Ein Mann auf einer Weinmission: Ein Weinfreund suchte nach rationalen Gesichtspunkten die berühmte Nadel im Heuhaufen, sprich den unterbewertetsten Wein aus Saint-Émilion oder ganz Bordeaux – und findet mit Château Mangot ein Gut, dessen Weine emotional berühren!
Nutzwertanalyse. Value Investing Style. Eigentlich müsste einem Weinliebhaber der kalte Schweiss herunterlaufen. Wie kann man so technokratisch an einen Wein herangehen? Nun, mein Weinfreund Dominic Oberer hat genau das getan. Kein Wunder zwar, er ist Ökonom, lic. oec. publ. BWL UZH und dipl. Wirtschaftspädagoge HSG. Aber er ist auch charaktervollen Weinen nicht abgeneigt. Und seine Mission war, nach der berühmten „Stecknadel im Weinfass“ zu suchen, ohne den Wein vorher im Glas gehabt zu haben.
«Nowadays people know the price of everything an the value of nothing».
Das Zitat wird Oscar Wilde zugeschrieben. Und was im vorletzten Jahrhundert galt, stimmt heute wohl noch viel mehr. Jeder Weinfreund kennt den Preis einer Flasche Ausone oder Cheval Blanc, aber kaum jemand weiss, dass es noch massiv unterschätzte Weinwerte gibt, die man entdecken müsste. Und so machte sich Dominic auf die Suche. Man kann das gerne von Warren Buffet inspiriert „Value Investing Style» nennen, vinologischer Entdeckergeist wäre aber ebenso richtig:
„Der Preis ist, was zu zahlst – der Wert ist, was du kriegst“.
Er hat dabei gezielt folgende Wertetreiber analysiert, die seiner Meinung nach für die Qualität im Glas essentiell sind:
1. Bio oder Biodynamie. Gibt nicht zwingend bessere, aber oft «lebendigere» Weine und zeigt, dass der Winzer umweltmässig sensibilisiert ist.
2. Terroirqualität. Durch Studium der Lage und einem Blick auf gute Nachbarn.
3. Önologischer Berater. Gerade in Bordeaux nicht mehr Michel Rolland mit seinem Stil, sondern Thomas Duclos als Mann der Stunde.
4. Jahrgangsqualität. Mit 2019 als Paradejahrgang und 2020 auf hohem Niveau und fast ebenbürtig.
5. Sympathie des Weinguts. Eindruck im telefonischen und elektronischen Kontakt.
Aus diesem Vorgehen kristallisierten sich sechs Weingüter als Favoriten heraus, aus denen nach einer Nutzwertanalyse mit der Bewertung der Wertetreiber ein Gut besonders hervorstach:
Die Stecknadel im Weinfass: Château Mangot
Dominic ist so schon vor einigen Jahren auf Château Mangot gestossen. Er ging das Klumpenrisiko ein und bestellte nach intensiver Analyse, ohne den Wein je im Glas gehabt zu haben, kistenweise Weine dieses Gutes, als die Subskriptions- und Sekundärmarktpreise noch erheblich tiefer waren als heute. Ich hätte diesen Beitrag eigentlich auch früher schreiben müssen, denn inzwischen haben auch andere entdeckt, welche Trouvaille Château Mangot darstellt. Trotzdem dürfte der Name für einige eher Neuland sein, jedenfalls sind die Weine in unseren Breitengraden noch nicht inflationär bei Händlern erhältlich.
Perfektes Terroir
Château Mangot liegt in einer Gegend, in welche sich ein klassicher Besucher von Saint-Émilion eher nicht verirrt. Das Gut befindet sich rund fünf Kilometer östlich, ganz an der Grenze der Appellation. Wer aber die geologische Karte von Saint-Émilion studiert wird feststellen, dass genau in diesem abgelegenen Winkel nochmals auf einer kleinen Fläche der genau gleiche wertvolle Untergrund wie in den Coteaux von Saint-Émilion vorherrscht: lehm- und kalkhaltiger Boden mit hartem Asterien-Kalkstein-Untergrund. Kleinräumig bestehen je nach Lage und Meereshöhe auf dem Gut allerdings verschiedene Untergründe, was auf der Homepage des Châteaux sehr schön dargestellt ist (Link siehe unten). Ein perfekter Boden für grosse Weine besteht hier auf jeden Fall! Die 34 Hektar des Weinguts stellen einen zusammenhängenden Besitz dar; die Wege sind also kurz.
