Faszination pur: Guter Wein aus der ältesten benannten Rebsorte der Welt!

Chardonnay, Riesling, Blaufränkisch, Gamay. Alle diese und über hundert weitere Sorten gäbe es nicht ohne die Ursorte Gwäss bzw. Heunisch, die auch heute noch einen erstaunlichen Wein hervorbringt.

Würden Sie einen Wein „von geringer Qualität, wässrig und sauer“ trinken wollen? Genau das wird dieser „Ursorte“ nämlich nachgesagt, aber sie hat diese Eigenschaften weder ihren Kindern und Kindeskindern vererbt, noch passt das Urteil auf einen heutigen Wein aus der Sorte, den ich hier beschreibe!

Woher die Heunisch oder Gwäss (was man fast gleich ausspricht wie das französische Gouais [blanc]), wirklich stammt, wird wohl nie erforscht werden können. Als sicher gilt, dass sie aus dem Osten kommt und vor vielen Jahrhunderten nach Mitteleuropa gelangte. Nach einer von mehreren Theorien wurde sie schon unter dem Hunnenkönig Attila nach dem Jahr 400 herum eingeführt.

Mit DNA-Analysen bewiesen ist hingegen, dass die Gwäss sozusagen die Mutter/Grossmutter/Urgrossmutter von mehr als hundert heute gängigen Weinsorten ist. Aus unbekannten Kreuzungen hervorgegangen sind zum Beispiel so weltbekannte Rebsorten wie Blaufränkisch und Riesling, aber auch regionale Spezialitäten wie der Räuschling, während Kreuzungen mit Pinot (vermutlich Pinot noir) zu Chardonnay, Alioté, Gamay und Muscadet geführt haben. Auf jeden Fall scheint die Gewäss/Heunisch die älteste namentlich bekannte Rebsorte der Welt zu sein1!

Alpine Reblandschaft im Oberwallis, wo die Gwäss noch angepflanzt wird (Symbolbild, es zeigt nicht den Rebberg von Chanton).

Die Sorte reift spät und ist deshalb auf Frühlingsfrost kaum anfällig. Dazu bringt sie ohne Eingriffe enorme Erträge. Es ist deshalb verständlich, dass sie einst weit verbreitet war. Aber schon im 18. Jahrhundert wurde sie als minderwertig nicht mehr empfohlen. Das Prädikat „dünn“ wurde der Sorte freilich schon im 12. Jahrhundert durch Hildegard von Bingen „verliehen“. Von ihr soll der Ausspruch stammen: „Der fränkische Wein sei ein starker Wein, der mit Wasser vermischt werden müsse, hingegen sei der hunnische (also der von den Hunnen gebrachte Heunisch/Gwäss) von Natur aus wässrig und müsse nicht verdünnt werden“.2

Den Gegenbeweis zu These der Hildegard von Bingen erbringt ein Betrieb im Oberwallis, Chanton Weine in Visp, der sich schon in dritter Generation um die Pflege alter Rebsorten verdient macht. Schon der Grossvater des heutigen Betriebsinhabers Mario Chanton pflanzte die Lafnetscha wieder an, und der Vater zog mit der Himbertscha und eben der Gwäss in den 1980er-Jahren nach. Bemerkenswert ist dabei, dass die Gwäss damals ohne das Wissen um ihre ampelographische Wichtigkeit wieder angebaut wurde. Die ersten Weine aus dieser Sorte waren längst wieder auf dem Markt, als die Forscher den Nachweis der Verwandtschaft erbringen konnten! Gutes Gespür, könnte man dem wohl sagen!

So völlig falsch sind die erwähnten Eigenschaften der Sorte – dünn und sauer – natürlich nicht. Aber Chanton zeigt mit seinem Gwäss, dass mit strikter Ertragsregulierung auch ein völlig anderer Wein entstehen kann:


Gwäss 2017, Chanton Weine
Helles Gelb mit orangen Reflexen; dezente Nase mit floralen Tönen, Anflug von Williams-Birne und -Schnaps, etwas Kiwi; erstaunlich rund, ausgeprägter „Süsskomplex“ (nicht süss!), spürbare, aber gezügelte Säure, mittlerer Abgang mit merkbarem Alkohol.

Wohlverstanden, ein wirklich grosses Gewächs ist auch dieser Gwäss nicht. Aber es ist ein schöner Wein, der Spass macht und der auch kulinarisch sehr breit eingesetzt werden kann (Apéro, zu Fisch, hellem Käse und auch zu nicht sehr scharfen exotischen Gerichten. Und nach drei Tagen habe ich einen kleinen Rest noch zu Spargel genossen – selbst das geht).

