Cuvée Zaccharie von Château Thivin: Gamay auf höchstem Niveau!

Das Beaujolais, früher sehr geschätzt, dann u.A. aufgrund des Hypes um den jämmerlichen „Beaujolais nouveau“ etwas in Verruf gekommen, erfindet sich gerade neu. Viele Winzer bringen heute tolle Weine auf die Flasche und zeigen, dass die Traubensorte Gamay grossartig sein kann.

Komisch, dass ich Gamay wie neu entdecken musste. Als ich begann, mich für Wein zu interessieren, waren Weine aus dem Gebiet unter den ersten, die mir gefielen. Zudem erinnere ich mich, etwas später, gut an einen Beaujolais in einem Lausanner Restaurant, der bereits 15 Jahre alt war – und begeisternd. Aber irgendwie – mag tatächlich sein, dass die jährliche Beaujolais-nouveau-Rally mich abschreckte – begann das Gebiet und mit ihm die Gamay mein Interesse zu verlieren.

Erst durch viele herausragende Gamay’s aus der Schweiz rückte auch das Beaujolais wieder in meinen Fokus. Die lange geplante Weinreise hat zwar noch immer nicht stattgefunden, aber es landen nun doch immer wieder mal Beaujolais in unseren Gläsern. Ich habe auch schon einmal über Château Thivin geschrieben – die Cuvée Zaccharie 2018 fand ich grossartig und schon ein wenig „burgundisch“. Nun habe ich den Jahrgang 2021 genossen, ein klimatisch ganz anderes Jahr und deshalb auch ein Wein mit einer anderen Struktur – aber kein Bisschen weniger gut.

Zugegeben, der Spitzenwein von Château Thivin ist auch nicht mehr billig und kratzt mit rund 37 Franken/Euro auch an der Grenze dessen, über was ich üblicherweise schreibe. Aber vom gleichen Gut gibt es für Preise um rund 20 Franken etwa den „Reverdon“ oder den „Les Sept Vignes“ weitere Weine, die hervorragend sind und die auch schon in dieser Preisklasse helfen, alle Vorurteile gegenüber der Gamay abzubauen.

Château Thivin, Cuvée Zaccharie, Côte de Brouilly, 2021
Mittleres, glänzendes Rubin; sehr fruchtige Nase mit Johannisbeeren und Himbeeren, würzige Noten, etwas Tabak, leichter, schöner Holzton; im Mund äusserst frisch und „saftig“, viel feines Tannin, angepasste Säure, leichter, erfrischender Bitterton, filigraner als 2018, aber trotzdem mit viel „Druck“, sehr langer Abgang. Toller Wein, den man besser als den 2018-er als Gamay erkennen kann (vgl. Link unten), bei dem man aber immer noch Lust hätte, ihn einem guten Wein von der Côte d’Or gegenüberzustellen. 17,5 Punkte.

Auf Château Thivin, dem ältesten, schon im 14. Jahrhundert erwähnten Weingut der Region, wird biologisch gewirtschaftet und auch schon, Gamay hin oder her, mit Piwi experimentiert. Wer mehr über Château Thivin wissen möchte, kann gerne meinen schon erwähnten früheren Blogbeitrag nochmals aufrufen, oder auch die Site des Gutes, die spannend und vorbildlich informativ ist:

Toujours le Gamay! Château Thivin lässt das „jamais“ alt aussehen! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Château Thivin – Côte de Brouilly et Crus du Beaujolais (chateau-thivin.com)

Bezugsquellen Schweiz:
Points de vente dans le Monde – Château Thivin (chateau-thivin.com)

Bezugsquellen Deutschland:
Points de vente dans le Monde – Château Thivin (chateau-thivin.com)


Interessennachweis:
Der Wein wurde im Weinhandel erworben.

Fredi Strasser’s Lebenswerk: Ein Buch als „Muss“ für wirklich alle Weinfreunde!

Wenn Sie noch ein tolles und sinnvolles Weihnachtsgeschenk für einen Weinfreund suchen: voilà! Ein Schweizer Pionier im biologischen Rebbau hat ein Buch herausgegeben, das faszinierend ist. Und es passt eben wirklich für alle. Für ökologisch eingestellte Weintrinker, weil es bestätigt und Wissen ergänzt. Aber noch viel mehr für alle anderen, weil es völlig undogmatisch eine neue Sicht auf Reben und Umwelt vermittelt – und zum Denken anregt!

