Chasselas/Gutedel: Grandiose Weine!

So ganz langsam spricht es sich herum, dass aus dem Mauerblümchen Chasselas bzw. Gutedel Weine von herausragender Qualität entstehen können. Hier je ein Beispiel aus Deutschland und aus der Schweiz als Beweis.

Zugegeben, auch ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich in Chasselas zu verlieben. Zu sehr sind mir da die dünnen, jämmerlichen Säftchen in Erinnerung, die wir jeweils in meiner Militärzeit in der Westschweiz im Ausgang vorgesetzt erhielten. Und auch eine Aussage über Chasselas-Weine eines damals führenden Weinjournalisten in den späten 1980er-Jahren musste ich zuerst überwinden: „So etwas wie halb Wein und halb saurer Most“!

Bester deutscher Wein bei Vinum: 10 hoch 4 von Ziereisen

Allerdings hätte es schon zu jener Zeit sehr gute Weine aus der Chasselas (in Deutschland: Gutedel) gegeben, was diverse Degustationen alter Weine aus jener Zeit heute eindrücklich bestätigen. Dass die besten Weine inzwischen auch ganz vorne in den Punktelisten mitmischen können, ist aber doch neu. So wurde vor drei Jahren zum Beispiel der Gutedel Jaspis 10hoch4 2016 von Hanspeter und Edeltraud Ziereisen als bester im Jahr 2020 von Vinum degustierter deutscher Wein bewertet (19,5 Punkte!). Ich selbst habe vor zwei Jahren den Jahrgang 2017 den gleichen Weines ebenfalls mit dieser Punktezahl bedacht – ein Wert, zu dem ich in diesem Blog noch gar nie gegriffen habe (wobei anzumerken ist, dass ich i.d.R. auch keine wirklich teuren Weine beschreibe).

Blick auf die Rebberge von Efringen-Kirchen, ideales Terroir an der deutschen „Burgunderpforte“.

Eine Stufe tiefer, aber auch grossartig: Steingrüble von Ziereisen

Nebst einem schon länger geplanten Beitrag über eine Verkostung von vier älteren Jahrgängen des Dézaley Médinette hat mich nun wiederum ein Wein von Ziereisen zum Schreiben angeregt, der „Steingrüble 2016“. Einfach grossartig, wie sich dieser Wein heute präsentiert, in der Trinkreife (wobei er das eigentlich schon die ganze Zeit war) aber immer noch mit viel Lagerpotential! Dieser – durchaus bezahlbare – Gutedel wird spontan vergoren und gegen zwei Jahre auf der Hefe im grossen Holzfass ausgebaut und schliesslich ohne Filtration oder Schönung abgefüllt.

Steingrüble 2016, Gutedel, Badischer Landwein, Hanspeter und Edeltraud Ziereisen
Mittleres Gelb, zuerst etwas Brioche (erinnert ein wenig an einen schönen Champagner), dann sehr fruchtig mit Apfel, Birne, Mirabelle und Papaya, dezenter Holzton; im Mund prägnante aber wunderschön „mürbe“ Säure, enorm mineralisch, dicht, „saftig“, wunderbarer Trinkfluss. Fast nicht endender Abgang mit Anflügen von Zitrus und Brioche. Toller Wein und nur 12,5 % Alk.! 17,5 Punkte.

Und die Chasselas-Legende aus der Schweiz: Dézaley Médinette von Louis Bovard

Grandiose Wein- und Kulturlandschaft: Dézaley am Genfersee.

Im vergangenen Spätherbst fand eine unglaublich spannende Degustation der Swiss Wine Connection statt. Von vier Schweizer Spitzenweinen wurden je vier gereifte bis „alte“ Weine präsentiert – darunter als einziger Weisser der Dézaley Grand Cru Médinette der Domaine Louis Bovard. Auch der älteste vorgestellte Jahrgang, 2002, war noch im voller Form – wenn das kein Beweis für die Grösse dieses Cru’s und für das Potential der Chasselas ist! Nachstehend meine Kurznotizen zu den vier Jahrgängen:

2011
Mittleres Strohgelb; grüne Töne, nussig, etwas „mostig“; im Mund etwas Kampfer, trotz tiefer Säure sehr frisch wirkend, rund mit langem Abgang. Der „schwächste“ der vier Jahrgänge, hat aber ev. eine etwas schwierige Phase. 16 Punkte.

2008
Mittleres Strohgelb; zuerst ganz leicht muffig, entwickelt sich mit Luft aber immer schöner hin zu fruchtigen Tönen wie Mirabellen und weissen Johannisbeeren; im Mund sehr frisch, mineralisch, ausgesprochen rund und trinkfreudig, langer Abgang. Schöner, frischer Wein. 17,5 Punkte.

2005
Eher helles Gelb; Duft nach Lindenblüte, kandierten Früchten und Honig, würziger Touch; im Mund trotz tiefer Säure frisch und harmonisch, mineralisch, rund, langer Abgang. 17 Punkte.

2002
Helles Strohgelb; vielschichtige Frucht (Steinobst und exotische Früchte); im Mund eher filigran, mineralisch, tolle Frische, extrem langer Abgang! Herrlicher Wein, 20 Jahre und kein bisschen müde! 17,5 Punkte.

Fazit: Chasselas/Gutedel aus dem Rebberg und dem Keller von begnadeten Winzern bringt Spitzenqualität! Es ist Zeit, alte Vorurteile abzulegen!

Mehr zu Ziereisen’s und zur Domaine Louis Bovard hier:
Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Und bei dieser Gelegenheit: Am 28.4.2023 findet in Efringen-Kirchen (10 Kilometer ab Basel) der Landweinmarkt Baden statt. Eine ideale Gelegenheit, die Weine von Ziereisen und anderen führenden Winzern der Region zu probieren:
Willkommen zum 4. Landweinmarkt Baden (landweinmarkt-baden.de)


Interessennachweis:
Der „Steingrüble“ wurde vor Ort beim Winzer gekauft und die Teilnahme an der Médinette-Degustation mit dem ordentlichen Eintritt beglichen.

Maximilian Greiner – wer sich diesen Namen nicht merkt, ist selber schuld!

A BLACK FOREST LANDWEIN. MADE WITH LOVE“. Was auf jeder Flasche des Weingutes Greiner steht, kann man sehr gut als Programm nehmen. Was Jungwinzer Maximilian Greiner abfüllt, hat Charakter und zeugt von viel Hinwendung. Diesen Namen muss man sich einfach merken, der wird ganz schnell ganz stark im Gerede sein, da bin ich mir sicher!

Greiner ist gelernter Tonnelier und liess sich später auch in Geisenheim ausbilden. Inzwischen ist er nicht nur Winzer (seit Jahrgang 2017), sondern auch schon als Berater für andere Weingüter tätig. Seine Gut befindet sich in Obereggenen, je rund 40 Autominuten von Freiburg im Breisgau und von Basel entfernt. Und Schwarzwald, wenn auch am Rand, stimmt durchaus und ist nicht nur ein Marketing-Gag.

Den Tipp zu diesem Winzer verdanke ich Otto Hintermeister, „Vinotti“ (siehe unten, Bezugsquelle). Bei einem Besuch in seinem Laden schwärmte er von Greiner, und er liess sich auch erweichen, mir von einer kleinen Vorauslieferung je eine Flasche zu verkaufen. Auf dem Weingut selbst war ich leider noch nicht, das werde ich aber mit Sicherheit nachholen – da wächst nicht nur etwas heran – da ist schon etwas Grossartiges da!

Und so ganz am Rand, aber einmal mehr bemerkenswert: Greiner pflegt einen nachhaltigen Umgang mit der Natur und arbeitet nach bio-dynamischen Grundsätzen (gemäss Vinotti demnächst auch zertifiziert). Ich mache keine Religion daraus und berichte auch über konventionell hergestellte Weine, aber es ist schon auffällig, wie oft bei wirklich grossen und vor allem eigenständigen Weinen auch ein entsprechender Umgang mit der Natur, und oft eine bio-dynamische Bewirtschaftung, dahinter stehen! Dem werde ich, sobald ich Zeit habe, einmal noch näher nachgehen.

Weinparade aus dem Schwarzwald: Maximilian Greiners tolle Gewächse!

