers bleibt immer ein wenig Ermessenssache, und man kann es als Weintester nie allen recht machen. Und bei aller Kritik: Die meisten der beschriebenen Güter gehören wirklich zur Schweizer Spitze und in diesen Führer.
Zusammengefasst: Ein durchaus gelungener Erstling mit sehr guten Degunotizen, dem in den nächsten Jahren aber noch etwas Feinschliff und vielleicht auch redaktionelle Unabhängigkeit gut tun würden.

Die Kollektion des Jahres – ein Volltreffer, ausgerechnet aus dem Stadtkanton Basel!

Zumindest bei der Wahl der „Kollektion des Jahres“, welche auf das Weingut Riehen fiel, liegen die Macher des Wein Guides aber mit Sicherheit richtig.

Riehen? Den meisten dürfte das rechtsrheinige Dorf, das einwohnermässig eigentlich eine Stadt ist und das zum Kanton Basel-Stadt gehört, wohl vor allem durch die Fondation Beyeler bekannt sein. Aber alle, die schon einmal in der Fondation gewesen sind, haben bei einem Blick aus dem Fenster fast sicher auch die Rebberge ennet des Flüsschens Wiese gesehen – den „Schlipf“, wo die Weine des Weingutes Riehen wachsen. Der Boden gehört der Gemeinde, und diese hatte 2014 ein sehr gutes Händchen, als sie die Reben zur Pacht an Hanspeter Ziereisen, deutscher Spitzenwinzer aus dem 10 Kilometer entfernten Efringen-Kirchen, und Thomas Jost vergaben. Unter „Jost & Zierseisen“ wurden schon damals tolle Weine hergestellt, aber so richtig durchgestartet ist das Gut erst nach dem Ausstieg von Thomas Jost, welcher den Weg für eine Beteiligung der renommierten Weinhändlerfamilie Ullrich (Paul Ullrich AG) und des Betriebsleiters Silas Weiss ermöglichte. Das nun als „Weingut Riehen“ signierende Gut kreiert seither Weine, die in der Tat rundum begeistern.

Der Rebberg Schipf oberhalb Riehen im Frühling 2019. Blick auf Riehen mit der Fondation Beyeler und den Sendeturm Chrischona. Rechts im Bild beginnt die Stadt Basel. Oberhalb liegt auf deutschem Gebiet der Tüllinger Berg, der herrliche Fernsichten auf den Schwarzwald, die Vogesen und den Jura ermöglicht.

Stilistisch sind sie durchaus von der Handschrift von Hanspeter Ziereisen geprägt, was natürlich allein schon Qualität verspricht.
Zu Hanspeter und Edeltraud Ziereisen siehe hier (am Schluss auch mit einem kleinen Hinweis auf das Weingut Riehen):
Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Die Weine aus Riehen sind aber nicht einfach eine Schweizer Kopie der Ziereisen-Weine. Hanspeter Ziereiesen sagt selbst, dass er den „Schlipf“ erst mit den Jahren so richtig kennenlernte und weiter lernt. Die Konstellation dieses Rebberges ist, obwohl mit ähnlichem Boden versehen und in fast gleicher Exposition nur rund 10 Kilometer von Ziereisens deutschen Reblagen entfernt, doch entscheidend anders. Insbesondere ist es in Riehen in Stadtnähe wärmer und die kühlen Nachtwinde des Schwarzwaldes fallen hier weniger prägnant aus als in Efringen-Kirchen.

Falstaff hat sechs Weine des Jahrgangs 2018 des Gutes degustiert, und die Punkte liegen zwischen 92 und 96, mit einem Durchschnitt von selbst für Falstaff-Verhältnisse sagenhaften 94,3 Punkten!

