Liesch Weine: still und heimlich an die absolute Spitze der Bündner Herrschaft!

Die kleine Region der grossen Weine“ oder „das Burgund der Schweiz“: Die Bündner Herrschaft bringt in der Tat grossartige Tropfen hervor. Und meines Erachtens gibt es kein zweites Weinbaugebiet in der Schweiz, das auf sehr hohem Niveau ein so homogenes Qualitätsniveau erreicht. Und trotzdem gibt es auch hier immer wieder Entdeckungen! Liesch Weine zum Beispiel, von Parker hoch beehrt aber zu wenig bekannt.

Starten Sie mal eine Wein-Onlinesuche mit den Namen Gantenbein, Donatsch oder Studach. Der Treffer gibt es sehr viele. Und dann machen Sie das mit Liesch Weine: Das Resultat ist viel bescheidener, und dann muss sich Liesch Weine, der Betrieb, dem dieser Beitrag gewidmet ist, die Treffer erst noch mit einem zweiten Produzenten namens Liesch teilen. Dabei haben die Brüder Ueli und Jürg Liesch mit ihren Weinen klammheimlich ein Niveau erreicht, das sie meines Erachtens mit an die absolute Spitze in Graubünden bringt!

Betrieb unter dem Radar der Weinwelt, aber dem Navi und Google bekannt

Man muss nicht nur im Inernet suchen. Auch für einen Besuch auf dem Weingut ist ein Navi empfehlenswert, um auf Anhieb beim Gut „Treib“ der Familien Liesch zu landen. Vor fast 100 Jahren siedelte der Grossvater der heutigen Eigentümer aus Malans aus und baute die landwirtschaftliche Siedlung, die damals als Mischbetrieb geführt wurde. Reben gab es nur wenige, und die Trauben wurden verkauft. Die nächste Generation setzte dann schon etwas mehr auf den Wein. In den 1960er Jahren wurden rund drei Hektar bepflanzt. Ausgebaut wurde der Wein bis 1984 in Malans in einem Gemeinschaftstorkel. Es gab damals zwei Sorten und zwei Weine, natürlich die klassischen Blauburgunder und Müller Thurgau (zu jener Zeit noch Riesling X Sylvaner genannt).

Prächtige Weinlandschaft in den Alpen: Blick vom Weingut das Rheintal abwärts.

Die heutigen Winzer, das sind die Brüder Ueli und Jürg Liesch, haben – mit Ausnahme einiger Ausgleichsflächen – die ganzen sieben Hektar des Gutes mit Reben bestockt – etwa 2/3 mit roten und 1/3 mit weissen Trauben. Aus zwei Sorten sind inzwischen acht geworden (Kleinflächen mitgezählt noch mehr). Und die Anzahl Weine stieg von zwei auf 14!

Wenigstens Stephan Reinhardt hat Liesch Weine für Parker entdeckt

Vor allem aber: Auch wenn Liesch Weine noch immer zu den etwas weniger bekannten Produzenten zählt, qualitativ wurde hier innerhalb kurzer Zeit ein Quantensprung vollbracht. Von zwei auf 94 sozusagen, nämlich von zwei Weinen im Jahr 1990 auf 94 Parker-Punkte im Jahr 2023 (und 93 sowie 92+ noch dazu!).

Diese Leistung der Brüder Liesch kann nicht hoch genug einschätzt werden. Beide haben Winzer gelernt, und beide haben ein Praxisjahr im Anderson Valley in Kalifornien absolviert. Ansonsten sind sie weintechnologisch «Self-Made-Men» und beziehen ihr parkergekröntes Wissen aus der Praxis, aus Selbststudium und aus dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen, etwa mit den Mitstreitern der Vereinigung «Pinot Rhein».

Jürg und Ueli Liesch: Zwei überaus sympathische, geerdete Weinhandwerker, die gleichzeitig auch enthusiastische Weinkünstler sind. Es gibt übrigens keine Arbeitsteilung, beide können und machen alles auf dem Betrieb – und kommen auch nach 30 Jahren noch gut zusammen aus!

Das innere Feuer brennt, um „fines wines“ zu kreieren!

Immer dazulernen, nie stehenbleiben! Ich kenne einige Winzer in ähnlichem Alter wie die Liesch’s, die langsam genug haben und nur noch den Ruhestand herbeisehnen. Jürg und Ueli Liesch sind neugierig geblieben, und genau deshalb macht die Arbeit noch immer Spass. So war einer der Gründe, im Jahr 2020 auf biologischen Anbau umzustellen, auch die Suche nach einer weiteren Herausforderung. Die neue Bewirtschaftungsmethode wurde zwar aus Überzeugung, aber nicht als Dogma gewählt. Ueli Liesch gibt zu bedenken, «dass heute durchaus auch konventionell arbeitende Winzer mit der notwendigen Aufmerksamkeit ökologisch sinnvolle Weine produzieren können».

Sozusagen Patin der Bio-Umstellung war das Projekt «Bio Vision 2020» von „graubündenWEIN“, mit dem sehr hohe ökologische Ziele gesetzt wurden und das auch Unterstützung bot. Die Umstellung bei Liesch’s gelang bisher sehr gut, selbst im extrem schwierigen Jahr 2021. Dabei half allerdings auch die relativ flache Lage des Weinguts, die es erlaubte, die Rebzeilen trotz Nässe fast immer für die nötigen Spritzungen zu befahren.

Hier der Blick rheinaufwärts in Richtung Chur. Ganz flach sind die Rebzeilen nicht, und die sanfte Neigung erinnert ein wenig an die besten Lagen im Burgund.

Der Boden als Kapital – und das Klima wohl auch

Von wegen: Wirklich flach ist es auch in den Reben der Liesch’s nicht, und in der Bündner Herrschaft braucht man auch keinen steilen Rebberg, der Boden ist hier das eigentliche Kapital. Es genügt ein Blick in die Höhe in Richtung Vilan und zum Einschnitt des Älplibachs um festzustellen, dass die Reben hier auf einem sanften Schuttkegel wachsen und von Ton, Silt, Sand und Schiefer im Untergrund profitieren.

Hier geht der Blick nach Osten, ganz links ist der Einschnitt des Älplibachs zu erkennen.

Immer mehr zum Vorteil wird angesichts des Klimawandels auch die Höhenlage von rund 550 m.ü.M. Auch wenn es hier mit dem Fön zuweilen sehr warm werden kann, bietet die Lage in einem Alpental klimatische Vorteile. Was die Brüder Liesch indessen feststellen ist, dass das Klima bzw. das Wetter unregelmässiger wurde. Im vergangenen Jahr ging sogar ein Hagelzug über die Herrschaft, etwas, das man bisher praktisch nicht kannte.

Frische und Eleganz als Credo

In den Weinen spürt man freilich bisher nichts von Klimaerwärmung. Liesch’s legen grossen Wert auf Frische und Eleganz, und diesen Stil merkt man quer durch das ganze Sortiment. Ein Glück wohl, dass heute Stephan Reinhardt für Parker unterwegs ist, vom legendären opulenten „Parker-Stil“ ist hier nämlich gar nichts zu bemerken.

Blitzsauberer Keller. In weiteren, kleineren Räumen gibt es zudem Barriquelager.

Obwohl das Weingut noch nicht zu den bekanntesten gehört, Absatzprobleme gibt es keine. Und dies, obwohl Liesch’s inzwischen auch eher gehobene Preise verlangen können (in Bezug auf Preis/Leistung und im Vergleich mit den Imageträgern der Herrschaft sind die Weine aber immer noch sehr preiswert). Die Absatzkanäle verteilen sich paritätisch auf den Handel, die Gastronomie und auf Private. Wobei aus einem Gastronomiekunden regelmässig auch ein Privatkunde wird. So kommt es immer öfter vor, dass ein Liesch-Wein in einem Bündner Hotel so gut gefällt, dass auf dem Heimweg noch ein Stopp im Weingut eingelegt wird. Relativ hoch ist dabei der Anteil ausländischer Gäste und so sagt Jürg Liesch mit einem Augenzwinkern, «exportieren wir sehr wohl Weine, auch wenn im Ausland noch kein Händler vorhanden ist».

Auch wenn der Hof der Liesch’s etwas abgelegen ist: Diese Geschichte zeigt, dann man den Weg ins Weingut Treib findet – und es lohnt sich!

Degustationsnotizen

Sauvignon blanc 2022
(Aus nur 15 a, je hälftig in Holz und im Stahl ausgebaut)
Helles Gelb; tolle, sehr feine und vielschichtige, fruchtige Nase, keine übertriebene exotische Töne; im Mund knackige, schöne Säure, guter Körper, sehr mineralisch und frisch, langer Abgang. Toller, knackiger SB. 17 Punkte.

Chardonnay 2022
Schönes, mittleres Strohgelb; sehr fruchtbetont (Zitrus, grüner Apfel), auch florale Anflüge; im Mund noch recht holzbetont, aber sehr schöner Holzton, frisch, schöne Säure, auch guter Schmelz, langer Abgang. (mindestens) 17 Punkte.

Pinot noir Tradiziun 2022
(1 Woche Kaltmazeration, im Stahltank ausgebaut)
Mittleres Rubin; wunderschöne Pinot-Nase mit eher dunkler aber auch heller Frucht; tolle Struktur, schöne Säure, sehr frisch und «saftig». Hier von einem «Basis-Pinot» zu sprechen, ist eigentlich schon fast frech, aber wenn ich dabei bleibe: einen besseren muss man ziemlich weit suchen! 17 Punkte.