Chasselas (Gutedel) 2020
Helles, grünliches Gelb; Stachelbeere, weisser Pfirsich, Zitrus, Anflug von Nüssen, leichter Hefeton; eher tiefe Säure, aber enorme Frische, fein strukturiert, geschmacklich dezenter, aber sehr langer Abgang. Vielschichtiger, irgendwie etwas „wilder“ Wein, sehr ausdruckvoll, eine eigene Spielart des Chasselas/Gutedel, erinnert ein wenig an den Stil von Ziereisen. Für mich ein grossartiger Wein, der für Schweizer Chasselas-Trinker aber vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist, Preis/Leistung unglaublich. 16,5 Punkte (= sehr gut)

Chardonnay 2018
Mittleres bis helles Strohgelb; dezent exotische Note nach Papaya und Banane, starker Duft nach Apfel („Tobiässler“, falls das noch jemand kennt), süsslicher Anklang von Honig, die ganze Nase aber eher dezent und nobel, auch mit etwas krautigen und hefigen Anklängen; im Mund dichte Struktur, mittlere, gut stützende Säure, fruchtbetont, Holz nur dezent spürbar, dafür merkbare, „neckische“ Fruchtsüsse, leicher Bitterton im langen Abgang. Toller Wein, 17,5 Punkte (= sehr gut)

Rosé Saignée 2019
Glänzendes lachsrot; Enormes, sehr schönes Fruchtbuquet mit Pfirsich, Himbeer, Zwetschen und einem leichten Nuss-Touch; im Mund frisch mit schöner Säure, erstaunliche Struktur mit leicht spürbaren, sehr feinen Tanninen, wunderbar elegant mit sehr langem Abgang. Ein Traumwein, der selbst mich zum Rosé-Fan machen könnte! Süffig und gleichzeitig so gut strukturiert, dass er auch als Essensbegleiter zu vielen Gerichten passt. (17 Punkte = sehr gut – wenn ich mich richtig erinnere, habe ich mein ganzes Leben lang noch nie einem Rosé eine so hohe Note vergeben).

Spätburgunder 2018
Helles, glänzendes Rot; zuerst etwas muffig wirkend, sogar leichter Lackton, nach etwas Belüftung dann reintönig, sehr fruchtig und sortentypisch, Himbeere, Johannisbeere, aber auch etwas Tabak und Lorbeer; im Mund spürbare, gut eingebundene Säure, strenge, leicht trocknende, aber feine Tannine, tolle Struktur, „feurig“, trotz einer gewissen Rustikalität sehr elegant, sehr langer Abgang. Zwingend dekantieren! 16 Punkte (= gut am oberen Ende der Skala).

Pinot Noir „Vulkan“ 2018
Mittleres Rot, das schon wir leicht gereift wirkt; wunderbare, vielschichtige Pinot-Nase, Johannisbeere, Himbeere, Walderdbeere, minimaler Holz-Touch; enorm frisch, sehr gehaltvoll und dicht, vollgepackt mit sehr feinen Tanninen, spürbare Säure, gesamthaft sehr ausgewogen. Im Abgang, „burgundisches Feuer“, ohne akoholisch zu wirken. Grosser Wein! 18 Punkte (= hervorragend)

Weissburgunder und Sekt 2018
Nicht beschreiben kann ich leider den Weissburgunder 2018, diese Flasche hatte leider einen Korkfehler. Soweit beurteilbar, ist das aber ebenfalls ein grandioser Wein; seine Struktur ist aussergewöhnlich. Auch den Sekt 2018 beschreibe ich nicht. Aus diesem Jahrgang lässt sich aufgrund der Fein- und Reinheit des Weines ableiten, dass auch der Schaumwein dereinst Furore machen könnte. Mir persönlich war dieser Jahrgang, obwohl ich Säure sehr mag, aber schlicht und einfach zu säurebetont.

Weingut GREINER (weingut-greiner.com)

Und die erwähnte Bezugsquelle in der Schweiz, bis zum 22.8.2021 noch zum Subskiptionspreis:
Weingut Greiner – VINOTTI

Schliesslich noch ein Verweis auf eine andere Homepage, welche die Einstellung von Greiner schön wiedergibt:

Badischer Weinbahnhof (badischer-weinbahnhof.ch)

Merlot, Syrah, Cabernet Sauvignon = Dézaley? (!)

Dézalay, die schönste und beste Weinlage im Weltkulturerbe Lavaux, wird meistens „nur“ mit der Traubensorte Chasselas verbunden. Doch es geht auch anders – und es lohnt sich, diese verblüffende Andersartigkeit zu entdecken! Die verkannten Chasselas-Weine übrigens auch, aber das folgt später.

Wer mit dem Zug von Bern nach Lausanne fährt, dem kann es nach einem kurzen Tunnel wirklich die Sprache verschlagen: Der plötzlich freie Blick über die Reben des Lavaux und den Genfersee hin zu den Savoyer Alpen gehört zu den eindrücklichsten Bahnerlebnissen überhaupt! Der Zug fährt am westlichen Ende oberhalb der Appellation Dézaley aus dem Tunnel, unweit des höchsten Punktes beim Tour de Marsens auf 550 m über Meer. Dézaley – inzwischen offiziell als einer von zwei Waadländer Grand Crus deklariert – erstreckt sich aber über rund 54 ha bis hinunter an den Genfersee auf 375 m. ü. M.

Die Schönheit der Gegend kann eigentlich gar nicht in Worte gefasst werden. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass das Lavaux – etwas ungenau ausgedrückt zwischen Lausanne und Vevey – 2007 unter dem Titel „Weinterrassen von Lavaux mit Blick auf den See und die Alpen“ in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Und vielleicht noch das: Fast das ganze Gebiet wird auf teils kleinen Terassen bewirtschaftet – anders ginge es gar nicht bei einem natürlichen Gefälle von teils über 100 %!

„Weinterrassen mit Blick auf den See und die Alpen:“ Fast wie irgendwo zwischen Himmel und Erde: das Lavaux.

Aber nun genug der Tourismusförderung – Kenner der Gegend mögen mir diese Ausschweifung verzeihen. Bekannt ist Dézaley praktisch nur durch seinen Weisswein – rund 90 % der Fläche sind hauptsächlich mit der Chasselas-Traube (Gutedel) bestockt. Diese lange als minderwertig angsehene Sorte bringt es hier zu ungeahnten qualitativen Höhenflügen und verblüfft überdies durch ein enormes Altersungpotential. Aber das ist eine Geschichte für sich, welche in diesem Blog noch folgen wird.

Auf den nun zu beschreibenden Wein bin ich offen gesagt nur durch Zufall gestossen. Da Degustationen aufgrund von Corona nicht möglich sind, wurde auf sozialen Medien ein Degupaket mit sechs mit dem Terravin-Goldlabel ausgezeichneten Weinen zum Versand angeboten. Neugierig wie ich bin, habe ich bestellt. Das Paket enthielt verschiedene Chasselas aus dem Lavaux, von respektabel bis sehr gut. Vor allem aber gab es da auch einen Rotwein, einen Dézaley 2019 der Domaine Antoine Bovard. Ich degustierte den Wein in der Erwartung, einen reinen Pinot noir oder eine Assemblage mit Gamay im Glas zu haben. Völlig verblüfft begann dann mit der nachfolgenden Degustationsnotiz die Suche nach den enthaltenen Rebsorten:

Dézaley Grand Cru, 2018, Domaine Antoine Bovard
Dunkles Prupur; rote Pflaumen, Rosinen, auch einige rote Fruchttöne, Anflug von Lorbeer und Thymian; auch im Mund sehr fruchtbetont, geschmeidig, schöne Balance von Säure, Süsskomplex und leicht trocknenden Tanninen, leichter, aber sehr fein eingewobener Bittertouch, langer Abgang. Schöner, spannender Wein! 17 Punkte (= sehr gut).

Der Wein wirkt wie nicht in der Schweiz gewachsen, spannend, elegant, aber doch eher südlich anmutend. Keine Ahnung, welche Sorte(n) ich da im Glas hatte. Die Etikette half nicht weiter, aber immerhin das www. Der Wein besteht aus 40 % Merlot, 40 % Syrah, 10 % Cabernet Sauvignon und 10 % Pinot noir!

Von der Ausnahme zum Normalfall – das Klima machts
Bloss – darf ein Winzer das überhaupt? Sind diese Sorten in einem Dézaley Grand Cru zugelassen? Recherchieren und Nachfragen bringt die Klärung: Ja, bzw. früher nein! Heute ist der Wein mit diesen Sorten hochoffiziell zugelassen, alle stehen auf der waadtländischen Sortenliste und dürfen deshalb auch in einem Grand Cru-Gebiet angebaut werden. Allerdings war dem noch nicht so, als Antoine Bovard die Reben pflanzte. Er merkte, dass die Pinot noir-Trauben vor allem entlang der wärmenden Mauern aufgrund der Klimaveränderung immer früher reiften und brandig zu werden drohten. Er setzte deshalb auf südlichere Sorten und erhielt schliesslich eine Ausnahmebewilligung dafür. Deshalb dürfen wir heute einen wunderschönen „Rhone-Bordeaux-Burgund-Blend“ aus dem Lavaux geniessen.