Ich habe über die Festtage drei der Weine selbst probieren können und stimme, wenn auch „massstab-bedingt“ auf tieferem Punkteniveau, der Beurteilung von Falstaff vollumfänglich zu! Aber aufgepasst: So herausragend die Weine, so „fordernd“ sind sie auch. Die naturnahe Weinbereitung mit Spontanvergärung und ohne Schönung bzw. Filtration bringt zwar augenscheinlich grossartige Tropfen hervor – sie haben aber auch Ecken und Kanten (und Aromen), die vielleicht nicht jedermann gefallen. Ich persönlich finde die Riehen-Weine ganz einfach genial gut!

Mit „handwerklicher Kunst“ zu Spitzenweinen: Die begnadeten „Macherinnen und Macher“, von links: Hanspeter und Edeltraud Ziereisen, Silas Weiss, Jacqueline und Urs Ullrich. (Foto ab Homepage des Weingut Riehen).

L’Unique Rouge 2018 (Pinot noir aus dem grossen Holzfass)
Dichtes, glänzendes Rubin; Tabak, Thymian, Heidelbeeren, Anflüge von Speck und frischen Kartoffelschalen; eher zurückhaltende Säure, dafür vollgepackt mit feinen Tanninen, leichter, schön eingebundener Bittertouch. Im Mund sehr fruchtig. Wirkt einerseits etwas wild und rustikal, hat aber andererseits auch eine elegante, runde Seite. Wird fast mit Sicherheit in 2-3 Jahren noch schöner dastehen! Für nicht einmal CHF 20.00 ein Hammerwein, vielleicht der beste Pinot, den man in der Schweiz zu diesem Preis erhält. 17,5 Punkte. (Falstaff: 94)

L’Unique Blanc 2018, Weissburgunder & Chardonnay
Mittleres Gelb; Zimt, Aprikosen, Williams-Birne, Boskoop-Apfel; sehr dichter, runder Körper, schöne Säure, etwas Tannin (?), mineralisch, mittlerer Abgang. Schöner Wein, man fragt sich höchstens, ob je reinsortig nicht noch spannender wäre? 17 Punkte. (Falstaff: 94).

Le Petit 2018, Sauvignon blanc
Mittleres Gelb; Duft nach Sternfrucht, Mirabellen, Cox-Orange (Apfel) und frisch gemähtem Gras, leichter Anflug von Lebkuchen; im Mund sehr dicht gewoben, schöne Säure, extrem fruchtig im Mund (primär Zitrus), „feurig“, aber keinesfalls alkoholisch, enorm langer, mineralischer Abgang. Herrlicher Wein! 18 Punkte. (Falstaff 95 Punkte, was „Weltklasse“ bedeutet – und meine Zustimmung hat).

Weingut Riehen

Wein Guide Schweiz 2022 – Falstaff Shop Schweiz (CHF 9.90)

Sven Fröhlich, ein Berliner aus Jenins, der auch Burgunder sein könnte.

In Berlin geboren, an der Ostsee aufgewachsen, in Jenins heimisch und als Quereinsteiger Winzer geworden, der mit seinem „französischen“ Stil auch als Burgunder durchginge: Sven Fröhlich ist ein neuer Name aus der Bündner Herrschaft, den man sich merken muss!

Studach, Gantenbein, Salenegg, Schlegel, Lipp, Liesch (U.+J.), Hermann (Ch): Das ist nicht nur eine Aufzählung einiger der renommiertesten Betriebe der Bündner Herrschaft, sondern auch eine der Arbeitsstationen des Sven Fröhlich. Er kam 2004 mit einem ganz anderen Beruf in die Schweiz, hat sich aber seit 2007 dem Wein verschrieben, zuerst als Praktikant beim Thomas Studach, danach als Lehrling bei Ueli und Jürg Liesch. Seine erste Arbeitsstation waren während fünf Jahren Gantenbein’s und danach war er bei den weiteren erwähnten Gütern tätig.

Goldenes Weinbaugebiet: die Bündner Herrschaft im Kanton Graubünden, ganz oben am Rhein (das Bild zeigt nicht die Reben von Fröhlich).

