Blaufränkisch ist schon seit längerer Zeit eine meiner Lieblingssorten. Und wenn ein Wein so gelungen ist wie der Ungerberg 2015 von Pittnauer, dann ist Blaufränkisch einfach umwerfend gut!
„Dieser Wein hat mir nur schon beim Schnuppern ein Lächeln ins Gesicht gezaubert“, das waren die Worte eines Weinfreundes, der zu einer spannenden Blinddegustation geladen hatte – noch bevor bekannt war, um welchen Wein es sich handelt. Das Degustationsformat war ungewöhnlich, aber extrem spannend, da die Weine bunt gemischt nach Herkunft, Sorte und Jahrgang gereicht wurden. Ich wusste nicht, was mich erwartet, aber eine solche wirkliche Blinddegustation ist fordernd und macht, auch wenn ich durchaus Erfolge beim Zuordnen hatte, auch etwas demütig in Bezug auf das eigene Weinwissen ….
Trotz teils auch deutlich teurerer „Konkurrenz“ stach ein Wein aus allen hervor, eben der Ungerberg 2015 des Weingutes Pittnauer aus Gols. Der Wein befindet sich in der ersten Trinkreife und wirkt einfach berührend – eben, zaubert ein Lächeln ins Gesicht!
Bio-dynamisch – und „weniger ist mehr“ im Keller
Gerhard und Brigitte Pittnauer – Mitglieder bei Pannobile – bewirtschaften ihr rund 18 Hektar grosses Gut seit rund 15 Jahren nach bio-dynamischen Grundsätzen und halten sich im Keller so weit wie möglich mit Eingriffen zurück. Der Ungerberg, bekannterweise eine Top-Lage (auch wenn der Ausdruck „Berg“ masslos übertrieben ist), bringt auf perfekte Art Finesse, Druck und Tiefe gleichzeitig – und das bei einem vorbildlich tiefen Alkoholgehalt von nur 12,5 % vol.!
Die Etiketten des Gutes sind künstlerisch gestaltet; den Text zum Ungerberg konnte ich zwar teils entziffern, aber die Bedeutung ist wohl Geheimnis des Künstlers.
Blaufränkisch, Ried Ungerberg, Pittnauer, 2015 Mittleres, schon leicht gereiftes Rubin; sehr feine, vielschichtige, füllige Nase mit roter Frucht, „süssliche“ Anflüge und auch florale Noten; im Mund zuerst sehr feingliedrig und elegant wirkend, dann aber auch mit viel Druck, tolles Tannin, gute Säure, „saftig“, sehr langer Abgang. Toller, berührender Wein. 18 Punkte. Ich durfte den Rest der Flasche nach Hause nehmen und konnte ihn am Abend zufällig zu einem Schmorbraten geniessen – der Wein wirkte zum Essen noch grossartiger und hielt auch der konzentrierten Sauce problemlos Stand. Ich wäre geneigt gewesen, noch einen halben Punkt in der Bewertung nachzubessern ….
Chenin blanc ist eine jener weissen Sorten, die leider viel zu wenig Beachtung erhalten. Dabei ergibt diese Rebe auf sehr hohem Niveau einfach alles: Vom Schaumwein bis zum Süsswein, und dazwischen tolle trockene wie auch feinherbe Weine. Hier zwei besonders gelungene Chenin blanc aus Frankreich und Südafrika.
Hand auf’s Herz: Wie oft im Jahr trinken Sie einen Chenin blanc? Selten bis nie? Sorry, aber Sie verpassen grossartigen Genuss! Für mich persönlich gehört sie zu den allerbesten Weissweinsorten und ich vergleiche sie gerne mit dem Riesling, der auch ein Alleskönner auf höchsten Niveau ist. Selbst geschmacklich gibt es gewisse Parallelen. Vielleicht bringt der Riesling etwas elegantere Weine hervor, während die Chenin blanc in der Regel voluminöser und kräftiger daherkommt. Eine Verwandtschaft zwischen den Sorten besteht nach heutigem Wissen nicht – belassen wir es also bei einer von mir frei erfundenen „Seelenverwandtschaft“.
Der erste Nachweis der Sorte stammt aus dem 9. Jahrhundert im Anjou – also an der mittleren Loire, wo die Sorte heute noch die wichtigste Stellung einnimmt (Quelle: Pierre Galet, Cépages et Vignobles de France). Das grösste Anbaugebiet befindet sich allerdings in Südafrika, wo mit rund 17’000 Hektar mehr als die Hälfte der weltweiten Anbaufläche gepflegt wird. Frankreich folgt mit rund 9’500 Hektar.
Eine Art Vermächtnis der grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaive
Ich habe kürzlich einen besonders gelungenen Wein aus Südafrika im Glas gehabt, was mich spontan daran erinnerte, dass noch eine Flasche von der Loire im Keller steht, die ich schon lange probieren wollte – ein Clau de nell, dem heute 12 Hektar grossen Loire-Weingut der leider verstorbenen grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaife. Sie kaufte das rund 25 Km westlich von Saumur gelegene Anwesen im Jahr 2008 zusammen mit ihrem Ehemann Christian Jacques, der das Gut heute noch führt, und rettete es damit vor dem Bankrott. Wie im Burgund wird auch hier nach den Prinzipien der Biodynamie gearbeitet. Anne-Claude Leflaive war es auch, welche den Anbau der Chenin blanc auf dem Gut wünschte. 2015 konnte der erste Jahrgang geerntet werden. Damit war es der im gleichen Jahr verstorbenen „Grande Dame“ leider nicht mehr vergönnt, ihren eigenen Chenin blanc zu verkosten.
Zwei nicht gleichnamige Brüder mit grossem Sozialengagement
Der südafrikanische Wein, der mich begeisterte, stammt vom Weingut Stellenrust, das im Vergleich mit Clau de nell riesengross ist: 250 Hektar stehen hier unter Reben. Das südlich von Stellenbosch gelegene Gut befindet sich in Familienbesitz und wird auch durch die Besitzer Tertius Boshoff und Kobie van der Westhuizen geführt. Die Reben für den degustierten Wein sind 55 Jahre alt. Stellenrust, das gesamthaft 400 Hektar gross ist, machte auch durch soziales Engegement auf sich aufmerksam: Man beteiligte 55 Arbeiterfamilien als Mehrheitsaktionäre an 100 Hektar Farmland, die sie als eigene Parzelle bewirtschaften, ernten und ausbauen dürfen. So initialisierte man eines der besten und erfolgreichsten „black empowerment projects“ auf dem ganzen Kontinent (Quelle: eggerssohn.com)
Degustationsnotizen:
Stellenrust 55 Barrel Fermented Chenin blanc, 2019 Eher helles Gelb, „süssliche“ Frucht nach Papaya und Quitte, etwas rauchig; im Mund rund und sehr dicht, tolle, gut eingebundene Säure, welche ein schönes Wechselspiel mit einer leichten Restsüsse (4,1 g) eingeht, langer Abgang. Sehr schöner, etwas opulenter, aber trotzdem frischer Wein. 17,5 Punkte.
Clau de nell, Chenin blanc, 2020 Mittleres Gelb, fruchtig (Wassermelone) und würzig (reife Koriandersamen), frisches Gras, wirkt etwas „wild“; enorme mineralische Frische im Mund, schöne Säure, dezente Frucht“süsse“, schöne Struktur, leichter, aber nicht störender Medizinalton im langen Abgang (verschwand nach einem Tag in der Flasche). Frischebetonter, etwas wilder und doch eleganter Wein, der noch sehr viel Reserven hat. 17,5 Punkte.
Fazit: Da standen zwei Chenin blanc nebeneinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten, die aber beide grossartig sind. Einerseits der schöne und gehaltvolle Schmeichler aus Südafrika, der wohl allen gefällt. Andererseits der biodynamische Loire-Wein, der durch seine etwas wilde Art manchen nicht auf den ersten Schluck zugänglich sein dürfte, der aber ungemein vielschichtig ist. Er kommt mir vor wie eine Person im perfekten Anzug oder Kostüm, die etwas künstlerisch zerzauste Haare hat. Ich persönlich finde ihn grossartig.
Die beiden Weine zeigen perfekt, wie unterschiedlich Weine aus dieser Sorte gekeltert werden können. Und dabei ist das ja nur ein ganz kleiner Ausschnitt. Wer Chenin blanc auslässt, ist wirklich selber schuld!
Bezugsquellen u.a.: Schweiz: Kapweine und Paul Ullrich für Stellenrust / Gerstl für Clau de nell Deutschland: Eggerssohn und Ludwig von Kapf / Lobenberg und Vinaturel
Interessennachweis: Beide Weine wurden im Weinhandel gekauft.