Aber zu einem richtig erhabenen Gefühl und fast ein wenig Gänsehaut beim Genuss führt natürlich das Wissen, sozusagen einen Schluck Weingeschichte zu trinken und daran zu denken, was uns ohne die Gwäss/Heunisch – oder meinetwegen den Hunnenkönig, wenn diese Geschichte denn stimmt – an Weingenüssen alles verwehrt geblieben wäre! Wer Riesling, Chardonnay und Blaufränkisch und Co. liebt, müsste eigentlich zumindest einmal einen Gwäss genossen haben!

http://www.chanton.ch/

1 Siehe u.a.:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2880041/
https://edoc.sub.uni-hamburg.de/haw/volltexte/2011/1438/pdf/ern_y_569.pdf (Seite 46)

sowie Arbeiten von Dr. José Vouillamoz (unveröffentlicht, beim Weingut Chanton eingesehen).
2 Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Heunisch_(Rebsorte
)

(K)eine Satire: Auf in den Preis- und Mengenkampf, eidgenössische Winzer!

Etwas Weinpolitik zum Jahresende – oder eher Realsatire? Schweizer Winzer haben teilweise Mühe, ihre Produkte abzusetzen. Aber wie löst man das Problem? Mit Qualität oder mit belangloser Mengenproduktion? Eine Polemik einer Winzertochter bringt mich zu diesem Beitrag.

Kürzlich schrieb die Tochter eines ziemlich bekannten Winzers einen Artikel, der grob zusammengefasst, folgende Aussagen enthält:
„Die Schweizer Weine erreichen auf dem Markt nur noch 35 % Anteil, was eine irrwitzige Konsequenz unserer Weinbaupolitik ist. 35 % Marktanteil – und nun soll eine vom Bund unterstützte Werbekampagne Besserung bringen. Wie paradox, kämpft doch der Staat seit Jahren genau dafür, dass es weniger, dafür teureren Schweizer Wein gibt. Das Werkzeug, dessen sich der Staat bedient, sind Mengenbeschränkungen von 1,4 kg/m2 für weisse, und 1,2 kg/m2 für rote Sorten. Eine Mengenbeschränkung, die ein Stück weit funktioniert, aber ab einem gewissen Punkt nichts mehr bringt, es sei denn, man will Holz produzieren. Und trotz der eigentlich erlaubten Menge ernten die Winzer nur rund 0,8 Kg, was den Preis nochmals in die Höhe treibt. Der Staat will also weniger Schweizer Wein auf dem Markt, der dafür um so teurer ist, lässt gute Trauben an den Stöcken verfaulen und importiert ausländischen Wein. 2018 zwang man die Winzer, ihre Trauben verfaulen zu lassen – und nicht einmal Traubensaft durfte man damit herstellen. Heutzutage wirft der Staat das edle Gut Trauben weg wie Abfall“.

Trauben hängen lassen, was die Pflanze nur hergibt? Der richtige Weg für den Schweizer Weinbau?

Die Schlussfolgerung: Der Staat soll gefälligst statt eine Werbekampagne für Schweizer Wein (profitieren würden nur die Welschen) zu finanzieren die Mengenbeschränkung aufheben, dann könnten die Schweizer Winzer billigen Wein produzieren und der Marktanteil würde sich von selbst regeln.

Liberales Wein-Experiment?

Wenn man einmal davon absieht, dass hier offenbar jemand seinen, warum auch immer vorhandenen Frust über „den Staat“ abzulassen scheint (teils auch etwas Fakten vermischend – es ist ja z.B. nicht der Staat, sondern es sind die Traubenabnehmer, die nur 0,8 Kg Trauben wollen, und der Staat importiert auch keinen Wein, sondern lässt solches lediglich zu!) hat der Gedanke aus liberaler Sicht ja etwas für sich: Warum überlassen wir den Weinbau nicht einfach völlig dem freien Markt? Mögen die Durchschnittswinzer doch 3 oder noch mehr Kg Trauben pro m2 hängen lassen, um dann einen billigeren Wein anbieten zu können! Das Experiment wäre vielleicht spannend – und die wirklichen Spitzenwinzer der Schweiz hätten auch nichts zu befürchten.

Bloss: Das hatten wir leider schon einmal! Etwas ältere Semester erinnern sich an die schlechte, alte Weinzeit in der Schweiz vor dem Rebbaubeschluss von 1993, mit dem Mengenbeschränkungen eingeführt wurden. Zuvor waren teilweise Erträge von drei bis vier Kilo Trauben pro m2 keine Seltenheit, angemessen wäre beim ertragreichen Chasselas rund ein Kilo. Bei der unglaublich grossen Ernte von 1982 mussten gar Schwimmbäder mit Wein gefüllt werden, weil im Keller kein Platz mehr war. (Quelle: Philipp Schwander, MW, Link siehe am Schluss).