Das Buch heisst „Pilz-resistente Traubensorten“ – und der Titel ist eigentlich das am wenigsten Präzise daran. Es ist zwar gemäss Verlag eines der ersten „Piwi-Bücher“ überhaupt. Aber eigentlich ist es viel, viel mehr, nämlich ein Vermächtnis eines der grossen Bio-Pioniere im Rebbau, und eine faszinierende Beschreibung, wie ein Winzer mit umweltgerechten Methoden die Reben und den Boden ohne Gift ins Gleichgewicht bringen kann.

Fredi Strasser in seinem Element: So spannend wie er erzählt, liest sich sein Buch.

Aber vor allem: Das Buch ist nie dogmatisch, Fredi Strasser schildert einfach sein enormes Wissen, das er sich als „Studierter“ (Ing. Agr. ETH) vor allem auch empirisch im Alltag angeeignet hat. Eigentlich ist es auch ein geniales Lehrbuch. Fredi Strasser schafft es zusammen mit der Mitautorin Franziska Löpfe, auf knapp 250 Seiten einen hervorragenden Überblick über die Wunderpflanze „Rebe“ und ihre Kultivierung sowie die Weinherstellung zu geben. Und ebenso wird auf sehr gut verständliche Art ein grosses Wissen über die Problematik des Rebbaus in Bezug auf Krankheiten und Schädlinge vermittelt – und die verschiedenen Arten, wie man dem als Winzer begegnen kann. Ein ganz wichtiger Teil des Buches widmet sich zudem der Bodenfruchtbarkeit und dem schonenden Umgang mit unserer Lebensgrundlage.

Ich werde nie vergessen, wie Fredi Strasser an einem Rebumgang an beliebigen Stellen eine Sonde in seinen Rebberg gesteckt hat, mit dem Hinweis, dass ein durchlässiger, lockerer und bewachsener Boden nicht nur fruchtbarer ist, sondern bei Niederschlägen auch das Wasser zurückhält und speichert. Er musste deshalb seine Neupflanzungen auch in trockenen Jahre nicht bewässern. Keine zwei Wochen später ergoss sich ein Unwetter mit kurzen, aber sehr heftigen Regenfällen über das Stammertal. Ein Augenschein ergab, dass im Rebberg von Fredi Strasser alles Wasser problemlos versickerte, während es sich ein paar Meter entfernt in einer konventionell bewirtschafteten Parzelle in Sturzbächen auf die unterliegende Strasse ergoss.

Rechts demonstriert Fredi Strasser die Durchlässigkeit seiner Böden. Hier gab es auch nach dem Umwetter keine Schwemmschäden. Links eine herkömmlich bewirtschaftete Parzelle eines anderen Winzers in der Nachbarschaft – wertvoller Boden ist weggeschwemmt.

Ein kleinerer Teil des Buchs widmet sich dem Autor und Biopionier selbst. Und diese Passagen haben es auch in sich. Hier erfährt man einiges über den inneren Antrieb des Autors, aber noch viel mehr über all die Steine und Knebel, die einem Visionär wie Fredi Strasser von der „offiziellen Schweiz“ in den Weg gelegt wurden. Ein bisschen Glück und „Vitamin B“ gehört manchmal auch dazu, wenn man die Steine wegräumen will. Fredi Strasser wurde in sehr jugendlichem Alter der erste Bio-Landwirtschaftslehrer an der Zürcher landwirtschaftlichen Schule Strickhof. Und ebenda besuchte anfangs der 1980er-Jahr ein gewisser Andrea Hämmerle, Biohof-Quereinsteiger und später Nationalrat, die Vorlesungen von Strasser. Es entwickelte sich eine Freundschaft, und dank dieser brachte Hämmerle in der Wirtschaftskommission des Nationalrates den Antrag ein, dass auch neue Rebsorten, und eben auch Piwi, in der Schweiz zugelassen werden. Gegen den Willen des damals zuständigen Bundesrates, und gegen den Widerstand von zwei Westschweizer Winzern in der Kommission („les hybrides – on ne peut pas les boire“) setzte sich Hämmerle schliesslich durch. Damit war der Weg frei, Piwi-Sorten auch in der Schweiz anzupflanzen.

Zwei Freunde veränderten die Schweizer Reblandschaft: Fredi Strasser und alt NR Andrea Hämmerle.