Vorgestern wurde das Weingut „Cave du Rhodan – Mounir Weine“ aus Salgesch zum Schweizer Weingut des Jahres 2022 gekürt. Das ist für Kenner natürlich keine Überraschung und hochverdient. Mir gibt es den perfekten Anlass, über einen schon vor einigen Monaten degustierten (Rhein-)Riesling des Gutes zu berichten, der den Vertretern vom Rhein das (Rhone-)Wasser absolut reichen kann.
Cave du Rhodan ist wohl jenes Weingut, über das ich schon am meisten geschrieben habe (Links siehe am Schluss des Artikels). Im Frühjahr konnte ich einen Riesling des Gutes probieren, dessen Qualität mich begeisterte. Die Degustationsnotizen liegen seither herum, ich habe sie bisher noch nicht gepostet, weil ich ja nicht immer „nur“ über die gleichen Produzenten schreiben will.
Dass das Weingut von Sandra und Olivier Mounir nun aber am Grand Prix des Vins Suisse, einem von Vinum und Vinea gemeinsam durchgeführten hochkarätigen Wettbewerb, zum „Weingut des Jahres 2022“ erkoren wurde, gibt sicher den perfekten Anlass, über den Riesling zu berichten, Denn die Qualität hat es in sich.
Riesling von der Rhone? Aber klar!
Riesling gehört an den Rhein und seine Nebenflüsse! Allenfalls noch an die Donau in Oesterreich. Aber an die Rhone? So abwegig ist das aber gar nicht, denn im Wallis gedeiht, klug angesetzt, bearbeitet und vinifiziert, ja fast das ganze Konzert der bekannten Rebsorten. Und das Gut Desfayes-Crettenand hat schon vor über drei Jahrzehnten gezeigt, dass man im Wallis sehr wohl honorigen Riesling produzieren kann.
Symbolbild: Walliser Weinlandschaft zwischen Salgesch und Sierre. Aufgenommen übrigens an der Rue de la Petite Arvine, unweit der Gemeindegrenze!
Die Reben für den Riesling „Diversitas“ wurden erst 2015 gepfanzt und werden biologisch bewirtschaftet. Ausgebaut wird der Wein je zu einem Drittel im Holzfass, in der Amphore und im Stahltank. Ich habe für die Degustation bewusst einen deutschen Rielsing des gleichen Jahrgangs aus dem Keller geholt. Die Wahl fiel auf den „Tonschiefer“ 2019 von Dönhoff. Dieser ist zwar nicht die alleroberste Klasse dieses Spitzenweingutes, aber ist immer ausgesprochen gelungen und stellte schon mal eine richtige Hürde dar.
Rhone vs. Nahe: 1 : 1(oder 35 : 34,5)
Das Resultat dieses Vergleichs: Der Diversitas von der Rhone obsiegt klar! Natürlich hinken solche Vergleiche immer ein wenig, voeliegend um so mehr, als die Stilistik doch ziemlich verschieden ausfällt. Trotzden: Der Tonschiefer ist ein wunderschöner Wein, aber der Diversitas ist dichter und vielschichtiger.
Entsprechend wurde die Latte danach deutlich höher gelegt. Als Vergleich diente nun ein Grosses Gewächs aus dem Jahr 2018 (also ein Jahr gereifter als der Diversitas), der Goldloch von Diel. Wie schon bei Dönhoff bekam es die Cave du Rhodan also wieder mit einem der ganz grossen Namen zu tun.
Nun, in diesem Vergleich behielt Deutschland ganz knapp die Oberhand. Allerdings braucht sich der Diversitas selbst hier nicht zu verstecken, letzlich waren es Nuancen, welche in meiner Wertung den Ausschlag für Diel gaben. Auch in diesem Vergleich bringt der Diversitas mehr Dichte und Konzentration mit, aber das Grosse Gewächs von Diel war eine Spur finessreicher, komplexer, eleganter und wohl halt auch „Riesling-typischer“. Der Goldloch 2018 ist ein absolut grossartiges Gewächs (96 Punkte James Suckling), und wenn da ein – noch dazu günstigerer – Wein aus dem Wallis praktisch mithält, dann gibt es nur eines: Chapeau, Sandra und Olivier Mounir. Und herzliche Gratulation zu diesem Riesling und natürlich zum Schweizer Weingut des Jahres!
Die Degustationsnotizen:
Riesling Diversitas 2019, Caves du Rhodan Helles Gelb, dezente, aber sehr vielschichtige Nase, Stachelbeere, neckische Anfüge von Ananas und Lychee, auch etwas grüne Noten, etwas Muskat; im Mund mit aussergewöhnlicher Frische, mineralisch, sehr dicht gewobener Körper, „saftg“, schön angepasste Söure, ganz leicht spürbares Holz, das aber sehr gut eingebunden ist, den relativ hohen Alkoholgehalt (13,5 %) spürt man überhaupt nicht. Langer Abgang. Eigenständiger aber nicht untypischer Riesling, toll gemacht! 17,5 Punkte.
Tonschiefer 2019, Dönhoff Helles Gelb; gradlinie Nase, zuerst mit etwas Petrol, mit etwas Luft dann weisse Johannisbeeren, Stachelbeeren und Fliederduft; im Mund recht dicht mit enormer Fruchtigkeit und einem Touch von Fruchtsüsse, prägnante, aber schöne Säure. Mittlerer Abgang. Schöner, erfreulicher Wein. 16,5 Punkte.
Dorsheim Goldloch 2018, GG, Schlossgut Diel Mittleres Gelb mit grünen Reflexen; feine Nase mit Stachelbeere, Aprikose und weissem Pfirsich, würzige Noten; im Mund mieralisch, dicht, finessereich und fruchtig, mundfüllend aber trotzdem nicht langweilig „rund“ wirkend, langer Abgang. Grossartiger Wein, 18 Punkte.
Interessennachweis: Der Diversitas der Cave du Rhodan wurde mir als Dankesgeste nach meinem Artikel über den Pinot noir zusammen mit einer Flasche jenes Weines ohne jede Verpflichtung zugestellt. Die beiden deutschen Rieslinge wurden im Handel gekauft.
Eine perfekte Beratung als bester Beweis, dass das Ladengeschäft eine Zukunft hat! Man kann zwar online vieles selbst recherchieren, aber den persönlichen Tipp kann nichts ersetzen. Ein grosses Lob auf die Weinhandlung Bau au Lac, welche die gestellte „Aufgabe“ voll erfüllt hat!
Es waren noch ein paar Minuten bis zur Abfahrt meines Zuges im Zürcher Hauptbahnhof: Die Chance, einmal in die Weinhandlung von Baur au Lac einzutreten, in der ich bisher noch nie etwas gekauft hatte. Meine Absicht war klar, ich wollte neue Weine kennenlernen, und so lautete mein Wunsch: „Empfehlen Sie mir bitte je einen Weiss- und einen Rotwein bis höchsten 40 Franken, möglichst unbekannt in Bezug auf Produzent und Traubensorte.
Weinberatung, die sich gelohnt hat: Zwei tolle Entdeckungen dank guten Tipps!
Ein kurzes Zögern war zwar da beim jungen Weinberater, aber dann empfahl er mir zuerst einen Ribolla Gialla aus dem Friaul und liess sich auch nicht von meiner Ablehnung aus dem Konzept bringen – dass er ausgerechnet eine meiner Lieblingssorten erwischt hatte, konnte er ja nicht ahnen. Aber der Ratschlag wäre schon mal sehr gut gewesen.
Santa Cruz de Artazu blanco 2015
Neuer Versuch, und diesmal liess ich mich auf den Vorschlag ein: Ein Garancha blanca aus Navarra von den Bodegas y Vinedos Arazu.
Das Weingut gehört zu einer 1985 von verschiedenen Winzern gegründeten Wein-Zusammenarbeit, zu der auch Güter in Alava und Gipuzkoa sowie bei Alicante gehören. Heute wird es von Juan Carlos López de Lacalle und seiner Familie geführt, die einen hohen Qualitätsanspruch pflegt und eine konsequente Terroirphilosophie verfolgt. Juan Carlos‘ Steckenpferd ist die Rebsorte Garnacha. Seit 2011 werden die Weinberge unter dem Leitspruch „Sensibilität für die Natur und unermüdliches Arbeiten führen uns zum Erfolg“ nach biodynamischen Richtlinien bewirtschaftet. Die Reben der Bodega Artazu liegen im gleichnamigen Dorf in der nördlichen Navarra auf einer etwas kühleren Höhe von bis zu 600 Metern.