Als Weintrinker hatte man beim Weisswein die Wahl zwischen wässrigem Chasselas aus der Westschweiz oder erdig-muffig-dünnem Riesling x Sylvaner (heute Müller Thurgau) aus der Deutschschweiz. Und beim Roten zwischen nichtssagendem Gamay oder Dole und saurem, hellem und dünnem Blauburgunder. Und das Image der Schweizer Weine war unterirdisch!
Gut, beim Rotwein gab es schon damals Importe, aber Weisswein zu importieren war aufgrund des „Heimatschutzes für Schweizer Weisswein“ schwierig – und wer ein entsprechendes Kontingent hatte, verdiente sich eine goldene Nase daran. Als Weinfreund war man schon fast froh, wenn wie 1983 oder 1985 ein Grossteil der Ernte dem Frost zum Opfer fiel und – endlich – (einigermassen) trinkbarer österreichischer Grüner Veltliner als Ersatz importiert wurde – welche Wohltat! Auch deshalb bin ich heute nicht so unglücklich, auch aus 65 % ausländischem Wein aussuchen zu können …

Nach und nach setzte sich die Erkenntnis durch, dass der Schweizer Wein nur dann eine Chance haben würde, wenn er auf die Karte Qualität setzt – und dass dabei die Menge Trauben pro Quadratmeter eine entscheidende Rolle spielt.

Die Schweiz als Mengenproduzentin?

Die Fachwelt war und ist sich seither ziemlich einig: Erst eine – gar nicht so rigorose – Mengenbeschränkung hat dazu geführt, dass Schweizer Weine wieder einigermassen konkurrenzfähig sind. Und erst enorme Qualitätsanstrengungen haben ermöglicht, dass die Schweiz, vielleicht erstmals überhaupt, auch Weine produziert, die Weltspitze sind und die damit endlich das Image des Schweizer Weins langsam aber sicher in die richtige Richtung entwickeln. Ob es da hilfreich wäre, wenn der Markt erneut mit Massenwein von jämmerlicher Qualität überschwemmt würde? Dies um so mehr, als schon die heutigen Mengenbeschränkungen ziemlich hoch liegen. 1,4 bzw. 1,2 kg/m2 Ertrag liegen massiv über der Limite, die beispielsweise für den einfachsten Wein aus den sonnenverwöhnten Côtes du Rhône gilt (0.9 kg/m2). Offenbar ist der französische Staat noch viel böser …

Betriebswirtschaftlich unhaltbar
Kann angesichts der Produktionspreise hierzulade überhaupt ein Schweizer Produkt über den Preis mithalten? Es ist ja speziell: Die Winzertochter möchte offenbar so viel Ertrag hängen lassen, dass eine Flasche Schweizer Wein zum Discounter-Kampfpreis von Fr. 3.00 verkauft werden könnte. Ich erspare Ihnen hier eine komplizierte Rechnung, nur soviel: Gemäss einer Untersuchung der Agridea (Link siehe unten) liegen die Selbstkosten eines Winzers in der Schweiz für eine Flasche Wein bei Fr. 9.00 bis 10.50; dies bei einem Traubenpreis von Fr. 4.00 pro Kg. Selbst dann, wenn dieser Preis mit einem Ertrag von angenommenen 4 Kg/m2 auf Fr. 1.00 gesenkt werden könnte, lägen die Selbstkosten also noch bei rund Fr. 6.00 bis 7.00!

Die ganze Schweizer Industrie und auch der Dienstleistungssektor mussten feststellen, dass sie via Menge und Preis auf dem Weltmarkt keine Chance haben. Das hat, nebst einer einschneidenden und für Firmen und Arbeitnehmende schweren Veränderung, eine Vielzahl von agilen, cleveren Unternehmen hervorgebracht, die mit hoher Qualität und mit Nischenprodukten Erfolg haben. Warum sollte das beim Wein anders sein? Ausgerechnet bei einem Produkt, das nach wie vor sehr viele Arbeitsstunden erfordert, angesichts deren Kosten wir ohnehin nie mit dem Ausland mithalten können!

Swiss Made – Qualität auch beim Wein
„In der Schweiz gelten unsere Weine als teuer, aber international sind sie günstig; unser Spitzenwein ist innerhalb von 2 Stunden ausverkauft.“ Diese Aussage stammt von Martin Donatsch, einem – absolut nicht überheblichen – Winzer aus der Bündner Herrschaft. Und Stephan Reinhardt, Weinkoryphäe und Parker-Mitarbeiter aus Deutschland, schreibt gerade heute in der FAZ: „Keine Angst vor Schweizer Weinen, so teuer sind sie gar nicht“!
Das deckt sich auch mit vielen Beiträgen in diesem Blog, in denen ich beschrieb, dass hervorragende Schweizer Weine zur absoluten Weltspitze gehören und gefragt sind. Ich bin absolut überzeugt, dass Qualität die einzige Chance für Schweizer Winzer ist, um auch in Zukunft zu bestehen. Wer sein Heil darin sieht, mit Massenware auf den Markt zu drängen, der – man verzeihe mit diesen betriebswirtschaftlichen Tipp – reisst seine Reben besser jetzt schon aus, bevor er noch (weiter) Geld mit dem Weinbau verliert.