Zurück zum Buch: Es ist ungemein spannend und auch sehr flüssig und lesefreundlich geschrieben, ohne dabei an Substanz zu verlieren. Etwas speziell ist die Kombination aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche der Ing. Agr. ETH Strasser einbringt, und empirischen Erfahrungen, welche der Naturbeobachter Strasser beisteuert. Ich habe die wichtigsten Passagen einem in Oxford forschenden Mikrobiologen vorgelegt. Er kritisiert als Wissenschaftler zu recht, dass der Unterschied zwischen etablierten Fakten, mit denen ein Abschnitt meistens beginnt, und eigenen Hypothesen nicht klar gekennzeichnet wird. Als wissenschaftliches Buch kann es deshalb nicht durchgehen, aber das war ja wohl auch nicht die Absicht. Trotzdem hält auch der Biologe das Buch als Übersicht für den Laien für durchaus gewinnbringend. Wenig begeistert ist er freilich über den Schlussteil zu Knöllchenbakterien und Mykorrhizen, aber das ist halt ausgerechnet sein eigenes Forschungsgebiet.

Auch über Zucht und Eigenschaften von Piwi-Reben erfährt man einiges, vor allem über die auf Strasser’s Betrieb angepflanzten. Und wem das jetzt immer noch nicht genügt, der sei noch darauf hingewiesen, dass auch die Tiere nicht zu kurz kommen – die gesamte Fauna im Sinne der Biodiversität mit Schädlingen und vor allem auch Nützlingen, aber auch die Haus- und Nutztiere, welche Strasser’s halten und die auch aus dem Rebberg nicht wegzudenken sind.

Pferde (und andernorts Schafe) im Rebberg – ersetzen den Mäher!

Quintessenz: Ich habe kaum je ein Weinbuch derart „verschlungen“ wie dieses. Es schafft den Spagat zwischen moderner Kommunikation und ernsthafter Wissensvermittlung in hervorragender Art. Und es ist wirklich für jeden Weinfreund geeignet:

  • Der Weinfreund, der nur wenig darüber weiss, wie Reben gepflegt werden und wie Wein entsteht, bekommt hier in geraffter Form einen sehr guten Einstieg und Überblick.
  • Der Umweltbewusste wird aus diesem Buch noch lernen können (ich selbst bewirtschafte einen kleinen Rebberg, mehrere Jahre war ich auch biologisch unterwegs, aber ich hatte beim Lesen und beim Rundgang mit Fredi Strasser unzählige „Aha-Erlebnisse“).
  • Der neugierige Weinkenner wird entdecken, dass es sich lohnt, sich mit neuen Sorten auseinanderzusetzen.
  • Vor allem aber für Skeptiker eignet sich das Buch ganz besonders: Wer es liest, und nicht völlig mit Scheuklappen durch’s Leben geht, wird im Minimum den einen oder anderen Denkanstoss erhalten.

Damit würde dann das Buch nicht nur zur Zusammenfassung des Lebenswerks des Fredi Strasser, sondern auch zur Basis für einen schonenderen Umgang mit der Umwelt werden. Was könnte sich der Bio-Pionier Schöneres wünschen?

Fredi Strasser, Franziska Loepfe: Pilzresistente Traubensorten (Reben biologisch pflegen, naturreinen Wein geniessen – das Piwi-Buch), Haupt-Verlag, Bern, ISBN 978-3-258-08187-8. CHF 39.00.
https://www.haupt.ch/buecher/natur-garten/pilzresistente-traubensorten.html


Fredi Strasser und seine Weine:
Fredi Strasser hat Jahrgang 1958 und wuchs in Nussbaumen im Kanton Thurgau als Bauernsohn auf. Strasser lebt heute mit seiner Frau Maria in Stammheim im Kanton Zürich, wo er sein eigenes Weingut betreibt. Wie er zu diesem Gut gekommen ist, kann sehr spannend erzählt im Buch nachgelesen werden.
Er studierte in Zürich an der ETH Agrarwissenschaft, war während Jahrzehnten Lehrer für Biolandbau an der landwirtschaftlichen Schule Strickhof, ist Gründungsmitglied der Stiftung Fintan, eines bio-dynamisch arbeitenden Vorzeige-Betriebes in Rheinau und war auch in der Hauptrolle bei der Neuanlage der imposanten Weinlage „Chorb“, hoch über dem Rhein. Seit rund 10 Jahren besitzt er nun bestes Rebland in Stammheim, welches er nach und nach auf Piwi-Sorten umstellte.

