Die Mannschaft Marokkos bringt die Fussballwelt gerade zum Staunen. Ein Syrah aus Marokko brachte mich während des Fussballspiels auch dazu. Selbst, wenn er eher an Radfahren erinnert!
Seit einigen Monaten stand im Keller eine Flasche Syrah aus Marokko, die ich gekauft hatte, um wieder einmal einen „exotischen“ Wein zu probieren. Das gestrige Menu mit einem Lammfilet passte dann sehr gut dazu, aber noch mehr natürlich das anstehende Fussballspiel an der WM.
Fast 100-jähriges Weingut
Ouled Thaleb ist das älteste noch existierende Weingut Marokkos, das 1923 gegründet wurde und 1927 die erste Ernte einfuhr. Es befindet sich in Ben Silmane, nordöstlich von Casablanca und etwa 40 Kilometer vom Atlantik entfernt auf rund 500 m.ü.M. Der Betrieb wurde während der Kolonialzeit nicht etwa von Fanzosen, sondern von einer belgischen Firma gegründet. Heute gehörte es der Gruppe Thalvin-Ebertec bzw. der Diana-Holding, welche u.a. in der Speiseöl- und Fischindustrie und eben auch im Weinbau tätig ist und unter anderem 7 verschiedene Weingüter in Marokko besitzt.
Ouled Thaleb ist ein vergleichsweise riesiges Gut, rund 800 Hektar stehen heute unter Reben. Es ist damit der zweitgrösste Betrieb in Marokko. Man wundert sich überhaupt über die Ausmasse – das grösste Gut umfasst 2’500 Hektar – und das in einem muslimischen Land.
Hermitage lässt grüssen – und die Radfahrer auch
Dass der Wein auf der Etikette des Syrah ein Tandem zeigt und auch so heisst, kommt nicht von ungefähr. Tandem entstand aus der Begegnung zwischen Jacques Poulain, einem Oenologen aus Bordeaux, der das Gut seit 1997 führt, und Alain Graillot , einem Winzer aus Crozes Hermitage. Dieser hatte sein Gut seinen Söhnen überlassen, um sich als beratender Oenologe zu betätigen. So verwundert es nicht, dass der Syrah aus Marokko durchaus an Weine von der Rhone erinnert. Gemäss Etikette lernten sich die beiden übrigens auf einer Radtour kennen; der Name des Weines spielt also darauf an.
Trau keinen Angaben im Netz
Alle diese Aussagen basieren allein auf Online-Recherchen, und da kam dann doch auch einiges an Unklarheit zusammen. Trauen Sie also den Angaben nicht zu sehr. Denn was da alles zu lesen ist, ist an Differenz fast nicht zu überbieten. Gesichert ist, wie auch auf der Etikette vermerkt, dass Alain Graillot an diesem Wein beteiligt ist. Dann aber beginnt es schon – gemäss Etikette begegnete er radfahrenderweise dem Besitzer von Thalvin bzw. Ouled Thaleb. Das Ganze gehört aber offensichtlich zur Diana-Holding, wie aus deren Homepage zu ersehen ist. Weiter geht es damit, dass die Angaben von internationalen Weinhändlern über die Grösse der Domaine von 200 bis 800 Hektar variieren. Und auch die Bewirtschaftung wird unterschiedlich beschrieben, bei den einen handelt es sich um einen Biobetrieb, bei anderen wird „konventionell“ gearbeitet (die Wahrheit dürfte sein, dass der Betrieb sich in Umstellung befindet). Und die Böden von Ouled Thaleb werden einerseits als „wie im Médoc“ beschrieben, andererseits „wie in Crozes Hermitage“. Und einige sehen das Gut quasi direkt am Meer, andere im hohen Altlas – hier liegt die Realität etwa in der Mitte.
Egal – den Wein kann man sehr geniessen
Sicherheit könnte da wohl nur eine Recherche vor Ort geben, aber eine solche Reise steht gerade nicht an. Aber egal, die Qualität des Weines ist jedenfalls sehr gut, es ist erstaunlich, wie auf diesem Breitengrad ein so frischer und eleganter Syrah gedeihen kann.
Ich hätte ja auch noch ein paar Flaschen portugisischen Weins im Keller gehabt, aber dieser Syrah aus Marokko traf genau das Momentum – wie die Fussballer des Landes. Er verteidigte sich auch sehr erfolgreich gegen gebratenen Knoblauch und Rosmarin und verdient sich damit die Qualifikation für einen Blogbeitrag absolut.
Es gibt sicher noch bessere Mannschaften (sorry, Weine) auf dieser Welt, aber für den Moment macht der Tandem einfach total Spass.
Degustationsnotiz Domaine Ouled Thaleb, Syrah „Tandem“ 2019 Mittleres Purpur; Duft nach Brombeeren, Pflaumen und getrockneten Zwetschgen, weissem Pfeffer und Thymian; im Mund erstaunlich frisch, mit knackiger, gut eingebundener Säure, viel feines Tannin, „saftig“ und fruchtig, eher auf der eleganten Seite, mittlerer Abgang. Richtig schöner Wein, der tatsächlich als Crozes Hermitage durchginge. Jetzt toll zu trinken, dürfte aber auch noch ein paar Jahre reifen können. 16,5 Punkte.
Bezugsquelle CH, allerdings mit Nachfolgejahrgang (in D habe ich leider keinen Anbieter gefunden):
Chenin blanc ist eine jener weissen Sorten, die leider viel zu wenig Beachtung erhalten. Dabei ergibt diese Rebe auf sehr hohem Niveau einfach alles: Vom Schaumwein bis zum Süsswein, und dazwischen tolle trockene wie auch feinherbe Weine. Hier zwei besonders gelungene Chenin blanc aus Frankreich und Südafrika.
Hand auf’s Herz: Wie oft im Jahr trinken Sie einen Chenin blanc? Selten bis nie? Sorry, aber Sie verpassen grossartigen Genuss! Für mich persönlich gehört sie zu den allerbesten Weissweinsorten und ich vergleiche sie gerne mit dem Riesling, der auch ein Alleskönner auf höchsten Niveau ist. Selbst geschmacklich gibt es gewisse Parallelen. Vielleicht bringt der Riesling etwas elegantere Weine hervor, während die Chenin blanc in der Regel voluminöser und kräftiger daherkommt. Eine Verwandtschaft zwischen den Sorten besteht nach heutigem Wissen nicht – belassen wir es also bei einer von mir frei erfundenen „Seelenverwandtschaft“.
Der erste Nachweis der Sorte stammt aus dem 9. Jahrhundert im Anjou – also an der mittleren Loire, wo die Sorte heute noch die wichtigste Stellung einnimmt (Quelle: Pierre Galet, Cépages et Vignobles de France). Das grösste Anbaugebiet befindet sich allerdings in Südafrika, wo mit rund 17’000 Hektar mehr als die Hälfte der weltweiten Anbaufläche gepflegt wird. Frankreich folgt mit rund 9’500 Hektar.