Pinot noir Prezius 2021
(Barriqueausbau, 1/3 Neuholz, 2/3 zwei- und dreijährig)
Mittleres, glänzendes Rubin; sehr fruchtbetonte Nase (Himbeere, Johannisbeere, Jostabeere), florale Anflüge (Flieder), Holz in der Nase nur in Nuancen spürbar; enorme Frische im Mund, viel feines Tannin, angepasste Säure, Holz im Mund spürbar aber nicht dominant, «saftig», eher filigran aber mit «Feuer», elegant. Toller Pinot auf Spitzenniveau! 18 Punkte.

Merlot 2021
Relativ helles Rot; helle Frucht, auch etwas Cassis, Pfeffer; im Mund extreme Frische, sehr feine Tannine, präsente, aber nicht übertriebene Säure, sehr langer Abgang. Sehr spannender, eleganter, frisch-fruchtiger «cool-climat» Merlot. Bemerkenswert! 17,5 Punkte.

Pinot Auslese 2011 (entspricht dem heutigen „Armonia“)
Jugendliches Rot; noch immer sehr fruchtbetont (helle Aromen); auch im Mund fruchtig und noch total frisch, mürbe Tannine, viel Schmelz, langer Abgang. Sehr schöner, eleganter Pinot der beweist, dass die Liesch-Weine ein grosses Alterungspotential aufweisen. 17,5 Punkte.

Dieser Wein ist gereift, aber noch keineswegs müde, er wird auch in drei bis fünf Jahren noch Spass machen. Der beste Beweis, dass die Weinwelt die Liesch-Weine schon viel früher hätte entdecken können und müssen!

„Bio-Liesch“ gilt nun für zwei Betriebe

Zu ergänzen ist, wie im Einstieg zum Artikel angetönt, noch Folgendes: Es gibt in Malans noch ein zweites Weingut mit dem Namen Liesch, nämlich Louis Liesch (Liesch Bioweine). Dieser Betrieb, der schon länger biologisch wirtschaftet, bringt ebenfalls bemerkenswerte Weine hervor, darf aber nicht mit «Liesch Weine» verwechselt werden.

Startseite – Liesch Weine (liesch-weine.ch)
Pinot Rhein
Biovision 2020 von graubündenWEIN – der Schritt in eine nachhaltige Zukunft | Deutschschweiz (swisswine.ch)


Interessennachweis:
Die Weine wurden (mit Ausnahme des Merlot, von dem ich eine Flasche mit nach Hause erhielt, da eben erst abgefüllt) Ende Januar 2024 bei einem Besuch auf dem Weingut degustiert.

Plant Robez von Blaise Duboux. Ein grandioser Wein – fast der Autobahn zum Opfer gefallen!

Plant Robert ist eine jener Rebsorten, die beinahe ausgestorben wären. Sie kommt auch heute fast nur im Lavaux vor, inzwischen aber mit gesichertem Bestand. Es wäre jammerschade, wenn es anders gekommen wäre – der Wein von Blaise Duboux zeigt das wunderschön!

Es scheint, als wäre der Genfersee, und insbesondere das Waadtland, so etwas wie eine Wiedergeburtsstätte für beinahe ausgestorbene Rebsorten. Kürzlich habe ich hier über den Servagnin berichtet, einen Pinot-Klon, der sprichwörtlich dem Tod von der Baggerschaufel gesprungen ist (Link siehe unten). Etwas weniger dramatisch ist die Geschichte der Plant Robert. Aber auch diese Sorte (bzw. dieser Klon) stand kurz vor dem Verschwinden, da die letzte noch bestockte Parzelle der Autobahn weichen musste (da haben wir die Verbindung zur Baggerschaufel dann auch!). Zwei Winzer aus Epesses bzw. Cully nahmen das aber zum Anlass, die Sorte zu retten und in etwas grösserem Stil wieder anzubauen. Der Wein wurde zuerst nur offen im Restaurant du Raisin verkauft. (Quelle Wikipedia; ich gehe davon aus, dass es sich um die heute mit 14 Gault Millaut-Punkten bewertete, legendäre Auberge du Raisin in Cully handelt). Heute bauen wieder rund 20 Winzerinnen und Winzer die Sorte auf gegen 8 Hektar Fläche an und verpflichten sich in einer Vereinigung, klare Mindeststandards einzuhalten.

Das Lavaux: Unesco-Weltkulturerbe. Blick auf Epesses und die Grand Cru-Lage Dézaley im Hintergrund.

Ein Gamay mit 3R.

Es kann ganz schön verwirrlich sein, aber die gleiche Rebe hat auf kleinstem Raum drei verschiedene Namen. Sowohl Plant Robert, als auch Plant Robez und Plant Robaz sind gebräuchlich. Man spricht deshalb zuweilen auch von der „3R“. Auch wenn man es beim Geniessen dieser Weine kaum glaubt, es handelt sich dabei um einen ertragsarmen (und genau deshalb so wertvollen aber fast ausgestorbenen) Klon des Gamay, der im vorletzten Jahrhundert erstmals erwähnt und beschrieben wurde. Dass sich dieser ausgerechnet in der „Weissweinhochburg“ des Lavaux erhalten konnte, ist eine Geschichte für sich.

Blaise Duboux – 17 Winzergenerationen!

Wenn der Plant Robert dann noch von einem Ausnahmewinzer wie Blaise Duboux gekeltert wird, muss eigentlich schon fast sicher ein guter Wein entstehen. Der kürzlich degustierte Jahrgang 2020 hat aber sogar alle meine Erwartungen übertroffen – das ist schlicht ein grossartiger Charakterwein. Er heisst übrigens Plant Robez – der in Epesses gebräuchliche Name.

Biodynamisch aus Überzeugung.

Charaktervoll ist auch der Winzer selbst. Das liegt schon an der Familiengeschichte – Blaise stellt bereits die 17. Generation dar, welche das Familienweingut führt. Er studierte zwar zuerst Wirtschaft, entschied sich dann aber doch für die Übernahme des Betriebes und damit verbunden für ein Oenologiestudium. Wenn Blaise Duboux sagt, „die Philosophie der Domaine sei heute in erster Linie die des Respekts für das Produkt, sein Land und seine Umwelt“, sind das weit mehr als „grünwaschende“ Worte. Den Tatbeweis trat er schon 2016 an, als er den Betrieb auf Bio umstellte (nach biodynamischen Grundsätzen). Wenn man heute durch das Weltkulturerbe Lavaux spaziert und die – gefühlt – nach wie vor überproportional vielen totgespritzen Böden sieht, kann man vor so viel Weitsicht nur den Hut ziehen. Auf den rund 5 Hektar seines Betriebes spielt natürlich die Chasselas die wichtigste Rolle. Duboux – in Epesses ansässig – besitzt aber auch Land in den beiden Grand Cru-Lagen Calamin und Dézalay. Nebst der Chasselas werden auch Marsanne und Chardonnay gepflegt. Aber auch die roten Sorten sind gut vertreten. Zusätzlich zum Plant Robez werden Pinot noir, Divico, Syrah, Merlot und Cabernet Franc angepflanzt. (Quellen: Homepage von Blaise Duboux sowie www. amiata.ch).

Gamay – Entschuldigung, Plant Robez – ganz gross.

Der degustierte (und inzwischen nachgekaufte und auch nachdegustierte) Plant Robez von Blaise Duboux setzt Massstäbe. Eigentlich ist der Wein mit Nichts zu vergleichen. Im Wissen, dass es eigentlich ein Gamay ist, erkennt man zwar die fruchtige, fröhliche Seite. Daneben weist er aber auch Tiefe und Vielschichtigkeit auf, die ihn einzigartig machen.

Abgesehen davon, dass die Gamay eine ganz tolle und völlig unteschätzte Sorte ist: Wenn Sie das nächste Mal glauben, über Gamay lästern zu müssen, dann greifen Sie doch einfach zum Plant Robert/Robez/Robaz!

Plant Robez 2020, Blaise Duboux
Mittleres, glänzendes Rot, enorm vielschichtige Nase, Brombeeren, Johannisbeeren, Leder-Apfel, Aprikose, Leder, dazu auch würzige Düfte wie Pinie und Lorbeer; im Mund enorme Frische, fruchtig, erstaunlich viel und feines Tannin, schön angepasste Säure, druckvoll, aber gleichzeitig auch elegant, ganz leichter, schöner Bittertouch. Wunderbar trinkfreudiger, aber auch sehr komplexer Wein mit Reserven. 17,5 Punkte.

http://www.blaiseduboux.ch

http://www.plant-robert.ch

Und der Link zum erwähnten Artikel über den Servagnin:

Dem Tod von der Baggerschaufel gesprungen! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Interessennachweis: Der Wein wurde an der öffentlichen Degustation von Sutter Weine verkostet.

Sutter Weine: Onlineshop

Bàrbara Forés, Terra alta. Grandiose, enkeltaugliche Weine – dank der Urgrossmutter!

Kaum 50 Kilometer von der weltberühmten Weingegend Priorat entfernt, gibt es in Katalonien mit der Terra alta ein Anbaugebiet, das hierzulande wenig bekannt ist, das aber tolle Weine hervorbringt. Und das mit Bàrbara Forés qualitativ und ökologisch einen Vorzeigebetrieb aufweist, der als Leuchtturm dienen kann.

Terra alta – der Name ist Programm, denn die Reben wachsen hier auf einer Höhe von 350 – 600 m.ü.M., und die höchste Erhebung im Gebiet bringt es auf fast 1000 Meter. Rebbau hat Tradition, verbriefte Quellen über Planzungen gehen auf das 11. Jahrhundert zurück. Aktuell werden in der vergleichsweise trockenen Gegend rund 6’500 Hektar angebaut (pro Jahr fallen kaum je mehr als 450 mm Regen, etwa die Hälfte der Menge, die in Mitteleuropa gemessen wird). Das nahe Mittelmeer hat zwar einen mässigenden Einfluss auf das Klima, aber kontinentale Einflüsse spielen ebenfalls eine Rolle. Seit 1985 besitzt Terra alta die DO, welche ein Jahrzehnt später in Bezug auf die anfangs sehr eingeschränkte Sortenzulassung etwas liberalisiert wurde. Dennoch sind weiterhin die Garanacha’s (blanca und tinto) sowie Macabeo und Manzuela (hier Samso genannt) die wichtigsten Sorten.