Und wie schmecken seine Weine? Gut! Hier zwei Beispiele:

Soleil d’Or, weiss, 2018
(Cuvée aus Excelsior und Seyval Blanc)
Helles Gelb, intensive in der Nase, florale Töne nach Lindenblüte und Rebenblüte (!), intensiver Lychee-Duft; im Mund recht dicht, spürbare Fruchtsüsse, dezente, aber gut stützende Säure, leichter, erfrischender Bitterton, mittlerer Abgang. Schöner Wein, kaum ein Hinweis auf Piwi! 16,0 Punkte (=gut bis sehr gut).

Maréchal Foch, rot, 2017
Mittleres Rot; sehr fruchtige Nase, Himbeeren und sehr ausgeprägt Walderdbeeren, etwas Kiwi; im Mund wenig Tannin, Säure und Alkohol sehr gut ausgewogen, schlank. Erst ganz am Schluss im mittleren Abgang ganz leicht „foxig“. Gelungener Wein, 15,5 Punkte (= gut).

https://www.stammerberg.ch/ueberuns/betrieb


Und schliesslich noch für alle, die immer noch glauben, „les hybrides – on ne peut pas les boire“:

„Piwi-Weine sind untrinkbar“. Umdenken ist angesagt – hier ein Spitzenwein als Beweis! – Victor’s Weinblog

91-26-26 – ein Piwi-Wein wie ein 6-er im Lotto! – Victor’s Weinblog

Trinken Sie sich mal einen Kater! Und bauen Sie dabei schmerzlos Vorurteile ab. – Victor’s Weinblog

Pét-Nat – zurück in die Zukunft mit Marco Casanova!

Als ich den Ausdruck PET-NAT vor ein paar Jahren zum ersten Mal las, dachte ich an eine Hauskatze, aber sicher nicht an einen Wein. Dabei handelt es sich nur um einen „hippen“ Ausdruck für eine uralte Form der Schaumweinbereitung! Heute kommen sie wieder gross in Mode: Wetten, dass „Petnaa“ – so spricht man es aus – nach der Wiedereröffnung von Bars und Restaurants zu einem In-Sommergetränkt werden!

Pét-Nat ist eine eingängliche Abkürzung von «Pétillant Naturel», also „natürlich sprudelnd“. Es handelt sich um die vermutlich älteste Art, Schaumwein herzustellen. Dabei wird der Wein zuerst ganz normal in Behältnissen angegärt, bis etwa die Hälfte des Zuckers vergoren ist. Zu diesem Zeitpunkt wird er dann in Flaschen abgefüllt, wo er fertig vergärt. Die bei der restlichen Gärung entstehende Kohlensäure bleibt dadurch in der Flasche, womit ein Schaumwein mit nur einer Gärung entsteht. Einzelne Winzer rütteln und degorgieren den Wein später noch, andere, und das sind jene, die das „Nat“ wirklich leben, bringen die Flasche naturtrüb auf den Markt.

Natur pur: Gut sichtbare Ablagerung von Hefe und Trübstoffen am Boden der Flasche. Etwas bewegen, und der Wein ist naturtrüb.


In Frankreich, vor allem im Languedoc, wurde diese Art der Weinbereitung unter dem Namen „méthode ancestrale“ schon lange, wahrscheinlich ohne Unterbruch seit es die Methode gibt, im Kleinen angewandt – praktisch unbemerkt von der Weinpresse. Erst der Trend zu Naturweinen brachte weitere Winzer, vorerst vor allem in Frankreich, dazu, solchen Wein zu erzeugen und unter dem eingänglichen Namen Pét-Nat zu vermarkten. Diese Weine wurden bald ein wenig „trendy“, und inzwischen stellen immer mehr Winzer auch einen solchen Wein her.

Ganz so einfach wie geschildert, ist die Herstellung eines Pét-Nat freilich nicht. Es braucht viel Fingerspitzengefühl (vor allem beim richtigen Zeitpunkt für das Umfüllen in die Flasche) und ein sehr sauberes Arbeiten, damit der Naturwein wirklich gelingt. Zu früh abgefüllt, explodiert die Flasche (das soll in der Probephase schon so manchem Winzer passiert sein – die Recherche ergab einen Fall, in dem die Nachbarn besorgt vor der Türe standen, weil sie an eine Schiesserei glaubten!), zu spät bildet sich zu wenig Kohlensäure. Vor allem aber darf man diese Weine nicht aus minderwertigen Trauben produzieren, sonst hilft alles „hippig“ nichts. Und dann wäre auch der Trend schnell wieder vorbei – mich jedenfalls hatte kaum einer der bisher probierten „Petnaa“ wirklich überzeugt.