Eine kleine Geschichte am Rand: Die Ausnahmebewilligung war freilich nicht umsonst zu haben! Antoine Bovard musste während Jahren immer Muster der geernteten Trauben und des gekelterten Weins an die Forschungsanstalt Changins (heute Agroscope) senden. Wetten, dass die sich über den aussergewöhnlichen Wein jeweils sehr gefreut haben?

Bovard: Eine Familie auf der Qualitäts-Schiene
Domaine Bovard? Antoine Bovard und Sohn Denis Bovard, der die Domaine seit 2011 führt? Auf die Gefahr hin, peinlich zu sein, stellt man hier einfach die Frage nach der allfälligen Verwandtschaft mit der bekannteren Domaine Louis Bovard. Und für einmal führt eine peinliche Frage zu einem Volltreffer!

Denis und Antoine Bovard: Sohn und Vater auf gleicher Wellenlänge!

Bovard ist ein alteingesessenes, traditionelles Weingut im Lavaux. Anfangs der 1960er Jahre hätte Louis-Philippe Bovard das elterliche Gut übernehmen sollen. Allerdings passte ihm das nicht so ins Konzept, als Jurist konnte er sich auch einen anderen Werdegang vorstellen. 1964 übernahm er deshalb die Leitung des „Office des Vins Vaudois“. Aus diesem Grund wurde sein Bruder Antoine, der an der ETH Zürich Physik studierte, auf das elterliche Gut zurückgebeten. Nachdem aber Louis-Philippe doch auch einsteigen wollte, wurde die Besitzung geteilt, und Antoine gründete 1983 sein eigenes Weingut. Eine Frage der Farbe sozusagen. Während Antoine das „gelbe Haus“ in Treytorrons-en-Dézaley übernahm, bekam Louis-Philippe das „rosa Haus“ in Cully.

Beste Lagen – mit ökologischer Handschrift
Allerdings ist das Gut von Antoine Bovard kleiner. Heute umfasst es etwas über 7 Hektar, fast ausschliesslich in allerbesten Lagen in Epesses und Dézaley – dazu mit kleinen Flächen in St.-Saphorin und Calamin, dem zweiten Grand Cru im Waadtland. Während Louis-Philippe in der Weinwelt sehr bekannt wurde und heute oft als „Grandseignieur“ des Lavaux beschrieben wird, blieb es um Antoine eher stiller. Beide gingen aber sehr konsequent und schon, als im Waadtland Quantität noch vor Qualität stand, ihren Weg hin zu hochklassigen Weinen. Antoine führte dabei sogar früher die zukunftsgerichtete, ökologische Klinge. Schon unmittelbar nach der Gründung im Jahr 1983 verzichtete er auf jeglichen Einsatz von synthetischem Dünger. Schon früh experimentierte er auch mit bio-dynamischem Weinbau. Sein Sohn Denis, der die Domaine – wie er selbst sagt, sehr im Geist seines Vaters – führt, treibt das Gut nun definitiv zum Bioweinbau voran.

Denis Bovard freute sich, als ich ihn im Hinblick auf diesen Artikel kontaktierte, war aber gleichzeitig fast ein wenig enttäuscht, dass ich „nur“ über den roten Dézaley schreiben wollte. Ihm ist es ein ausserordentliches Anliegen, auf die hohe Qualität und auf die Langlebigkeit der Chasselas-Weine aus dem Lavaux hinzuweisen. Chasselas – diese verrufene Rebsorte ist eben zu allem fähig. Dass das Paradepferd seines Onkels Louis-Philippe, die Médinette, sehr gut altert, ja eigentlich zur vollen Entfaltung schon ein paar Jahre Lagerung braucht, ist inzwischen bekannt. Offenbar sind aber die Spitzen-Chasselas des Gutes Antoine Bovard ebenso langlebig. Da gibt es nur eines zu sagen: affaire à suivre!

Domaine Antoine Bovard (domaine-antoine-bovard.ch)

Zur Gegend bzw. der Einsufung als Unesco Weltkultgurerbe:
Lavaux, Vineyard Terraces – UNESCO World Heritage Centre

Und einer meiner früheren Artikel zur Médinette der Domaine Louis Bovard:
Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker! – Victor’s Weinblog


Und noch den Hinweis auf die Herkunft des beschriebenen 6er-Pakets (nicht mehr genau in der von mir erhaltenen Form angeboten, aber wohl vergleichbar):

coffret connaisseur Terravin (provino.ch)

Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein!

Regio Basel. Markgräflerland. Spitzenwein? Ja, das passt zusammen! Rund 10 Kilometer nördlich von Basel herrschen Bodenverhältnisse ähnlich wie im Burgund. Und wenn hier ein Winzerpaar wie die Ziereisen’s tätig ist, dann resultieren eigenständige, grossartige Traumweine.

Blick von der Rebbergen auf Efringen-Kirchen (vorne) und Basel (Hintergund).

Rund 30 Jahre sind es her, seit Hanspeter Ziereisen seinen erlernten Beruf als Schreiner aufgab, um sich dem elterlichen Hof in Efringen-Kirchen zu widmen, einem Mischbetrieb (u.a. Spargel!), der auch etwas Reben besass. Hanspeter war überzeugt, dass man an den Hängen über dem Dorf, welche aufgrund einer geologischen Überwerfung schwergewichtig Jurakalk als Untergrund aufweisen, hervorragenden Wein herstellen könnte, der ganz anders sein müsste, als es die damaligen Tropfen der Region waren.

Der „Kalkfelsen“ zwischen Efringen und Istein: aussergewöhnliches Terroir (die Reben gehören nicht zu Ziereisen, das Bild zeigt aber schön die geologischen Verhältnisse)

Allerdings war die erste Hälfte von Ziereinsen’s Wirken nicht einfach. Zwar sagt seine Gattin Edeltraud (kurz: Edel) mit einem Augenzwinkern, sie selbst sei seit 1996 auf dem Hof, und seit 1997 werde hier guter Wein gemacht. Aber so richtig gesucht waren die den Beschriebungen nach schon damals authentischen, aber filigranen und vielleicht nicht auf den ersten Schluck verständlichen Weine nicht. Es war die Zeit, in welcher die Weinfreunde vor allem die Frucht-, Extrakt- und Alkoholbomben aus Australien, Spanien und Süditalien als Mass der Dinge sahen – und wenn ein einheimisches Gewächs, dann musste es wenigstens rund und fruchtig sein. Als Tribut an den Zeitgeist wurde deshalb in den Jahren 2000 – 2004 auch bei Ziereisen chaptalisiert, d.h. der Wein durch das Zufügen von Zucker während der Gärung alkoholreicher und runder gemacht.

Interessanterweise verdanken wir zum Teil gerade dieser damaligen Durststrecke im Absatz der Weine die heutige Aussergewöhnlichkeit von Ziereisen’s Sortiment: Das Weingut hinkt in der Vermarktung immer ein bis zwei Jahre hinterher, aktuell sind schwergewichtig noch die 2017er im Verkauf, die 2018er sind oder werden erst gerade abgefüllt. Der Wein darf also bei Ziereisen ruhen und reifen.

Der Wein braucht einfach seine Ruhe
Überhaupt: Der Wein bekommt bei Ziereisen viel Ruhe und darf sich sozusagen selbst entwickeln. Einen „flying winemaker“, wie ihn einige andere Winzer für Tagesgagen von bis zu 3’000 Euro verpflichten, braucht Ziereisen nicht. Und dass Weinlehranstalten heutzutage vor allem zum Vermeiden von Fehlern und nicht zum Kreieren grosser Weine ausbilden, möchte er lieber ausblenden. Ihm genügt seine Erfahrung und sein Gefühl – und der Wein macht das schon selbst richtig, wenn man ihn denn lässt und schonend begleitet. Vergoren wird auf der Wildhefe, und fast alle Weine bleiben danach im kleinen oder grossen Holzfass (Inox sucht man im Ausbau-Keller vergebens) eineinhalb bis zwei Jahre auf der Feinhefe liegen. Die grösseren Gewächse werden sogar unfiltiert abgefüllt. Böse Zungen sagen zwar, der Wein erhalte nur deshalb diese Ruhe, weil Hanspeter noch lieber im Rebberg als im Keller arbeite – aber wer ihn selbst über seine Weine reden hört, spürt seine Überzeugung zu seiner Kellerarbeit. „Slow wine“ sozusagen!