Und zum Schluss: warum nicht eine gute Werbekampagne?

Eine vom Bund unterstützte Werbekampagne, wie sie so sehr kritisiert wurde – warum auch nicht? Die Branchenverbände haben es jedenfalls in drei Jahrzehnten nicht geschafft, etwas kommunikativ Vernünftiges zu schaffen. Da haben private Weinfreude wie Andreas Keller und Susi Scholl mit ihrer Swiss Wine Connection innert einem Jahrzehnt weit mehr erreicht!

Das Problem liegt meines Erachtens nicht darin, dass wir zu teuren Wein haben, vielmehr ist leider weiterhin beim Durschnittskonsumenten auch heute noch nicht angekommen, dass Schweizer Wein inzwischen in fast allen Preisklassen richtig gut ist – der Mengenbeschränkung sei Dank 🙂


Wie man erfolgreich Schweizer Wein promoten kann:
http://www.swiss-wine-connection.ch/

Erwähnte Quellen:
https://www.selection-schwander.ch/images/weinwissen/20090827_schweizer-weinbau-eine-erfolgsgeschichte.pdf
https://www.bielertagblatt.ch/sites/bielertagblatt.ch/files/null/18/23/18233190e575cff8ac9601604811e8aa.pdf

Und noch ein passender Artikel:
https://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/standardbei-den-lavauxwinzern-herrscht-katerstimmung/story/15438549

Das Momentum liegt bei Jürg Marugg. Und auch die Zukunft!

Schon wieder Jürg Marugg! Dabei hatte ich ja eben erst über ihn geschrieben. Kürzlich wurde mir aber auf Schloss Wartenstein in Pfäfers überhalb Bad Ragaz der „Momentum“ empfohlen. Das war ein sehr passender Tipp und ein Grund für einen neuen Beitrag.

Jürg Marugg ist einer der bemerkenswersten Newcomer in der Bündner Herrschaft. Er hat für mich gerade das Momentum auf seiner Seite. Und eigentlich nicht nur das, die Zukunft gehört ihm sicher auch! Beschrieben habe ich das schon hier:
https://victorswein.blog/2019/07/27/weinbau-marugg-hoch-4-in-flasch-und-jurg-als-speziell-interessant/
Danke des Tipps im Restaurant kommt hier nun eine Forsetzung: Momentum – eine Assemblage aus Syrah und Merlot, empfohlen zu einem Wildteller.

Wunderschöne Reblandschaft: Blick auf Fläsch in der Bündner Herrschaft, dem Wohnort von Jürg Marugg (Foto von Schloss Wartenstein aus, von der anderen, der St. Galler, Rheinseite)

Ich war eher skeptisch, aber weil ich gerne Neues entdecke und mich auch je länger, je lieber auf Weinempfehlungen des Servicepersonals verlasse, habe ich also eine Flasche „Momentum 2016“ bestellt.

Natürlich kann man sich fragen, ob es Syrah und Merlot nördlich der Alpen wirklich braucht. Und man kann auch zu irgendwelchen Assemblagen ein Fragezeichen setzen, und ganz besonders zur Mischung von Syrah und Merlot. Aber das Resultat in Form des Momentums ist überzeugend!

Mittleres, glänzendes Purpur; dunkle und helle Beeren (Brombeere, Johannisbeere), Thymian; im Mund druckvoll, gut stützende Säure bei spürbaren Tanninen, enorme Frische, eleganter, langer Abgang mit einem dezenten Nachhall nach neuem Holz. Schöner, eigenständiger Wein!

Das Lustige daran: Ich hätte blind darauf getippt, dass in diesem Wein auch Pinot noir enthalten ist. Aber vielleicht hat das ja nur damit zu tun, dass der Momentum eben seine Herkunft nicht versteckt. Zwar kann man – jedenfalls, wenn man es weiss … – durchaus Syrah und Merlot herausspüren, und die Komplexität des Weines deutet auch eher auf eine südlichere Herkunft, aber diese enorme Frische, das ist dann eben schon wieder „Norden“! Der Wein lagert 18 Monate in Holzfässern, davon sind 2/3 neu. Aber dieser Holzeinsatz ist nur erstaunlich dezent spürbar; Merlot und Syrah kommen zusammen offenbar sehr gut mit dem Neuholz zurecht bzw. werden daduch gar geadelt!