Eine Art Vermächtnis der grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaive
Ich habe kürzlich einen besonders gelungenen Wein aus Südafrika im Glas gehabt, was mich spontan daran erinnerte, dass noch eine Flasche von der Loire im Keller steht, die ich schon lange probieren wollte – ein Clau de nell, dem heute 12 Hektar grossen Loire-Weingut der leider verstorbenen grossen Weinpersönlichkeit Anne-Claude Leflaife. Sie kaufte das rund 25 Km westlich von Saumur gelegene Anwesen im Jahr 2008 zusammen mit ihrem Ehemann Christian Jacques, der das Gut heute noch führt, und rettete es damit vor dem Bankrott. Wie im Burgund wird auch hier nach den Prinzipien der Biodynamie gearbeitet. Anne-Claude Leflaive war es auch, welche den Anbau der Chenin blanc auf dem Gut wünschte. 2015 konnte der erste Jahrgang geerntet werden. Damit war es der im gleichen Jahr verstorbenen „Grande Dame“ leider nicht mehr vergönnt, ihren eigenen Chenin blanc zu verkosten.
Zwei nicht gleichnamige Brüder mit grossem Sozialengagement
Der südafrikanische Wein, der mich begeisterte, stammt vom Weingut Stellenrust, das im Vergleich mit Clau de nell riesengross ist: 250 Hektar stehen hier unter Reben. Das südlich von Stellenbosch gelegene Gut befindet sich in Familienbesitz und wird auch durch die Besitzer Tertius Boshoff und Kobie van der Westhuizen geführt. Die Reben für den degustierten Wein sind 55 Jahre alt. Stellenrust, das gesamthaft 400 Hektar gross ist, machte auch durch soziales Engegement auf sich aufmerksam: Man beteiligte 55 Arbeiterfamilien als Mehrheitsaktionäre an 100 Hektar Farmland, die sie als eigene Parzelle bewirtschaften, ernten und ausbauen dürfen. So initialisierte man eines der besten und erfolgreichsten „black empowerment projects“ auf dem ganzen Kontinent (Quelle: eggerssohn.com)
Degustationsnotizen:
Stellenrust 55 Barrel Fermented Chenin blanc, 2019 Eher helles Gelb, „süssliche“ Frucht nach Papaya und Quitte, etwas rauchig; im Mund rund und sehr dicht, tolle, gut eingebundene Säure, welche ein schönes Wechselspiel mit einer leichten Restsüsse (4,1 g) eingeht, langer Abgang. Sehr schöner, etwas opulenter, aber trotzdem frischer Wein. 17,5 Punkte.
Clau de nell, Chenin blanc, 2020 Mittleres Gelb, fruchtig (Wassermelone) und würzig (reife Koriandersamen), frisches Gras, wirkt etwas „wild“; enorme mineralische Frische im Mund, schöne Säure, dezente Frucht“süsse“, schöne Struktur, leichter, aber nicht störender Medizinalton im langen Abgang (verschwand nach einem Tag in der Flasche). Frischebetonter, etwas wilder und doch eleganter Wein, der noch sehr viel Reserven hat. 17,5 Punkte.
Fazit: Da standen zwei Chenin blanc nebeneinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten, die aber beide grossartig sind. Einerseits der schöne und gehaltvolle Schmeichler aus Südafrika, der wohl allen gefällt. Andererseits der biodynamische Loire-Wein, der durch seine etwas wilde Art manchen nicht auf den ersten Schluck zugänglich sein dürfte, der aber ungemein vielschichtig ist. Er kommt mir vor wie eine Person im perfekten Anzug oder Kostüm, die etwas künstlerisch zerzauste Haare hat. Ich persönlich finde ihn grossartig.
Die beiden Weine zeigen perfekt, wie unterschiedlich Weine aus dieser Sorte gekeltert werden können. Und dabei ist das ja nur ein ganz kleiner Ausschnitt. Wer Chenin blanc auslässt, ist wirklich selber schuld!
Bezugsquellen u.a.: Schweiz: Kapweine und Paul Ullrich für Stellenrust / Gerstl für Clau de nell Deutschland: Eggerssohn und Ludwig von Kapf / Lobenberg und Vinaturel
Interessennachweis: Beide Weine wurden im Weinhandel gekauft.
Jean-Marc Brocard und Julien Brocard – zwei Domainen aus Chablis mit der gleichen Philosophie und der gleichen Adresse. Vater und Sohn haben es gemeinsam geschafft, an die qualitative Spitze von Chablis zu gelangen. Leider sind sie hierzulande noch viel zu wenig bekannt!
Chablis, dieses in Sachen Weinqualität und Landschaft wunderbare Gebiet im Norden des Burgund bei Auxerre bringt Chardonnay-Weine hervor, die einzigartig sind. Frisch, fruchtbetont, elegant und, wenn gelungen, dicht und ausdrucksvoll. Für mich persönlich „Chardonnay at its best“!
Grand Cru-Lage „Le Clos“ in Chablis: Herrliche Weine, schöne Weinlandschaft.
Die grossen Produzentennamen sind längst bekannt und manchmal auch fast nicht mehr erhältlich bzw. bezahlbar, und selbst Weine von noch etwas weniger bekannten Gütern werden rar (Link zu einem solchen Beitrag in meinem Blog über die Domaine Droin am Schluss des Artikels).
Manchmal entdeckt man bemerkenswerte Weingüter dank Tipps anderer Winzer oder Weinfreunde. Im Fall von Brocard war es ganz einfach Zufall. Weil ich eben bei Droin abgewiesen worden war, nahm ich den „Guide Hachette“ (ich glaube es war die Ausgabe 2013) zur Hand und wählte auf gut Glück ein anderes Gut aus, welches damals mit positiv gewerteten Weinen auffiel und gleich auch noch strategisch ideal auf dem Heimweg lag: Jean-Marc Brocard in Préhy, auf einer Anhöhe südlich von Chablis.
Der Besuch entpuppte sich als Glücksfall! Die Weine begeisterten mich durchwegs, vom einfachen Chablis bis zu den Grands Crus. Und von wegen „einfachem Chablis“, der „Vieilles Vignes“ 2012 war der beste Gemeindewein der Appellation, den ich je im Glas hatte. Leider kaufte ich nur 6 Flaschen, und leider war ich seither auch nie mehr im Gebiet und habe die Entwicklung auch sonst nicht sehr intensiv verfolgt.
Nun bin ich ebenso durch Zufall in einer Weinhandlung auf Weine eines Julien Brocard gestossen. Eine kurze Recherche zeigte, dass es sich dabei um die Linie des Sohnes von Jean Marc Brocard handelt, und dass dieser Julien schon länger auch im elterlichen Betrieb das Sagen hat.