Holz, soweit das Auge reicht: Hier ruhen sich Ziereisen’s Weine aus, bevor sie abgefüllt werden.

Aber Arbeit haben Ziereisens ohnehin genug. Aus einem kleinen Rebgut ist inzwischen ein Betrieb mit 21 Hektar Rebfläche entstanden. Ein Blick auf die Besitzverhältnisse am Efringer Hang zeigt, dass heute rund die Hälfte des Rebberges Ziereisens gehört, darunter Land in den allerbesten Lagen. So viel Ruhe der Wein bekommt, so sehr ist das Ehepaar Ziereisen immer auf Achse. Bei unserem Besuch auf dem Hof zeigte sich Edel als nimmermüde Gastgeberin mit einem wachen Auge auf die Anliegen aller Besucher (man kann vor Ort Wein kaufen), während Hanspeter noch am späten Samstagabend eine defekte Maschine selbst reparierte, bevor er sich auch in unsere Runde gesellte. Ruhe scheint für Ziereisen’s ein Fremdwort zu sein, und man hat den Eindruck, es wäre ihnen auch nicht wohl, wenn sie nicht arbeiten könnten.

Gefühl und Kreativität im Rebberg
Zurück zum Rebberg: So, wie im Keller vor allem mit Erfahrung und Gefühl gearbeitet wird, so sehr ist Beobachtung und Erfahrung – und eben wieder Gefühl – der Schlüssel zu einer idealen Pflege der Reben. Die Unterschiede der Lagen, die Art der Erziehung, der ideale Zeitpunkt zur Lese, aber zuvor auch zur Entlaubung, die Menge der Blattmasse – alles ist bei Ziereisen durchdacht und mit Erfahrungen hinterlegt, die man doch in jedem Jahr wieder den Gegebenheiten anpassen muss – mit dem Gefühl für das Richtige halt!

Seit einigen Jahren bewirtschaften Ziereisen’s zusätzlich noch Reben in der Schweiz, direkt an der Grenze in Riehen (mit schönem Blick auf die Fondation Beyeler). Auch diese Weine gelingen bereits hervorragend, aber Hanspeter Ziereisen gibt offen zu, dass er überzeugt ist, die Qualität mit den Jahren noch steigern zu können, weil er – zusammen mit dem dort eingesetzten Betriebsleiter – mit jedem Jahr den Rebberg noch besser zu verstehen lerne. Die Reben in Riehen liegen nur rund 10 Kilometer entfernt und in ähnlicher Ausrichtung. Aber das Kleinklima ist völlig anders, hier ist es wärmer, da die kühlen Nachtwinde vom Schwarzwald weniger gut bis in diese Lage ziehen können und wohl auch, weil die nahe Stadt einfach wärmer ist.

Der Rebhang von Efringen-Kirchen: Idealer Boden, beste Ausrichtung und ideales Mikroklima. Rund die Hälfte davon wird von Ziereisen’s bewirtschaftet.

Die Rebberge der Ziereisen’s können auch schon fast als Lehrbuch dafür genutzt werden, wie man mit perfekter Arbeit und mit dem Mut zu Experimenten den Wein immer noch eine Nuance besser macht. Ein paar Beispiele: Eine Neupflanzung wurde in extrem hoher Stockdichte gesetzt, womit der Ertrag pro Stock reduziert werden kann, was die Reben auch zwingt, tiefer zu wurzeln. In Zeiten des Klimawandels ein unersetzlicher Vorteil. Oder die Laubarbeit: Um die Trauben trocken zu halten und damit der Fäulnis vorzubeugen, sollte man die Blätter in der Traubenzone möglichst entfernen. Umgekehrt bieten die Blätter den Beeren Schutz gegen zu viel Sonne, welche sie nicht nur „verbrennen“ kann, sondern den Trauben auch Frische entzieht. Ziereisen löst das Problem, indem die Blätter auf der sonnenabgewandten Ostseite entfernt, während sie auf der anderen Seite der Reihe am Stock belassen werden. Oder das Eingehen auf die Traubensorte: Während die Burgundersorten mit relativ wenig Blattmasse auskommen, muss die Syrah mit ihrer Wuchskraft sich „austoben“ können. Die Lösung: Die Triebe der Rhonetraube werden um den obersten Draht gewickelt und können somit länger belassen werden und mehr Blätter bilden. Oder Pinot-Stöcke, die im Zapfenschnitt erzogen werden? Ziereisen’s probieren das aus, weil dieser Schnitt ertragsregulierend und alkoholmindernd wirken soll. Und noch ein Unikum: In einer Parzelle wurden statt einer Neupflanzung von Reben die neuen Schösslinge auf das bestehende Holz aufgepfropft, womit die tief wurzenden Stöcke erhalten bleiben – und nebenbei erst noch im ersten Pflanzjahr schon ein Ertrag erzielt werden kann!

Neubestockung: Extreme Dichte für höchste Qualität!

Das ist Ziereisen: Immer aktiv, immer mit dem Ziel auf das noch etwas Bessere, immer beobachtend, immer suchend – immer auf Achse! Mit diesem Engagement, diesem Enthusiasums, dieser Begeisterung für die (Hand-)arbeit kann es nicht überraschen, dass das Weinsortiment der Ziereisen’s von aussergewöhnlicher Qualität ist.

Ich hatte das Vernügen, einen ganzen Nachmittag lang das ganze, grosse Sortiment degustieren zu dürfen, inkl. der Weine aus Riehen. Eingeladen hatte Florian Bechtold, und er erwies sich als Glücksfall. Einerseits bestach er – angehender Sommeliermeister – mit einem enorm breiten und tiefen Weinwissen, andererseits, und in diesem Fall vor allem, dadurch, dass er im Rahmen seiner Ausbildung als Praktikant bei Ziereisen gearbeitet hatte. Seine Erläuterungen zu den einzelnen Weinen waren deshalb unbezahlbar.

Die klare Handschrift durch das ganze Sortiment
Das Ziereisen-Sortiment umfasst 28 verschiedene Weine, vom „Heugumber“, dem Basis-Gutedel zu Euro 6.50, bis zum Jaspis Gutedel 104 zu Euro 125.00. Davon konnten wir 25 Weine verkosten – zusammen mit vier Weinen vom Weingut Riehen also 29 Proben. Und es gibt, vielleicht mit Ausnahme des duftmässig gewöhnungsbedürftigen trockenen Gewürztraminers, in jeder Preis- und Weinkategorie nur ein Prädikat: aussergewöhnlich. Nein, es gibt ein zweites: grossartig!

Allen Weinen, einfach oder Weltklasse, ist gemein, dass sie eine grosse mineralische Frische ausstrahlen, und das die Fruchtigkeit nicht vordergründig, sondern dezent spürbar eingebunden im Gesamtbild wirkt. Zudem ist kein einziger Wein, obwohl alle in Holz ausgebaut sind, jemals stark holzbetont. Zudem sind bzw. wirken alle Weine trocken, da gibt es nichts von „billiger Süsse-Fruchtigkeit“.
Wo nicht anders erwähnt, handelt es sich immer um den Jahrgang 2017:

Schon die Basisweine – „Rebsorten-Weine“ – sind allesamt alles andere als einfach, auch wenn sie natürlich mit den grossen Weinen nicht mithalten können. Die meisten davon werden – im Gegensatz zu den höherklassigen – filtriert abgefüllt. Ganz speziell gefallen hat mir hier der dichte, „fadengerade“ und zudem recht fruchtige Grauburgunder – für 9.80 Euro ein unglaublicher Gegenwert. Und auch der „Heugumber“ 2018, ein Gutedel für 6.50 Euro, steht mit seiner zwar noch etwas reduktiven, aber dichten und mineralischen Art weit über vielen teureren Chasselas aus der Schweiz.

Die nächste Qualitätsstufe, die „Premium-Weine“ spielen dann aber doch in einer anderen Liga. Bei den Weissen mag man sich fast nicht festlegen, ob man nun der Gutedel „Steingrüble“, den ich übrigens in einem anderen Jahrgang hier schon einmal fasziniert beschrieben hatte:
https://victorswein.blog/2018/02/03/gut-und-edel/,
den Weissburgunder „Lügle“, den Grauburgunder „Moosbrugger“ oder gar den Chardonnay „Hard“ bevorzugt.
Etwas einfacher wird die Wertung bei den Roten, vier verschiedene Blauburgunder und ein Syrah. Schon der „Tschuppen“ besticht durch seine eigenständige, würzige und florale Art. Der Talrain (17.80 Euro), der sechs Wochen an der Maische gelegen hat, weist im Moment noch etwas trocknende Tannine auf, hat aber eine tolle Struktur, duftet schon sehr typisch nach Pinot – und dürfte in 3-4 Jahren ganz toll sein. Das Highlight in dieser Kategorie ist aber der Rhini. In dieser Lage überdeckt eine dicke Löss-Lehmschicht den Kalkboden, und der Wein wirkt tatsächlich anders: fruchtbetont (aber nicht aufdringlich), sehr dicht, prägende Tannine, gleichzeitig sehr „saftig“. 34.00 Euro – aber jeden Cent wert!