Es bleibt dabei: Schweizer Weine sind, zumindest an der Spitze, hervorragend, und man kann inzwischen tatsächlich jede Speise mit einem absolut geeigneten Schweizer Wein begleiten. Das hat der „Momentum“ wunderbar bewiesen, selbst wenn ein Pinot aus der Herrschaft sicher auch passend gewesen wäre! Aufgrund des Momentums hätte es ja gut einer von Jürg Marugg sein können!

https://www.marugg-weingut.ch/

Aus dem „Dräckloch“ das Allerbeste!

Für einmal Käse statt Wein – oder besser: Käse und Wein

dräcklochkäse
Seléction Rolf Beeler – besser geht Käse vermutlich nicht

Man erlaube mir, dass ich für einmal einen Beitrag schreibe, der mit Wein nichts zu tun hat. „Unter dem Zaun durchfressen“ sagt man dem in der Schweiz, wenn jemand – und sei es eine Kuh, aus deren Milch Käse entsteht – die besten Kräuter ausserhalb des eingezäunten Gebietes (in meinem Fall des Weines) frisst.

Nichts zu tun? Das ist dann allerdings auch wieder falsch. Mein Beitrag handelt nämlich von Käse, und wie könnte man behaupten, Käse habe mit Wein nichts zu tun!

Aber der Reihe nach: Rolf Beeler, oft auch „Käse-Papst“ genannt, war mir zwar schon lange ein Begriff, und meine erste Begegnung vor vielen Jahren mit seinen Käsen in einem Luzerner Restaurant war eine Erleuchtung. Inzwischen freue ich mich an seinen Beiträgen auf Facebook, die so richtig Lust machen, erlesene Käse zu probieren.

Erstmals habe ich nun in Onlineshop von „maître fromager Rolf Beeler“ eine Bestellung aufgegeben, die gestern angekommen ist. Der Inhalt: einfach ganz grosse Klasse! Der „Greina Val Blenio Sélection Beeler“ etwa: ein Traum von einem Käse und so meilenweit entfernt von dem, was – auch als Alp- oder Bergkäse – in einem Grossverteiler erhältlich ist. Wenn man den ersten Bissen in den Mund nimmt, ist das Erlebnis nicht einmal so „explosiv“, aber beim Kauen zeigen sich vielfältige, tiefgründige Aromen – absolut vergleichbar mit einem Erlebnis bei einem vielschichtigen Wein!

Oder dann der „Alp Dräckloch“. Wer Marketing mit einem solchen Namen machen muss, braucht schon herausragende Qualität. Ich erinnere mich an eine Tour mit meinem Sohn in der „Silberen“ oberhalb des Muotathals, als ich auf der Karte erstmals diese Alp sah. Wie schrecklich! Später war ich im Spätherbst einmal auf dieser Alp – und fand, der Name sei eine Frechheit, denn es ist sehr, sehr schön da oben!

dräckloch
Alp Dräckloch – hier noch auf Glarner Gebiet: Schön, oder?

Der Käse jedenfalls ist grosse Klasse. Auch er ist nicht im ersten Moment aufdringlich, aber von unglaublicher Finesse, Aromatik und Länge (das tönt, als würde ich einen Wein besprechen, nicht?). Und spannend daran ist, dass er noch recht jung ist, was man an der Konsistent spürt, und trotzdem schon hoch aromatisch. Ein Meisterwerk!

Damit bin ich wieder beim Anfang: Käse hat so viele Parallelen zum Wein – Massenware ist langweilig, und nur qualitätsbewusste Produzenten bringen Produkte hervor, die berühren. So war es sicher zulässig, für einmal über Käse statt über Wein zu schreiben.

Ach ja: Zum „Greina Val Blenio“ würde ein guter Gigondas perfekt harmonieren, zum „Alp Dräckloch“ auch, aber hier wäre vielleicht ein fruchtiger Gamay aus dem Beaujolais oder noch besser aus dem Wallis fast noch besser! Sie sehen – Käse und Wein, das harmoniert!

http://www.rolfbeeler.ch/

 

Oräntsch was? orange wine aus der Schweiz vom Feinsten!

Als ich vor rund 10 Jahren zum ersten Mal von „orange wines“ hörte, war meine Reaktion wohl so ziemlich: Oräntsch? Oräntsch was?