Die Entwicklung der Domaine ist bemerkenswert. Der Ingenieur Jean-Marc Brocard heiratete in eine Weinbaufamilie ein und pflanzte 1973 (dem Geburtsjahr des Sohnes Julien) zudem die ersten Reben in Préhy, wo bald darauf der Weinkeller enstand. Schon 1997 wurde eine erste Parzelle auf bio-dynamischen Weinbau umgestellt, es wurden auch ökologische Nischen geschaffen und Bäume gepflanzt Dabei handelte es sich um die Chablis-Lage „La Boissonneuse“, aus der jetzt einer der Weine aus der Linie „Julien Brocard“ stammt. Wer heute diesen Wein erwirbt, kauft sozusagen ein Vierteljahrhundert Erfahrung in biodynamischem Landbau mit. Bio und Biodynamie sind ja gerade in nördlichen Lagen aufgrund des Klimas nicht einfach umzusetzen. Jean Marc Brocard sagt denn auch in einem Interview, dass beobachten, still nachdenken (wörtlich übersetzt „die Klappe halten“) und lernen die Zutaten zu einer erfolgreichen Entwicklung sind. (Link zum Interview siehe unten).
Nach und nach wurden weitere Flächen umgestellt, und heute sind 60 Hektar biologisch und 40 Hektar bio-dynamisch zertifiziert. Knapp die Hälfte der biodynamischen Weine kommt heute mit dem Label von Julien Brocard auf den Markt.
Ich habe die Möglichkeit genutzt, einen jungen Wein von Julien Brocard und einen etwas gereiften von Jean Marc Brocard nebeneinander zu probieren:
Julien Brocard, 1er Cru Montée de Tonnerre, 2020 Helles Gelb mit leichten Grünreflexen; Duft nach weissen Johannisbeeren, Zitrus und dezent nach Holz; auffallend frisch wirkend, sehr dicht mit guter Säure, elegant, langer Abgang. Schöner, sehr typischer Chablis der noch reifen muss. 17,5 Punkte .
Jean Marc Brocard, Grand Cru Le Clos 2011 Mittleres Gelb; Duft nach Limetten, Mirabellen, Papaya und etwas Vanille; jugendlich und enorm frisch im Mund, dichte Struktur und eine gewisse „Saftigkeit“, fruchtbetont, rund, mittlerer Abgang. Toller Wein! 17,5 Punkte. PS: In einem jugendlicherem Stadium hatte dieser Wein auch Anflüge Caramel, die eher störten. Das ist mit der Reife völlig verschwunden!
Bedauernswert ist für uns Weinfreunde nur, dass der Preis des Premier Crus heute schon deutlich über jenem liegt, den ich damals für den Grand Cru bezahlt habe. (Auch der erwähnt „Vieilles Vignes“ ist teurer geworden, wenn er noch so gut ist wie damals, ist es aber immer noch ein „Schnäppchen“).
Intertessennachweis: Die beiden Weine wurden käuflich erworben, der Le Clos auf dem Gut selbst, der Montée de Tonnerre bei Baur au Lac, Regensdorf. Der Beitrag entstand ohne Wissen des/der Produzenten.
Grossartig, was Dominique Léandre-Chevalier und Reto Erdin im ersten Jahrgang nach der Wiedergeburt der Domaine im Bordelais präsentieren! Jetzt muss nur noch die Weinwelt endlich merken, welche tolle Weine hier kreiert werden!
Dominique Léandre-Chevalier war Insidern schon lange ein Begriff, denn er produzierte an den Cotes de Blaye, also quasi am „falschen“, rechten Ufer der Garonne, jahrelang authentische, manchmal auch etwas verrückte, aber immer hervorragende Bordeaux-Weine auf Spitzenniveau. Leider vergass der Qualitätsfanatiker Léandre-Chevalier dabei, dass auch die kommerzielle Seite stimmen muss, und so musste er die Domaine aufgeben. Die schon fast wundersame Rettung kam durch den Schweizer Reto Erdin, der das Gut erwarb und zusammen mit Dominique Léandre-Chevalier wieder aufbaute. Details zu diesem Abenteuer hier: Domaine Léandre Chevalier: Die märchenhafte Rettung eines Ausnahmegutes in Bordeaux! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Mit dem 2020-er liegt nun der erste gemeinsame Jahrgang von Dominique und Reto vor oder kommt demnächst in den Verkauf. Wenn man Reto Erdin zuhört staunt man, welch grosses Wissen er sich schon angeeignet hat, und wie sehr er sich auch selbst einbringt – auch wenn er das Genie des Léandre-Chavalier weiter wirken lässt.
Ich hatte die Gelegenheit, alle Weine des Jahrgangs 2020 (ausser dem Rosé) bei Reto Erdin zu degustieren. Und ich kann es kurz machen:
Der Jahrgang 2020 der Domaine Léandre-Chevalier (DLC) ist hervorragend gelungen! Welch toller, vielversprechender Neustart!
Natürlich hat es auch die Natur in diesem Jahr sehr gut gemeint, aber trotzdem kann man nur den Hut davor ziehen, was hier in die Flasche gelangte. Die Weine sind zwar gegenüber früher etwas teurer geworden, aber das ist ja nicht verwunderlich, denn es wird weiterhin alles unternommen oder ausgebaut, was der Qualität zuträglich ist. Und auch an die Umwelt wird gedacht: Die Domaine arbeitet biologisch (wenn auch unzertifiziert) und ist dafür seit Kurzem als CO2-neutral anerkannt!
Und dass dieser Qualitäts-Fanatismus ohne angemessene Verkaufspreise nicht funktioniert, wurde auf dem Gut ja schon negativ „bewiesen“. Reto Erdin sagt denn auch klar, er betreibe die Domaine als Hobby, und das Ziel sei lediglich, innert nützlicher Frist Break-Even zu erreichen. Aber aktuell läuft es wirtschaftlich nicht gerade gut. Zwar blieben einige der bisherigen Absatzwege im Fachhandel erhalten, aber die Gastronomie in Frankreich, die früher ein sehr wichtiger Kanal war, ist aufgrund der Coronakrise fast völlig weggebrochen. Nur gut, dass es sich um sehr langlebige Weine handelt!
Reto Erdin, der neue Besitzer der DLC – er setzt die Qualitätsphilosophie vollumfänglich fort!
Tiefgründige, lebendige Rotweine – perfekt auch für die Gastronomie
Dabei, da war sich die kleine Degustationsrunde einig, würden sich die Weine der DLC hervorragend für die Gastronomie eignen (für die Privatgebrauch natürlich ohnehin!). Vom günstigen (CHF 17.90) Einstiegswein in Rot, dem „Gentilhomme“, einem fruchtbetonten, fröhlichen, merlotlastigen Wein, der trotz fehlendem Holz ganz „Bordeaux“ ist und viel Tiefgang aufweist, bis zum Paradewein DLC Tricolore, einem reinen Petit Verdot aus alten, wurzelechten Reben, der sündhaft teuer ist (CHF 150.00), der mit seiner Kraft und Finesse aber absolut begeistert und den man nur zu gerne einmal als Pirat in einer ganz höchstklassigen Serie sehen würde. Und dann wäre da ja noch „Le Joyau“, der Klassiker der Domaine mit gleichen Anteilen an Merlot und Cabernet Sauvignon sowie etwas Petit Verdot, den man mit seinen CHF 39.00 problemlos vielen teureren Cru Bourgeois und auch Classés vom anderen Ufer der Gironde gegenüberstellen (und vorziehen) kann.