Fast wäre nun der Syrah Gestad aus dieser Linie vergessen gegangen. Spannend, was aus dieser Sorte im Markgräflerland gemacht werden kann!

Bei anderen Winzern wäre das Sortiment damit abgeschlossen, bei Ziereisen beginnt es qualitativ hier erst so richtig (eine Aussage, die allerdings die bisher beschriebenen Weine ungerechtfertigt abwertet)! Jaspis heisst die Linie, die „Premium“ noch toppt. Jaspis ist ein Edelstein auf Quarz-Basis, der Name passt somit sehr gut zum überaus mineralischen und edlen Sortiment.
Der Grauburgunder hat viel reife Frucht, duftet nach Honig und ist, bei schöner Säure, dicht, und der Abgang fast unendlich. Ein unsüsses Elixier!
Im Gegensatz dazu ist der Chardonnay mit feiner Frucht unterlegt, feingliedrig und überaus elegant. Ein Wurf!
Aber die Krone – nach meiner Meinung im ganzen Sortiment – gehört einem Gutedel, dem 104: Unglaublich feine, zwar intensive, aber doch nicht aufdringliche Fruchtnote mit einem ganzen Bündel an Düften, im Mund zuerst filigran wirkend, dann enorm viel Druck aufbauend, total ausbalanciert, enorme Länge. Ein Traumwein – und ein Horror für alle Chasselas-Verächter. Aus dieser Rebsorte kann man ganz offensichtlich Weine herstellen, die man blind ins gehobene Burgund denken würde!

Gutedel (Chasselas) der unglaublichen Art: Ein feingliedriges, tiefgründiges Monument, das man locker gegen einen guten Burgunder stellen kann!


Bleiben die Roten der Jaspis-Linie, und auch da bleibt vor allem das Staunen: Schon der Blauburgunder mit seinem dunklen Kirschenduft und einer enormen Eleganz und Frische ist – auch im noch nicht reifen Zustand – ein genialer Wein. Schade nur für ihn, wenn danach der (2015-er) „alte Rebe“ serviert wird. Bereits etwas gereifte Frucht von Himbeere und Johannisbeere, etwas Pilz und Leder, im Mund ein Feuerwerk, dicht, „burgundisches Feuer“ ohne jede Brandigkeit, bereits etwas gereifte Tannine, wunderschön stützende Säure – ein Traumwein zum Meditieren!
Der Syrah hatte es nach diesem Wein etwas schwer, dabei ist er aber absolut überzeugend. Er ist in 50 % neuem Holz ausgebaut, aber Holz spürt man nur sehr dezent, es herrschen typische Sarah-Noten vor. Ein Syrah, der sich vor jenen aus der Rhone nicht verstecken muss.

Und dann wäre da ganz zum Schluss der Degustation noch dieser andere, überirdisch gute Wein, „Jaspis Unterirdisch“ 2016, ein in der vergrabenen Amphore vergärter und ausgebauter Gutedel ohne Schwefel – ein Naturwein: Orange Farbe, spürbare Hefenote, erstaunlich fruchtig (Johannisbeeren und Stachelbeeren), spürbare, etwas trocknende Tannine, langer Abgang. Gelungener, spannender Wein, der alle Vorurteile gegen Naturwein widerlegt.

Einmalig grossartig
Es verwundert natürlich nicht, dass auch die Grossen der Weinkritik das Gut längst entdeckt haben. Nur zwei Beispiele: Diverse Parker-Punkte von Stephan Reinhardt machen das Gut interessant und einige Weine noch rarer, und Gault Millau führt den Betrieb mit 5 Sternen = Weltklasse und gibt dem Jaspis Gutedel 104 die vollen 100 Punkte!

Und trotzdem sind Ziereisen’s bescheiden geblieben und nicht abgehoben (Na gut, sieht man einmal vom Preis des 104 ab, zu dem die FAZ schrieb, nicht einmal Hanspeter selbst glaube, dass das gerechtfertigt sei. Allerdings sind dann die Weinpreise vieler anderer Produzenten genau so wenig begründet).
Ziereisen – das ist die vermutlich fast einmalige Kombination zwischen Bescheidenheit, handwerklicher Bodenständigkeit und genialer Kreativität und Gefühlsbetontheit. Grossartig und einmalig!

http://www.weingut-ziereisen.de


Das Weingut in der Schweiz: Ullrich + Ziereisen, Weingut Riehen
Nur am Rand erwähnt habe ich die Weine (Le Petit und Le Grand, jeweils in weiss und rot) des „Weingutes Riehen“, das Ziereisens zusammen mit der Weinhandlung Paul Ullrich unter der Betriebsleitung des jungen, offenbar begnadeten Silas Weiss bewirtschaftet. Alle Weine des Gutes sind empfehlenswert, der Ziereisen-Stil zeigt sich auch hier. Besonders angetan bin ich von einem momumentalen Sauvignon blanc, der allerdings sehr sortenuntypisch daherkommt. Und ein Wermuthstropfen: Die Weine sind mit rund CHF 35.00 (Petit) und CHF 70.00 (Grand) auf der gehobenen Seite.
http://www.weingutriehen.ch


Florian Bechtold, begnadeter Weininsider mit Praktika bei Ziereisen’s
Der Organisator des Tages, Florian Bechtold, ist aktuell an einem äusserst spannenden Weinprojekt, das ich hier sicher noch verstellen werde, sobald die Zeit dafür reif ist. Vorerst kann ich Florian bestens empfehlen als sehr kompetenten Fachmann für Weinberatungen aller Art, Weinreisen, Weinabende oder als Sommelier:
http://www.facebook.com/flobechtold

Die jungen Wilden. Nur halb so wild, dafür total gut!

Junge Schweiz – neue Winzer. So heisst eine Vereinigung, der sich unter 40-jährige Winzerinnen und Winzer anschliessen können. Am „Swiss Wine Tasting“ traten sie kürzlich mit je zwei Weinen auf – und überzeugten auf der ganzen Linie.

„Die jungen Wilden“, so wurde der Gemeinschaftsstand im Katalog bezeichnet. Der Titel war nicht ganz richtig, genau wie die räumliche Platzierung der Gruppe in einer engen Nische – die acht teilnehmenden Weingüter hätten einen besseren Platz verdient.
Wobei acht eigentlich ohnehin die falsche Zahl ist, denn mit Johann-Baptista von Tscharner, Patrick Adank, Martin Wolfer, Robin Haug, Alain Schwarzenbach, Susi Steiger-Wehrli, Fabrice und Stéphane Simonet, Marylène und Louis Bovard-Chervet, Martin Porret sowie Jonas Huber waren zehn weitere Güter am Anlass vertreten – aber eben einfach nicht am Gemeinschaftsstand, sondern im grossen Saal und somit unter der Gilde der etablierten Güter (bzw. an prominenteren Sonderstand „Zürisee“ im Falle von Schwarzenbach).
Um auf den eigentlich verdienten besseren Platz zurückzukommen: Alle acht Jungwinzerinnen und -winzer am „Katzentisch“ halten qualitativ ohne Weiteres mit den grossen Weingütern mit. Deshalb stellt sich schon die Frage, ob sie künftig nicht einfach in die Ausstellung gehörten und dort allenfalls als Mitglied von „Junge Schweiz – neue Winzer“ gekennzeichnet werden könnten.

Dezent in der Beschriftung, gross im Auftritt: die jungen Winzerinnen und Winzer (hier das Eingangstor zur Cave Caloz in Miège).

Wie auch immer: Was die acht am Gemeinschaftsstand vertretenen Güter zeigten, ist Spitzenklasse:

Bechtel-Weine, Eglisau, Mathias Bechtel
Ein holzbetonter, aber schöner Chardonnay 2017 und ein herrlicher Pinot noir 2017, mit dem Bechtel zeigt, dass er während seiner Jahre als Kellermeister von Pircher viel Pinot-Klasse verinnerlicht, sich aber gleichzeitig auch mit einem etwas weniger filigranen Stil emanzipiert hat.