Inzwischen haben sich die orangen Weine zwar nicht etabliert, sind aber doch ins allgemeine Bewusstsein der Weinfreunde gelangt. Bloss gibt es gerade hier auch immer wieder Enttäuschungen, weil diese „vierte Weinfarbe“ wohl zu oft für Naturweine herhalten muss, denen nicht die notwendige Sorgfalt im Keller angedeiht. Orangewein als Vorwand, schlechten, manchmal gar stinkenden Wein zu verkaufen, „der halt so schmeckt, wenn man natürlich arbeitet“. Die Steigerung solcher Aussagen besteht dann noch darin, dass „sich die Konsumenten halt langsam umgewöhnen müssten“. Dass es auch anders geht, habe ich in diesem Blog auch schon einmal beschrieben:

https://victorswein.blog/2018/04/07/brda-in-slowenien-sollte-man-sich-merken/

Allen orangen Weinen gemeinsam ist eine Vergärung an der Maische (wie beim Rotwein also), und wenn es ein Naturwein sein soll, wird er auch nicht geschönt, nicht gefiltert und zurückhaltend oder gar nicht „geschwefelt“.

Dass Weine durchaus ohne Schwefelbeigabe hergestellt werden können und dabei nicht nur fehlerfrei, sondern sehr gut sein können, durfte ich gerade auf meinen kürzlichen Schweizer Weintouren in allen Landesteilen feststellen; immer mehr Winzer experimentieren erfolgreich damit.

Im Johaniterkeller in Twann, dem Weingut von Martin Hubacher und seiner Frau Michaela Gabriel traf ich den Schweizer Beweis an, dass orange wines sehr wohl absolut fehlerfrei auf die Flasche gebracht werden können. Wobei: was heisst hier „fehlerfrei“? Der Wein ist absolute Spitzenklasse! Der Beschreibung des Weins auf der Homepage ist eigentlich nichts beizufügen:

Ein an der Maische vergorener, nicht geschönter und ungefiltert abgefüllter Weisswein. Leicht ins Bernstein-Orange spielendes Gelb. Duft nach Rosinen und Zimt, leichte Botrytis-Noten. Balsamisch-laktischer Gaumen mit Kräutern und reifem Apfel. Straffe Säure. Noch recht wuchtige aber sehr runde Tannine.

Nichts beizufügen ausser: Das ist einer dieser Weine, welche die Seele berühren, ein richtiger „Philosophen-Wein“!

Und wenn ich schon am beifügen bin: Der Johaniterkeller weist ganz generell ein sehr hohes Qualitätsniveau auf, hier gibt es auch keinen einzigen Wein, der abfällt – eine absolut empfehlenswerte Adresse. Martin Hubacher führt den Betrieb seit über 20 Jahren, und es spricht für seinen Enthusiasmus, dass er auch nach so langer Zeit noch immer auf der Suche nach Neuem ist, und den Mut hat, sich auch an einen orangen Wein zu wagen! Sicher liegt genau in dieser Grundeinstellung der Unterschied zwischen einem guten und einen sehr guten Betrieb!

hubacher
Martin Hubacher und Michaela Gabriel im Degustationsraum des Spitzenweingutes Johaniterkeller in Twann (Bild vl)

Im Übrigen erzählte uns Michaela Gabriel schmunzelnd, dass es ihren Mann fast etwas Überwindung gekostet habe, bei der Kelterung einfach alles dem natürlichen Gang zu überlassen. Dass aber seine akribische und saubere Arbeitsweise sich auch bei solchen Weinen auszahlt, ist unverkennbar, und hier liegt wohl auch der Unterschied zu Weinen, an „die sich die Konsumenten halt gewöhnen müss(t)en“.

Die Wermutstropfen kommen zum Schluss: Der orange wine 2016 ist leider inzwischen schon ausverkauft. Und ob es diesen Wein wieder gibt, ist nicht sicher, der Erstling wurde aus der Sorte Nobling und aus Trauben hergestellt, welche der Johaniterkeller von einem anderen Winzer übernehmen konnte. Es wäre aber jammerschade, wenn auf den genialen Erstling nichts mehr folgen würde – vielleicht helfen diese Zeilen mit, Martin Hubacher zu einer Fortsetzung zu überzeugen!

Und, ach ja: Der Wein heisst ORÄNTSCH, und das Ende meines Beitrags nicht Oräntsch was?, sondern ORÄNTSCH, bitte mehr davon!

http://www.johanniterkeller.ch/

 

Walliser Weine: Spitzenklasse!

Nach zwei Tagen in den offenen Weinkellern im Wallis lässt sich nur ein Fazit ziehen: Spitzenklasse! Chapeau!

wallis
Atemberaubende Schönheit: Steillagen bei Chamoson

Besonders sympathisch an diesen Tagen vom 10. – 12. Mai war, dass – im Gegensatz zum Pendant in der Deutschschweiz – im Wallis auch praktisch alle Top-Winzer mitmachten. Solidarität ist hier offenbar kein Fremdwort. So waren sich auch Parker-geadelte Betriebe wie die Domaine des Muses, Gewinner des Grand Prix du Vins Suisse wie Diego Mathier und Cave du Rhodan oder Legenden wie Marie-Thérèse Chappaz nicht zu schade, ihre Top-Produkte zu zeigen.