2015 konnte er eine Parzelle mit 300 Rebstöcken pachten und damit erstmals selbst Wein produzieren. Der „grosse“ Schritt erfolgte 2018, als er in Jenins eine Hektar Rebfläche übernehmen konnte. Und für den fehlenden Keller zur Weinbereitung halfen alte Kontakte, er durfte den ehemaligen Keller von Thomas Studach mieten.

Ich habe mir eine Flasche von seinem Pinot noir 2019 gesichert (daneben gibt es auch einen „Riesling x Sylvaner“ bzw. Müller-Thurgau). Der Wein überzeugt sehr, wobei, wenn man denn schon vergleichen will, ich ihn stilistisch eher bei Studach als bei Gantenbein ansiedle. Aber eigentlich scheint mir Fröhlich mit dem 2019er durchaus eine eigene Handschrift gefunden zu haben, und die liegt in einer zwar sehr filigranen Art, die aber so viel Finesse mitbringt, dass man unwillkürlich an einen Wein aus dem Burgund denkt. Und was vor allem auch gefällt ist, dass die Frucht des Weines nicht vom Holz überdeckt wird.

Es mag sein, dass einige Weinfreunde sich einen etwas körperreicheren, dichteren Pinot wünschten. Wer aber in einem Wein eher die Finesse sucht, der wird mit diesem mit Sicherheit sehr glücklich. Auf jeden Fall ist Fröhlich ein neuer Name, den man sich unbedingt merken muss.

Die Hummel soll das erste Tier gewesen sein, welches Fröhlich’s in ihrem ersten Rebberg gesehen haben; so wurde es zum „Wappentier“.

Pinot noir 2019
Helles Rot; zuerst eher verhaltener Duft, mit etwas Luft sehr schöne Noten von Walderdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren, minimale, „neckische“ Anflüge von Liebstöckel und Marzipan; im Mund filigran und „tänzerisch“, sehr fruchtbetont, schönes Gleichgewicht von feinen Tanninen und Säure. Sowohl der Alkohol als auch das Holz sind nur dezent spürbar, unterlegen den Wein aber trotzdem sehr schön; mittlerer Abgang. Ungemein feiner, fruchtiger, burgundisch (Côte de Beaune) anmutender Pinot. 17 Punkte.

Home | froehlich-weine

Bezugsquellen finden sich auf der Homepage von Fröhlich.

Da tut sich was … die Bündner Herrschaft wird grün!

Zwei Neuigkeiten aus der Bündner Herrschaft haben mich in diesen Tagen erreicht: Das Weingut Luzi Jenny stellt auf biologischen Rebbau um und Möhr-Niggli wurde Fair’n Green zertifiziert. Zwei verschiedene Wege mit dem Ziel, den Weinbau nachhaltiger zu gestalten.

Die Liste der Betriebe, die in der Herrschaft inzwischen biologisch oder bio-dynamisch arbeiten, wird immer länger: Georg Fromm, Jan Luzi, Francisca + Christian Obrecht, Markus und Karin Stäger und seit Kurzem auch Irene Grünenfelder mit Sohn Johannes Hunger. Und schon viel länger gibt es Winzer wie Anti Boner (heute Luzi Boner und Anna Rasi), Gody Clavadetscher (heute Roman Clavadetscher und Valérie Cavin), Louis Liesch und Heiri Müller (dessen Trauben heute von Marco Casanova verarbeitet werden), die auf Bio setzten. Für ein vergleichsweise kleines Weinbaugebiet ist das eine imposante und vielleicht sogar rekordverdächtige Liste, von der ich nicht einmal sicher bin, ob sie vollständig ist (Wegelin z.B. hatte zumindest mal mit Bio experimentiert).

Luzi Jenny – da tut sich was

Nun kommt mit Luzi Jenny aus Jenins ein weiterer Winzer dazu. Der Familienbetrieb von Vater und Sohn Luzi sowie Tilli und Amanda hat in ihrem jüngsten Aussand mit der meinem Artikel titelgebenden Überschrift „da tut sich was …“ über die Zertifizierung als Bio-Betrieb informiert. Mensch und Natur ins Gleichgewicht bringen und auch zu erhalten, lautet das Credo.