Schott-Weine, Twann, Anne-Claire Schott
Spannender, dichter, aber auch etwas gewöhnungsbedürftiger „Blanc orange“ 2018 aus vier Traubensorten und ein charaktervoller, kräftiger Pinot noir 2018 (Mon vieux Pinot noir) ohne Schwefelzugabe.

Javet + Javet, Lugnorre, Etienne Javet
Ein filigraner Pinot noir 2017 (aimetere de la Chamba) und ein unglaublich gehaltvoller und frischer „orange Chasselas“ 2018 (Or du temps) – orange wine vom Feinsten!

Cave de l’Orlaya, Fully, Mathilde Roux
Ein Bilderbuch-Gamay 2017 (vieilles vignes), fruchtig und mit Tiefe sowie ein schöner Petite Arvine 2018, der mir persönlich ohne die – freilich dezente – Restsüsse noch besser gemundet hätte.

Cave Corbassière, Saillon, Nicolas Cheseaux
Herausragender, frischer und fruchtiger Petite Arvine 2017 (Saillon Grand Cru) mit Tiefgang und der wohl beste Diolinoir (2016), den ich je gekostet habe und der zeigt, was in dieser Sorte steckt: dicht und gleichzeitig elegant, fruchtig, würzig und mit einer unglaubliche Frische (ohne Schwefelzusatz!).

Sélection Comby, Chamoson, Yann Comby
Ein sehr schöner, salzbenonter Petite Arvine 2018 (La Tsoume) und ein typischer Cornalin 2018 (La Crête) mit Potential.

Cave Caloz, Miège, Sandrine Caloz
Sehr schöner Marsanne Blanche 2018 (Vieilles Vignes Les Clives) mit Restsüsse und ein ungemein saftiger, fruchtiger, mit viel Tannin unterlegter, herrlicher Humagne Rouge 2018 (Les Bernunes).

Weingut Cipolla, Raron, Romain Cipolla
Ein saftiger, sortentypischer und für Walliser Verhältnisse sehr frischer Sauvignon blanc 2018 (Heidnischbiel) und ein schöner, zarter Pinot noir 2018 (Bieltin), der mit ein bisschen mehr Säure noch bemerkenswerter wäre.

16 präsentierte Weine, keine einzige Enttäuschung, sieben absolute Spitzenweine und ein ganz generell sehr hohes Niveau: Genial, was die Jungen hier zeigten. So wild, wie sie benannt wurden, sind sie aber nicht. Wohl suchen sie teils neue Wege – Anne-Claire Schott wäre da vorab zu nennen -, aber letztlich sind es einfach aussergewöhnliche Winzer(innen)-Talente, die beim nächsten Mal definitiv allesamt mit in die Präsentation der Etablierten gehören.

Nicolas Cheseaux – Primus inter pares?
Auch wenn es etwas unfair ist, dann hebe ich jetzt trotz allem einen Winzer besonders hervor: Nicolas Cheseaux von der Cave Corbassière. Die beiden präsentierten Weine waren eindrücklich, aber ich konnte bei ihm auch schon mal das ganze Sortiment probieren und empfehle Ihnen, sich diesen Namen speziell zu merken: hier zeigt sich das Talent eines Spitzenwinzers, der das Zeug hat, international für Furore zu sorgen.

Nicolas Cheseaux, Cave Corbassière, Saillon: Merken Sie sich alle Namen der jungen Winzer, und diesen ganz besonders!
http://www.corbassiere.ch/

Hier der Verweis auf die Homepage von „Junge Schweiz – neue Winzer“. Die Links zu den einzelnen Mitgliedern finden Sie auf dieser Seite unter „Winzer“.

https://www.jsnw.ch/home/

Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker!

Ich habe in den letzten Monaten mehrmals über grossartige Schweizer Weine geschrieben, die Weltklasse darstellen. Ganz sicher dazu gehört der Médinette von Bovard, ein Inbegriff für einen wunderschönen Chasselas, der selbst Weingott Bacchus prosten lässt!

Als Leserin oder Leser mögen Sie nun fragen, ob mir denn nichts anderes mehr einfalle, als über bekannte Weinklassiker zu schreiben. Gegenfrage: Wann hatten Sie zum letzten Mal einen Médinette im Glas? Bei vielen dürfte das lange her sein – und das ist schade, der Wein ist nämlich nicht einfach ein Klassiker, sondern ein genialer Klassiker, der zum Besten zählt, was es in der Schweiz gibt!

Klassisch ist auch die Etikette, die aus dem Jahr 1905 stammt und den Weingott Bacchus zeigt. Der Text links unten hatte prohetischen Charakter: le plus fin des Vins Suisse!

Bovard, das Traditionsunternehmen aus Cully, führt eine Vielzahl von Chasselasweinen aus unterschiedlichen Lagen. Aber bei aller Tradition hat sich Bovard auch immer wieder an Neues gewagt. Ortsuntypische Sorten wie Chénin blanc, Sauvignon blanc, Syrah und Merlot oder ein Ausbau von Weinen in der Barrique wurden sozusagen zu neuen Traditionen. Wer den heute schon über 80-jährigen Louis-Philippe Bovard erlebt, wer seine einnehmende Präsenz und seine Freude daran, über die Weine zu philosophieren je erlebt hat, wird keine Angst mehr vor dem Alter haben – und kann sich vorstellen, welche Schaffenskraft Bovard wohl als 50-jähriger gehabt haben muss!

Trotz aller Innovation – die Chasselas-Weine bleiben die Klassiker des Betriebes. Sehr spannend ist, dass jeder Wein seine Eigenheit, seine Herkunft ausspielen darf. Ich habe kürzlich die 2017er Villette Fraidieu, Espesses Chatally, St. Saphorin l’Église und den „normalen“ Dézaley nebeneinander probiert. Die Weine sind völlig verschieden – statt ihnen eine Firmenhandschrift aufzustempeln, lässt Bovard sie sich selbst ausdrücken. So toll diese Weine sind – das Mass aller Dinge ist der Dézaley Médinette:
Helles Gelb; zurückhaltende, aber delikate Noten von Mirabellen und Zitrusfrüchten, florale Düfte nach Linden- und Rebenblüte (!); im Mund im ersten Moment wuchtig wirkend, dann aber immer mehr mit einer tänzerischen Leichtigkeit, enorm mineralisch und frisch, mit einer schönen Säure und einem fast nicht enden wollenden Abgang. Eleganter Wein mit noch schlummerndem Power!

Speziell bemerkenswert ist die ausgeprägte Mineralität. Ich habe noch nirgends eine wirklich überzeugende und eingängliche Beschreibung von Mineralität im Wein gelesen, dieses „Phantom“ muss man selbst erspüren, was hier besonders gut gelingt.

Weine aus Chasselas sind generell unterschätzt, sind aber oft (und immer öfter) hervorragend. Der Médinette 2017 ist gar ein absoluter Spitzenwein, der auf seine ganz eigene Art mit den besten der Welt mithält. Dieser Wein ist jetzt schon ein unglaublicher Genuss – wie muss er erst in ein paar Jahren sein? Denn der Médinette gilt als Inbegriff eines Chasselas, der mit zunehmendem Alter immer noch besser wird und der auch sehr lange haltbar ist. Auf der Hompage von Bovard kann man denn auch heute noch die Jahrgänge 2006 und 2008 kaufen – auf Anfrage gibt es vielleicht gar noch eine Flasche aus den Jahren 2000 – 2004.

Sie sehen: Auch oder gerade ein Klassiker kann hochaktuell sein – und zum Wiederentdecken!

http://www.domainebovard.com/de/home.php

Einen weiteren Blogbeitrag über einen tollen Chasselas aus Deutschland siehe hier:
https://victorswein.blog/2018/02/03/gut-und-edel/

Und noch ein spannender Artikel von Daniel Böniger im Tagesanzeiger über Chasselas, bzw. über einen seiner wichtigsten Botschafter, den Sommelier und Chasselaskenner Jérôme Aké Béda:
https://www.tagesanzeiger.ch/leben/essen-und-trinken/make-chasselas-great-again/story/17046013


In einer Woche: Schweizer Spitzenwinzer im Schiffbau!
Und ganz zum Schluss: Am Montag, 2. Dezember 2019 bietet sich die landesweit beste Gelegenheit, Schweizer Spitzenweine zu probieren. Am „Swiss Wine Tasting“ ist, nebst vielen anderen, auch Bovard vertreten.
Infos und Anmeldung (Eintritt nur Fr. 20.–).
https://www.swiss-wine-tasting.ch/?L=0

Reiner Duft nach Holunderblüten – aus dem Supermarkt!