Der Ebro bei Miravet, (fast) die Grenze zwischen den Weinbaubegieten Piorat und Terra alta.

Während es das etwas nördlicher gelegene Gebiet des Priorat inzwischen zu Weltruhm gebracht hat, blieb die Terra alta sehr unbekannt. Dabei werden die Gebiete nur durch den Ebro getrennt (für Puristen: das stimmt nicht ganz, es liegen noch kleine Flächen der DO Tarragona und Montsant dazwischen). Vielleicht fehlt Terra alta einfach ein Zugpferd, wie es Alvaro Palacios beispielsweise für das Priorat darstellt.

Blick aus dem Gebiet Piorat (hier ganz korrekt Montsant) nach Süden. Man hat Blickkontakt mit der Terra alta, welche sich unterhalb des Hügelzuges im Hintergrund befindet.

Bàrbara Forés – zurecht im Parador empfohlen!

Mit Bàrbara Forés besitzt die Terra alta indessen einen Betrieb, der befähigt scheint, ein solches Zugpferd zu werden. Aufmerksam auf die Bodega bin ich im Restaurant des Parador von Tortosa geworden, wo mir der Kellner den „Blanc“ von Bàrbara Forés empfahl, den Basiswein des Gutes aus Garnacha blanca. Für einen Wein in der Preisklasse von 18 Euro (im Restaurant) war er hervorragend.

Leider reichte die Zeit nicht für einen Besuch auf dem Gut, aber zuhause begann ich mich näher damit zu beschäftigen. Und nicht nur die Weine, sondern auch die Geschichte des Gutes ist spannend und begeisternd. Das beginnt schon beim Namen: Bàrbara Forés werden Sie bei einem Besuch nämlich nicht persönlich antreffen, sie hatte den Jahrgang 1828. Aber sie muss eine faszinierende und kraftvolle Persönlichkeit gewesen sein. Sie hatte – mit einem Weinhändler als Vater und einer Bäuerin als Mutter – auch einen grossen Einfluss auf den Betrieb, so dass ihr Sohn Rafael Ferrer Forés ein Weingut gründete und schon Ende des 19. Jahrhunderts selbst Wein abfüllte.

Der Name der Bodega – Tribut an eine starke Frau.

Als ein Jahrhundert später Carmen Ferrer zusammen mit ihrem Mann Manuel Sanmartín die Bodega übernahmen, änderten sie die Namen des Gutes auf Bàrbara Forés – als Tribut an die Urgrossmutter von Carmen. Allein diese Geste lässt aufhorchen. Während andere Winzer und Winzerinnen bei einer Betriebsübernahme oft ihren eigenen Namen in den Vordergrund stellen, wurde hier einer starken Frau aus der Vergangenheit gedacht! Einen ähnlichen Respekt kann man auch auf der Homepage feststellen. Hier werden nämlich die Mitarbeitenden auf dem Betrieb namentlich vorgestellt und in dem Sinne gewürdigt, dass die Arbeit ohne sie gar nicht möglich wäre.

Mehr als einfach „nur“ bio!

Aber auch sonst gingen Carmen Ferrer und Manuel Sanmartín eigene bzw. neue Wege und wurden so etwas wie Pioniere im Gebiet. So wurde das Potential der Garnacha blanca erkannt und diese Sorte in den Mittelpunkt des Betriebes gestellt. Darüber hinaus werden auch autochthone Sorten gepflegt (vgl. Degustationsnotizen zur Morenillo, die praktisch ausgestorben war). Vor allem aber pflegen die Eigentümer auch eine gesamtheitlich ökologische Linie. Bàrbara Forés ist nicht nur biologisch zertifiziert, sondern verfolgt darüber hinaus auch eine Land- und Pflanzenpflege, welche die Fruchtbarkeit des Bodens und die Biodiversität langfristig sicherstellt. Enkeltauglich kann man dem wohl sagen – die Urgrossmutter wäre sicher stolz!

Und die Tochter geht noch einen Schritt weiter.

Inzwischen kann man übrigens schon von der Ur-Urgrossmutter sprechen. Seit 2014 ist nämlich auch die Tochter Pili Sanmartín Ferrer auf dem Betrieb tätig. Sie verfolgt augenscheinlich die gleiche Philosophie, bringt aber auch neue, noch weiter gehende Impulse ein. So schuf sie die Linie „En Moviment“ („in Bewegung“, aber auch „navigieren“ oder „verschieben“), nach eigener Beschreibung „agro-ökologische Weine mit minimaler Intervention“. Bàrbara Forés wäre mit Sicherheit auch auf ihre Ur-Urenkelin stolz! Leider konnte ich diese Weine in Mitteleuropa nicht auftreiben, und das Gut selbst versendet nur innerhalb Spaniens. Bàrbara Forés ist aber für die nächste Katalonienreise mehr als vorgemerkt! Vielleicht ja jetzt auch bei Ihnen?

Degustationsnotizen:

Blanc 2021, Terra alta DO (100 % Garnacha blanca)
(Nachträgliche Notiz aus dem Gedächtnis): Helles Gelb; ausgeprägt fruchtig (Birne, weisser Pfirsich, etwas Zitrus), leicht grüne Töne, ganz leichte, sehr schöne Hefenote; im Mund ausgeprägt frisch, erstaunliche Dichte, passende Säure, langer Abgang. Süffiger, aber keinesfalls harmloser Wein. 16 Punkte.

El Quinta 2020, Terra alta DO (100 % Garnacha blanca)
Eher dunkles Strohgelb; verhaltene Nase mit mineralischem Touch, florale und grüne Noten; Im Mund sehr frisch, mit straffer Säure, mineralisch, aber auch Frucht“süsse“ (Papaya, Aprikose), dabei aber knochentrocken, kraftvoll mit vielleicht etwas viel Alkohol (der aber nicht brandig wirkt), sehr langer, fruchtbetoner Abgang. Mineralisches und auch fruchtiges „Monster“, schöner Wein. 17,5 Punkte.

El Templari 2020, Terra alta DO (100 % Morenillo)
Mittleres Rot mit minimer Trübung; leicher Hefeton, Thymian und etwas rote Frucht, geht in der Nase in Richtung „Naturwein“; im Mund mineralischer Auftakt, mittlere Säure, viel feines Tannin, mittellanger Abgang. Sehr spannender, aber auch fordernder Wein weit abseits des Mainstreams. Mir gefällt der Wein sehr. Ein Beispiel mehr, dass es sich lohnt, sich mit unbekannten Rebsorten zu beschäftigen! 16,5 Punkte.

Coma d’en pou, 2019, Terra alta DO (100 % Garnacha tinto, „field blend“ verschiedener Klone)
Mittleres, glänzendes Rubin, sehr feine Frucht mit Bogen von roten Johannisbeeren bis zu Trockenpflaumen, würzig, leichter Anflug von Tabak, etwas Vanille; im Mund sehr druckvoll und „feurig“, viel enorm feines Tannin (das aber überhaupt nicht „trocknet“), bei aller Kraft auch tolle Eleganz, frisch, schöne Säure und „Saftigkeit“, sehr langer Abgang. Grandioser, eindrücklicher Wein, der noch Reserven hat. 18 Punkte.

🍷 Celler Bàrbara Forés – Vins amb tradició – Gandesa, Terra Alta (cellerbarbarafores.com)

Diverse Bezugsquellen, mit einfacher Suche auffindbar.


Interessennachweis:
Die Weine wurden im Restaurant bzw. im Weinhandel erworben.

Franciacorta: Die heimliche Schweizer Liebe denkt an die Umwelt und das Klima.

Raten Sie mal: In welches Land werden am meisten Weine aus der Franciacorta exportiert? USA? Japan? Deutschland? Belgien? Grossbritannien? Alles falsch! Die Reihenfolge stimmt zwar, aber deutlich davor steht die Schweiz mit einem Anteil von fast jeder vierten Flasche! Vielleicht kann man da sagen: „Champagner predigen und Franciacorta trinken“? Wobei das angesichts des Qualitäts- und Preisniveaus auch ganz vernünftig wäre. Und erst recht aufgrund des weltrekordverdächtigen Bio-Anteils in der Franciacorta.

Vielleicht ist es ja aufgrund der Umsätze in der Schweiz unnötig, aber dennoch: Die Franciacorta liegt am Südufer des Iseosees nördlich von Brescia, dem zu Unrecht unbekanntesten der grossen oberitalienischen Seen. Und Nomen ist manchmal tatsächlich Omen: Das „Francia“ geht zurück auf die Zisterzienser-Mönche aus Cluny (südliches Burgund, unbedingt sehenswert!), die sich in der Gegend vor bald tausend Jahren niederliessen und von der Steuer befreit waren (Francea Curtes = steuerbefreite Hof-/Gerichtszone). Und der Bezug zu Frankeich passt natürlich auch heute: Hier wird hochstehender Schaumwein nach der gleiche Methode wie in der Champagne hergestellt, und auch die Sortenwahl ist fast identisch. Chardonnay und Pinot noir herrschen vor, nur als Nebensorte ist hier Pinot blanc und nicht Pinot meunier zugelassen.

Wunderschöne Gegend: Blick aus Norden auf den Iseosee und Iseo; am Südufer beginnt die Zone für den Franciacorta DOCG.