Und der Wein? Grossartig! Mittleres Gelb, mineralisch, dezente, feine Frucht nach Zitrus, Aprikosen, Stachelbeeren und Papaya, leichter Anflug von frischem Weisskohl (nicht negativ!); auch im Mund sehr mineralisch, dazu eine eigentliche „Fruchtexplosion“, schöne, präsente Säure, etwas Tannin, spürbarer aber nicht übertriebener Holz-Touch, mittlerer Abgang. Toller, immer noch jugendlich wirkender Wein der sogar noch zulegen wird. 17,5 Punkte.
Terra di Rosso, Piedirosso 2017, Azienda Agricola Biologica Galardi
Beim Rotwein wurde mir dann gar eine Traubensorte ermpfohlen, die ich wirklich noch nie im Glas hatte. Die „Piedirosso“ heisst nicht zufällig so, ist doch das Rebholz etwas rötlich. Sie soll schon in der Antike durch die Griechen nach Süditalien gebracht worden sein. Offenbar ist sie als „columbina purpurea“ schon zur Römerzeit unkundlich erwähnt.
Die Azienda Galardi liegt an Kampaniens Grenze zu Latium, rund 80 Kilometer nördlich von Neapel. Auf einer Meereshöhe von 400 m erhalten die Trauben hier viel Sonne, aber auch genügend Abkühlung. Der Boden ist vulanischen Ursprungs. Das Weingut zählt rund 10 Hektar und arbeitet biologisch.
Und auch dieser Tipp, sehr gut! Mittleres Purpur; Kirschen, Brombeeren, etwas Lakritze, Lorbeer; im Mund vollgepackt mit feinen Tanninen, spürbare, schöne Säure, mittlerer Körper, sehr fruchtbetont im Mund, langer Abgang. Schöner, eigentständiger Wein – eine tolle Entdeckung! 16,5 Punkte.
Zusammengefasst: Ein Hoch auf einer persönliche Weinberatung im Laden. Ich hatte gar nicht nach biologischem Wein gefragt und war zuhause um so positiver überrascht, dass sogar dieser unausgesprochene Wunsch erfüllt wurde – dabei sehe ich doch gar nicht so alternativ aus 🙂 Für mich persönlich zwei tolle Entdeckungen, von denen ich nachkaufen werde. Und für Baur au Lac: Eine von mir bisher kaum frequentierte Weinhandlung hat sich als beachtenswert eingeprägt.
Weine probieren und gleichzeitig mit dem Winzer fachsimpeln? Neue Kontakte knüpfen? Unbekannte Weine kennenlernen? Das geht alles, wenn man das Format wählt, das Österreich Wein für eine Onlinedegustation angewandt hat. Vorbildlich und zukunftsträchtig!
Österreich Wein hat es in der Schweiz schon seit zwei Jahrzehnten verstanden, mit cleveren und innovativen Aktionen auf die hervorragenden Tropfen aus dem Nachbarland hinzuweisen. Mitte Oktober hat die Marketingorganisation für den österreichischen Wein aber einen neuen Meilenstein gesetzt. Für ein Fachpublikum war eine Onlinedegustation der anderen Art ausgeschrieben.
Kurz zusammengefasst, konnte man aus einer Vielzahl von Winzern deren 12 auswählen, und von diesen wurden kurz vor der Degustation je 6 Weine in Kleinflaschen zu einem dl zugestellt. Die Onlinedegustation dauerte den ganzen Tag, und es war für jeden Teilnehmer möglich, für jeweils 15 Minuten eine individuelle Onlineschaltung mit dem Winzer zu buchen. Mit anderen Worten, man konnte die Weine degustieren und gleichzeitig mit den Machern der Weine darüber fachsimpeln! Darüber hinaus war es auch möglich, Online-Diskussionen mit anderen Winzern oder Fachpersonen abzumachen. Alles in allem: ein geniales Format, welches das Potential zeigt, das in Online-Veranstaltungen steckt! Und das nicht nur für ein Fachpublikum – ich hätte auch einfach als Weinfreund durchaus etwas bezahlt, um zu einer solchen Gelegenheit zu kommen. Schliesslich liegen die österreichischen Weinbaugebiete ja nicht gleich um die Ecke!
Wein-Schlaraffenland: 72 Weinmuster direkt aus österreichischen Kellern! Im Kühlschrank für die Online-Degustation bereit. Milch, Käste und Konsorten mussten derweilen an die Wärme …
Eindrücklich war gesamthaft auch die Qualität der präsentierten Weine. Kaum einer fiel ab, und für mich erwies sich die Degustation ein ganzes Reservoir für kommende Beiträge. Dabei hatte ich – mit zwei Ausnahmen wie nachstehend beschrieben – bewusst nicht die grossen Namen ausgewählt, vielmehr mir ganz oder wenig bekannte Güter berücksichtigt, um Neues kennenzulernen. Das gelang, und wie!
Sehr positiv aufgefallen sind mit dem Gesamtsortiment Namen wie Kiss und Leitner aus dem Burgenland sowie Wohlmuth aus der Südsteiermark, zu welchen ich noch einen separaten Beitrag schreiben werde. Aber auch die beiden genialen Naturweine von Kolkmann (2018 Wagram Grüner Veltliner „Naturwerk“) und Markus Huber (2020 Weinland, Grüner Veltliner „Metamorphosis Natural Wine) sind einer genaueren Betrachtung wert:
Kolkmann: Mitteldunkles, volles Gelb; Apfel (Boskoop und Cox-Orange), exotische Früchte wie Papaya und Mango, ganz leicht medizinal; im Mund extrem dicht gewoben, „süsslich“ wirkend ohne gross Restsüsse aufzuweisen, schöne Säure, fruchtbetont. Ein Naturwein zum Verlieben, 17 Punkte
Huber: Helles Gelb mit grünlichen Noten; in der Nase mit sehr feinen Tönen nach Muskat (man könnte an einen Gelben Muskateller denken), Zimt und Mirabellen; schöne, elegante Struktur, enorme Frische, leichter, aber schöner Bittertouch im langen Abgang. Schöner, erfrischender und eigentlich mit Nichts an einen Naturwein erinnernder Tropfen. 16,5 Punkte.
Dabei hatten es alle erwähnten Güter ja wirklich nicht einfach, denn ich hatte den Tag mit Bründlmayer und Jurtschitsch begonnen, Und ja, da ging ein qualitatives Feuerwerk ab! Sieht man einmal bei Bründlmayer – ausgerechnet – vom etwas „mostigen“ GV Selektion Mövenpick ab, überzeugten alle Weine auf einem extrem hohen Niveau. Es war spannend, die Weine der beiden Güter gleich nacheinander im Glas haben zu können. Auf der einen Seite die eleganten, fein ziselierten Weine von Bründlmayer, auf der anderen die kräftigeren, vielleicht auch „burschikoseren“ Tropfen von Jurtschitsch – aber beide auf einer qualitativen Höhe, vor der man nur den Hut ziehen kann. Und für alle, die es nicht wissen: Die beiden Betriebe arbeiten bio-dynamich bzw. biologisch – ein Beispiel mehr dafür, dass führende Betriebe mit der Natur arbeiten!
Besonders erwähnenswert sind bei Bründlmayer der Grüne Veltliner 2019 „Ried Kammerer Lamm“ und der Riesling 2019 „Ried Zöbinger Heiligenstein“, beides hochelegante, aber gleichzeitig extrem dichte und irgendwie auch monumentale Weine. Bei Jurtschitsch begeisterten ebenfalls der Riesling 2019 „Ried Heiligenstein“ sowie der Grüne Veltliner 2019 „Ried Käferberg“ am meisten, beide eine Spur kräftiger und zupackender, aber trotzdem auch mit einer sehr eleganten Seite. (Sehr positiv aufgefallen ist übrigens auch der Grüne Veltliner 2020 „Belle Naturelle“, ein toller Naturwein, der 10 Tage offen an der Maische vergoren wurde, 10 Monate auf der Feinhefe verbrachte und mit nur 10 mg schwefliger Säure an den Weinfreund entlassen wurde. Zusammen mit den beiden oben erwähnten „Naturweinen“ ein perfekter Botschafter für diesen Weinstil.)
Zurück zu Bründlmayer vs. Jurtschitsch: Die Qualitäten beider sind grossartig, und letztlich ist vieles auch eine Stil- bzw. Geschmacksfrage. Für mich persönlich ist es ein Unentschieden auf extrem hohem Niveau.