Marco Casanova – feinfühliger Winzer mit Soforterfolg!

Ich hatte nun die Gelegenheit, die beiden Pét-Nat zu probieren, die Marco Casanova, der bio-dynamisch arbeitende Spitzenwinzer aus Walenstadt, neu auf dem Markt gebracht hat. Und es erstaunt kaum, dass ein Winzer, der gefühlvoll mit naturnahem Weinen umzugehen gelernt hat und der auch offen für neue Ideen ist, auf Anhieb hervorragende Pét-Nat’s gekeltert hat!

Pinot noir „Saignée“ 2019:
Mittleres Lachsrot, trüb und undurchsichtig; feine, eher zurückhaltende Pinot-Nase, Himbeeren, Flieder, erinnert an einen „Federweiss“; im Mund erfrischend, schöne, aber nicht übertriebene Säure, obwohl Pét-Nat’s als trocken gelten, scheint eine ganz, ganz leichte, „neckische“ Restsüsse vorhanden, spürbare, aber zurückhaltende Kohlensäure, erfrischender Bitterton im Abgang. Spannend!

Seyval blanc 2019 (Piwi-Sorte)
Milchiges, blasses Gelb; Charontais-Melone, Mirabelle, Bergamotte; im Mund spritzig mit recht kräftiger, eher „gröberer“ Perlage als von Schaumweinen gewohnt, spürbare Säure, mittlerer Abgang. Süffiger, erfrischender Schaumwein.

Pinot noir (links) und Seyval blanc (rechts). Zwei sehr gelungene, aber völlig unterschiedliche Pet-Nat’s. Die Flaschen haben übrigens meiner Frau so gut gefallen, dass sie jetzt als Wasserflaschen für Mahlzeiten im Garten im Einsatz sind!

Ich kenne einige ernst zu nehmende Weinfreunde, die über Pét-Nat’s die Hände verwerfen und diese als „Nicht-Wein“ bezeichnen. Sicher werden so hergestellt Weine nie in die Analen der grossen Tropfen dieser Welt eingehen. Aber als Abwechslung, als spannendes Getränk, das auch mal ein Bier oder einen Cocktail (oder einen Soft-Drink!) ersetzen kann, sind – gut gemachte – Pét-Nat’s meines Erachtens eine Bereicherung. In Zeiten des schleppenden Weinabsatzes können sie auch diesbezüglich ein wenig zur Entspannung beitragen, und als eigenständige Produkte haben sie einen Platz auf den Weinkarten verdient – sei es zum Apéro, sei es zu einem einfachen Gericht. Den Pinot von Casanova kann ich mir zum Beispiel wunderbar vorstellen zu einem Sommer-Abendessen mit vielen Salaten und einer Wurst vom Grill!

Ein Pét-Nat schäumt nun mal!

Das einzige Problem, das ich selbst noch nicht gelöst habe, ist das Öffnen der Flaschen. Am Tisch würde ich mich das nicht getrauen, und im tropfsicheren Refugium der Küche habe ich es auch nicht ohne übertretenden Schaum geschafft. Der Trick liegt wohl wie bei einem Schaumwein darin, sofort nach dem Öffnen einzuschenken. Bloss ist das beim Handling mit einem Kronkorken (damit sind fast alle Pét-Nat’s verschlossen) schwieriger als bei einem Korken. Nach einigen Flaschen würde ich das wohl auch beherrschen – und ein paar Pét-Nats von Casanova wird es künftig auch bei mir im Keller vorrätig haben – für besondere Momente mit Gästen, die weintechnisch offen sind und noch nicht alles kennen.

https://www.casanova-weinpur.ch/

Hier noch zwei Links auf frühere Beiträge über Weine von Casanova:
https://victorswein.blog/2018/05/03/casanova-etwas-vom-allerbesten/
https://victorswein.blog/2019/05/19/soyhisticated-sauvignon/

Und ein Link zu einer Seite, die sehr viel Wissen über Pét-Nat’s vermittelt und auch weitere Bezugsadressen bereit hält:
https://petnat.ch/

91-26-26 – ein Piwi-Wein wie ein 6-er im Lotto!