Im Gegensatz zum französischen Vorbild ist die Geschichte der Schaumweine aus der Franciacorta allerdings noch sehr jung. Die erste Flasche wurde nämlich erst vor rund 50 Jahren (1961) produziert. Schon sechs Jahre später erhielt das Gebiet aber die DOC, doch erst anfangs der 1990-er Jahre kam wirklich Schwung in das Gebiet: Der Name wurde urheberrechtlich geschützt und es wurden neue Produktionsvorschriften erlassen. 1995 wurde das Gebiet schliesslich in den DOCG-Status erhoben. Heute beträgt die Anbaufläche knapp 3’000 Hektar, und über hundert Betriebe verkaufen knapp 14 Millionen Flaschen im Jahr (1980 waren es noch 9 Betriebe mit rund 200’000 Flaschen!). Die Weine der Franciacorta brauchen sich heute im Durchschnitt durchaus nicht mehr vor jenen aus dem französischen Vorbild zu verstecken.

Bio – nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart

Im biologischen Weinbau ist die Franciacorta vermutlich Weltmeister. Rund zwei Drittel der Rebflächen werden hier bereits zertifiziert biologisch bewirtschaftet oder sind in Umstellung. Zwar gibt es noch nicht so viele Flaschen mit dem Bio-Label auf dem Markt. Das liegt daran, dass es Weingüter gibt, die noch nicht die ganze Fläche umgestellt haben und die Biotrauben nicht separat verarbeiten wollen. Zudem lagert der Wein jahrelang, bevor er auf dem Markt kommt – der Markt hinkt deshalb der Realität im Rebberg hinterher.

Erbamat, die Sorte der Zukunft, die dem Klimawandel trotzen soll

Offensichtlich ist man sich am Iseosee, wo die Weine auf einer Meereshöhe von 200 bis 400 Meter wachsen (die Champagne liegt zwar noch tiefer, aber auch etwa 500 Kilometer nördlicher und hat keinen Mittelmeereinfluss) bewusst, dass der Klimawandel einen grossen Einfluss auf den Weinbau haben kann. Vermutlich kommt hier auch die fehlende Tradition zu Hilfe, wenn es um Neuerungen geht. Jedenfalls wurde eine neue Traubensorte zugelassen, die Erbamat. Während Chardonnay und Pinot noir heute schon im August geerntet werden müssen, braucht die Erbamat rund einen Monat länger bis zur Reife. Sie ist seit dem 15. Jahrhundert beurkundet, erlangte aber nie eine grosse Bedeutung und wurde bis vor Kurzem nur noch auf wenigen Hektar in Norditalien angebaut. Sie ist sehr säurebetont, weist einen tiefen Ph-Wert auf und ist relativ neutral im Aroma. Die Hoffnung ist deshalb, dass die Erbamat den Weinen Frische verleihen wird, ohne das aromatische Profil der Franciacorta-Weine deutlich zu verändern. Aktuell ist sie erst bis zu einem Anteil von 10 % erlaubt, womit ihr Potential langsam getestet werden soll. Bisher haben auch erst 10 Weingüter diese Sorte effektiv angepflanzt. Es gibt auch noch kaum Weine mit Erbamat-Anteilen auf dem Markt (siehe dazu weiter unten), aber es wird spannend zu beobachten sein, wie sich das entwickelt. Sieht man den rasanten Aufschwung in der Franciacorta der letzten 50 Jahren an, dürfte es nicht lange dauern, bis wir Schaumweine mit Erbamat-Anteil geniessen!

Verschiedene Schaumwein-Typen

Die Bezeichnung und die dafür zulässigen Rebsorten, die Lagerung, der Druck und die Dosage sind in der Franciacorta klar geregelt. Abgesehen von den Jahrgangsweinen und den Riservas gibt es drei Typen:

„Franciacorta“ steht für einen Grundwein aus Chardonnay, Pinot noir, Pinot blanc (höchstens 50 %) und Erbamat (höchstens 10 %), wobei sortenreine Weine aus Chardonnay oder Pinot noir möglich sind. Die Flaschen müssen nach der zweiten Gärung mindestens 18 Monate in der Flasche reifen und der Druck liegt zwischen 5 und 6 Atmosphären. Zudem kann dieser Wein in der Dosage mit Zero, Extra Brut, Brut, Extra Dry, Dry und Demi Sec hergestellt werden. Die möglichen Varianten aus Traubensorten und Dosage sind also fast unerschöpflich.

„Franciacorta Satèn“ ist eine Exklusivität der Gegend. Er darf nur aus Chardonnay (mind. 50 %) und Pinot blanc (höchstens 50 %) hergestellt werden, muss 2 Jahre in der Flasche lagern und darf nur als Brut auf den Markt kommen (wobei es durchaus tiefere Zuckerwerte gibt, die Bezeichnung lautet dann aber trotzdem Brut). Der entscheidende Unterschied liegt aber im Druck der Flasche; dieser muss unter 5 Atmosphären liegen – der Satèn sprudelt also etwas weniger und wirkt dadurch runder und „weiniger“.

„Franciacorta Rosé“ schliesslich kann wieder aus allen vier Traubensorten bestehen, vorgeschrieben sind aber mindestens 35 % Pinot noir. Die Flaschenlagerung muss 2 Jahre dauern. Die übrigen Vorschriften entsprechen jenen des „Franciacorta“.

Kleine Degustation in Zürich

Sehr sympathisch, professionell und unterhaltsam gleichzeitig: Sommelier Nicola Mattana.

Die allermeisten Betriebe der Region sind Mitglied im „Consortio per la tutela del Franciacorta“. Und dort ist man sich natürlich der Bedeutung des Schweizer Marktes bewusst. Kürzlich fand deshalb auf Einladung des Konsortiums eine kleine Präsentation und Degustation im „Signau House & Garden“ in Zürich statt (das „Signau“ ist übrigens ein Hotel in toller, aber ruhiger Lage mit einem wunderschönen Garten – eine echte Oase beim Kreuzplatz, relativ nahe des Stadtzentrums). Präsentiert wurden je ein Wein der drei Grundtypen, und die Präsentation lebte vor allem auch vom Charme und dem Fachwissen des beigezogenen Sommeliers Nicola Mattana.

Besonders gefallen hat mir dabei der Franciacorta „Golf 1927“ von Barone Pizzini:

Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; dezente, frische Frucht mit etwas Brioche und leichtem, schönem Hefeton; im Mund feingliedrig und elegant, trocken aber nicht knochentrocken wirkend (4 g RZ und 8 mg Säure). Schöner Schaumwein, der trotz Schwergewicht auf der Eleganz durchaus auch gehaltvoll ist. 16,5 Punkte.

Und wenn wir schon bei Barone Pizzini sind: Dieses Haus war nicht nur der erste Bio-Betrieb, sondern auch der erste, der im vergangenen Jahr mit dem „Animante“ einen Franciacorta mit einem Anteil der Rebsorte Erbamat auf dem Markt brachte (der Anteil beträgt noch bescheidene 3 %). Falls Sie danach suchen, achten Sie auf das Datum der Flaschenfüllung vom April 2019 oder später. Vorausgegangen waren die Pflanzung der Sorte auf rund einer Hektar im Jahr 2008 und viele Versuche in der Vinifikation. Daraus resultierten Weine, die leider nie auf dem Markt erscheinen durften, da ihr Erbamat-Anteil zu hoch war (erlaubt sind 10 %, siehe oben), aus denen aber sehr viel Wissen über das Verhalten der Erbamat gewonnen werden konnte.

Vorbildliche Information auf den Flaschen

Toll ist übrigens, dass auf fast allen Flaschen aus der Franciacorte die technischen Daten wie Säure und Zuckergehalt vor allem aber auch das Datum der Flaschenfüllung und des Dégorgements angegeben werden. Da könnten sich viele Francesi ein Vorbild nehmen!

Franciacorta: Nach uns die Zukunft! Das italienische „Qualitäts-Schaumweinzentrum“ auf dem Weg zur Nachhaltigkeit.

Ach ja, und übrigens gibt es aus der Franciacorta auch stille Weine, ein Beispiel siehe hier:
Ca‘ del Bosco – eine Perle mit mehr als nur Perlen – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Links:
Consorzio tutela del Franciacorta, Strada del Franciacorta
Barone Pizzini: Organic Winery in Franciacorta


Interessennachweis:
Dieser Artikel entstand aufgrund der Anregung im Rahmen der oben beschriebenen Einladung des Consortio per la tutela del Franciacorta, im Weiteren aber ohne jede Einflussnahmen oder Verpflichtungen des/gegenüber dem Konsortium oder einzelner Produzenten.

Grillo und Italien? Wenn es um Wein geht, kann das grossartig sein! 50 Anni Grillo von Massimo Maggio.

Wer heute Grillo hört, denkt vielleicht als erstes an die verkachelte italienische Politik. Es mag tröstlich sein: Politiker kommen und gehen, Reben bleiben, auch wenn sie Hochs und Tiefs erleben.

Der vorstehende Lead stammt aus einer Weinbeschreibung von Delinat zum „50 Anni Grillo“ von Massimo Maggio, dem Wein, um den es in diesem Beitrag geht. Dieser Weisswein aus der fast nur in Sizilien vorkommenden Traubensorte Grillo hat mich begeistert.

Ganz grundsätzlich beobachte ich Delinat und dessen Weine praktisch seit es die Firma gibt, also bereits Jahrzehnte. Und eigentlich gibt es keine sympathischere Weinhandlung, denn hier geht es nicht einfach um Weinhandel, sondern vor allem auch um biologischen Anbau und seit einiger Zeit ganz besonders auch um Nachhaltigkeit und Biodiversität. Das Gut von Massimo Maggio ist beispielsweise mit 3 „Schnecken“ ausgezeichnet, was bedeutet, dass es nicht nur die Richtlinien von Delinat zum biologischen Landbau und zur ökologischen Vielfalt einhalten muss, sondern auch 100 % des Energieverbrauchs aus regenerierbaren Quellen bezieht.