Dazu eine kleine Geschichte am Rand: Ich trank während der Degustation keinen Schluck, schliesslich brauche ich meinen Fahrausweis noch. Dafür durfte ich den nicht zu knappen Rest des Joyau mit nach Hause nehmen. Dort habe ich ihn genossen – und wie! Unglaublich, wie zugänglich und saftig er sich im Moment gibt, und wie viel Finesse und Tiefgang er aufweist. Und mit jedem Schluck, wohl auch mit jedem Luftkontkakt mehr, wurde er noch besser und die Aromen noch abwechslungsreicher und spannender. Es war fast ein wenig ergreifend – mon Dieu, wie ich diesen jungen Wein genossen habe!
Zurück zur Gastronomie: Wenn ich ein Restaurant führen würde, käme der Gentilhomme sofort in mein Sortiment der Offenweine. Der hat alles, was es für einen ernst zu nehmenden Essensbegleiter braucht, er ist ein „Flatteur“, ohne anzubiedern. Und dank seiner aktuell etwas reduktiven Art kann er auch mal ein paar Tage offen bleiben, ohne gleich an Qualität zu verlieren.
Die Parade der roten 2020er der DLC – hochkarätig in allen Preissegmenten.
Spannende, eigenständige Weissweine
Sehr bemerkenswert ist auch das Sortiment der Weissweine. Allerdings handelt es sich nur in zwei Fällen um klassische Weisse. Die DLC stellt nämlich gleich mehrere Weissweine aus Rotweintrauben her. Was anfangs mehr als Anpassung an den Zeitgeist gedacht war (die Konsumenten wollen auch im inzwischen oft heissen Bordeaux Weissweine, und die Bestockung mit Weissweintrauben hinkt eher hinterher), hat sich bei der DLC zu einem eigenständigen Weinstil entwickelt. Die absolute Rarität, einen weissen Cabernet-Sauvignon, hatte ich hier schon einmal beschrieben: Domaine Léandre-Chevalier: Die letzten Weine von der Insel. Und ein herrlicher Weisswein voller Rätsel. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog) (siehe unten im Beitrag).
Ab 2020 gibt es den reinen CS als „Blanc de noir Cuve“ aus dem Stahltank. Neu gibt es aber nun auch noch – im Holz ausgebaut – einen weissen Merlot (Le Flatteur) sowie eine Mischung aus Merlot und CS, den „Blanc de noir fût“.
Ganz neu für die Domaine sind aber zwei „echte“ Weissweine aus Sauvignon blanc. Da ist zuerst der bemerkenswerte „Le Séducteur“, ein in neuem Holz ausgebauter Wein mit nur 11 % Alkohol (Ernte am 1. September 2020!), und dann der „Vin d’Amphore“, ein Orangewein, dem man aber freilich nur am Duft anmerkt, dass er ein „Vin orange“ ist.
Degustationsnotizen in Kurzform:
Weissweine:
Vin d’Amphore 2020, Sauvignon blanc, 10 Tage an der Maische (Orangewein, aber kein „Naturwein“ und deshalb auch haltbar), nur ca. 11 % Alkohol. Mittleres Gelb (nicht wirklich „orange“); Lychee, Papaya, Schwarztee; knochentrocken, schöne, eher weiche Säure, leicht adstringierend, langer Abgang. Sehr spannender Wein. 16,5 Punkte.
Le Séducteur 2020, Sauvignon blanc, in neuen Barriques ausgebaut, nur ca. 11 % Alkohol Intensiv, aber schön holzbetont, etwas Zitrusfrucht, weisse Johannisbeeren; tolle, knackige, aber nicht übertriebene Säure, sehr frisch, ganz leicht adstingierend, schlank, aber trotzdem mit einem gewissen Schmelz, langer Abgang. Schöner, durch seinen tiefen Alkoholgehalt eigenständiger SB. 17 Punkte.
Blanc de noir Cuve 2020, Cabernet Sauvignon weiss ausgebaut, Stahltank Frische, knackige Frucht (Stachelbeeren, weisser Pfirsich, etwas Zitrus); Im Körper spürt man die Rotweinsorte, dicht, mit toller Säure, mundfüllend und rund, spürbarer, aber gut eingebundener Alkohol, mittlerer Abgang. Spannender Wein! 17 Punkte.
Blanc de noir Fût 2020, je 50 % Cabernet Sauvignon und Merlot, weiss ausgebaut in Barriques Exotische Frucht, viel neues Holz; im Mund rund, fast etwas mollig, eher tiefe Säure, aber mit schöner Frische, spürbare, aber nicht dominante Restsüsse, Alkohol im langen Angang leicht spürbar. Spannender, vielen wohl sehr gefallender Wein; zu einer Käseplatte wohl rundum perfekt. 16 Punkte.
Le Flatteur 2020, 100 % Merlot, in neuem Holz ausgebaut und die „Malo“ durchlaufen Süsslicher Duft, exotisch nach Ananas und Papaya, etwas Lindenblüte; im Mund mit ziemlich dominanter Restsüsse (auch wenn der Wein noch als trocken gilt), mollige Rundheit, spürbare, aber eher dezente Säure. Geschmacksache, durchaus spannend, vielen wird der sogar sehr gefallen, aber von mir gibt es der Molligkeit wegen nur 15,5 Punkte (was immer noch „gut“ bedeutet!)
Rotweine:
Le Gentilhomme 2020 (80 % Merlot, 20 % Cabernet Sauvignon) Zuerst sehr reduktive Töne in der Nase, ohne Luft fast schon störend nach Vulkan und Pferdestall. Mit etwas Luft dann plötzlich nur noch sehr fruchtig (Brombeer, Pflaume), etwas rote Peperoni; im Mund sehr ausgewogen, rund und üppig, mit toll eingebundener Säure, fruchtig. Mittlerer Abgang. Süffiger, fruchtiger Wein, der aber auch eine erstaunliche Stuktur und „Rückgrat“ aufweist. Auch wenn es abgelatscht ist: Preis-/Leistung fast unschlagbar! 16 Punkte.
Le Joyau 2020 (48 % Merlot, 48 % Cabernet Sauvignon, 4 % Petit Verdot), 100 % neue Barriques Sehr noble Nase, Zedernholz, Tabak, dunkle und getrocknete Früchte, keine Spur von Neuholz zu riechen!; im Mund elegant, feingliedrig aber auch druckvoll, enorm vollgepackt mit sehr feinen Tanninen, im Moment sehr fruchtbetont und extrem „saftig“, langer Abgang. Rundum einfach ein toller Wein! 18 Punkte.
33’333, 2020 (100 % Merlot aus Parzelle mit 33’333 Stöcken pro Hektar („normal“ sind ca. 5’000 bis 8’000). In der Nase noch etwas verhalten, etwas Brombeer und Zwetschge; im Mund mit enormer Finesse, herrlich feine Tannine, gut integrierte Säure, leicht spürbar neues Holz, spürbare Fruchtsüsse macht ihn rund und – sorry für den Ausdruck – „wohllüstig“. Ich habe schon „klassischere“ 33’333 gehabt, aber der 2020er ist ein tolles, rundes „Elixier“. 18 Punkte.