Und wenn Sie sich jetzt vor Augen führen, wie sehr mir später am Tag viele andere Weingüter gefallen haben, dann zeigt das nur, wie hoch das Qualitätsniveau in Österreich inzwischen ist. Und die Marketing-Organisation „Österreich-Wein“ lässt sich von diesem Qualitätsdenken ganz offensichtlich mitreissen!
Vielleicht bietet sie ja das gleiche Format demnächst auch für die breite Wein-Öffentlichkeit an? Ich bin überzeugt, dass das Zukunft haben wird.
„A BLACK FOREST LANDWEIN. MADE WITH LOVE“. Was auf jeder Flasche des Weingutes Greiner steht, kann man sehr gut als Programm nehmen. Was Jungwinzer Maximilian Greiner abfüllt, hat Charakter und zeugt von viel Hinwendung. Diesen Namen muss man sich einfach merken, der wird ganz schnell ganz stark im Gerede sein, da bin ich mir sicher!
Greiner ist gelernter Tonnelier und liess sich später auch in Geisenheim ausbilden. Inzwischen ist er nicht nur Winzer (seit Jahrgang 2017), sondern auch schon als Berater für andere Weingüter tätig. Seine Gut befindet sich in Obereggenen, je rund 40 Autominuten von Freiburg im Breisgau und von Basel entfernt. Und Schwarzwald, wenn auch am Rand, stimmt durchaus und ist nicht nur ein Marketing-Gag.
Den Tipp zu diesem Winzer verdanke ich Otto Hintermeister, „Vinotti“ (siehe unten, Bezugsquelle). Bei einem Besuch in seinem Laden schwärmte er von Greiner, und er liess sich auch erweichen, mir von einer kleinen Vorauslieferung je eine Flasche zu verkaufen. Auf dem Weingut selbst war ich leider noch nicht, das werde ich aber mit Sicherheit nachholen – da wächst nicht nur etwas heran – da ist schon etwas Grossartiges da!
Und so ganz am Rand, aber einmal mehr bemerkenswert: Greiner pflegt einen nachhaltigen Umgang mit der Natur und arbeitet nach bio-dynamischen Grundsätzen (gemäss Vinotti demnächst auch zertifiziert). Ich mache keine Religion daraus und berichte auch über konventionell hergestellte Weine, aber es ist schon auffällig, wie oft bei wirklich grossen und vor allem eigenständigen Weinen auch ein entsprechender Umgang mit der Natur, und oft eine bio-dynamische Bewirtschaftung, dahinter stehen! Dem werde ich, sobald ich Zeit habe, einmal noch näher nachgehen.
Weinparade aus dem Schwarzwald: Maximilian Greiners tolle Gewächse!
Chasselas (Gutedel) 2020 Helles, grünliches Gelb; Stachelbeere, weisser Pfirsich, Zitrus, Anflug von Nüssen, leichter Hefeton; eher tiefe Säure, aber enorme Frische, fein strukturiert, geschmacklich dezenter, aber sehr langer Abgang. Vielschichtiger, irgendwie etwas „wilder“ Wein, sehr ausdruckvoll, eine eigene Spielart des Chasselas/Gutedel, erinnert ein wenig an den Stil von Ziereisen. Für mich ein grossartiger Wein, der für Schweizer Chasselas-Trinker aber vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig ist, Preis/Leistung unglaublich. 16,5 Punkte (= sehr gut)
Chardonnay 2018 Mittleres bis helles Strohgelb; dezent exotische Note nach Papaya und Banane, starker Duft nach Apfel („Tobiässler“, falls das noch jemand kennt), süsslicher Anklang von Honig, die ganze Nase aber eher dezent und nobel, auch mit etwas krautigen und hefigen Anklängen; im Mund dichte Struktur, mittlere, gut stützende Säure, fruchtbetont, Holz nur dezent spürbar, dafür merkbare, „neckische“ Fruchtsüsse, leicher Bitterton im langen Abgang. Toller Wein, 17,5 Punkte (= sehr gut)
Rosé Saignée 2019 Glänzendes lachsrot; Enormes, sehr schönes Fruchtbuquet mit Pfirsich, Himbeer, Zwetschen und einem leichten Nuss-Touch; im Mund frisch mit schöner Säure, erstaunliche Struktur mit leicht spürbaren, sehr feinen Tanninen, wunderbar elegant mit sehr langem Abgang. Ein Traumwein, der selbst mich zum Rosé-Fan machen könnte! Süffig und gleichzeitig so gut strukturiert, dass er auch als Essensbegleiter zu vielen Gerichten passt. (17 Punkte = sehr gut – wenn ich mich richtig erinnere, habe ich mein ganzes Leben lang noch nie einem Rosé eine so hohe Note vergeben).
Spätburgunder 2018 Helles, glänzendes Rot; zuerst etwas muffig wirkend, sogar leichter Lackton, nach etwas Belüftung dann reintönig, sehr fruchtig und sortentypisch, Himbeere, Johannisbeere, aber auch etwas Tabak und Lorbeer; im Mund spürbare, gut eingebundene Säure, strenge, leicht trocknende, aber feine Tannine, tolle Struktur, „feurig“, trotz einer gewissen Rustikalität sehr elegant, sehr langer Abgang. Zwingend dekantieren! 16 Punkte (= gut am oberen Ende der Skala).
Pinot Noir „Vulkan“ 2018 Mittleres Rot, das schon wir leicht gereift wirkt; wunderbare, vielschichtige Pinot-Nase, Johannisbeere, Himbeere, Walderdbeere, minimaler Holz-Touch; enorm frisch, sehr gehaltvoll und dicht, vollgepackt mit sehr feinen Tanninen, spürbare Säure, gesamthaft sehr ausgewogen. Im Abgang, „burgundisches Feuer“, ohne akoholisch zu wirken. Grosser Wein! 18 Punkte (= hervorragend)
Weissburgunder und Sekt 2018 Nicht beschreiben kann ich leider den Weissburgunder 2018, diese Flasche hatte leider einen Korkfehler. Soweit beurteilbar, ist das aber ebenfalls ein grandioser Wein; seine Struktur ist aussergewöhnlich. Auch den Sekt 2018 beschreibe ich nicht. Aus diesem Jahrgang lässt sich aufgrund der Fein- und Reinheit des Weines ableiten, dass auch der Schaumwein dereinst Furore machen könnte. Mir persönlich war dieser Jahrgang, obwohl ich Säure sehr mag, aber schlicht und einfach zu säurebetont.
Die Weine des Marc Kreydenweiss verfolge ich jetzt schon seit 30 Jahren. Während sie damals schon hervorragend waren, habe sie mit den Jahren noch eine Dimension dazu gewonnen: sie sind heute einzigartig! Nicht für jedermann, aber wer diese Art von Weinen (von Riesling) mag, wird im siebten Himmel schweben!
Völlig zu Unrecht sind die Weine des Elsass – auch bei mir – etwas aus dem Fokus geraten. Dabei gibt es immer mehr zu entdecken. Und dazu gibt es die Evergreens, wobei sich diese ebenfalls weiterentwickeln. So wie Marc Kredenweiss aus Andlau.
Als er 1989 auf biodynamischen Weinbau umstellte, war er einer der Pioniere. Und er wurde von der Weinwelt und seinen Winzerkollegen schlichtweg für verrückt erklärt. Dabei schaffte er es von Anfang an, wundervolle Weine herzustellen. Allerdings waren das anfangs der 1990-er Jahre noch Weine, die sich stylistisch kaum von anderen Rieslingen unterschieden. Ich war damals bei Divo tätig, und wir nahmen Kredenweiss ins Sortiment auf, weil er einfach hervorragende Weine herstellte, weit über dem damaligen Standard im Elsass.
Kreydenweiss hat sich aber über die Jahre weiter entwickelt. Und inzwischen ist sein Sohn Antoine für die Domaine verantwortlich, und auch er hat nochmals einen Schub in das Weingut gebracht. Angesichts der beiden nachfolgend beschriebenen Weinen scheint mir sein Statement auf der Website des Gutes geradezu Programm:
„Ma vision est de produire des vins d’expression singulière, des vins de lieux et de terroirs sans concession et artifice, sans dogme et sans limite. Je laisse fermenter les vins naturellement, ils sont élevés sur lies, (parfois jusqu’à 3 ans) avec un minimum de sulfites. J’aime les vins vibrants avec des bouches texturées, des vins qui ne rendent pas indifférents mais qui ne plaisent pas à tout le monde, des vins qui me ressemblent„.