In drei Generationen an die Spitze.
Château Mangot weist eine jahrhundertealte Geschichte auf und befindet sich seit rund 70 Jahren in Besitz der Familie Petit bzw. Todeschini (Anne-Marie Petit heiratete 1981 Jean Guy Todeschini). Das Ehepaar restrukturierte das Anwesen in den 1990er Jahren mit Terrassierungen, Drainagen und Neupflanzungen und 2001 wurden sämtliche Gebäude modernisiert. Sie legten damit die ideale Basis für den Eintritt ihrer beiden Söhne Karl und Yann im Jahr 2008. Karl studierte Oenologie und Winzer und hatte bereits breite Erfahrungen im Bordelais (u.a. Beau-Séjour-Bécot und Ausone), Kalifornien und in der Toskana gesammelt. Yann, der jüngere der Brüder, aber aufgrund seiner Körpergrösse auch „le Grand“ genannt, ist Agrar-Ingenieur. Auch er studierte zusätzlich Oenologie und sammelte praktische Erfahrungen in Kalifornien. Er war auch die treibende Kraft hinter der Umstellung des Betriebes auf den Bioanbau und später hin zur Biodynamie.
Thomas Duclos: Der Berater für die feinen Nuancen.
An Können und Erfahrung fehlt es den beiden Brüdern also nicht. Trotzdem (oder vielleicht gerade deshalb), haben sie sich ab 2016 die Dienste von Thomas Duclot gesichert. Duclot wird schon fast ein wenig als «Shooting-Star» gefeiert, der Figaro titelt vom «aufgehenden Stern» und der SudOuest schreibt, Duclos stelle «die personifizierte Moderne in der Oenologie» dar. Tatsächlich liest sich die Kundenliste von Duclos wie das «who ist who» von Bordeaux-Schlössern, die auf Eleganz und Finesse und nicht mehr auf den bombastischen «Parker-Stil» setzen. So ist er etwa für Giscours, Bellefont Belcier, Canon, Jean Faure, Troplong-Mondot und Beau-Séjour-Bécot tätig. Bei den beiden letzteren ersetzte er Michel Rolland. Zudem ist er Teil des renommierten Beraterkollektivs «Oenoteam» und profitiert da vom Austausch mit anderen namhaften Oenologen.
In den Vordergrund stellen will sich Duclos aber nicht – er ist ein Mann der leisen aber klugen Töne. Und schon gar nicht will er einen «Duclos-Styl» kreieren. Im Gegenteil, sein Credo lautet, dass ein Wein sein Terroir ausdrücken sollte; perfekt ist er für ihn, wenn man in einer Blinddegustation seine Herkunft und Identität erkennt. Lesen Sie dazu das äusserst interessante Interview mit Duclos in «Inside La PLACE», Link siehe unten.
Neu im „Adelsstand“: seit 2022 Grand Cru Classé.
Saint-Émilion: Eine Legende kehrt zurück!
Château Mangot steht mit seiner Entwicklung stellvertretend für die Appellation Saint-Émilion. Trotz Klimaerwärmung schaffen es immer mehr Weingüter, frische und elegante Weine zu keltern. Thomas Duclos ist überzeugt, dass dies weiterhin gelingen wird. Auf die Frage, welches die Zukunftssorten in Bordeaux seien, meinte er: «Die Antwort ist einfach: Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet Franc!».
Der Titel dieses Abschnitts ist übrigens schamlos geklaut: Der eben von Vinum frisch erkorene Berichterstatter für Bordeaux, Adrian van Velsen (nochmals herzliche Gratulation an dieser Stelle – das ist eine sehr gute Wahl!), hat schon im letzten Jahr mit dieser Überschrift eine tolle Reportage geschrieben, welche die Entwicklung sehr schön aufzeigt. Link siehe unten.