100 % Provocateur 2020 (100 % Petit Verdot, ebenfalls aus einer Parzelle mit rund 33’000 Stöcken) Wirkt aktuell etwas im Tiefschlaf, sehr zurückhaltende, verschlossene Nase mit edlen Düften nach Zedern und angetönter Frucht; im Mund enorme Menge an schönen Tanninen, aktuell etwas „trocknend“, schöne Säure, elegant und dicht. Für mich in Moment schwer beurteilbar, wirkt gerade etwas spröde, aber wenn ich an frühere Jahrgänge denke, hat er eine grosse Zukunft. 17,5 Punkte (was vermutlich zu wenig ist).
Tricolore 2020 (100 % Petit Verdot, Parzelle mit rund 33’000 Stöcken, aber alle alt und wurzelecht) Fazinierende Nase auf der würzigen Seite, Sandelholz, dezent Eucalyptus, dunkle Frucht; im Mund umwerfend: extreme Dichte, fast zum Abbeissen, gleichzeitig aber fein und extrem elegant, tolle Säure und viele, aber enorm feine Tannine, äusserst langer, eleganter Abgang. Traumhaft! 19 Punkte.
Die Weine von der Loire haben es hierzulande schon grundsätzlich nicht einfach. Ja, sie sind, Sancerre einmal ausgenommen, so gut wie unbekannt. Wenn sie dann aber gar vom Unterlauf des Flusses stammen und „Muscadet“ heissen, dann wird es noch viel schwieriger. Zu Unrecht, wie zwei tolle Weine zeigen!
Nur schon der Name: Muscadet Sèvre et Maine AC. Sèvre und Maine sind Flüsschen, die linksufrig der Loire zusammenfliessen und schliesslich gemeinsam Mitten in der Stadt Nantes in den grossen Fluss münden. Sie durchfliessen in der Nähe der Stadt ein grosses, oft flaches Weinbaugebiet (knapp 9’000 ha), in dem die Muscadet vorherrscht. Aber eben, was heisst schon Muscadet? Mit der Muscat-Traube hat sie keine Gemeinsamkeit, es handelt sich vielmehr um die „Melon de Bourgogne“, die zwar dort kaum mehr angepflanzt wird, aber mit hoher Sicherheit im Burgund entstanden ist. DNA-Analysen haben ergeben, dass es sich um eine Kreuzung zwischen Pinot blanc und der „Ursorte“ Gouais handelt. Die Muscadet weist somit einen gleichen bzw. ähnlichen Entstehungsweg auf wie etwa Chardonnay, Gamay und Aligoté. Mehr zur Gouais siehe hier: Faszination pur: Guter Wein aus der ältesten benannten Rebsorte der Welt! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Nun eilt dem Muscadet aus dem Nantais das Vorurteil voraus, dünn und nichtssagend auszufallen. So ganz falsch ist das nicht einmal, es gibt viele sehr einfache Zechweine. Aber es gibt eben Ausnahmen, und solche habe ich kürzlich bei einer kleinen Schweizer Weinhandlung entdeckt.
Die beiden degustierten Weine stammen von der Domaine Haut Févrie, die in Maisdon sur Sèvre, 20 Kilometer südöstlich von Nantes, rund 26 Hektar Reben bearbeitet. Das Gut zeichnet sich nicht nur durch eine in dieser flachen Gegend eher seltene Handernte aus, sondern auch durch einen schonenden Umgang mit der Natur – ein schöner Teil der Weine trägt bereits das Bio-Label (die beiden beschriebenen Weine allerdings nicht).
Austern-Geschmack liegt in der Luft – und sozusagen auch im Wein! Austernbänke am Atlantik nahe der Loiremündung.
Für die Region recht typisch ist indessen der Ausbau der Weine auf der Feinhefe (sur lie). Beide Weine lagerten monate- bzw. jahrlang auf der Hefe, was ihnen augenscheinlich zusätzliche Struktur verleiht. So darf ich hier zwei Muscadet’s vorstellen, die mehr als eine Entdeckung wert sind. Vielleicht war ich ja sozusagen ferienmässig beeinflusst, aber beim Trinken des „Gras Moutons“ fehlten mir plötzlich begleitende Austern – das wäre eine herrliche Kombination gewesen. Und der Monnières Saint Fiacre (er heisst so, weil er von einer besonders guten Parzelle mit alten Reben zwischen den zwei Dörfern mit diesen Namen stammt) ist so gehaltvoll, dass er ohne Weiteres auch helles Fleisch gut begleiten würde (Austern natürlich auch!). Beide Weine weisen übrigens eine leichte „Salznote“ auf, was in der Werbung gerne auf die Meeresnähe zurückgeführt wird. Es wäre natürlich spannend, dem nachzugehen, aber daran glauben mag ich nicht. Erstens liegt das Meer dann doch noch etwa 60 Kilometer entfernt und zweitens gibt es diese Erscheinung ja auch im Wallis, wo die Petit Arvine oft auch einen leicht salzig wirkenden Touch aufweist. Und mit der Logik der Meeresnähe müssten ja dann auch alle Bordeaux salzig ausfallen …
Gras Moutons 2018 Mittleres Gelb; zurückhaltender Duft nach Melonen und Mirabellen; erstaunlich dichter Körper, schöne, aber nicht übertriebene Säure, „salzig“, frisch, ganz leichter, auch erfrischender Bittertouch, im langen Abgang sehr fruchtbetont. 15,5 Punkte (= gut)
Monnières – Saint Fiacre 2016 Mittleres Strohgelb; fruchtbetonte Nase mit Zuckermelonen und Papaya; wirkt im Antrunk eher schlank, wird dann aber plötzlich sehr kraftvoll, gehaltvoll und schön rund ohne anzubiedern. Angepasste, schöne Säure, trotz tiefem Alkoholgehalt „feurig“ (nicht brandig!), enorm langer Abgang. Ausgesprochen schöner Muscadet! 16,5 Punkte (= sehr gut).
Cabernet Franc und Chénin – die beiden wichtigsten Rebsorten der mittleren Loire bringen herausragende Weine hervor, was leider hierzulande viel zu unbekannt ist. Hier ein Beispiel eines herrlich gereiften Weines der zeigt, dass die Loire-Weine mehr als nur eine Entdeckung wert sind!
Nerleux bedeutet im alten Französich Schwarzwolf. Da ist es logisch, dass die gleichnamige Domaine (de Nerleux) im Anbaugebiet Saumur-Champigny den Wolf im Wappen trägt und einen Teil ihrer Weine auch unter dem Namen des Wolfes vermarktet. Zumindet bei gewissen Leuten müsste das Gut in der Schweiz wohl gleich gegen zwei Vorurteile ankämpfen – die Unbekanntheit der Loire-Weine und die Furcht vor Wölfen.
Saumur – Sinnbild für die Schönheiten an der Loire. Und die Weine stehen dem in nichts nach!