So gesehen, erfüllt eigentlich jeder Delinat-Wein die Prämisse meines Weinblogs: „alles ausser gewöhnlich“. Und Delinat verfügt auch über viele Weine, die rundum begeistern. Einige habe ich hier schon früher schon mal beschrieben:

Roches d’Aric: reinste biologische Medizin! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Extrem lehrreich: „single variedad Rioja“ – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Ich verschweige allerdings auch nicht, dass mich degustativ längst nicht alle Weine von Delinat begeistern (auch wenn alle immer mindestens korrekt sind). Das liegt teilweise daran, dass viele Weine bewusst keine grossen Gewächse sind, dafür sehr preiswert und – im Gegensatz zu den Anfängen der Bioweine – in jedem Fall sauber und süffig. Das liegt aber auch daran, dass ein recht hoher Anteil der Weissweine mit Restsüsse ausgebaut sind. Das liegt ja durchaus im Trend und trifft den Geschmack vieler – meinen aber ganz einfach nicht, und deshalb habe ich bei aller Sympathie vor einigen Jahren auch die Degustationspakete abbestellt.

Nun habe ich aber kürzlich im Verkaufsladen in Winterthur ein paar Einzelflaschen gekauft, und die bisher probierten haben mich überzeugt. Geradezu begeistert war ich eben von diesem Grillo:

Das Weingut Maggiovini in der Nähe von Ragusa auf Sizilien. 100 % der nötigen Energie stammt aus erneuerbaren Quellen (Bild ab Homepag des Gutes).

50 Anni Grillo 2020, Massimo Maggio
Mittleres Gelb; sehr fruchtige, fast etwas süsslich wirkende Nase; Papaya, Aprikose, Reineclaude, leichter Holzton; im Mund frisch, dichte Struktur, schöne Säure, fruchtbetont, spürbares, aber sehr schön integriertes neues Holz, langer Abgang. Sehr überzeugender Wein. 16,5 Punkte.
PS: Und das zu einem Preis von CHF 11.30!

Alles Weitere zu diesem Wein und zum Betrieb brauche ich nicht abzuschreiben, das können Sie gut selbst direkt hier lesen:
50 Anni Grillo | Bio Weisswein | jetzt online bestellen | Delinat

Und hier noch der Link zum Weingut selbst:
Maggio Vini • azienda vitivinicola siciliana


Interessennachweis: Der Wein wurde direkt im Delinat-Laden zu normalen Konditionen gekauft.

Die 2020-er der Domaine Léandre-Chevalier: Ein genialer Neustart!

Grossartig, was Dominique Léandre-Chevalier und Reto Erdin im ersten Jahrgang nach der Wiedergeburt der Domaine im Bordelais präsentieren! Jetzt muss nur noch die Weinwelt endlich merken, welche tolle Weine hier kreiert werden!

Dominique Léandre-Chevalier war Insidern schon lange ein Begriff, denn er produzierte an den Cotes de Blaye, also quasi am „falschen“, rechten Ufer der Garonne, jahrelang authentische, manchmal auch etwas verrückte, aber immer hervorragende Bordeaux-Weine auf Spitzenniveau. Leider vergass der Qualitätsfanatiker Léandre-Chevalier dabei, dass auch die kommerzielle Seite stimmen muss, und so musste er die Domaine aufgeben. Die schon fast wundersame Rettung kam durch den Schweizer Reto Erdin, der das Gut erwarb und zusammen mit Dominique Léandre-Chevalier wieder aufbaute. Details zu diesem Abenteuer hier:
Domaine Léandre Chevalier: Die märchenhafte Rettung eines Ausnahmegutes in Bordeaux! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Mit dem 2020-er liegt nun der erste gemeinsame Jahrgang von Dominique und Reto vor oder kommt demnächst in den Verkauf. Wenn man Reto Erdin zuhört staunt man, welch grosses Wissen er sich schon angeeignet hat, und wie sehr er sich auch selbst einbringt – auch wenn er das Genie des Léandre-Chavalier weiter wirken lässt.

Ich hatte die Gelegenheit, alle Weine des Jahrgangs 2020 (ausser dem Rosé) bei Reto Erdin zu degustieren. Und ich kann es kurz machen:

Der Jahrgang 2020 der Domaine Léandre-Chevalier (DLC) ist hervorragend gelungen! Welch toller, vielversprechender Neustart!

Natürlich hat es auch die Natur in diesem Jahr sehr gut gemeint, aber trotzdem kann man nur den Hut davor ziehen, was hier in die Flasche gelangte. Die Weine sind zwar gegenüber früher etwas teurer geworden, aber das ist ja nicht verwunderlich, denn es wird weiterhin alles unternommen oder ausgebaut, was der Qualität zuträglich ist. Und auch an die Umwelt wird gedacht: Die Domaine arbeitet biologisch (wenn auch unzertifiziert) und ist dafür seit Kurzem als CO2-neutral anerkannt!

Und dass dieser Qualitäts-Fanatismus ohne angemessene Verkaufspreise nicht funktioniert, wurde auf dem Gut ja schon negativ „bewiesen“. Reto Erdin sagt denn auch klar, er betreibe die Domaine als Hobby, und das Ziel sei lediglich, innert nützlicher Frist Break-Even zu erreichen. Aber aktuell läuft es wirtschaftlich nicht gerade gut. Zwar blieben einige der bisherigen Absatzwege im Fachhandel erhalten, aber die Gastronomie in Frankreich, die früher ein sehr wichtiger Kanal war, ist aufgrund der Coronakrise fast völlig weggebrochen. Nur gut, dass es sich um sehr langlebige Weine handelt!

Reto Erdin, der neue Besitzer der DLC – er setzt die Qualitätsphilosophie vollumfänglich fort!

Tiefgründige, lebendige Rotweine – perfekt auch für die Gastronomie

Dabei, da war sich die kleine Degustationsrunde einig, würden sich die Weine der DLC hervorragend für die Gastronomie eignen (für die Privatgebrauch natürlich ohnehin!). Vom günstigen (CHF 17.90) Einstiegswein in Rot, dem „Gentilhomme“, einem fruchtbetonten, fröhlichen, merlotlastigen Wein, der trotz fehlendem Holz ganz „Bordeaux“ ist und viel Tiefgang aufweist, bis zum Paradewein DLC Tricolore, einem reinen Petit Verdot aus alten, wurzelechten Reben, der sündhaft teuer ist (CHF 150.00), der mit seiner Kraft und Finesse aber absolut begeistert und den man nur zu gerne einmal als Pirat in einer ganz höchstklassigen Serie sehen würde. Und dann wäre da ja noch „Le Joyau“, der Klassiker der Domaine mit gleichen Anteilen an Merlot und Cabernet Sauvignon sowie etwas Petit Verdot, den man mit seinen CHF 39.00 problemlos vielen teureren Cru Bourgeois und auch Classés vom anderen Ufer der Gironde gegenüberstellen (und vorziehen) kann.

Dazu eine kleine Geschichte am Rand: Ich trank während der Degustation keinen Schluck, schliesslich brauche ich meinen Fahrausweis noch. Dafür durfte ich den nicht zu knappen Rest des Joyau mit nach Hause nehmen. Dort habe ich ihn genossen – und wie! Unglaublich, wie zugänglich und saftig er sich im Moment gibt, und wie viel Finesse und Tiefgang er aufweist. Und mit jedem Schluck, wohl auch mit jedem Luftkontkakt mehr, wurde er noch besser und die Aromen noch abwechslungsreicher und spannender. Es war fast ein wenig ergreifend – mon Dieu, wie ich diesen jungen Wein genossen habe!

Zurück zur Gastronomie: Wenn ich ein Restaurant führen würde, käme der Gentilhomme sofort in mein Sortiment der Offenweine. Der hat alles, was es für einen ernst zu nehmenden Essensbegleiter braucht, er ist ein „Flatteur“, ohne anzubiedern. Und dank seiner aktuell etwas reduktiven Art kann er auch mal ein paar Tage offen bleiben, ohne gleich an Qualität zu verlieren.

Die Parade der roten 2020er der DLC – hochkarätig in allen Preissegmenten.

Spannende, eigenständige Weissweine

Sehr bemerkenswert ist auch das Sortiment der Weissweine. Allerdings handelt es sich nur in zwei Fällen um klassische Weisse. Die DLC stellt nämlich gleich mehrere Weissweine aus Rotweintrauben her. Was anfangs mehr als Anpassung an den Zeitgeist gedacht war (die Konsumenten wollen auch im inzwischen oft heissen Bordeaux Weissweine, und die Bestockung mit Weissweintrauben hinkt eher hinterher), hat sich bei der DLC zu einem eigenständigen Weinstil entwickelt. Die absolute Rarität, einen weissen Cabernet-Sauvignon, hatte ich hier schon einmal beschrieben:
Domaine Léandre-Chevalier: Die letzten Weine von der Insel. Und ein herrlicher Weisswein voller Rätsel. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog) (siehe unten im Beitrag).

Ab 2020 gibt es den reinen CS als „Blanc de noir Cuve“ aus dem Stahltank. Neu gibt es aber nun auch noch – im Holz ausgebaut – einen weissen Merlot (Le Flatteur) sowie eine Mischung aus Merlot und CS, den „Blanc de noir fût“.

Ganz neu für die Domaine sind aber zwei „echte“ Weissweine aus Sauvignon blanc. Da ist zuerst der bemerkenswerte „Le Séducteur“, ein in neuem Holz ausgebauter Wein mit nur 11 % Alkohol (Ernte am 1. September 2020!), und dann der „Vin d’Amphore“, ein Orangewein, dem man aber freilich nur am Duft anmerkt, dass er ein „Vin orange“ ist.