Die beiden Weine, di3 ich hier beschreibe, legen Zeugnis davon ab. Wer sich mit der üblichen „Riesling-Erwartung“ diesen Weinen nähert, wird wohl enttäuscht sein. Da ist nichts von frisch-fruchtigen Noten, vielmehr wirken die Weine in der Nase fast etwas exotisch. Natürlich nicht typisch Riesling, aber mitreissend, spannend, einzigartig. Wer hatte denn schon einen Wein im Glas, der in der Nase wie ein Sauternes (oder eine Riesling-TBA) duftet, dabei aber knochentrocken ist? Und dann im Mund: Auch da nicht das Gewohnte, aber dennoch schon viel mehr der klassische Riesling: kraftvoll und dennoch elegant, enorm frisch, mit sehr langem Abgang.
Zwei Andlauer Grand Crus: Klare Handschrift, deutliche Unterschiede. Gemeinsamkeit? Beide grossartig?
Kastelberg Grand Cru, Riesling, 2015 Mittleres Strohgelb mit orangen Reflexen; „süssliche“ Düfte nach Aprikosen, Mango, Lederapfel (ich weiss, das kennt kaum mehr jemand – eine wundervolle alte Sorte), Waldhonig, dazu Lindenblüten. Erinnert fast ein wenig an einen Sauternes (wobei Botrytis fehlt). Im Mund enorm dicht, extrem frisch, schöne Säure, elegant, fast unendlich langer Abgang, in welchem das einzige Mal der hohe Alkoholgehalt (nicht negativ) spürbar wird. Ein Wahnsinn von einem Wein, wirkt optisch und in der Nase schon sehr gereift, ist aber erst am Anfang seiner Entwicklung. Atypischer Riesling, der nicht allen gefallen wird. Ich finde ihn schlicht grossartig! 18,5 Punkte (= herausragend). NB: Ich verteilte erst seit einigen Monaten in meinem Blog Noten. So hoch habe ich bisher noch nie bewertet.
Moenchberg Grand Cru, Pinot gris 2016 Helles bis mittleres Strohgelb; exotische Düfte, ohne exotisch zu wirken: Papaya, Passionsfrucht, Honig, Stachelbeere, Holunderblüte; im Mund frisch, druckvoll und gleichzeitig ungemein „tänzerisch“, langer Abgang. Weniger ausladend als der Kastelberg, dafür filigraner und feingliedriger. Toller Wein! 18 Punkte (= ausgezeichnet).
Wie es Antoine Kreydenweiss beschrieb: Die Weine werden nicht jedermann gefallen (es wird ausdrücklich vor grösseren Blindkäufen gewarnt!). Aber wem sich diese Weine erschlossen haben, der wird sich in sie verlieben und eine neue Dimension von Wein – und von Riesling – erleben!
Der Clou zum Schluss: Wo habe ich diese Weine wohl gekauft? Bei einem spezialierten Händler? Bei einem Anbieter, der biodynamische Weine führt? Weit gefehlt: bei Coop! Das lässt ja darauf hoffen, dass solche Weine dereinst mehrheitsfähig werden. (Aktuell ist „nur“ der einfache Riesling 2017 im Angebot).
Dézalay, die schönste und beste Weinlage im Weltkulturerbe Lavaux, wird meistens „nur“ mit der Traubensorte Chasselas verbunden. Doch es geht auch anders – und es lohnt sich, diese verblüffende Andersartigkeit zu entdecken! Die verkannten Chasselas-Weine übrigens auch, aber das folgt später.
Wer mit dem Zug von Bern nach Lausanne fährt, dem kann es nach einem kurzen Tunnel wirklich die Sprache verschlagen: Der plötzlich freie Blick über die Reben des Lavaux und den Genfersee hin zu den Savoyer Alpen gehört zu den eindrücklichsten Bahnerlebnissen überhaupt! Der Zug fährt am westlichen Ende oberhalb der Appellation Dézaley aus dem Tunnel, unweit des höchsten Punktes beim Tour de Marsens auf 550 m über Meer. Dézaley – inzwischen offiziell als einer von zwei Waadländer Grand Crus deklariert – erstreckt sich aber über rund 54 ha bis hinunter an den Genfersee auf 375 m. ü. M.
Die Schönheit der Gegend kann eigentlich gar nicht in Worte gefasst werden. An dieser Stelle mag der Hinweis genügen, dass das Lavaux – etwas ungenau ausgedrückt zwischen Lausanne und Vevey – 2007 unter dem Titel „Weinterrassen von Lavaux mit Blick auf den See und die Alpen“ in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Und vielleicht noch das: Fast das ganze Gebiet wird auf teils kleinen Terassen bewirtschaftet – anders ginge es gar nicht bei einem natürlichen Gefälle von teils über 100 %!
„Weinterrassen mit Blick auf den See und die Alpen:“ Fast wie irgendwo zwischen Himmel und Erde: das Lavaux.
Aber nun genug der Tourismusförderung – Kenner der Gegend mögen mir diese Ausschweifung verzeihen. Bekannt ist Dézaley praktisch nur durch seinen Weisswein – rund 90 % der Fläche sind hauptsächlich mit der Chasselas-Traube (Gutedel) bestockt. Diese lange als minderwertig angsehene Sorte bringt es hier zu ungeahnten qualitativen Höhenflügen und verblüfft überdies durch ein enormes Altersungpotential. Aber das ist eine Geschichte für sich, welche in diesem Blog noch folgen wird.
Auf den nun zu beschreibenden Wein bin ich offen gesagt nur durch Zufall gestossen. Da Degustationen aufgrund von Corona nicht möglich sind, wurde auf sozialen Medien ein Degupaket mit sechs mit dem Terravin-Goldlabel ausgezeichneten Weinen zum Versand angeboten. Neugierig wie ich bin, habe ich bestellt. Das Paket enthielt verschiedene Chasselas aus dem Lavaux, von respektabel bis sehr gut. Vor allem aber gab es da auch einen Rotwein, einen Dézaley 2019 der Domaine Antoine Bovard. Ich degustierte den Wein in der Erwartung, einen reinen Pinot noir oder eine Assemblage mit Gamay im Glas zu haben. Völlig verblüfft begann dann mit der nachfolgenden Degustationsnotiz die Suche nach den enthaltenen Rebsorten:
Dézaley Grand Cru, 2018, Domaine Antoine Bovard Dunkles Prupur; rote Pflaumen, Rosinen, auch einige rote Fruchttöne, Anflug von Lorbeer und Thymian; auch im Mund sehr fruchtbetont, geschmeidig, schöne Balance von Säure, Süsskomplex und leicht trocknenden Tanninen, leichter, aber sehr fein eingewobener Bittertouch, langer Abgang. Schöner, spannender Wein! 17 Punkte (= sehr gut).
Der Wein wirkt wie nicht in der Schweiz gewachsen, spannend, elegant, aber doch eher südlich anmutend. Keine Ahnung, welche Sorte(n) ich da im Glas hatte. Die Etikette half nicht weiter, aber immerhin das www. Der Wein besteht aus 40 % Merlot, 40 % Syrah, 10 % Cabernet Sauvignon und 10 % Pinot noir!
Von der Ausnahme zum Normalfall – das Klima machts Bloss – darf ein Winzer das überhaupt? Sind diese Sorten in einem Dézaley Grand Cru zugelassen? Recherchieren und Nachfragen bringt die Klärung: Ja, bzw. früher nein! Heute ist der Wein mit diesen Sorten hochoffiziell zugelassen, alle stehen auf der waadtländischen Sortenliste und dürfen deshalb auch in einem Grand Cru-Gebiet angebaut werden. Allerdings war dem noch nicht so, als Antoine Bovard die Reben pflanzte. Er merkte, dass die Pinot noir-Trauben vor allem entlang der wärmenden Mauern aufgrund der Klimaveränderung immer früher reiften und brandig zu werden drohten. Er setzte deshalb auf südlichere Sorten und erhielt schliesslich eine Ausnahmebewilligung dafür. Deshalb dürfen wir heute einen wunderschönen „Rhone-Bordeaux-Burgund-Blend“ aus dem Lavaux geniessen.
Eine kleine Geschichte am Rand: Die Ausnahmebewilligung war freilich nicht umsonst zu haben! Antoine Bovard musste während Jahren immer Muster der geernteten Trauben und des gekelterten Weins an die Forschungsanstalt Changins (heute Agroscope) senden. Wetten, dass die sich über den aussergewöhnlichen Wein jeweils sehr gefreut haben?