Auf die Domaine aufmerksam geworden bin ich im Jahr 2013 auf einer Loire-Reise. Wir machten in Saumur Station und uns wurden im Bistro de la Place nicht nur die besten Pommes-Frites unseres Lebens serviert, sondern auch tolle Weine empfohlen. Der Weisse war ein Chénin mit dem Namen „Les Loups blancs“ und war so gehaltvoll und sortentypisch, dass wir anderntags gleich bei der Domaine de Nerleux vorbeifuhren und Wein kauften. Das Gut befindet sich in Saint-Cyr-en-Bourg, etwa 5 Kilometer von Saumur entfernt. Es lohnt den Besuch nicht nur der Weine wegen, sondern auch aufgrund der schönen und sehr gut unterhaltenen Bauten der Domaine.
Eine Flasche des „Les Loups noirs“ hatte ich auf die Seite gelegt, um sein Alterungspotential zu ergründen. Nach 10 Jahren war es nun an der Zeit, den Wein zu öffnen. Und siehe da: Er ist noch jugendlich frisch und gerade auf dem Höhepunkt, aber wohl auch noch jahrelang nicht müde. Der Wein war ein absoluter Genuss!
Es darf aber eigentlich nicht erstaunen, dass Cabernet Franc grossartige Weine hervorbringt. Er ist einer der Elternteile sowohl des Cabernet Sauvignon als auch des Merlot und der Carménère! Und dass die Sorte ein riesiges Potential hat zeigen die beiden Spitzenweingüter in St.-Emilion, Château Ausone und Cheval blanc, wo jeweils rund die Hälfte der ganzen Rebfläche mit Cabernet Franc bepflanzt ist.
Domaine de Nerleux, Les Loups noirs 2011 Mittleres, jugendliches Rubin; Pfeffer, Johannisbeeren, Pflaumen, leichter Anflug von Teer; äusserst harmonisch im Mund, mit stützender Säure, feinen, leicht trocknenden Tanninen und kaum spürbarem Alkohol. Sehr gehaltvoller, aber auch filigraner, tänzerischer Wein, der nach 10 Jahren schön trinkreif ist, aber durchaus auch noch gelagert werden kann. Beeindruckend, was an der Loire möglich ist! 17 Punkte (= sehr gut).
Importeure habe ich leider weder für die Schweiz noch für Deutschland gefunden. Das wäre wohl noch eine Chance für ein Weinhaus, das eine Entdeckung in jeder Hinsicht anbieten will.
Selbst auf dem Korken sind die Wappentiere vorhanden!
Die Weine des Marc Kreydenweiss verfolge ich jetzt schon seit 30 Jahren. Während sie damals schon hervorragend waren, habe sie mit den Jahren noch eine Dimension dazu gewonnen: sie sind heute einzigartig! Nicht für jedermann, aber wer diese Art von Weinen (von Riesling) mag, wird im siebten Himmel schweben!
Völlig zu Unrecht sind die Weine des Elsass – auch bei mir – etwas aus dem Fokus geraten. Dabei gibt es immer mehr zu entdecken. Und dazu gibt es die Evergreens, wobei sich diese ebenfalls weiterentwickeln. So wie Marc Kredenweiss aus Andlau.
Als er 1989 auf biodynamischen Weinbau umstellte, war er einer der Pioniere. Und er wurde von der Weinwelt und seinen Winzerkollegen schlichtweg für verrückt erklärt. Dabei schaffte er es von Anfang an, wundervolle Weine herzustellen. Allerdings waren das anfangs der 1990-er Jahre noch Weine, die sich stylistisch kaum von anderen Rieslingen unterschieden. Ich war damals bei Divo tätig, und wir nahmen Kredenweiss ins Sortiment auf, weil er einfach hervorragende Weine herstellte, weit über dem damaligen Standard im Elsass.
Kreydenweiss hat sich aber über die Jahre weiter entwickelt. Und inzwischen ist sein Sohn Antoine für die Domaine verantwortlich, und auch er hat nochmals einen Schub in das Weingut gebracht. Angesichts der beiden nachfolgend beschriebenen Weinen scheint mir sein Statement auf der Website des Gutes geradezu Programm:
„Ma vision est de produire des vins d’expression singulière, des vins de lieux et de terroirs sans concession et artifice, sans dogme et sans limite. Je laisse fermenter les vins naturellement, ils sont élevés sur lies, (parfois jusqu’à 3 ans) avec un minimum de sulfites. J’aime les vins vibrants avec des bouches texturées, des vins qui ne rendent pas indifférents mais qui ne plaisent pas à tout le monde, des vins qui me ressemblent„.
Die beiden Weine, di3 ich hier beschreibe, legen Zeugnis davon ab. Wer sich mit der üblichen „Riesling-Erwartung“ diesen Weinen nähert, wird wohl enttäuscht sein. Da ist nichts von frisch-fruchtigen Noten, vielmehr wirken die Weine in der Nase fast etwas exotisch. Natürlich nicht typisch Riesling, aber mitreissend, spannend, einzigartig. Wer hatte denn schon einen Wein im Glas, der in der Nase wie ein Sauternes (oder eine Riesling-TBA) duftet, dabei aber knochentrocken ist? Und dann im Mund: Auch da nicht das Gewohnte, aber dennoch schon viel mehr der klassische Riesling: kraftvoll und dennoch elegant, enorm frisch, mit sehr langem Abgang.
Zwei Andlauer Grand Crus: Klare Handschrift, deutliche Unterschiede. Gemeinsamkeit? Beide grossartig?
Kastelberg Grand Cru, Riesling, 2015 Mittleres Strohgelb mit orangen Reflexen; „süssliche“ Düfte nach Aprikosen, Mango, Lederapfel (ich weiss, das kennt kaum mehr jemand – eine wundervolle alte Sorte), Waldhonig, dazu Lindenblüten. Erinnert fast ein wenig an einen Sauternes (wobei Botrytis fehlt). Im Mund enorm dicht, extrem frisch, schöne Säure, elegant, fast unendlich langer Abgang, in welchem das einzige Mal der hohe Alkoholgehalt (nicht negativ) spürbar wird. Ein Wahnsinn von einem Wein, wirkt optisch und in der Nase schon sehr gereift, ist aber erst am Anfang seiner Entwicklung. Atypischer Riesling, der nicht allen gefallen wird. Ich finde ihn schlicht grossartig! 18,5 Punkte (= herausragend). NB: Ich verteilte erst seit einigen Monaten in meinem Blog Noten. So hoch habe ich bisher noch nie bewertet.
Moenchberg Grand Cru, Pinot gris 2016 Helles bis mittleres Strohgelb; exotische Düfte, ohne exotisch zu wirken: Papaya, Passionsfrucht, Honig, Stachelbeere, Holunderblüte; im Mund frisch, druckvoll und gleichzeitig ungemein „tänzerisch“, langer Abgang. Weniger ausladend als der Kastelberg, dafür filigraner und feingliedriger. Toller Wein! 18 Punkte (= ausgezeichnet).
Wie es Antoine Kreydenweiss beschrieb: Die Weine werden nicht jedermann gefallen (es wird ausdrücklich vor grösseren Blindkäufen gewarnt!). Aber wem sich diese Weine erschlossen haben, der wird sich in sie verlieben und eine neue Dimension von Wein – und von Riesling – erleben!