Die Weine von Luzi Jenny haben mich schon in den letzten Jahren immer überzeugt, auch wenn mir persönlich die Weissen zuweilen eine Spur zu viel Restsüsse aufwiesen. Ich habe mich oft gefragt, warum dieser Betrieb nicht bekannter ist. Aber vielleicht ändert das ja nun nach der Umstellung auf Bio? Jedenfalls habe ich den Aussand zum Anlass genommen, meine letzte Flasche Zweigelt aus dem Jahr 2013 aus dem Keller zu holen. Der junge Wein hatte mich echt begeistert, aber nun nahm ich an, dass er wohl zu alt sei und nicht mehr viel Freude machen würde. Ich hatte diese eine Flasche nur liegen gelassen, weil mich das Alterungspotential interessierte. Aber siehe da, dieser Zweigelt ist auch nach 8 Jahren von voll im Schuss:

Zweigelt 2013, Luzi Jenny, Jenins
Mittleres Rubin ohne jeden Alterston in der Farbe; leicht reduktiv, zuerst sehr verhalten, mit etwas Luft dann Johannisbeeren und Waldpilze; im Mund „feurig“, schöne Säure und feine, gereifte Tannine, wirkt noch sehr „saftig“ und frisch. Im mittleren Abgang leicht trocknend. Rundum schön gereifter Wein, der noch voll in Form ist. 16,5 Punkte (= sehr gut).

Möhr-Niggli: Fair’n Green

Einen anderen, interessanten Weg gehen Matthias und Sina Gubler-Möhr mit dem Weingut Möhr-Niggli in Maienfeld. Die beiden, die sich in den letzten Jahren zu Recht zu so etwas wie den „Shooting-Stars“ der Herrschaft entwickelten, teilen in ihrem aktuellen Aussand mit, dass sie neu das Zertifikat „Fair’n Green“ erlangt haben. Dieses Label steht in seinen Richtlinen in Bezug auf Pflanzenschutz und Düngung zwar deutlich hinter jenen eines Bio-Betriebes, berücksichtigt aber dafür auch wirtschaftliche und soziale Themen (z.B. Umgang mit Personal und saisonalen Arbeitskräften), enthält Zielsetzungen zum CO2-Ausstoss und zur Biodiversität und umfasst die gesamte Wertschöpfungskette.

Ich kannte das Label bisher nicht, aber ein Blick auf die Homepage und in die Richtlinien macht einen seriösen Eindruck. Auch der Umstand, dass Betriebe wie etwa Georg Breuer und Clemens Busch, oder in der Schweiz das Weingut zum Sternen von Andreas Meier mit dabei sind, wirkt vertrauenserweckend. Die umfangreichen Richtlinien wirken zwar eher wie ein Leitbild denn wie eine verbindliche Vorschrift. Aber wer sich solche Gedanken macht und sich auf ein solches Label einlässt, hat mich Sicherheit einen weiten Horizont und ist auf einem vorbildlichen Weg.

Auch die Broschüre von Möhr-Niggli habe ich zum Anlass genommen, eine Flasche alten Weins hervorzuholen, den „normalen“ Pinot noir aus dem Jahr 2010. Auch dieser Wein erwies sich, engegen meiner Annahme, noch als absolut trinkbar, wobei er aber schon sehr gereift ist:


Pinot noir 2010, Möhr-Niggli (6 Monate Barrique)
Gereiftes, helles Rot mit bräunlichen Reflexen; in der Nase noch erstaunlich fruchtig (Himbeeren und Mango!), leichter Anflug von Champignons; im Mund eher schlank, ziemlich mürbe und deshalb nicht mehr so präsente Tannine, aufgrund der Entwicklung des Weins etwas „spitz“ wirkende Säure, hat gesamthaft aber noch eine schöne Frische. Mittlerer Abgang.