Saint-Émilion nimmt aber auch in Bezug auf eine nachhaltige Produktion eine führende Rolle ein. Bereits rund 20 % aller Betriebe bewirtschaften ihre Flächen biologisch (oder gar biodynamisch), und ca. 45 % besitzen das Label HVE (Haute Valeur Environnemental). Vorbildlich ist, dass in den AOP’s Umweltschutz seit dem letzten Jahr verpflichtend vorgeschrieben ist. Das bedeutet, dass entweder biologisch bewirtschaftet werden oder eines der Labels Label HVE, Terra Vitis, Agriconfiance oder auch SME de Bordeaux vorhanden sein muss (Quelle: meininger.de/vitisphere.com). Selbst wenn man sich die Frage stellen kann, ob mit gewissen Labels nicht eher Greenwashing betrieben wird – allein die Tatsache, dass man die Umweltproblematik bewusst angeht, ist visionär.
Degustationsnotizen
Nachstehend finden Sie Notizen aus zwei Blinddegustationen von «Château Mangot» und «Todeschini Dystique». Letzterer trägt je nach Jahrgang eine Nummer, beginnend mit dem Jahrgang 2008, als er erstmals vinifiziert wurde. Obwohl schon der «normale», merlotlastige Mangot grossartig ist, bringt der Dystique nochmals eine Steigerung. Er enthält 40 % Cabernet Franc, wird aus Trauben einer Mikroselektion produziert und reift zu einem Drittel in Amphoren.
Château Mangot, 2019
Mittleres Rubin; üppige dunkle Fruchttöne, insbes. Cassis und Brombeere, würzig; sehr viel feines Tannin, schöne, saftige Säure, sehr dicht und druckvoll bei gleichzeitig äusserst elegantem Gesamteindruck, langer Abgang. Vielversprechend! 18 Punkte.
Todeschini, „Distique 12“, 2019
Mittleres Purpur; wirkt zuerst etwas „wild“ in der Nase, viel Würze, Himbeere und Hagebutten, auch blumige Anflüge; im Mund sehr sehr jung wirkend, aktuell noch etwas aggressive Tannine und Säure, enorme Frische, sehr dicht, extrem vielschichtiger, „lebendiger“ Wein mit fast unendlichem Abgang. Grossartig! 18,5 Punkte.
Quintessenz: Hervorragende Bordeaux müssen nicht teuer sein.
Tatsächlich hat die rationale Suche meines Weinfreundes nach einer Bordelaiser Trouvaille mit Château Mangot ein Gut aufgezeigt, welches herausragende Weine und emotional berührenden Genuss bringt. Das sind Weinwerte zu Konditionen, die auch im internationalen Kontext weiterhin preiswert sind. Damit spiegelt sich in diesem Weingut vieles wieder, was für ganz Bordeaux gilt: Die versnobten Namen sind unbezahlbar geworden, und ganz Bordeaux hat damit letztlich ein Imageproblem. Aber wer sucht, der findet grossartige Weine, die bezüglich Genusswert unschlagbar sind.
Links:
Château Mangot, mit Direktlink auf die erwähnte Terroirkarte:
Château Mangot Saint Emilion Grand Cru Classé – Château La Brande (chateaumangot.fr)
terroirs-de-mangot.png (1418×997) (chateaumangot.fr)
Thomas Duclos (Interview in E und F
https://www.rcassocies.com/en/2022/05/13/inside-la-place-the-man-who-observes-the-nuances/
Inside La Place – Un homme entier qui relève les nuances – Roland Coiffe & Associés (rcassocies.com)
Oenoteam
Vinum-Artikel von Adrian van Velsen:
https://www.vinum.eu/ch/magazin/reportagen/2023/saint-emilion-reportage-vinum
Und zum Schluss: Ich habe im letzten Jahr über ein anderes Bordeaux-Gut geschrieben, das ebenfalls grosse Weine zu bezahlbaren Preisen hervorbringt, siehe hier:
Gute Bordeaux sind billig! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Interessennachweis: Die Weine wurden zweimal in Blinddegustationen (einmal davon „Doppelblind“) beim Weinfreund Dominic Oberer degustiert.
Es gibt übrigens insofern eine Fortsetzung, als ich über die Doppelblinddegustation noch berichten werde – verbunden mit einer Wette von Dominic. Sie können sich ja schon mal überlegen, welcher Wein unter 30 Euro/Franken es mit den Kreszenzen von Château Mangot aufnehmen könnte.