Der Clou zum Schluss: Wo habe ich diese Weine wohl gekauft? Bei einem spezialierten Händler? Bei einem Anbieter, der biodynamische Weine führt? Weit gefehlt: bei Coop! Das lässt ja darauf hoffen, dass solche Weine dereinst mehrheitsfähig werden. (Aktuell ist „nur“ der einfache Riesling 2017 im Angebot).
Einen Steinwurf ausserhalb der Appellation Châteauneuf-du-Pape gelegen, überzeugt ein Bio-Weingut seit einiger Zeit mit hervorragender Qualität – gerade auch beim Châteuneuf. Und trotzdem kennt es hierzulande kaum jemand. Noch wenige Tage gibt es die Weine bei einer kleinen Weinhandlung in „Subskription“ zu spannenden Preisen.
In der Zwischenzeit habe ich auch den 2017-er gekauft und verkostet, und für mindestens ebenso begeisternd empfunden. Da gibt es – wenn auch nicht mehr „billig“ – ein echtes, unbekanntes Bijou in Châteauneuf! Gleiches gilt, eine Qualitäts-, aber drei Preisklassen darunter, auch wieder für den tollen roten Cairanne!
Ich weise aber heute, getreu meinem Motto „alles ausser gewöhnlich“, speziell auf die Weissen des Gutes hin. Ich mag den Ausdruck „Preis-/Leistungsverhältnis“ für Wein eigentlich überhaupt nicht, aber wenn ein Wein so speziell gut und gleichzeitig preiswert ist wie der weisse Côtes du Rhône 2019 von Bastide Saint Dominique, dann darf man diese Formulierung mit gutem Gewissen einmal verwenden:
Côtes-du-Rhône blanc, 2019 (Viognier mit Grenache blanc und Clairette) Mittleres Gelb mit leicht rötlichen Reflexen; intensive, spannende, aber nicht aufdringliche Fruchtnoten nach Quitten, Bananen, MIrabellen und Aprikosen; im Mund kräftig und dicht, gleichzeitig aber mit schöner Säure und leichtem Bittertouch sehr ausgewogen, sehr mineralisch. langer Abgang; kräftiger, feuriger Wein, der aber auch eine für einen südlichen Wein unglaubliche Frische mitbringt. 16,5 Punkte (und das bei CHF 12.50!). (= sehr gut)
Châteauneuf-du-Pape blanc 2019 (Grenache blanc, Clairette, Roussanne) Ziemlich blasses Gelb; Quitten, grüner Apfel, Lindenblüte, sehr würzige Töne; voluminös, spürbarer Alkohol, aber absolut nicht brandig, eher mässige Säure, aber mit ausgeprägter mineralischer Frische. Sehr langer Abgang. Braucht noch etwas Reifezeit. 17 Punkte (= sehr gut).
Stimmungsbild aus der südlichen Rhône. Reben im Winter, „nostalgische“ Aufnahme aus dem Jahr 1989.
Anmerkung zum Thema „Bio“: Die Weine sind ab Jahrgang 2019 nicht mehr mit dem Label versehen. Grund dafür ist, dass der Winzer im „Pilzjahr“ 2018 zusehen musste, wie die Trauben und Reben leiden. Er möchte sich deshalb für solche Jahre vorerst eine Hintertüre offen halten. Somit sind die Weine vorerst zwar weiterhin naturnah und in normalen Jahren auch nach den Bio-Prinzipien produziert, nicht aber zertifiziert.
Kürzlich durfte ich einen Weisswein der Domaine Léandre-Chevalier geniessen, von dem ich behaupte, dass ein Weingenie ist wer errät, aus welcher Traubensorte er gekeltert wurde (und blind, woher er kommt). Der Wein ist noch erhältlich, genau wie die letzten Rotweine des „Insel-Abenteuers“ des Dominique Léandre-Chevalier!
Das Gut liegt mir, seit ich vor ein paar Jahren die ersten Weine probiert und „Pferdemann“ Dominique kennengelernt habe, am Herzen. Mehrfach habe ich in meinem Blog schon über die Domaine Léandre-Chevalier geschrieben, zuletzt über die wundersame Wiederauferstehung dank des Kaufs durch den Schweizer „Pferdemann“ Reto Erdin: Domaine Léandre Chevalier: Die märchenhafte Rettung eines Ausnahmegutes in Bordeaux! – Victor’s Weinblog
Aus der „Vor-Konkurs-Phase“ gibt es auf dem Markt noch einige Weine, u.a. bei der Weinhandlung Gerstl. Der neue Besitzer des Gutes, Reto Erdin, hat aber mit dem Kauf auch noch einige spannende Weine übernehmen können, die nun auf der Website des Gutes angeboten werden. Zwei davon wird es leider nie mehr geben, denn auf die Herstellung der „Insel-Weine“ (vgl. Infos unter dem Link oben) muss aufgrund des ungewöhnlichen Aufwandes künftig verzichtet werden. Es gibt aber noch ein paar Flaschen aus den Jahrgängen 2014 und 2016, die als echte Raritäten jetzt erhältlich sind. Beide Weine, sowohl die im Holz ausgebaute Variante „Bois flotté“ als auch der im Stahltank produzierte „Equinoxe“ sind zwar keine wirklich grossen Bordeaux. Aber beide sind auf ihre Art aussergewöhnlich, vielschichtig und spannend, und angesichts des bescheidenen Preises auf jeden Fall eine Empfehlung wert. Beide sind trinkreif, werden sich aver noch lange halten, und während der „Bois flotté“ eher auf der filigranen Seite punktet, überrascht der „Equinoxe“ mit mit seiner druckvollen, an einen Rhônewein erinnernden Art:
Das schwarze Schaf des Bordelais. Diese Rücketikette der „Inselweine“ brachte DCL nicht nur Freunde ein – und sogar eine juristische Auseinandersetzung … (mit wem auch immer 🙂 )
Bois flotté, AOC Bordeaux, 2014 (angebaut auf der Gironde-Insel Patiras) Dunkles, fast ins Violett kippendes Rot; dunkle Früchte (Heidelbeer, Brombeer), würzig, etwas Kaffee. Im Mund schöne Säure, feine, aber zurückhaltende Tannine, kaum spürbarer Alkohol, eher schlanker, filigraner Wein, mittlerer Abgang. 16 Punkte (= am oberen Ende gut).
Equinoxe, AOC Bordeaux, 2016, (angebaut auf der Gironde-Insel Patiras) Dunkles Rubin; Duft nach Casssis und Brombeeren, aber auch helle Fruchtnoten, würzig mit Thymian und Oregano; im Mund rund und „saftig“, spürbare Säure und Tannine, enorme Frische, im mittleren Abgang etwas Alkohol merkbar. Spannender Wein, den ich blind für einen gelungenen Grenache aus Gigondas gehalten hätte (dabei besteht er aus 90 % Merlot)! 16 Punkte, und je länger ich den Wein genossen habe, wohl sogar mehr. Unglaublich viel Wein für nicht einmal CHF 15.00.