Ich gebe hier keine Note, und ich kannte den Wein auch nicht in einem jungen Stadium (ich habe ihn erst kürzlich auf Ricardo erworben). Zweifellos hat er aber in seinen ersten Jahren enormen Trinkpass gemacht, Dass dieser Pinot nach 10 Jahren nicht mehr in Höchstform ist, überrascht ja nicht. Die besten Weine von Möhr-Niggli können indessen sehr gut altern. Das beweist der seit 2013 hergestellte „Pilgrim“, der sich mit Sicherheit nach 10 Jahren erst so richtig dem Höhepunkt nähern wird. Ich kann aber auch auf den 2009-er Clos Martha aus Baselland verweisen, der mir an einer Degustation zum 10-Jahr-Jubiläum von 15 Spitzenpinots aus der Schweiz am besten gefallen hat! Siehe hier:
Le vin suisse existe – même après dix ans! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Domaine Schwandegg – ein bisschen Natur 😉

Und weil es so gut zum Thema Natur passt, zum Schluss noch ein kleiner Blick in meinen eigenen Hobby-Rebberg. Ich bewirtschafte seit 33 Jahren 4 Aaren Pinot noir (Klon Mariafeld) am Fusse des Schloss Schwandegg in Waltalingen ZH. Der Rebberg ist in Sachen Umwelt und Biodiversität nicht vorbildlich, aber ich arbeite seit zwei Jahren an Verbesserungen. Ein kleiner Lichtblick war schon im letzten Jahr die erstmalige Beobachtung von Zauneidechsen. Und gestern nun konnte ich eine sogar fotographieren. Einfach nur berührend schön!

Eine Freude: Zauneidechse im eigenen Rebberg!

Die Degunotiz meines heute geöffneten 2010-ers erspare ich Ihnen. Aber auch dieser Wein ist noch trinkbar. Freude macht er aber nicht mehr gross.


Biologischer Weinbau aus Liebe zur Natur – Luzi Jenny
MÖHR-NIGGLI Weingut Maienfeld (moehr-niggli.ch)

FAIR’N GREEN | Standard für Nachhaltigkeit (fairandgreen.de)


Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon = Dézaley? (!)

Dézalay, die schönste und beste Weinlage im Weltkulturerbe Lavaux, wird meistens „nur“ mit der Traubensorte Chasselas verbunden. Doch es geht auch anders – und es lohnt sich, diese verblüffende Andersartigkeit zu entdecken! Die verkannten Chasselas-Weine übrigens auch, aber das folgt später.

Wer mit dem Zug von Bern nach Lausanne fährt, dem kann es nach einem kurzen Tunnel wirklich die Sprache verschlagen: Der plötzlich freie Blick über die Reben des Lavaux und den Genfersee hin zu den Savoyer Alpen gehört zu den eindrücklichsten Bahnerlebnissen überhaupt! Der Zug fährt am westlichen Ende oberhalb der Appellation Dézaley aus dem Tunnel, unweit des höchsten Punktes beim Tour de Marsens auf 550 m über Meer. Dézaley – inzwischen offiziell als einer von zwei Waadländer Grand Crus deklariert – erstreckt sich aber über rund 54 ha bis hinunter an den Genfersee auf 375 m. ü. M.

Die Schönheit der Gegend kann eigentlich gar nicht in Worte gefasst werden. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass das Lavaux – etwas ungenau ausgedrückt zwischen Lausanne und Vevey – 2007 unter dem Titel „Weinterrassen von Lavaux mit Blick auf den See und die Alpen“ in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Und vielleicht noch das: Fast das ganze Gebiet wird auf teils kleinen Terassen bewirtschaftet – anders ginge es gar nicht bei einem natürlichen Gefälle von teils über 100 %!

„Weinterrassen mit Blick auf den See und die Alpen:“ Fast wie irgendwo zwischen Himmel und Erde: das Lavaux.