Nein, die Rede ist nicht vom neusten Waschmittel. Holunderblüten passen zu einem Sauvignon blanc – und der beschriebene Wein stammt aus Sancerre.

Ich hatte mich in diesem Blog auch schon über das Weinbuch „Weinseller“ mokiert, in dem Weine aus dem Supermarkt bewertet werden. Meine Kritik galt vor allem den unseriös hohen Punktezahlen. Vgl. hier:
https://victorswein.blog/2018/03/18/wenn-ein-15-punkte-wein-ploetzlich-1825-erreicht/

Aber auch ich kaufe durchaus Weine beim Grossverteiler. So kürzlich bei Coop einen Dézalay von Bovard, der alle Vorurteile gegenüber Chasselas-Weinen widerlegt. Oder eben seit mehreren Jahren in der Migros immer wieder den Sancerre Cuvée Prestige der Domaine Raimbault-Pineau. (Sorry, der Wein stammt natürlich nicht aus der Migros, die keinen Alkohol verkauft, sondern von der „alkoholhaltigen“ Tochter Denner).

Dieser Wein, der sich auf der Homepage des Gutes nicht findet und offenbar speziell für Denner abgefüllt wird, stammt von der Domaine Raimbault-Pineau aus Sury-en-Vaux, rund 5 Kilometer von Sancerre entfernt. Sancerre ist (abgesehen von den roten Pinots, die eine immer beachtlichere Qualität erreichen) schon fast ein Synonym für Sauvignon blanc. Und wer an Sauvignon denkt, erinnert sich automatisch an Holunderduft. Dieser Sancerre ist aber diesbezüglich absolut aussergewöhnlich: Noch nie habe ich einen so intensiven, reintönigen Duft nach Holunderblüten erlebt wie hier:

Blasses Gelb; aussergewöhnlich intensiver Holunderblütenduft, etwas Quitten und grünes Gras; Bestätigung der Aromen von Holunderblüte und Quitte im Mund, schöne, erfrischende Säure, leichte, schöne Bitternote, dicht, spürbarer „Süsskomplex“ (nicht Süsse!), der für eine schöne Ausgewogenheit sorgt. Erfreulicher, süffiger Wein, der durchaus auch Tiefgang hat und es mit sehr vielen der renommierten Sancerres ohne Weiteres aufnimmt!

Wunderschöne Weinlandschaft, tolle Weine: Sancerre.
Oder auch so: An den Hängen Sauvignon-Trauben (und etwas Pinot noir), in der Ebene Korn.

Wie erwähnt, ich kaufe diesen Sancerre seit Jahren, und er macht in jedem Jahr Freude, auch wenn die verschiedenen Jahrgänge, was ich bei einem „Supermarktwein“ besonders positiv werte, durchaus verschieden ausfallen (generell mag ich die nicht so opulenten fast lieber). Nimmt man den Preis – rund Fr. 15.00 – als Massstab dazu, dann wird der Wein noch erfreulicher.

Wirklich erstaunlich ist aber, dass dieser Sancerre im eingangs erwähnten Weinseller keinen Eingang gefunden hat. Wer immer für die Auswahl verantwortlich war – ob Denner selbst oder Chandra Kurt – hat einen groben Fehler begangen: Dieser Sancerre wäre ein Kandidat für mindestens 19 Punkte! Nur im Weinseller, wohlverstanden! (Ich verteile hier bisher ja bewusst keine Punkte, würde ihm aber deren 16 vergeben, was „sehr guter Wein“ bedeutete).

https://www.raimbault-pineau-sancerre.fr/
In fast allen Denner-Filialen oder:
https://www.denner.ch/de/shop/wein/sancerre-aoc-cuvee-prestige-raimbault-pineau-75-050522.html

100 Jahre – und kein bisschen müde

Vermutlich der Schweizer Wein schlechthin: 100 Jahre „Aigle les Murailles“.

Gerade noch rechtzeitig publiziert: 2018 feiert der „Schweizer Nationalwein“ seinen 100-jährigen Geburtstag

Eigentlich bin ich sicher: Es gibt keinen bekannteren Schweizer Wein als den „Aigle des Murailles“. Und der Wein, ein Chasselas, ist ein Phänomen – marketingmässig war er es schon in einer Zeit, als der Ausdruck hierzulande noch gar nicht bekannt war, und qualitativ haben es die Produzenten immer wieder geschafft, den Wein an der Spitze und am Puls der Zeit zu halten. Es ist zu hoffen, dass sie das auch im zweiten Jahrhundert weiterhin tun und sich auch nicht verzetteln.

1908 wurde die Firma Badoux Vins in Aigle gegründet, und 10 Jahre später – eben vor 100 Jahren – kam erstmals der Wein mit dem Namen „Clos les Murailles“ auf den Markt. Dieser Clos ist eine terrassierte, steile Südlage in Aigle. Schon der zweite Jahrgang, 1919, trug dann das von einem ortsansässigen Künstler geschaffene „Eidechsly“ auf der Etikette, und das ist bis heute so geblieben. Der Legende nach soll der Maler im Rebberg auf eine Eidechse gestossen sein, und so soll die Idee mit dieser Etikette entstanden sein. Aus dem Rebberg sind diese Tiere leider verschwunden, aber das soll sich wieder ändern:
https://www.coopzeitung.ch/themen/essen-trinken/wein/2018/wanted-gruenes-reptil-im-rebberg-99062/

Geändert hat mit der Zeit allerdings der Name des Weines, aus dem „Clos les Murailles“ wurde der „Aigle les Murailles“. Diese Anpassung dürfte dem Erfolg des Weines geschuldet, und damit juristisch zwingend gewesen sein, denn der eigentliche Clos ergibt nur rund 30’000 Flaschen pro Jahr – der heutige Absatz liegt aber bei rund einer Million Flaschen; die Trauben kommen also längst nicht mehr zur Hauptsache aus dem Clos! Quelle:
http://www.leregional.ch/N117217/100-ans-et-des-millions-de-bouteilles.html

Aber genau diese Anpassung machte es möglich, dass der „Eidechslywein“, so nannten ihn Generationen von Schweizerinnen und Schweizern, so erfolgreich wurde. Es gibt wohl keinen Weintrinker in einem gewissen Alter, der nicht die eine oder andere Anekdote erzählen könnte, welche mit diesem Wein verbunden ist. Ich selbst denke immer wieder daran, wie wir während des Militärdienstes in Genf jeweils im Ausgang im „St. Pauli“ gleich hinter dem Hauptbahnhof „Eidechslywy“ tranken und versuchten, mit Deutschweizer Mädchen anzubandeln (ich war da freilich erfolgloser als im Weintrinken…).

Perfekt muss auch über all die Jahre das Marketing gewesen sein – bis heute: Wie anders wäre zu erklären, dass der „Aigle les Murailles“ den Spagat schafft, sowohl in renommierten Weinhandlungen als auch im Supermarkt präsent zu sein. Und wie, dass die Marke offenbar keinen Schaden daran nimmt, dass der Wein immer wieder zu Aktionspreisen zu haben ist. Und ganz am Rand gelang es den Verkaufsstrategen von Badoux auch, den Eidechsliwy exportieren zu können – auch da könnten andere lernen. Umgekehrt hat die Firma erst in jüngerer Zeit begonnen, die Marke als Basis für andere Weine zu nutzen, erst seit wenigen Jahren gibt es auch einen Rotwein, einen Rosé und neuerdings gar einen Schaumwein namens „les Murailles“. Ob das gut geht, wird die Zukunft zeigen – angesichts des immer „guten Händchens“ im vergangenen Jahrhundert würde es niemanden wundern.

Der „Aigle les Murailles“ hat auch in qualitativer Hinsicht immer wieder gut abgeschnitten, so war er mit dem Jahrgang 2013 in einer Vinum-Probe mit 16.5 Punkten nur einen halben Punkt hinter dem Siegerwein (ein Calamin von Louis Bovard; vgl. später) ganz weit vorne platziert.
http://www.chandrakurt.com/fileadmin/user_upload/News/VINUM_1506_Chasselas.pdf
Ganz offensichtlich müssen sich, wenn gut gearbeitet wird, Quantität und Qualität nicht zwingend widersprechen!