Bovard: Eine Familie auf der Qualitäts-Schiene Domaine Bovard? Antoine Bovard und Sohn Denis Bovard, der die Domaine seit 2011 führt? Auf die Gefahr hin, peinlich zu sein, stellt man hier einfach die Frage nach der allfälligen Verwandtschaft mit der bekannteren Domaine Louis Bovard. Und für einmal führt eine peinliche Frage zu einem Volltreffer!
Denis und Antoine Bovard: Sohn und Vater auf gleicher Wellenlänge!
Bovard ist ein alteingesessenes, traditionelles Weingut im Lavaux. Anfangs der 1960er Jahre hätte Louis-Philippe Bovard das elterliche Gut übernehmen sollen. Allerdings passte ihm das nicht so ins Konzept, als Jurist konnte er sich auch einen anderen Werdegang vorstellen. 1964 übernahm er deshalb die Leitung des „Office des Vins Vaudois“. Aus diesem Grund wurde sein Bruder Antoine, der an der ETH Zürich Physik studierte, auf das elterliche Gut zurückgebeten. Nachdem aber Louis-Philippe doch auch einsteigen wollte, wurde die Besitzung geteilt, und Antoine gründete 1983 sein eigenes Weingut. Eine Frage der Farbe sozusagen. Während Antoine das „gelbe Haus“ in Treytorrons-en-Dézaley übernahm, bekam Louis-Philippe das „rosa Haus“ in Cully.
Beste Lagen – mit ökologischer Handschrift Allerdings ist das Gut von Antoine Bovard kleiner. Heute umfasst es etwas über 7 Hektar, fast ausschliesslich in allerbesten Lagen in Epesses und Dézaley – dazu mit kleinen Flächen in St.-Saphorin und Calamin, dem zweiten Grand Cru im Waadtland. Während Louis-Philippe in der Weinwelt sehr bekannt wurde und heute oft als „Grandseignieur“ des Lavaux beschrieben wird, blieb es um Antoine eher stiller. Beide gingen aber sehr konsequent und schon, als im Waadtland Quantität noch vor Qualität stand, ihren Weg hin zu hochklassigen Weinen. Antoine führte dabei sogar früher die zukunftsgerichtete, ökologische Klinge. Schon unmittelbar nach der Gründung im Jahr 1983 verzichtete er auf jeglichen Einsatz von synthetischem Dünger. Schon früh experimentierte er auch mit bio-dynamischem Weinbau. Sein Sohn Denis, der die Domaine – wie er selbst sagt, sehr im Geist seines Vaters – führt, treibt das Gut nun definitiv zum Bioweinbau voran.
Denis Bovard freute sich, als ich ihn im Hinblick auf diesen Artikel kontaktierte, war aber gleichzeitig fast ein wenig enttäuscht, dass ich „nur“ über den roten Dézaley schreiben wollte. Ihm ist es ein ausserordentliches Anliegen, auf die hohe Qualität und auf die Langlebigkeit der Chasselas-Weine aus dem Lavaux hinzuweisen. Chasselas – diese verrufene Rebsorte ist eben zu allem fähig. Dass das Paradepferd seines Onkels Louis-Philippe, die Médinette, sehr gut altert, ja eigentlich zur vollen Entfaltung schon ein paar Jahre Lagerung braucht, ist inzwischen bekannt. Offenbar sind aber die Spitzen-Chasselas des Gutes Antoine Bovard ebenso langlebig. Da gibt es nur eines zu sagen: affaire à suivre!
Und noch den Hinweis auf die Herkunft des beschriebenen 6er-Pakets (nicht mehr genau in der von mir erhaltenen Form angeboten, aber wohl vergleichbar):
Völlig zu Unrecht fristet das Veltlin heute so etwas wie ein Dornröschendasein. Dabei bringt das lombardische Bergtal mit viel Schweizer Einfluss wirklich tolle Weine hervor. Eine ganz besondere Geschichte haben drei herausragende Weine der Fratelli Triacca, an deren Ursprung mit Stefan Keller, Christian Zündel und Piero Triacca renommierte Namen stehen.
Fast könnte man sich alte Zeiten zurück wünschen: Die Geschichte der drei Weine, über die ich heute berichte, geht auf das Jahr 1987 zurück. Damals war es noch zwingend, einen Weinhandelskurs besucht und bestanden zu haben, wer mit Wein handeln wollte. Und so kreuzten sich in Wädenswil die Wege von Stefan Keller und Piero Triacca. Letzterer führt selbst ein kleines Weingut im Puschlav (Pietro Triacca) und ist einer der Nachkommen der Gründer der bekannten Fratelli Triacca AG. Stefan Keller war und ist ein schöpferischer und unerschöpflicher Tausendsassa – und vielleicht der begnadeste Weinjournalist der Schweiz. Lustigerweise lernte ich selbst ihn aber in einer völlig anderen Situation kennen, nämlich als Wirt im Chesa Pool im Fextal. Dort lernte ich in den 1980er-Jahren dank seiner Weinkarte zum Beispiel, dass das Veltlin (und auch die Bündner Herrschaft!) hervorragende Weine hervorbringen. Stefan Keller war aber nicht nur Wirt, er arbeitete später auch für Vinum und schreibt heute noch für die Schweizerische Weinzeitschrift. Zudem brachte und bringt er mit schnaps.ch unter anderem wundervolle Kastanienbrände auf den Markt, die eine eigene Geschichte wert wären. Und dass er darüber hinaus als Degenfechter in seiner Altersklasse zu den besten an einer Weltmeisterschaft gehörte, erklärt vielleicht auch die filigrane Art „seiner“ Veltliner Weine.
Aber zurück zum Zusammentreffen von Triacca und Keller: 9 Jahre später gründeten sie eine Firma, die später (2002) in „I Vinautori“ umgenannt wurde und zum Ziel hatte, im Veltlin herausragende Weine zu produzieren. Dokumente aus jener Zeit zeigen, wie viel Herzblut in das Projekt investiert wurde, und welch hohe Ziele angestrebt wurden. Ziel war unter anderem, den besten Syrah Italiens herzustellen. Als Berater wurde zudem mit Christian Zündel ein herausragender Weinmacher aus dem Tessin beigezogen, und dazu folgte schon bald die Umstellung auf bio-dynamischen Weinbau.
Wunderschöne Lagen, tolle Weine: Die Steillagen im Veltlin und der Blick in schweizerische Puschlav und dem Bernina-Massiv.
Fast zwei Jahrzehnte später gibt es diese Weine immer noch, und wohl besser als je zuvor. Christian Zündel ist zwar aus dem Team ausgeschieden, und inzwischen zeichnen die Fratelli Triacca AG für die Rebarbeit und die Vinifikation verantwortlich. Auch die Weinberge für den Canale und den Sertola gehören heute der Firma, die Lage Santa Perpetua ist gepachtet. Stefan Keller hingegen steht immer noch als Berater zur Seite. Er ist verantwortlich für die Werbebroschüre (Link siehe unten) und unterstützt auch im Verkauf. Nichts geändert hat sich indessen an der umweltschonenden Produktion, alle Parzellen werden nach bio-dynamischen Grundsätzen bearbeitet.
Und die Qualität der Weine? Hervorragend! Die Dreierserie zeigt wunderbar, welches Potential im Alptental des Veltlin steckt. Ich hatte schon einmal über einen Wein aus dem „normalen“ Sortiment von Triacca geschrieben, den Sforzato 2013. Die damalige Veröffentlichung auch auf Facebook hat mir einige Kommentare eingetragen wie „das Veltlin loben ist ja schon gut, aber warum wählst du dafür ausgerechnet einen fetten und ausladenden Sforzato“? Nun, wer das schrieb, hatte sicher diesen Wein nicht probiert, denn er weist – bei aller Kraft – eine unglaubliche Finesse auf. Wie übrigens fast noch schöner der aktuell auf dem Markt stehende 2015-er, der jedes Vorurteil gegen Weine aus angetrockneten Trauben widerlegt. Veltliner – Italianità made in Switzerland, Wiederentdeckung empfohlen! – Victor’s Weinblog
Trotzdem sind die drei hier vorgestellten Lagenweine von anderer Art. Alle sind äusserst filigran und elegant – jeder auf seine eigene Art, wobei die beiden Roten auch durch einen tiefen Alkoholgehalt positiv auffallen. Der „Canale“ (Sauvignon blanc) ginge glatt als guter weisser Bordeaux durch, und der „Sertola“ (Nebbiolo) beweist, dass es auch ausserhalb des Piemont möglich ist, herausragende Weine aus dieser Sorte zu keltern. Typologisch passt auch der Santa Perpetua (Syrah) sehr gut in die Reihe. Allerdings fällt hier – im Gegensatz zum „Sertola“ mit dem Piemont – der Vergleich mit einem guten Rhone-Syrah etwas anders aus. Eigentlich sind die beiden Weintypen gar nicht vergleichbar – eher würde man den Santa Perpetua in Südafrika zuordnen. Er ist zwar gut und absolut empfehlenswert. Aber dieser Wein ist vielleicht das einzige am ganzen Projekt der „Vinautori“, das noch nicht zur Vollendung gebracht wurde. Es war das Ziel der drei Gründer, den besten Syrah Italiens herzustellen. Daran muss noch gearbeitet werden, aber ansonsten dürfen die Gründerväter sich darüber glücklich schätzen, was die Fratelli Triacca heute aus der Idee gemacht haben: Wundervolle Botschafter für eine völlig zu unrecht stiefmütterlich behandelte Weinregion. Viva il Valtellina!