Degustationsnotizen in Kurzform:

Weissweine:

Vin d’Amphore 2020, Sauvignon blanc, 10 Tage an der Maische (Orangewein, aber kein „Naturwein“ und deshalb auch haltbar), nur ca. 11 % Alkohol.
Mittleres Gelb (nicht wirklich „orange“); Lychee, Papaya, Schwarztee; knochentrocken, schöne, eher weiche Säure, leicht adstringierend, langer Abgang. Sehr spannender Wein. 16,5 Punkte.

Le Séducteur 2020, Sauvignon blanc, in neuen Barriques ausgebaut, nur ca. 11 % Alkohol
Intensiv, aber schön holzbetont, etwas Zitrusfrucht, weisse Johannisbeeren; tolle, knackige, aber nicht übertriebene Säure, sehr frisch, ganz leicht adstingierend, schlank, aber trotzdem mit einem gewissen Schmelz, langer Abgang. Schöner, durch seinen tiefen Alkoholgehalt eigenständiger SB. 17 Punkte.

Blanc de noir Cuve 2020, Cabernet Sauvignon weiss ausgebaut, Stahltank
Frische, knackige Frucht (Stachelbeeren, weisser Pfirsich, etwas Zitrus); Im Körper spürt man die Rotweinsorte, dicht, mit toller Säure, mundfüllend und rund, spürbarer, aber gut eingebundener Alkohol, mittlerer Abgang. Spannender Wein! 17 Punkte.

Blanc de noir Fût 2020, je 50 % Cabernet Sauvignon und Merlot, weiss ausgebaut in Barriques
Exotische Frucht, viel neues Holz; im Mund rund, fast etwas mollig, eher tiefe Säure, aber mit schöner Frische, spürbare, aber nicht dominante Restsüsse, Alkohol im langen Angang leicht spürbar. Spannender, vielen wohl sehr gefallender Wein; zu einer Käseplatte wohl rundum perfekt. 16 Punkte.

Le Flatteur 2020, 100 % Merlot, in neuem Holz ausgebaut und die „Malo“ durchlaufen
Süsslicher Duft, exotisch nach Ananas und Papaya, etwas Lindenblüte; im Mund mit ziemlich dominanter Restsüsse (auch wenn der Wein noch als trocken gilt), mollige Rundheit, spürbare, aber eher dezente Säure. Geschmacksache, durchaus spannend, vielen wird der sogar sehr gefallen, aber von mir gibt es der Molligkeit wegen nur 15,5 Punkte (was immer noch „gut“ bedeutet!)

Rotweine:

Le Gentilhomme 2020 (80 % Merlot, 20 % Cabernet Sauvignon)
Zuerst sehr reduktive Töne in der Nase, ohne Luft fast schon störend nach Vulkan und Pferdestall. Mit etwas Luft dann plötzlich nur noch sehr fruchtig (Brombeer, Pflaume), etwas rote Peperoni; im Mund sehr ausgewogen, rund und üppig, mit toll eingebundener Säure, fruchtig. Mittlerer Abgang. Süffiger, fruchtiger Wein, der aber auch eine erstaunliche Stuktur und „Rückgrat“ aufweist. Auch wenn es abgelatscht ist: Preis-/Leistung fast unschlagbar! 16 Punkte.

Le Joyau 2020 (48 % Merlot, 48 % Cabernet Sauvignon, 4 % Petit Verdot), 100 % neue Barriques
Sehr noble Nase, Zedernholz, Tabak, dunkle und getrocknete Früchte, keine Spur von Neuholz zu riechen!; im Mund elegant, feingliedrig aber auch druckvoll, enorm vollgepackt mit sehr feinen Tanninen, im Moment sehr fruchtbetont und extrem „saftig“, langer Abgang. Rundum einfach ein toller Wein! 18 Punkte.

33’333, 2020 (100 % Merlot aus Parzelle mit 33’333 Stöcken pro Hektar („normal“ sind ca. 5’000 bis 8’000).
In der Nase noch etwas verhalten, etwas Brombeer und Zwetschge; im Mund mit enormer Finesse, herrlich feine Tannine, gut integrierte Säure, leicht spürbar neues Holz, spürbare Fruchtsüsse macht ihn rund und – sorry für den Ausdruck – „wohllüstig“. Ich habe schon „klassischere“ 33’333 gehabt, aber der 2020er ist ein tolles, rundes „Elixier“. 18 Punkte.

100 % Provocateur 2020 (100 % Petit Verdot, ebenfalls aus einer Parzelle mit rund 33’000 Stöcken)
Wirkt aktuell etwas im Tiefschlaf, sehr zurückhaltende, verschlossene Nase mit edlen Düften nach Zedern und angetönter Frucht; im Mund enorme Menge an schönen Tanninen, aktuell etwas „trocknend“, schöne Säure, elegant und dicht. Für mich in Moment schwer beurteilbar, wirkt gerade etwas spröde, aber wenn ich an frühere Jahrgänge denke, hat er eine grosse Zukunft. 17,5 Punkte (was vermutlich zu wenig ist).

Tricolore 2020 (100 % Petit Verdot, Parzelle mit rund 33’000 Stöcken, aber alle alt und wurzelecht)
Fazinierende Nase auf der würzigen Seite, Sandelholz, dezent Eucalyptus, dunkle Frucht; im Mund umwerfend: extreme Dichte, fast zum Abbeissen, gleichzeitig aber fein und extrem elegant, tolle Säure und viele, aber enorm feine Tannine, äusserst langer, eleganter Abgang. Traumhaft! 19 Punkte.

Zur Homepage mit Onlineshop:

Hommecheval – Weingenuss aus dem Bordeaux

Die meisten Weine werden in der CH auch durch Gerstl und in D durch Lobenberg vertrieben.

Die perfekte Online-Degustation? „Österreich Wein“ weiss wie!

Weine probieren und gleichzeitig mit dem Winzer fachsimpeln? Neue Kontakte knüpfen? Unbekannte Weine kennenlernen? Das geht alles, wenn man das Format wählt, das Österreich Wein für eine Onlinedegustation angewandt hat. Vorbildlich und zukunftsträchtig!

Österreich Wein hat es in der Schweiz schon seit zwei Jahrzehnten verstanden, mit cleveren und innovativen Aktionen auf die hervorragenden Tropfen aus dem Nachbarland hinzuweisen. Mitte Oktober hat die Marketingorganisation für den österreichischen Wein aber einen neuen Meilenstein gesetzt. Für ein Fachpublikum war eine Onlinedegustation der anderen Art ausgeschrieben.

Kurz zusammengefasst, konnte man aus einer Vielzahl von Winzern deren 12 auswählen, und von diesen wurden kurz vor der Degustation je 6 Weine in Kleinflaschen zu einem dl zugestellt. Die Onlinedegustation dauerte den ganzen Tag, und es war für jeden Teilnehmer möglich, für jeweils 15 Minuten eine individuelle Onlineschaltung mit dem Winzer zu buchen. Mit anderen Worten, man konnte die Weine degustieren und gleichzeitig mit den Machern der Weine darüber fachsimpeln! Darüber hinaus war es auch möglich, Online-Diskussionen mit anderen Winzern oder Fachpersonen abzumachen. Alles in allem: ein geniales Format, welches das Potential zeigt, das in Online-Veranstaltungen steckt! Und das nicht nur für ein Fachpublikum – ich hätte auch einfach als Weinfreund durchaus etwas bezahlt, um zu einer solchen Gelegenheit zu kommen. Schliesslich liegen die österreichischen Weinbaugebiete ja nicht gleich um die Ecke!

Wein-Schlaraffenland: 72 Weinmuster direkt aus österreichischen Kellern! Im Kühlschrank für die Online-Degustation bereit. Milch, Käste und Konsorten mussten derweilen an die Wärme …

Eindrücklich war gesamthaft auch die Qualität der präsentierten Weine. Kaum einer fiel ab, und für mich erwies sich die Degustation ein ganzes Reservoir für kommende Beiträge. Dabei hatte ich – mit zwei Ausnahmen wie nachstehend beschrieben – bewusst nicht die grossen Namen ausgewählt, vielmehr mir ganz oder wenig bekannte Güter berücksichtigt, um Neues kennenzulernen. Das gelang, und wie!

Sehr positiv aufgefallen sind mit dem Gesamtsortiment Namen wie Kiss und Leitner aus dem Burgenland sowie Wohlmuth aus der Südsteiermark, zu welchen ich noch einen separaten Beitrag schreiben werde. Aber auch die beiden genialen Naturweine von Kolkmann (2018 Wagram Grüner Veltliner „Naturwerk“) und Markus Huber (2020 Weinland, Grüner Veltliner „Metamorphosis Natural Wine) sind einer genaueren Betrachtung wert:

Kolkmann: Mitteldunkles, volles Gelb; Apfel (Boskoop und Cox-Orange), exotische Früchte wie Papaya und Mango, ganz leicht medizinal; im Mund extrem dicht gewoben, „süsslich“ wirkend ohne gross Restsüsse aufzuweisen, schöne Säure, fruchtbetont. Ein Naturwein zum Verlieben, 17 Punkte

Huber: Helles Gelb mit grünlichen Noten; in der Nase mit sehr feinen Tönen nach Muskat (man könnte an einen Gelben Muskateller denken), Zimt und Mirabellen; schöne, elegante Struktur, enorme Frische, leichter, aber schöner Bittertouch im langen Abgang. Schöner, erfrischender und eigentlich mit Nichts an einen Naturwein erinnernder Tropfen. 16,5 Punkte.