Aber nun genug der Tourismusförderung – Kenner der Gegend mögen mir diese Ausschweifung verzeihen. Bekannt ist Dézaley praktisch nur durch seinen Weisswein – rund 90 % der Fläche sind hauptsächlich mit der Chasselas-Traube (Gutedel) bestockt. Diese lange als minderwertig angsehene Sorte bringt es hier zu ungeahnten qualitativen Höhenflügen und verblüfft überdies durch ein enormes Altersungpotential. Aber das ist eine Geschichte für sich, welche in diesem Blog noch folgen wird.

Auf den nun zu beschreibenden Wein bin ich offen gesagt nur durch Zufall gestossen. Da Degustationen aufgrund von Corona nicht möglich sind, wurde auf sozialen Medien ein Degupaket mit sechs mit dem Terravin-Goldlabel ausgezeichneten Weinen zum Versand angeboten. Neugierig wie ich bin, habe ich bestellt. Das Paket enthielt verschiedene Chasselas aus dem Lavaux, von respektabel bis sehr gut. Vor allem aber gab es da auch einen Rotwein, einen Dézaley 2019 der Domaine Antoine Bovard. Ich degustierte den Wein in der Erwartung, einen reinen Pinot noir oder eine Assemblage mit Gamay im Glas zu haben. Völlig verblüfft begann dann mit der nachfolgenden Degustationsnotiz die Suche nach den enthaltenen Rebsorten:

Dézaley Grand Cru, 2018, Domaine Antoine Bovard
Dunkles Prupur; rote Pflaumen, Rosinen, auch einige rote Fruchttöne, Anflug von Lorbeer und Thymian; auch im Mund sehr fruchtbetont, geschmeidig, schöne Balance von Säure, Süsskomplex und leicht trocknenden Tanninen, leichter, aber sehr fein eingewobener Bittertouch, langer Abgang. Schöner, spannender Wein! 17 Punkte (= sehr gut).

Der Wein wirkt wie nicht in der Schweiz gewachsen, spannend, elegant, aber doch eher südlich anmutend. Keine Ahnung, welche Sorte(n) ich da im Glas hatte. Die Etikette half nicht weiter, aber immerhin das www. Der Wein besteht aus 40 % Merlot, 40 % Syrah, 10 % Cabernet Sauvignon und 10 % Pinot noir!

Von der Ausnahme zum Normalfall – das Klima machts
Bloss – darf ein Winzer das überhaupt? Sind diese Sorten in einem Dézaley Grand Cru zugelassen? Recherchieren und Nachfragen bringt die Klärung: Ja, bzw. früher nein! Heute ist der Wein mit diesen Sorten hochoffiziell zugelassen, alle stehen auf der waadtländischen Sortenliste und dürfen deshalb auch in einem Grand Cru-Gebiet angebaut werden. Allerdings war dem noch nicht so, als Antoine Bovard die Reben pflanzte. Er merkte, dass die Pinot noir-Trauben vor allem entlang der wärmenden Mauern aufgrund der Klimaveränderung immer früher reiften und brandig zu werden drohten. Er setzte deshalb auf südlichere Sorten und erhielt schliesslich eine Ausnahmebewilligung dafür. Deshalb dürfen wir heute einen wunderschönen „Rhone-Bordeaux-Burgund-Blend“ aus dem Lavaux geniessen.

Eine kleine Geschichte am Rand: Die Ausnahmebewilligung war freilich nicht umsonst zu haben! Antoine Bovard musste während Jahren immer Muster der geernteten Trauben und des gekelterten Weins an die Forschungsanstalt Changins (heute Agroscope) senden. Wetten, dass die sich über den aussergewöhnlichen Wein jeweils sehr gefreut haben?