Veltlin „at its best“: drei herausragende Lagenweine aus einem aussergewöhnlichen Projekt.
Canale 2018, Alpi Retiche, Sauvignon blanc Helles Gelb; zuerst holzbetont, dann sehr fruchtig mit Lychee, Aprikose und zudem sehr floralen Tönen; kräftiger Körper, trotz hohem Alkohol nicht brandig, vielmehr enorm frisch und mineralisch, gut stützende Säure, mittlerer Abgang. Der Typ „weisser Bordeaux“, mir gefällt er sehr, auch wenn das Holz noch etwas ausgeprägt scheint. In 2-4 Jahren nochmals beurteilen, wird vermutlich dann noch ausgewogener sein. 17 Punkte(= sehr gut)
Sertola 2015, Valtellina superiore (Nebbiolo) Eher helles Rot; rote Kirschen, Johannisbeeren; im Mund filigran-elegant, gut stützende Säure, kaum spürbarer Alkohol, feine, zurückhaltende Tannine, immer noch jugendlich, druckvoll, langer Abgang. Ein feingliedriger, wunderbarer Nebbiolo, der Vergleich mit einem Seiltänzer sei erlaubt. 17,5 Punkte (= sehr gut).
Santa Perpetua 2017, Terrazze Retiche di Sondrio, Syrah Mittleres Rot; in der Nase sowohl rote Aromen (Johannisbeeren, rote Pflaumen) also auch solche nach getrockneten Früchten (insb. Sultaninen); im Mund knackige Säure, feine, aber zurückhaltende Tannine, wirkt rund und fliesst sehr schön (Glycerin?), eleganter und filigraner Wein, ausgeprägt langer Abgang. 16 Punkte (= gut im obersten Bereich).
Stephan Herter zeigt am Winterthurer „Taggenberg“, dass er als gelernter Koch auch in der Weinherstellung die richtigen Rezepte gefunden hat. Seine Weine sind hervorragend und gleichzeitig sowohl klassisch wie auch eigenständig.
Eigentlich ist er ja gelernter Koch, und dank einem sehr guten Lehrabschluss hatte er die Möglichkeit, sich in der absoluten Spitzengastronomie weiter zu entwickeln. Allerdings kam Stephan Herter da auch intensiv mit Wein in Kontakt, und das hat ihn nie mehr losgelassen. Nach einigen Jahren im Weinbusiness, zuerst als Weintechnologe, dann in fast jeder Position in einer führenden Schweizer Weinhandlung, wollte er sein eigenes Weingut gründen. Diverse Stages brachten ihm viele Impulse, ganz besonders beeindruckt hat ihn die Tätgigkeit auf der Domaine Leflaive, wo er in einem Team mit einer wundervollen Person (Zitat Herter) an der Spitze (die leider inzwischen verstorbene Anne-Claude Leflaive) auch die biodynamische Arbeitsweise kennenlernte.
Das Gute liegt so nah Umgesehen hat er sich für ein Weingut dann weit in der Weinwelt. Südfrankreich wäre eine Option gewesen, aber eigentlich mag er den nördlichen Weinstil besser. Im Rheingau hätte er ein Gut übernehmen können – aber „nur“ Riesling, das war ihm zu wenig spannend. Schliesslich begann er auch in der Deutschschweiz zu suchen, wobei sein Vorgehen einzigartig war. Er ging nicht den Angeboten nach, sondern suchte zusammen mit einem Freund, der Geologe ist, nach einem bodentechnisch perfekten Ort. Gefunden hat er diesen dann in Winterthur, „seiner“ Stadt, in der er lange gelebt hat und die ihm ans Herz gewachsen ist (dem Schreibenden übrigens auch). Der Taggenberg, eine kleine Erhebung am westlichen Stadtrand, weist nämlich eine ganz aussergewöhnliche geologische Struktur auf. Er wurde geprägt vom Gletscher, aber anders als etwa der silex-geprägte benachbarten Hügelzug des Irchels gibt es hier Buntsandstein – und zwar nachweislich aus der Pfalz stammend und vom Gletscher hierhier transportiert. Aber damit nicht genug: Den Hügel durchzieht auch eine Kalkzunge, welche wiederum aus der Champagne stammt. Es gibt Lagen am Taggenberg, die nur rund 20 cm Humus aufweisen – darunter kommt direkt der Stein. Das zwingt zwar den Winzer zum Bohren, wenn er Pfähle einschlagen will, gleichzeitig aber auch die Rebe, ganz tief und weit durch den Kalk zu wurzeln. Kein Wunder also, dass hier vor rund 30 Jahren das Ehepaar Hans und Therese Herzog schon einmal absolute Spitzenweine produzierte, bevor es nach Neuseeland auswanderte.
Perfekte Weinlage am Rand der Stadt: Der geologisch einzigartige „Taggenberg“ in Winterthur.
Beharrlichkeit bringt Reben Was aber tun mit diesem Wissen? Der Hang war weiterhin mit den von Herzog’s bepflanzten Reben bestockt, aber das Land ist auf etwa ein Dutzend Besitzer aufgeteilt und war zudem verpachtet. Es war immerhin ein schon über dem Pensionsalter stehender Landwirt, der die Reben pflegte. Und so änderte Herter seine Gewohnheiten: Statt ins obere Tösstal führten ihn seine Ausfahrten mit dem Moutainbike neu tössabwärts und in Richtung Irchel – und dabei fast jedes Mal vorbei am Hof des alten Bauern, um ihn zu überzeugen, die Reben doch abzugeben. Und tatächlich, irgendwann war er durch Herters Hartnäckigkeit „weichgeklopft“, ab dem Jahrgang 2012 konnte Herter die Reben am Taggenberg übernehmen. Wobei, ganz so einfach war auch das noch nicht, denn aufgrund seiner Ausbildung ging Herter amtlich nicht als Winzer durch. Also musste er sich noch im Schnellgang ausbilden. Auch diese „Lehre“ hat ihn geprägt, er konnte sie bei Michael Broger am Ottenberg absolvieren vgl. hier: Michael Broger – der Pinot-Magier – Victor’s Weinblog von dem er nicht nur weintechnisch, sondern auch menschlich („grandios“, Zitat Herter) viel profitieren konnte.
Beharrlichkeit musste Stephan Herter aber auch in andere Hinsicht beweisen. Er hat inzwischen 9 Jahrgänge gekeltert, und davon verliefen gerade deren zwei „normal“. Abgesehen von, wie Herter selbst einräumt, eigenen Fehlern, waren vor allem die beiden Frostjahre 2016 und 2017 schlimm und existentbedrohend. Aber Herter kaufte in diesen Jahren fremdes Traubenmaterial, und daraus entstand die Weinlinie „Väterchen Frost“. Handeln statt jammern – kein schlechtes Rezept!
Durchhaltewille zeigt er auch in der Bewirtschaftung. Er hat in all den Jahren nie eine „chemische“ Spritzung durchgeführt. Herter arbeitet nach biologisch bzw. bio-dynamischen Grundsätzen, ist aber nicht zertifiziert. Dies vor allem auch deshalb, weil er sich mit den Weltansichten des Rudolf Steiner schwertut und Bio-Suisse inzwischen als Instrument des Grosshandels empfindet – mit beidem will er nicht in Verbindung gebracht werden.
Aber auch ohne Zertifikat ist Herter beharrlich. Es kam auch im Jahr 2020, das durch den ständigen Wechsel von Nässe und Sonne in der Pilzabwehr problematisch war, mit nur 800 g Kupfer pro Hektar aus (erlaubt sind im Biorebbau 5 Kg), was auch nicht mehr signifikant höher liegt, als es für den anfälligeren Teil der Piwi-Sorten auch noch notwendig ist. Piwi ist für Herter ohnehin kein Ersatz; seiner Meinung nach kommen diese qualitativ vorerst einfach noch nicht an die Europäersorten heran, jedenfalls dann, wenn es darum geht, mineralische, trockene und ausdrucksstarke Terroirweine zu produzieren.