Ein Weisswein zum Rätseln Nebst den „Inselweinen“ finden sich auch noch einige wenige weitere Tropfen von der eigentlichen, und nun erfreulicherweise geretteten Domaine Léandre Chevalier aus den Côtes de Blaye selbst im Angebot. Dabei ein rätselhafter Weisswein, der nur die Herkunft „Vin de France“ tragen darf. Was denken Sie, wenn Sie die nachfolgende Degustationsnotiz lesen? Um welche Traubensorte handelt es sich?
Parole à mon père, („Vin de France“), 2015 Mittleres Gelb, dezenter Duft nach Birne, weissem Pfirsich und Quitte, leichter Holzton mit Vanille-Touch; im Mund äusserst elegant und gleichzeit sehr dicht, Alkohol kaum spürbar, dafür ein wenig Tannin, eher tiefe Säure, aber trotzdem sehr frisch wirkend, sehr langer Abgang. Toller, spannungsvoller Wein, der entfernt an einen weissen Burgunder erinnert. 17 Punkte (= sehr gut).
Sauvignon blanc kann es nicht sein, dafür hat er zu wenig Säure und die „falschen“ Düfte. Semillon erst recht nicht, da sind die Düfte und Aromen viel zu weit weg. Was dann? Hat ja jemand im Bordelais Chardonnay angepflanzt? Oder vielleicht gar Marsanne? Oder? Oder?
Reto Erdin hatte mir bei unserem Treffen den Wein zur Begrüssung gereicht. Ich hatte absolut keine Ahnung, auf was ich tippen soll, ich wusste nur, dass das ein toller Wein ist. Und die Auflösung ist schon sehr aussergewöhnlich, ja – mit etwas Enthusiasmus – sogar sensationell: Es handelt sich um einen weiss gekelterten Cabernet-Sauvignon, der den biologischen Säureabbau gemacht hat!
Hommage an den viel zu früh gestorbenen Vater: DLC lässt ihn durch einen genialen und ganz speziellen Weisswein nochmals sprechen!
Dominique Léandre-Chevalier nannte diesen weissen Cabernet „Parole à mon père“. Dazu muss man wissen, dass sein Vater 1986 im Weinkeller aufgrund einer Kohlendioxid-Vergiftung ums Leben gekommen ist, was Dominique damals zwang, in jungen Jahren das Weingut zu übernehmen. Wenn er nun einen Wein so benannt hat, dann muss dieser ja etwas Spezielles sein. Kommt dazu, dass Léandre-Chevalier ein Bewunderer der Weine aus dem Burgund ist. Da ist es auch nicht erstaunlich, dass er einen Wein keltert, der blind durchaus für einen solchen gehalten werden könnte!
Der „Parole à mon père“ zeigt aber vor allem eines: Der Schöpfergeist und der Drang, Neues und Spannendes auszuprobieren, liegt sozusagen in den Genen von Dominique Léandre-Chevalier. Wir dürfen uns auf die Weine freuen, die in den nächsten Jahren entstehen werden!
„Toujours“ reimt sich nicht, ich weiss. Aber „jamais“ sollte man beim Gamay in der heutigen Zeit nicht mehr sagen. Man würde Tolles verpassen! Das gilt ganz generell, gerade auch für viele Schweizer Weine. Aber heute ist die Rede von Château Thivin am Bouilly-Hügel, der schönsten Gegend im Beaujolais, dessen Weine jeden Gamay-Verachter zum Schweigen bringen müssen.
Im Jahr 1877 kauften Zaccharie und Marguerite Geoffray Château Thivin zusammen mit den damals 2 Hektar Reben gleich beim Gut. Seither entstand eine Familientradition, heute sind die fünfte und die sechste Generation am Werk – und wie! Die sechste Generation hat wichtige Verbindungen in die Schweiz. Claude-Eduard studierte zuerst in Beaune, beendete sein Studium aber schliesslich in Changins. Nebst Stages bei der Domaine Chaves in Mauves (Hermitage) und der Fromm Winery in Neuseeland sowie dem Geyerhof im Kremstal war er auch in der Schweiz tätig, so bei der Domaine La Colombe in Féchy und den Fils de Charles Favre in Sion. Und eben auch bei der Domaine Diroso von Hanspeter Baumann in Turtmann. Dessen Tochter Sonja ist heute Frau Geoffray und spielt auf Château Thivin eine wichtige Rolle im Rebberg, aber auch im Marketing und Verkauf. Auch sie studierte in Changins und weist – nebst vielen anderen – Erfahrungen in der Fromm Winery auf (in Neuseeland und Graubünden). Noch heute steht sie ihren Brüdern im Wallis, welche die Domaine Diroso nach naturnahen Grundsätzen führen, bei Bedarf beratend zur Seite.
Aber zurück ins Beaujolais: Auch auf Château Thivin arbeitet man sehr naturnah, ein Teil der Reben befindet sich in der Umstellung auf biologischen Rebbau (u.a. jene, die für den unten beschriebenen „les sept vignes“ verwendet werden) oder trägt schon das Bio-Label. Und auf einer Parzelle, sinnigerweise „Utopia“ genannt, baut man auch Piwi-Sorten an.
Alles Weitere kann auf der Website des Gutes nachgelesen werden. Besonders fasziniert hat mich die vorbildliche Information über Herkunft und Vinifikation jedes Weines, aber auch eine Lokalisation der Parzellen. So macht sich informieren Spass! (Alle Angaben in diesem Beitrag, ausser den Degunotizen natürlich, sind auch ausschliesslich online recherchiert).
Vorbildliche Konsumenteninformation, hier als Beispiel zur Lage Godefroy, welche einen Teil der Trauben zur hervorragenden Cuvéee Zaccharie liefert.(Bilder ab Website des Gutes)
Château Thivin, Cuvée Zaccharie, Côte de Brouilly, 2018 Mittleres Rubin; verhaltener Duft nach Brombeer und Weichselkirsche, Rosenblüten, leicht spürbares neues Holz; im Mund enorm ausgewogen, Säure, Alkohol und Tannine in schönem Gleichgewicht (letztere mit ganz wenig grünem Touch), wunderbare Eleganz, vor allem im langen Abgang druckvoll. Toller Wein. Wer hier blind auf Gamay tippt, ist Klasse. Ich bin nicht einmal sicher, ob dieser Wein in einer Degustation von Gemeinde-Pinots aus der Côte d’Or auf- bzw. abfallen würde! Schöner, berührender Wein, der dem Gründer der Familiendynastie, Zaccharie, alle Ehre macht! 17,5Punkte. (Gleichberechtigung: Es gibt auch einen Weisswein – ein Chardonnay – der den Namen Marguerite trägt).
Château Thivin, Les sept vignes, Côte de Brouilly, 2019 Mittleres Rubin; fruchtige Aromen von roten und dunklen Früchten (Himbeer, Brombeer, schwarze Johannisbeeren), leicht pfeffrig; gute Säure, feines, aber eher zurückhaltendes Tannin, filigran, saftig und süffig, mitterer Abgang mit leichtem, schönem Bittertouch. Schöner, fröhlicher, aber doch gehaltvoller Gamay. 16 Punkte.