Bovard: Eine Familie auf der Qualitäts-Schiene
Domaine Bovard? Antoine Bovard und Sohn Denis Bovard, der die Domaine seit 2011 führt? Auf die Gefahr hin, peinlich zu sein, stellt man hier einfach die Frage nach der allfälligen Verwandtschaft mit der bekannteren Domaine Louis Bovard. Und für einmal führt eine peinliche Frage zu einem Volltreffer!

Denis und Antoine Bovard: Sohn und Vater auf gleicher Wellenlänge!

Bovard ist ein alteingesessenes, traditionelles Weingut im Lavaux. Anfangs der 1960er Jahre hätte Louis-Philippe Bovard das elterliche Gut übernehmen sollen. Allerdings passte ihm das nicht so ins Konzept, als Jurist konnte er sich auch einen anderen Werdegang vorstellen. 1964 übernahm er deshalb die Leitung des „Office des Vins Vaudois“. Aus diesem Grund wurde sein Bruder Antoine, der an der ETH Zürich Physik studierte, auf das elterliche Gut zurückgebeten. Nachdem aber Louis-Philippe doch auch einsteigen wollte, wurde die Besitzung geteilt, und Antoine gründete 1983 sein eigenes Weingut. Eine Frage der Farbe sozusagen. Während Antoine das „gelbe Haus“ in Treytorrons-en-Dézaley übernahm, bekam Louis-Philippe das „rosa Haus“ in Cully.

Beste Lagen – mit ökologischer Handschrift
Allerdings ist das Gut von Antoine Bovard kleiner. Heute umfasst es etwas über 7 Hektar, fast ausschliesslich in allerbesten Lagen in Epesses und Dézaley – dazu mit kleinen Flächen in St.-Saphorin und Calamin, dem zweiten Grand Cru im Waadtland. Während Louis-Philippe in der Weinwelt sehr bekannt wurde und heute oft als „Grandseignieur“ des Lavaux beschrieben wird, blieb es um Antoine eher stiller. Beide gingen aber sehr konsequent und schon, als im Waadtland Quantität noch vor Qualität stand, ihren Weg hin zu hochklassigen Weinen. Antoine führte dabei sogar früher die zukunftsgerichtete, ökologische Klinge. Schon unmittelbar nach der Gründung im Jahr 1983 verzichtete er auf jeglichen Einsatz von synthetischem Dünger. Schon früh experimentierte er auch mit bio-dynamischem Weinbau. Sein Sohn Denis, der die Domaine – wie er selbst sagt, sehr im Geist seines Vaters – führt, treibt das Gut nun definitiv zum Bioweinbau voran.

Denis Bovard freute sich, als ich ihn im Hinblick auf diesen Artikel kontaktierte, war aber gleichzeitig fast ein wenig enttäuscht, dass ich „nur“ über den roten Dézaley schreiben wollte. Ihm ist es ein ausserordentliches Anliegen, auf die hohe Qualität und auf die Langlebigkeit der Chasselas-Weine aus dem Lavaux hinzuweisen. Chasselas – diese verrufene Rebsorte ist eben zu allem fähig. Dass das Paradepferd seines Onkels Louis-Philippe, die Médinette, sehr gut altert, ja eigentlich zur vollen Entfaltung schon ein paar Jahre Lagerung braucht, ist inzwischen bekannt. Offenbar sind aber die Spitzen-Chasselas des Gutes Antoine Bovard ebenso langlebig. Da gibt es nur eines zu sagen: affaire à suivre!

Domaine Antoine Bovard (domaine-antoine-bovard.ch)

Zur Gegend bzw. der Einsufung als Unesco Weltkultgurerbe:
Lavaux, Vineyard Terraces – UNESCO World Heritage Centre

Und einer meiner früheren Artikel zur Médinette der Domaine Louis Bovard:
Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker! – Victor’s Weinblog


Und noch den Hinweis auf die Herkunft des beschriebenen 6er-Pakets (nicht mehr genau in der von mir erhaltenen Form angeboten, aber wohl vergleichbar):

coffret connaisseur Terravin (provino.ch)