Ich werde später in diesem Blog auf verschiedene Winzer zurückkommen, das ist qualitätsmässig fast ein Muss. Für heute nur ein kleiner „Flash“ und damit verbunden ein Aufruf an alle Weinfreunde, sich vermehrt mit den Walliser Weinen zu beschäftigen. Denn hier ist nicht nur die Qualität sehr hoch, sondern, gemessen am Aufwand in den teils steilen Terrassen und der Güte der Weine, auch die Preise meist noch vernünftig. Und die Vielfalt der Sortimente ist fast unschlagbar!

Nachstehend ein paar erste Highlights, genannt jeweils der beste Wein pro Rebsorte, den wir verkosteten – und im Wissen, dass eine solche Selektion vielen anderen, hervorragenden Weinen, wohl unrecht tut:

Fendant: David Rossier, Leytron (Grand Cru Leytron).
https://www.david-rossier-vins.ch/de
Johannisberg (Im ganzen Wallis fast immer nur gut; das Wallis als Sylvaner-Hochburg!):
Cave Corbassière, Saillon
http://www.corbassiere.ch
Humagne blanche: Cave la Romaine, Flanthey
http://www.cavelaromaine.com
Petit Arvine (hat generell ein extrem hohes Niveau): Domaine des Muses, Sierre/Granges
http://www.domainedesmuses.ch/
Paien/Heida (auch hier, welch grandioses Niveau, Wallis als Savagnin-Hochburg!): Cave du Vieux-Moulin, Vétroz
http://www.papilloud.com
Viognier: Thierry Constantin, Pont-de-la-Morge. Diese Qualität muss man auch weiter unten an der Rhone zuerst finden!
http://www.thierryconstantin.ch
Marsanne: Marie-Thérèse Chappaz (Grain Ermitage), ein fast übersinnlicher Wein!
http://www.chappaz.ch
Pinot noir: Cave du Rhodan, Salgesch (Grand Cru). Vielleicht nicht das, was man ausserhalb des Wallis von einem Pinot erwartet, aber grossartig!
http://www.rhodan.ch
Humagne rouge: Cave la Romaine, Flanthey (der „kann“ Humagne, weiss und rot!)
http://www.cavelaromaine.com
Cornalin: Cave du Rhodan (der Cornalin von der Bio-Domaine „Trong“). Eigentlich war auch der Cornalin fast überall gut, aber dieser hier ist ein „elegantes Monument“!
Syrah: Thierry Constantin, Pont-de-la-Morge.
http://www.thierryconstantin.ch

Und vielleicht etwas „ausser Konkurrenz“, aber nicht in Sachen Qualität:
Lafnetscha: autochthone Sorte, ein bisschen der Completer des Wallis. grossartig!
Chanton Weine, Visp (ebenso bemerkenswert, aber speziell der „Eyholzer Rote“, trotz Rotwein-Vinifikation wie ein Rosé, mit Erdbeeraromen).
http://www.chanton.ch

Bestes Weingut:
Und schliesslich, das für mich beste Weingut der ganzen Reise. Sicher ist es etwas unfair, denn von 15 besuchten Betrieben hätten wohl acht diesen Titel verdient. Trotzdem lege ich mich auf Thierry Constantin in Pont-de-la-Morge fest: Bei ihm ist einfach das ganze Sortiment durchgehend sehr gut bis ausgezeichnet, und es zieht sich zudem ein Stil durch alle Weine – das könnte man alles blind kaufen!
http://www.thierryconstantin.ch

constantin
Für mich, wenn auch nur um Nuancen vor vielen anderen, der beste aller besuchter Winzer: Thierry Constantin

Wallis: à suivre, bald auch in diesem Weinblog!

 

 

1. Mai – auf zu den Winzern!

Ein absolutes Muss für jeden Weinfreund: Tag der offenen Weinkeller!  Und meine Vorpremière bei Broger und Haug

Wenn es diesen Anlass nicht gäbe, man müsste ihn erfinden! Am 1. Mai (und in diesem Jahr oft auch am 5. und/oder 6. Mai) öffnen selbstkelternde Winzer der Deutschschweiz ihre Weinkeller:

https://www.offeneweinkeller.ch/home/

Verpassen Sie diese Anlässe nicht, besser können Sie nie Einblick in die qualitativ meist hochstehende Weinschweiz erhalten!