Herter tut aber auch so viel für die Natur. In mehreren Projekten zusammen mit der Naturschutzorganisation „Birdlife“ hat er Naturräume geschaffen, in denen sich Nützlinge ansiedeln und die Biodiversität verbessern können. Er ist überzeugt, dass er unter anderem auch deshalb noch nie wirkliche Probleme mit der Kirchessigfliege hatte. Zweifellos sind diese naturnahen Massnahmen der Weinqualität zuträglich. Ganz abgesehen davon ist er mit seinem Rebberg in einer privilegierten Lage: Er schneidet die Reben heute auf etwa 10 Augen zurück, und das ergibt dann aufgrund des Alters (ca. 45 Jahre) genau den bescheidenen Ertrag, den er für seine Weine anstrebt. Im Klartext: Herter muss keine „vendange verte“ ausführen, die Ertragsregulierung übernehmen die Pflanzen selbst.
Voller Einsatz bringt Infrastruktur Mögen die Voraussetzung noch so gut sein, ein Newcomer ohne viel Geld kann nur bestehen, wenn er auch mit grossem Einsatz bei der Sache ist. Beim kontinuierlichen Ausbau seines Hofes legte und legt Herter immer selbst Hand an. Zurecht mit Stolz zeigt er den Barrique-Keller, ein Bauwerk, da er innert weniger Monate zu einem grossen Teil und selbst auf dem Bagger sitzend geschaffen hat.
Der mit den guten Rezepten und dem selbst geschaffenen Barrique-Keller: Stephan Herter.
Herausfordernd war auch die Corona-Sitation. Bedingt durch seine frühere Tätigkeit in der Gastronomie und dem Weinhandel war Herter im Absatz stark von Restaurants abhängig. Sozusagen von einem Tag auf den anderen blieben im Frühjahr 2020 die Bestellungen aus. Statt jammern suchte Herter sämtliche ihm bekannten Adressen von Kunden, Freunden und Bekannten zusammen und bot die Weine forciert im Direktverkauf an. Das Resultat: Bald stand Stephan statt im Rebberg tagelang im Keller und schnürte Pakete bzw. im Büro und schrieb Rechnungen!
Empathie für die Mitmenschen und für den Wein Weil er deshalb während der arbeitsintensivsten Zeit im Rebberg fehlte, suchte der via soziale Medien nach Helfern – mit grossem Erfolg. Das war auch deshalb wichtig, weil aufgrund von Covid ein Teil seiner regelmässigen Helfer ausfiel. Seit Jahren bietet Herter nämlich Menschen, die eher auf der Schattenseite des Lebens stehen, die Möglichkeit, zeitweise bei ihm zu arbeiten und damit eine Aufgabe zu haben. In diesem sozialen Engagement habe er schon „Junkies“, „Knastis“ und „Alkis“ auf dem Betrieb gehabt und durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Mit Abstand am schwierigsten, sagt ausgerechnet ein Winzer, sei der Umgang mit alkoholabhängigen Personen – das sei ein unvorstellbares Elend. Eine Warnung an uns alle, die wir den Wein so gerne haben, mit Mass und Vernunft zu geniessen!
Empathie, oder meinetwegen Fingerspitzengefühl, beweist Stephan aber vor allem auch bei der Weinproduktion. Natürlich profitiert er von einer hervorragenden Lage und alten Reben – und noch dazu davon, dass der erwähnte Hans Herzog „en fräche Siech“ gewesen ist, und damals nebst verbotenen Sorten auch spezielle Klone aus Frankreich gesetzt hat. Aber ganz offensichtlich hat Stephan Herter auch viel gelernt und dazu noch viel mehr Gefühl für den Wein entwickelt. Auf eigenen Hefen vergoren, so wenig Eingriffe wie möglich, ein trockener und eleganter Stil, der die Weine vor allem als Essensbegleiter aufblühen lässt und einen vielleicht nicht mit einem Bluffer-Stil sofort anspringen. Das Sortiment ist absolut überzeugend – der Koch findet auch als Winzer die feinsten Rezepte!
Aber lesen Sie selbst die nachstehenden Degustationsnotizen.
Sehr wichtig ist für Stephan Herter auch, dass die Weine ihre Herkunft zeigen – auf der Suche nach dem brühmten „Terroir“ sozusagen. Dass das nicht nur grosse Worte sind, zeigt er mit einem „Experiment“ mit dazugekauften Trauben aus Stein am Rhein. In diesem Fass lagert ein Pinot, der auf reinem Nagelfluh gewachsen ist, und mit dem Herter den Unterschied der verschiedenen Gesteins-Untergründe aufzeigen will.
Die Degustationsnotizen
Fabelhafte Parade der Fabelwesen: Herter’s tolles Sortiment (und es gibt noch mehr!)
„Väterchen Frost“, Schaumwein Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; sehr fruchtbetont und „weinig“, Golden-Delicious-Apfel, Stachelbeeren, weisser Pfirsich, leichter, sehr feiner Hefeton; im Mund füllig, gut stützende Säure, kaum spürbarer Alkohol, neckische, dezente Süssnote, langer Abgang. Ein Masstab für Schweizer Schaumwein! 17 Punkte (= sehr gut).
Ferdinand, Räuschling 2019 (Degunotiz aus der Erinnerung, ich habe den Zettel verloren … aber der Eindruck ist sehr geblieben!) Helles Gelb; Duft nach Orangen und Mirabellen, blumige Anflüge (u.a. etwas Flieder); im Mund mit knackiger Säure, filigran aber trotzdem für einen Räuschling erstaunlich dicht, langer Abgang. Toller Räuschling der eher traditionellen, aber doch etwas modern umgesetzten Art! 16 Punkte (= am oberen Ende gut).
Rufus, Sauvignon blanc, 2019 Mittleres Gelb, Stachelbeeren, Holunderblätter, nasses Gras; im Mund enorm frisch, sehr mineralisch, knackige Säure, sehr langer Abgang. Toller, mineralischer Sauvignon, den man blind in der Steiermark ziemlich weit vorne ansiedeln würde. 17 Punkte (= sehr gut).
Stix, Chardonnay 2019 Helles Strohgelb, Williams-Birne, Lychee, etwas neues Holz; im Mund rund mit ausgeprägter Fruchtsüsse, Holz und Toastung spürbar, gute Säure und gut eingebundener Alkohol. Schöner Wein, der als einziger stilistisch etwas aus dem Rahmen fällt. Mir ganz persönlich würde er etwas weniger „ausladend“ und dafür stählern noch besser gefallen. 16 Punkte (= am oberen Ende gut).Und Liebhaber dieses Stils würden ihn wohl noch höher bewerten.
Grimbart, Pinot noir 2019 Eher helles Rot; in der Nase zurückhaltend, rote Johannisbeeren, etwas Himbeer, würzig (Anflug von Lorbeer), leichter Holzton; im Mund filigran, herrlich ausgewogen mit spürbaren, feinen Tanninen und stützender, aber nicht aufdringlicher Säure, Alkohol erst im mittleren Abgang mit etwas „Feuer“ spürbar, leichter, schön eingebundener Holzton. Eleganter, frischer und charaktervoller Pinot der leichteren Art. 16,5 Punkte (= sehr gut).
Adelheid, Pinot noir/Cabernet, 2019 Recht dunkles Purpur; in der Nase Cassis und helle Fruchttöne, etwas Thymian; trotz spürbarer Säure und prägnanten Tanninen im Mund wie Samt und Seide, frisch und saftig, mittlerer Abgang. Eigentlich bin ich immer skeptisch gegenüber ausgefallenen Assemblagen, aber das hier ist eine schöne nördlich-frische Alternative, wenn eigentlich ein südlicher Wein passen würde (ich habe ihn zu Lamm sehr gut gefunden). 16,5 Punkte (= sehr gut).
Ruprecht, Pinot noir 2018 Für einen Pinot sehr dunkles Purpur; wunderschöne, pinot-typische Nase mit Himbeeren, Johannisbeeren, ganz dezent spürbares Holz; im Mund ein Feuerwerk: dicht, enorme Frische, gute Säure, trotz hohem Gehalt Alkohol kaum spürbar, langer und sehr „saftiger“ Abgang. Ein traumhaft guter, an das Burgund erinnernder Pinot, eine Referenz in der Schweiz. 18 Punkte (= hervorragend). Leider ausverkauft.