Allerdings hätte dieser Beitrag auch ganz anders ausfallen können. Ich hatte ihn scnon im Sommer aufgrund des runden Geburtstages des Weines geplant und vorbereitet. Ich hatte den Wein auch in jüngerer Zeit immer gut und reell empfunden, war freilich beim 2015er etwas enttäuscht, da der Wein sehr breit und caramel-süsslich daher kam. Ich hatte das dem speziellen Jahrgang zugeschrieben, war dann aber wirklich vor den Kopf gestossen, dass der 2017er wieder ähnlich war – fast oxidiert erschien er mir. Ich hatte damals einen preislich ähnlich gelagerten Wein von Louis Bovard, einer wirklichen Referenz in der Westschweiz (siehe oben), als Vergleich gekauft, einen Epesses Chatally, und die Degustation war für den Aigle geradezu ernüchternd. Und in meinem Kopf hiess die Überschrift dieses Beitrages schon “ 100 Jahre und ziemlich müde“.

Weil ich nur selten über Enttäuschungen berichte und lieber über tolle Weinerlebnisse schreibe,
Ausnahme siehe hier: https://victorswein.blog/2018/02/03/wein-oder-sugus/
liess ich es sein, einen Beitrag zum Millenium zu schreiben, und darüber bin ich heute sehr froh. Denn offensichtlich handelte es sich im Sommer um eine schlechte Flasche. Weil das Thema aber weiter, und nur noch kurz, aktuell war, habe ich vorgestern nochmals zwei Flaschen gekauft – und welch‘ Unterschied: Der Aigle „Les Murailles“ 2017 war überhaupt nicht caramellastig oder mit oxydativen Anflügen versehen, sondern frisch und süffig:

„helles Gelb, glänzend; intensiv in der Nase, Bergamotte, Lindenblüte, Kamille; im Mund erfrischend und süffig, eher tiefe Säure, schlank, mittlerer Abgang. Alles in allem ein schöner, typischer und süffiger Chasselas“.

Auch dieses Mal schwang der „Epesses Chatally“ von Bovard für mich persönlich zwar knapp obenauf („verhaltene Nase, Quitten, Veilchen; sehr mineralisch, gute Säure, schlank, recht langer Abgang), aber mit Punkten bewertet wären beide wohl nahe beisammen.

So endet also auch meine ganz persönliche Geschichte im hundersten Jahr „Aigle les Murailles“ positiv. Es wäre auch zu schade gewesen, wenn ein Flaggschiff des Schweizer Weins plötzlich Schlagseite erhalten hätte! So aber freuen wir uns auf die nächsten 100 Jahre „Eidechsly“ – vielleicht gar wieder mich echten Tieren im ursprünglichen Clos!

https://www.badoux-vins.ch/de/
http://www.domainebovard.com/de/home.php


„Man muss ja gar nicht ausländischen Wein kaufen, wenn man guten Wein will!“

Nachlese zu den Tagen der offenen Weinkeller

biel
Weinbau am Bielersee: nicht nur schön, sondern auch sehr gut!

„Das ist ein unglaubliches Erlebnis: Man muss ja gar nicht ins Ausland reisen, um guten Wein zu erhalten“. Diese Aussage ist nicht erfunden, sondern stammt von einem etwa 60-jährigen Herrn, der mit zwei Kollegen eben bei Steiner in Schernelz an den Tagen der offenen Weinkeller Wein probiert hatte.

Besser kann man gar nicht beschreiben, warum eben genau diese Tage der offenen Weinkeller so wichtig sind! Denn ganz offenbar braucht es sehr lange, um bestehende Vorurteile zu korrigieren. Um so schöner, wenn es, wie im beschriebenen Beispiel, gelingt!

Selbstverständlich würde ich persönlich nicht auf ausländische Weine verzichten wollen. Um beim Beispiel Steiner Schernelz zu bleiben: Das ist ein total hochstehendes, rundum überzeugendes Sortiment (ich werde noch genauer berichten), aber ausgerechnet die „fremden“ roten Rebsorten Syrah und Malbec sind zwar sehr gut gemacht, aber gerade da bevorzuge ich dann doch das Original aus der nördlichen Rhone oder Cahors. Dafür kann man unserem erwähnten Weinfreund nur zustimmen, wenn es um Pinot noir, Sauvignon blanc oder Chardonnay geht. Und dass aus Chasselas Spitzenweine hergestellt werden können, die zwar ein Schweizer Original, aber trotzdem im Quervergleich hochklassig sind, zeigt sich bei Steiner auch!

Für mich persönlich eine Wieder-Entdeckung war tatsächlich auch die Weinregion Bielersee. Da gibt es eine ganze Reihe von äusserst hochklassigen Betrieben. Wenn ich mit dem Besuch am 1. Mai in der Bündner Herrschaft vergleiche, müssen sich die Bielerseewinzer im Durschschnitt überhaupt nicht verstecken!

Affaire à suivre, auch demnächst in diesem Blog!

http://www.schernelzvillage.ch/de/startseite.html

 

Gut (und) edel!

Von wegen „minderwertige Rebsorten und unbekannte Regionen“.

„Mittleres, strahlendes Gelb. Anflug von Zitrusfrüchten und – überhaupt nicht negativ, ein wenig Kampfer -, mineralischer, fast an Steinmehl erinnernder Duft. Im Mund dicht, gute Säure, knochentrocken, sehr mineralisch, noch jugendlich, lang anhaltend. Toller, bewegender Wein“.
Blind degustiert vermutlich ein Chablis, vielleicht gar ein 1er Cru!

Irrtum: Hier beschreibe ich einen Gutedel (Chasselas) aus der Grossregion Basel, konkret aus Deutschland – den „Steingrüble 2013“ von Hanspeter Ziereisen. Wer würde glauben, dass 15 Kilometer nördlich von Basel, in Efringen-Kirchen, ein „Chablis“ wächst? Und erst recht, wer würde glauben, dass ein Chasselas eine solche Klasse erreichen kann?

Chasselas, das war jene Traubensorte, die uns vor 40 Jahren die jämmerlichen Fendants oder Féchys in halber Litern geliefert hat, kaum trinkbar, aber in jedem Restaurant präsent. Jene Sorte, die einen namhaften Weinjournalisten einmal zur Aussage verleitete: „irgend etwas zwischen Wein und saurem Most“. Und zur deutschen Form – Gutedel – pflegten wir jeweils zu sagen: weder noch; nicht gut, nicht edel.

Zugegeben, inzwischen wissen wir, dass in der Waadt und im Wallis auch wirklich gute Chasselas produziert werden. Und wer je das Vergnügen hatte, einen 40-jährigen Dézalay zu geniessen, der wird sich hüten, beim Chasselas von saurem Most zu sprechen. Zu dieser Thematik passt gerade wunderbar ein vor zwei Wochen erschienener, feinfühliger Artikel von Daniel Böniger im Tagesanzeiger:

https://www.tagesanzeiger.ch/leben/essen-und-trinken/make-chasselas-great-again/story/17046013

Aber ein solcher Wein aus Basel? (Oder meinetwegen aus Nordbaden)? Da braucht es wohl ein gutes Mass an Genie und Weinverrücktheit. Und das scheint wirklich gegeben:

„Im Erstberuf ausgebildeter Schreiner, trieben ihn Neugier und Leidenschaft dazu, das Weinmachen abseits gängiger Konventionen anzugehen. 1991 brachte er seinen ersten Jahrgang auf die Flasche. Heute gilt er mit seinen Pinots und Gutedel als Vorreiter einer Weinkultur, die alte Traditionen wiederentdeckt, um einzigartige, langlebige Weine zu erzeugen.“
(Zitat zu Hanspeter Ziereisen aus der Homepage von Jost + Ziereisen, siehe unten):

Ein Schreinermeister also, der in der Regio Basel einen wundervollen „Chablis“ aus Gutedel zimmert! Und nicht nur das, auch seine Pinots sind Klasse. Und die höherpreisigen Gutedel, die ich nicht kenne, müssen geradezu umwerfend sein.

Ein Besuch lohnt sich wohl auf jeden Fall. Ich werde demnächst hinfahren, das Gute(dle) liegt ja so nah!
Und lohnenswert ist auch ein Besuch auf seiner Homepage. Dort erfährt man beispielsweise, dass er einzelne Weine jahrzehntelang im Fass lagern lässt, bevor er sie abfüllt. Ein wunderbar weinverrückter und qualitätsbessener Wein-Schreiner also!

Und einer, der Weine macht, die bewegen!

http://www.weingut-ziereisen.de/

http://www.jost-ziereisen.ch/Jost-Ziereisen/Home.html
(Spannendes, länderübergreifendes Projekt)

ziereisen
Edeltraud und Hanspeter Ziereisen (Foto ab Homepage http://www.weingut-ziereisen.de)