Ich selbst habe heute schon begonnen; es gab einige wenige Betriebe, die schon an diesem Sonntag geöffnet hatten. So war ich bei meinem persönlichen Favoriten, Michael Broger am Ottenberg im Thurgau (siehe weiter unten). Davor besuchte ich aber auch ein mir bisher unbekanntes Weingut in Weiningen (Nomen est Omen), und dieser Besuch gab sozusagen die Richtung vor – der 1. Mai dient dazu, Neues, und oft Tolles, zu entdecken!

Wein und Kultur – und herausragende Weisse

haug
Robin Haug im Keller des Weingutes in Weinigen, das im Moment auch eine Kunstausstellung ist. (Bild vl)

Der Besuch im Weingut Haug zeigte exemplarisch, was an Entdeckungen am Tag der offen Weinkeller in positivem Sinne möglich ist. Eine mir bis anhin (abgesehen vom „Gubrist-Stau“) völlig ungekannte Weinortschaft, ein unbekannter Winzer – eigentlich nur gewählt, weil er schon heute offen hatte. Und dann: Ein wunderschönes Weissweinsortiment und zumindest gute Rotweine! Also eine Entdeckung und ein Ort, an dem man mich wieder sehen wird!

Während die Roten – vielleicht mit Ausnahme des Pinot Barrique, der Liebhbaber finden wird, mir aber zu untypisch, zu üppig und zu holzbetont vorkam – einfach gut waren, verdienen die Weissen allesamt das Prädikat sehr gut. In einem tollen Sortiment besonders aufgefallen sind ein Räuschling, der sortentypisch ist, aber gleichzeitig viel mehr Körper hat, als allgemein üblich (Zürichseewinzer: aufgepasst vor dem Limmattal!), ein dichter Pinot gris und ganz speziell ein Gewürztraminer des Jahres 2013, der auch fast ohne Restsüsse ganz wundervoll diese Rebsorte ausdrückt. Ganz generell gefiel mir, dass keiner der Weine eine übertriebene Restsäure aufwies und trotzdem alle auch für den Durschnittskonsumenten süffig erschienen. Solche Winzer sollte es mehr geben.

Also, am 1. Mai ausfahren und solche oder ähnliche Erlebnisse und Entdeckungen mit Schweizer Winzern machen! Es lohnt sich.

Der Pinot-Magier kann auch weiss

Dass ich ein bekennender Fan von Michael Broger am Ottenberg bei Weinfelden bin, ist Lesern meines Blogs bekannt.
https://victorswein.blog/2018/01/01/michael-broger-der-pinot-magier/

Auch die Roten des Jahrgangs 2016 zeigten einmal mehr das aussergewöhnliche Niveau dieser Weine: Die „alte Rebe“, das „Flaggschiff“ von Broger, ist umwerfend, von unglaublicher Klarheit, Finesse und Kraft – einzigartig! (Zur Feier des Tages habe ich am Abend eine „alte Rebe“ 2011 geöffnet: erste Trinkreife, feinste Pinot-Frucht, die erst jetzt richtig zum Vorschein kommt, kräftig und trotzdem eleganz und unendlich lang. Klasse!). Kaum weniger interessant der „Schnellberg“, der „nur“ in einjährigem Holz ausgebaut ist und deshalb schon etwas nahbarer und eigentlich schon genussvoll trinkbar ist; auch dieser Wein berührt die Seele!

ottoberg
Frühling am Ottenberg: rechts das Schlossgut Bachtobel (das leider am Tag der offenen Weinkeller nicht teilnimmt), links, etwas verdeckt, das Weingut von Michael Broger.

Broger kann aber auch tolle Weisseine machen: Der 2017 Müller Thurgau ist für einmal fast ohne Restsüsse ausgebaut und steht für mich als Prototyp für den Wein, mit dem die Winzer uns Kosumenten wieder für diese Rebsorte gewinnen könnten: fruchtig, muskatbetont, mit frischer Säure, kombiniert mit einer nur marginalen Süsse, süffig, aber auch mit einer gewissen Dichte, einfach toll.
(Und, das passt jetzt so gut zum Tag der offenen Weinkeller: praktisch allen in der Schweiz angebotenen ausländischen Weinen in diesem Preissegment ganz einfach überlegen!).

Und schliesslich: Broger produziert seit Kurzem auch einen reinsortigen Riesling! Ich habe ihn toll gefunden, sehr sortentypisch (ich wäre blind nie auf einen Schweizer Wein gekommen), mit knackiger Säure, kombiniert mit einer kaum spürbaren, aber schön ergänzenden Restsüsse. Vielleicht mangelt es noch etwas an Körper, aber es sind ja auch noch junge Reben. Diesen Wein würde ich gerne einmal einem guten deutschen Riesling gegenüberstellen, eigentlich bin ich sicher, dass er nicht abfallen würde.

Ein Grund mehr, am 1. Mai die Vielfalt der Schweizer Weinlandschaft zu entdecken!