Dabei hatten es alle erwähnten Güter ja wirklich nicht einfach, denn ich hatte den Tag mit Bründlmayer und Jurtschitsch begonnen, Und ja, da ging ein qualitatives Feuerwerk ab! Sieht man einmal bei Bründlmayer – ausgerechnet – vom etwas „mostigen“ GV Selektion Mövenpick ab, überzeugten alle Weine auf einem extrem hohen Niveau. Es war spannend, die Weine der beiden Güter gleich nacheinander im Glas haben zu können. Auf der einen Seite die eleganten, fein ziselierten Weine von Bründlmayer, auf der anderen die kräftigeren, vielleicht auch „burschikoseren“ Tropfen von Jurtschitsch – aber beide auf einer qualitativen Höhe, vor der man nur den Hut ziehen kann. Und für alle, die es nicht wissen: Die beiden Betriebe arbeiten bio-dynamich bzw. biologisch – ein Beispiel mehr dafür, dass führende Betriebe mit der Natur arbeiten!

Besonders erwähnenswert sind bei Bründlmayer der Grüne Veltliner 2019 „Ried Kammerer Lamm“ und der Riesling 2019 „Ried Zöbinger Heiligenstein“, beides hochelegante, aber gleichzeitig extrem dichte und irgendwie auch monumentale Weine. Bei Jurtschitsch begeisterten ebenfalls der Riesling 2019 „Ried Heiligenstein“ sowie der Grüne Veltliner 2019 „Ried Käferberg“ am meisten, beide eine Spur kräftiger und zupackender, aber trotzdem auch mit einer sehr eleganten Seite. (Sehr positiv aufgefallen ist übrigens auch der Grüne Veltliner 2020 „Belle Naturelle“, ein toller Naturwein, der 10 Tage offen an der Maische vergoren wurde, 10 Monate auf der Feinhefe verbrachte und mit nur 10 mg schwefliger Säure an den Weinfreund entlassen wurde. Zusammen mit den beiden oben erwähnten „Naturweinen“ ein perfekter Botschafter für diesen Weinstil.)

Zurück zu Bründlmayer vs. Jurtschitsch: Die Qualitäten beider sind grossartig, und letztlich ist vieles auch eine Stil- bzw. Geschmacksfrage. Für mich persönlich ist es ein Unentschieden auf extrem hohem Niveau.

Und wenn Sie sich jetzt vor Augen führen, wie sehr mir später am Tag viele andere Weingüter gefallen haben, dann zeigt das nur, wie hoch das Qualitätsniveau in Österreich inzwischen ist. Und die Marketing-Organisation „Österreich-Wein“ lässt sich von diesem Qualitätsdenken ganz offensichtlich mitreissen!

Vielleicht bietet sie ja das gleiche Format demnächst auch für die breite Wein-Öffentlichkeit an? Ich bin überzeugt, dass das Zukunft haben wird.

Da tut sich was … die Bündner Herrschaft wird grün!

Zwei Neuigkeiten aus der Bündner Herrschaft haben mich in diesen Tagen erreicht: Das Weingut Luzi Jenny stellt auf biologischen Rebbau um und Möhr-Niggli wurde Fair’n Green zertifiziert. Zwei verschiedene Wege mit dem Ziel, den Weinbau nachhaltiger zu gestalten.

Die Liste der Betriebe, die in der Herrschaft inzwischen biologisch oder bio-dynamisch arbeiten, wird immer länger: Georg Fromm, Jan Luzi, Francisca + Christian Obrecht, Markus und Karin Stäger und seit Kurzem auch Irene Grünenfelder mit Sohn Johannes Hunger. Und schon viel länger gibt es Winzer wie Anti Boner (heute Luzi Boner und Anna Rasi), Gody Clavadetscher (heute Roman Clavadetscher und Valérie Cavin), Louis Liesch und Heiri Müller (dessen Trauben heute von Marco Casanova verarbeitet werden), die auf Bio setzten. Für ein vergleichsweise kleines Weinbaugebiet ist das eine imposante und vielleicht sogar rekordverdächtige Liste, von der ich nicht einmal sicher bin, ob sie vollständig ist (Wegelin z.B. hatte zumindest mal mit Bio experimentiert).

Luzi Jenny – da tut sich was

Nun kommt mit Luzi Jenny aus Jenins ein weiterer Winzer dazu. Der Familienbetrieb von Vater und Sohn Luzi sowie Tilli und Amanda hat in ihrem jüngsten Aussand mit der meinem Artikel titelgebenden Überschrift „da tut sich was …“ über die Zertifizierung als Bio-Betrieb informiert. Mensch und Natur ins Gleichgewicht bringen und auch zu erhalten, lautet das Credo.

Die Weine von Luzi Jenny haben mich schon in den letzten Jahren immer überzeugt, auch wenn mir persönlich die Weissen zuweilen eine Spur zu viel Restsüsse aufwiesen. Ich habe mich oft gefragt, warum dieser Betrieb nicht bekannter ist. Aber vielleicht ändert das ja nun nach der Umstellung auf Bio? Jedenfalls habe ich den Aussand zum Anlass genommen, meine letzte Flasche Zweigelt aus dem Jahr 2013 aus dem Keller zu holen. Der junge Wein hatte mich echt begeistert, aber nun nahm ich an, dass er wohl zu alt sei und nicht mehr viel Freude machen würde. Ich hatte diese eine Flasche nur liegen gelassen, weil mich das Alterungspotential interessierte. Aber siehe da, dieser Zweigelt ist auch nach 8 Jahren von voll im Schuss:

Zweigelt 2013, Luzi Jenny, Jenins
Mittleres Rubin ohne jeden Alterston in der Farbe; leicht reduktiv, zuerst sehr verhalten, mit etwas Luft dann Johannisbeeren und Waldpilze; im Mund „feurig“, schöne Säure und feine, gereifte Tannine, wirkt noch sehr „saftig“ und frisch. Im mittleren Abgang leicht trocknend. Rundum schön gereifter Wein, der noch voll in Form ist. 16,5 Punkte (= sehr gut).

Möhr-Niggli: Fair’n Green

Einen anderen, interessanten Weg gehen Matthias und Sina Gubler-Möhr mit dem Weingut Möhr-Niggli in Maienfeld. Die beiden, die sich in den letzten Jahren zu Recht zu so etwas wie den „Shooting-Stars“ der Herrschaft entwickelten, teilen in ihrem aktuellen Aussand mit, dass sie neu das Zertifikat „Fair’n Green“ erlangt haben. Dieses Label steht in seinen Richtlinen in Bezug auf Pflanzenschutz und Düngung zwar deutlich hinter jenen eines Bio-Betriebes, berücksichtigt aber dafür auch wirtschaftliche und soziale Themen (z.B. Umgang mit Personal und saisonalen Arbeitskräften), enthält Zielsetzungen zum CO2-Ausstoss und zur Biodiversität und umfasst die gesamte Wertschöpfungskette.

Ich kannte das Label bisher nicht, aber ein Blick auf die Homepage und in die Richtlinien macht einen seriösen Eindruck. Auch der Umstand, dass Betriebe wie etwa Georg Breuer und Clemens Busch, oder in der Schweiz das Weingut zum Sternen von Andreas Meier mit dabei sind, wirkt vertrauenserweckend. Die umfangreichen Richtlinien wirken zwar eher wie ein Leitbild denn wie eine verbindliche Vorschrift. Aber wer sich solche Gedanken macht und sich auf ein solches Label einlässt, hat mich Sicherheit einen weiten Horizont und ist auf einem vorbildlichen Weg.

Auch die Broschüre von Möhr-Niggli habe ich zum Anlass genommen, eine Flasche alten Weins hervorzuholen, den „normalen“ Pinot noir aus dem Jahr 2010. Auch dieser Wein erwies sich, engegen meiner Annahme, noch als absolut trinkbar, wobei er aber schon sehr gereift ist:


Pinot noir 2010, Möhr-Niggli (6 Monate Barrique)
Gereiftes, helles Rot mit bräunlichen Reflexen; in der Nase noch erstaunlich fruchtig (Himbeeren und Mango!), leichter Anflug von Champignons; im Mund eher schlank, ziemlich mürbe und deshalb nicht mehr so präsente Tannine, aufgrund der Entwicklung des Weins etwas „spitz“ wirkende Säure, hat gesamthaft aber noch eine schöne Frische. Mittlerer Abgang.

Ich gebe hier keine Note, und ich kannte den Wein auch nicht in einem jungen Stadium (ich habe ihn erst kürzlich auf Ricardo erworben). Zweifellos hat er aber in seinen ersten Jahren enormen Trinkpass gemacht, Dass dieser Pinot nach 10 Jahren nicht mehr in Höchstform ist, überrascht ja nicht. Die besten Weine von Möhr-Niggli können indessen sehr gut altern. Das beweist der seit 2013 hergestellte „Pilgrim“, der sich mit Sicherheit nach 10 Jahren erst so richtig dem Höhepunkt nähern wird. Ich kann aber auch auf den 2009-er Clos Martha aus Baselland verweisen, der mir an einer Degustation zum 10-Jahr-Jubiläum von 15 Spitzenpinots aus der Schweiz am besten gefallen hat! Siehe hier:
Le vin suisse existe – même après dix ans! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Domaine Schwandegg – ein bisschen Natur 😉

Und weil es so gut zum Thema Natur passt, zum Schluss noch ein kleiner Blick in meinen eigenen Hobby-Rebberg. Ich bewirtschafte seit 33 Jahren 4 Aaren Pinot noir (Klon Mariafeld) am Fusse des Schloss Schwandegg in Waltalingen ZH. Der Rebberg ist in Sachen Umwelt und Biodiversität nicht vorbildlich, aber ich arbeite seit zwei Jahren an Verbesserungen. Ein kleiner Lichtblick war schon im letzten Jahr die erstmalige Beobachtung von Zauneidechsen. Und gestern nun konnte ich eine sogar fotographieren. Einfach nur berührend schön!

Eine Freude: Zauneidechse im eigenen Rebberg!

Die Degunotiz meines heute geöffneten 2010-ers erspare ich Ihnen. Aber auch dieser Wein ist noch trinkbar. Freude macht er aber nicht mehr gross.