Schon mein letzter Beitrag handelte von einem Piwi-Wein, und die erfreulich vielen Reaktionen zeigten, wie kontrovers bzw. klar befürwortend oder aber ablehnend solche Weine immer noch beurteilt werden. Wer nun aber das Glück hat, den INK der Cantina Barbengo ins Glas zu bekommen, der muss ganz einfach an die Zukunft der besten Piwis glauben, das ist extrem gut!

Die Cantina Barbengo von Anna Barbara von der Crone und Paolo Visini glänzt seit Jahren durch das Sammeln von Parker-Punkten über der 90er-Grenze und durch den Eingang in die Mémoire des Vins Suisses (mit dem hauptsächlich aus Merlot gekelterten „Balin“). Nun hat die Cantina neu auch einen Piwi-Wein auf dem Markt gebracht, und was für einen: den INK 2018 aus der Sorte 91-26-26. Ein Monument auf dem Weg zum Durchbruch von Piwi-Weinen. Eine Sorte mit 6 Zahlen – wie ein 6-er im Lotto!

Stellt nicht nur andere Piwi in den Schatten: Der neue INK aus dem Tessin!

Ich habe den Wein geöffnet und glaubte aufgrund der Wahrnehmung in der Nase, einen Whisky im Glas zu haben. Gleichzeitig war die dunkle, dichte, fast tintige Farbe gewöhnungsbedüftig. Aber spannend erschien der INK 2018 sofort. Aufgrund der Wahrnehmungen habe ich ihn dekantiert, und tatsächlich stellte sich sehr schnell eine Veränderung ein. Eine Entwicklung freilich, die über Tage anhielt:

Tag 1: Kräftiges, dichtes, fast undurchdringliches Dunkelviolett; direkt nach dem Öffnen rauchig-torfig, erinnert an einen torfbetonten Whisky, etwa einen Lagavulin, nach dem Dekantieren immer noch etwas rauchig, aber auch Duft nach Cassis und Brombeeren; im Mund enorm dicht, viel Tannin (anfangs etwas grob wirkend, mit der Zeit interessanterweise viel sanfter!), angepasste Säure, sehr langer Abgang. Der Wein hat enorme Wucht, fast wie ein „Hammer-Merlot“, zeigt gleichzeitig aber auch eine elegante, feine Seite. Toller, spannender Wein!
Tag 2: Vom Whisky zum Wein: Die Torfnoten sind weg, es wird fruchtiger, im Mund will der Wein fast nicht aufhören nachzuwirken. Der Eindruck der Tannine ist noch sanfter geworden. Wenn man am ersten Tag aufgrund der Rauchigkeit auf einen Piwi hätte schliessen können, ist das heute völlig anders; nie würde ich blind auf Piwi tippen (von der Farbe abgesehen).
Tag 3: Loire? Ein „Monster-Cabernet Franc“? Es haben sich weitere dunkle Düfte entwickelt, reife, dunkle Kirschen, weiterhin Cassis, leichter Anflug von Peperoni. Im Mund weiterhin dicht, adstringierend, enorm nachhaltig.
Tag 4: Auf dem Weg ins Libournais? Cabernet Franc würde man sich immer noch denken, aber nun etwas geläutert, mehr warme Töne, wieder Merlot-Anflüge, und im Mund weiterhin dicht und lange nachhallend. Die Farbe ist enorm, mit einfachem Ausspülen bringt man das Glas nicht farblos, es braucht „mechanische“ Nachhilfe! Und weiterhin: jugendlich frisch wie am ersten Tag!
Tag 5: Doch eher Médoc? Nun zeigen sich Düfte von sowohl grünen wie auch sehr reifen roten Peperoni. Daneben weiterhin eine enorme Fruchtigkeit, wie bisher Cassis, dunkle Kirschen, Brombeeren. Und immer noch total jung und frisch im Mund!
Tag 6: Ribera del Duero? Gegenüber Tag 5 hat sich diesmal nicht so viel verändert, denn der Anflug eines auf „Fruchtbombe“ gemachten Temparanillo gab es eigentlich schon in den letzten zwei Tagen. Allerdings scheint es heute auch erstmals, dass die Spannkraft etwas nachlässt, jedenfalls hat der Wein nicht mehr dazugewonnen.
Tag 7: Kuba? Eigentlich hat sich nicht mehr viel verändert, ausser, dass ein starker Tabakduft wahrnehmbar ist; hat aber gegenüber dem Vortag nicht abgebaut.
Tag 8: Immer noch Duft nach dunklen Beeren, Leder und Tabak. Im Mund jetzt allerdings deutlich nachlassend, durchaus noch trinkbar, aber in den ersten Tagen machte er mehr Spass.
Tag 9: Fast unverändert – und jetzt ist leider die Flasche leer!

Auf der Suche nach Ergänzungen zum Merlot

Die Cantina Barbengo wurde vor allem durch herausragende Merlots bekannt, aber auch mit Cuvées, die Cabernet Sauvignon und -Franc, Petit Verdot und Arinarnoa (Merlot x Petit Verdot) beinhalten. Sie zählt zur absoluten Spitze der Tessiner Weinszene. Die Cantina experimentiert inzwischen auch mit diversen Piwi-Reben, aber, so Paolo Visini und Anna Barbara von der Crone auf elektronischem Weg augenzwinkernd: „Das dauert alles so lange, bis man Resultate hat“. Deshalb entstand der INK 2018 als erster Versuch mit der Rebsorte 91-26-26 auch mit Trauben von Stöcken, die von Mauro Giudici, einem innovativen Traubenproduzenten und Landwirt in Malvaglia im Bleniotal vor ein paar Jahren angepflanzt wurden. Das Dorf liegt an der Lukmanierpassstrasse nordöstlich von Biasca auf knapp 400 m über Meer, aber bereits inmitten der Alpen.

Eine Nummer für Rebsorten ist immer ein Zeichen dafür, dass sie noch nicht weit verbreitet, sondern im Versuchsstadium sind. Ich hätte jetzt schon einen definitiven Namensvorschlag: Giudici-Barbengo!

Das Interesse der Cantina Barbengo an diesen Trauben wurde auch deshalb geweckt, weil der 91-26-26 (korrekt: Giudici-Barbengo 🙂 ) eine gewisse „Ähnlichkeit“ zu den Bordeaux-Sorten nachgesagt wird. Als grossen Vorteil gegenüber anderen Piwi-Sorten erachten Visini und von der Crone aber auch die Resistenz gegenüber der drosophila suzukii (Kirschessigfliege): Die Beerenhaut ist so robust, dass ein Durchbohren unmöglich scheint.

Wein mit viel Potential – wie viel in Jahren?

Es handelt sich bei diesem Wein, dem 91-26-26, vinifiziert von der Cantina Barbengo, die offenbar auf Anhieb perfekt auch mit einem Piwi umgehen konnte, um einen wirklich hervorragenden Wein, der in einjährigen Barriques ausgebaut wurde. Aufgrund der Degustation würde man ahnen, dass dieser Piwi auch sehr gut altern kann. Die Cantina selbst schreibt dazu: „Eine Prognose zum Alterungspotenzial ist immer etwas heikel, insbesondere ohne Erfahrung; fünf bis acht Jahre vielleicht“? Ich persönlich wäre nicht überrascht, wenn der 91-26-26 auch im Jahr 2038, also mit 20 Jahren, noch Freude machen würde!

Prüfen kann ich persönlich das leider nicht. Ich hatte eine Flasche bestellt und auch kurz nach Eingang der Sendung geöffnet. Als ich nachbestellen wollte um das Alterungspotential verfolgen zu können, war der Wein leider schon ausverkauft. Einen 6er im Lotto darf man aber schliesslich auch nicht alle Tage erwarten!

http://www.cantinabarbengo.ch


Ich werde mich weiterhin mit Piwi-Weinen auseinandersetzen, die neueren Erlebnisse lassen mich fest daran glauben, dass solche Sorten den Durchbruch schaffen werden! Dies nicht nur aufgrund ökologischer Aspekte, sondern nun eben auch, weil es hervorragende Weine gibt. Trotzdem werde ich mich in meinem Blog weiterhin und vor allem auch mit aussergewöhnlichen „herkömmlichen“ Weinen befassen. Im nächsten Beitrag mit solchen der Cantina Barbengo. Ich hatte auch vier Weisse bestellt, und die sind allesamt so umwerfend gut, dass sie mehr als nur eine kleine Fussnote hier verdient haben.