Biologischer Weinbau aus Liebe zur Natur – Luzi Jenny
MÖHR-NIGGLI Weingut Maienfeld (moehr-niggli.ch)

FAIR’N GREEN | Standard für Nachhaltigkeit (fairandgreen.de)


Stephan Herter, der Winzer mit den richtigen Rezepten: Einsatz, Beharrlichkeit und Empathie!

Stephan Herter zeigt am Winterthurer „Taggenberg“, dass er als gelernter Koch auch in der Weinherstellung die richtigen Rezepte gefunden hat. Seine Weine sind hervorragend und gleichzeitig sowohl klassisch wie auch eigenständig.

Eigentlich ist er ja gelernter Koch, und dank einem sehr guten Lehrabschluss hatte er die Möglichkeit, sich in der absoluten Spitzengastronomie weiter zu entwickeln. Allerdings kam Stephan Herter da auch intensiv mit Wein in Kontakt, und das hat ihn nie mehr losgelassen. Nach einigen Jahren im Weinbusiness, zuerst als Weintechnologe, dann in fast jeder Position in einer führenden Schweizer Weinhandlung, wollte er sein eigenes Weingut gründen. Diverse Stages brachten ihm viele Impulse, ganz besonders beeindruckt hat ihn die Tätgigkeit auf der Domaine Leflaive, wo er in einem Team mit einer wundervollen Person (Zitat Herter) an der Spitze (die leider inzwischen verstorbene Anne-Claude Leflaive) auch die biodynamische Arbeitsweise kennenlernte.

Das Gute liegt so nah
Umgesehen hat er sich für ein Weingut dann weit in der Weinwelt. Südfrankreich wäre eine Option gewesen, aber eigentlich mag er den nördlichen Weinstil besser. Im Rheingau hätte er ein Gut übernehmen können – aber „nur“ Riesling, das war ihm zu wenig spannend. Schliesslich begann er auch in der Deutschschweiz zu suchen, wobei sein Vorgehen einzigartig war. Er ging nicht den Angeboten nach, sondern suchte zusammen mit einem Freund, der Geologe ist, nach einem bodentechnisch perfekten Ort. Gefunden hat er diesen dann in Winterthur, „seiner“ Stadt, in der er lange gelebt hat und die ihm ans Herz gewachsen ist (dem Schreibenden übrigens auch). Der Taggenberg, eine kleine Erhebung am westlichen Stadtrand, weist nämlich eine ganz aussergewöhnliche geologische Struktur auf. Er wurde geprägt vom Gletscher, aber anders als etwa der silex-geprägte benachbarten Hügelzug des Irchels gibt es hier Buntsandstein – und zwar nachweislich aus der Pfalz stammend und vom Gletscher hierhier transportiert. Aber damit nicht genug: Den Hügel durchzieht auch eine Kalkzunge, welche wiederum aus der Champagne stammt. Es gibt Lagen am Taggenberg, die nur rund 20 cm Humus aufweisen – darunter kommt direkt der Stein. Das zwingt zwar den Winzer zum Bohren, wenn er Pfähle einschlagen will, gleichzeitig aber auch die Rebe, ganz tief und weit durch den Kalk zu wurzeln. Kein Wunder also, dass hier vor rund 30 Jahren das Ehepaar Hans und Therese Herzog schon einmal absolute Spitzenweine produzierte, bevor es nach Neuseeland auswanderte.

Perfekte Weinlage am Rand der Stadt: Der geologisch einzigartige „Taggenberg“ in Winterthur.

Beharrlichkeit bringt Reben
Was aber tun mit diesem Wissen? Der Hang war weiterhin mit den von Herzog’s bepflanzten Reben bestockt, aber das Land ist auf etwa ein Dutzend Besitzer aufgeteilt und war zudem verpachtet. Es war immerhin ein schon über dem Pensionsalter stehender Landwirt, der die Reben pflegte. Und so änderte Herter seine Gewohnheiten: Statt ins obere Tösstal führten ihn seine Ausfahrten mit dem Moutainbike neu tössabwärts und in Richtung Irchel – und dabei fast jedes Mal vorbei am Hof des alten Bauern, um ihn zu überzeugen, die Reben doch abzugeben. Und tatächlich, irgendwann war er durch Herters Hartnäckigkeit „weichgeklopft“, ab dem Jahrgang 2012 konnte Herter die Reben am Taggenberg übernehmen. Wobei, ganz so einfach war auch das noch nicht, denn aufgrund seiner Ausbildung ging Herter amtlich nicht als Winzer durch. Also musste er sich noch im Schnellgang ausbilden. Auch diese „Lehre“ hat ihn geprägt, er konnte sie bei Michael Broger am Ottenberg absolvieren
vgl. hier: Michael Broger – der Pinot-Magier – Victor’s Weinblog
von dem er nicht nur weintechnisch, sondern auch menschlich („grandios“, Zitat Herter) viel profitieren konnte.

Beharrlichkeit musste Stephan Herter aber auch in andere Hinsicht beweisen. Er hat inzwischen 9 Jahrgänge gekeltert, und davon verliefen gerade deren zwei „normal“. Abgesehen von, wie Herter selbst einräumt, eigenen Fehlern, waren vor allem die beiden Frostjahre 2016 und 2017 schlimm und existentbedrohend. Aber Herter kaufte in diesen Jahren fremdes Traubenmaterial, und daraus entstand die Weinlinie „Väterchen Frost“. Handeln statt jammern – kein schlechtes Rezept!

Durchhaltewille zeigt er auch in der Bewirtschaftung. Er hat in all den Jahren nie eine „chemische“ Spritzung durchgeführt. Herter arbeitet nach biologisch bzw. bio-dynamischen Grundsätzen, ist aber nicht zertifiziert. Dies vor allem auch deshalb, weil er sich mit den Weltansichten des Rudolf Steiner schwertut und Bio-Suisse inzwischen als Instrument des Grosshandels empfindet – mit beidem will er nicht in Verbindung gebracht werden.

Aber auch ohne Zertifikat ist Herter beharrlich. Es kam auch im Jahr 2020, das durch den ständigen Wechsel von Nässe und Sonne in der Pilzabwehr problematisch war, mit nur 800 g Kupfer pro Hektar aus (erlaubt sind im Biorebbau 5 Kg), was auch nicht mehr signifikant höher liegt, als es für den anfälligeren Teil der Piwi-Sorten auch noch notwendig ist. Piwi ist für Herter ohnehin kein Ersatz; seiner Meinung nach kommen diese qualitativ vorerst einfach noch nicht an die Europäersorten heran, jedenfalls dann, wenn es darum geht, mineralische, trockene und ausdrucksstarke Terroirweine zu produzieren.

Herter tut aber auch so viel für die Natur. In mehreren Projekten zusammen mit der Naturschutzorganisation „Birdlife“ hat er Naturräume geschaffen, in denen sich Nützlinge ansiedeln und die Biodiversität verbessern können. Er ist überzeugt, dass er unter anderem auch deshalb noch nie wirkliche Probleme mit der Kirchessigfliege hatte. Zweifellos sind diese naturnahen Massnahmen der Weinqualität zuträglich. Ganz abgesehen davon ist er mit seinem Rebberg in einer privilegierten Lage: Er schneidet die Reben heute auf etwa 10 Augen zurück, und das ergibt dann aufgrund des Alters (ca. 45 Jahre) genau den bescheidenen Ertrag, den er für seine Weine anstrebt. Im Klartext: Herter muss keine „vendange verte“ ausführen, die Ertragsregulierung übernehmen die Pflanzen selbst.

Voller Einsatz bringt Infrastruktur
Mögen die Voraussetzung noch so gut sein, ein Newcomer ohne viel Geld kann nur bestehen, wenn er auch mit grossem Einsatz bei der Sache ist. Beim kontinuierlichen Ausbau seines Hofes legte und legt Herter immer selbst Hand an. Zurecht mit Stolz zeigt er den Barrique-Keller, ein Bauwerk, da er innert weniger Monate zu einem grossen Teil und selbst auf dem Bagger sitzend geschaffen hat.

Der mit den guten Rezepten und dem selbst geschaffenen Barrique-Keller: Stephan Herter.

Herausfordernd war auch die Corona-Sitation. Bedingt durch seine frühere Tätigkeit in der Gastronomie und dem Weinhandel war Herter im Absatz stark von Restaurants abhängig. Sozusagen von einem Tag auf den anderen blieben im Frühjahr 2020 die Bestellungen aus. Statt jammern suchte Herter sämtliche ihm bekannten Adressen von Kunden, Freunden und Bekannten zusammen und bot die Weine forciert im Direktverkauf an. Das Resultat: Bald stand Stephan statt im Rebberg tagelang im Keller und schnürte Pakete bzw. im Büro und schrieb Rechnungen!

Empathie für die Mitmenschen und für den Wein
Weil er deshalb während der arbeitsintensivsten Zeit im Rebberg fehlte, suchte der via soziale Medien nach Helfern – mit grossem Erfolg. Das war auch deshalb wichtig, weil aufgrund von Covid ein Teil seiner regelmässigen Helfer ausfiel. Seit Jahren bietet Herter nämlich Menschen, die eher auf der Schattenseite des Lebens stehen, die Möglichkeit, zeitweise bei ihm zu arbeiten und damit eine Aufgabe zu haben. In diesem sozialen Engagement habe er schon „Junkies“, „Knastis“ und „Alkis“ auf dem Betrieb gehabt und durchwegs gute Erfahrungen gemacht. Mit Abstand am schwierigsten, sagt ausgerechnet ein Winzer, sei der Umgang mit alkoholabhängigen Personen – das sei ein unvorstellbares Elend. Eine Warnung an uns alle, die wir den Wein so gerne haben, mit Mass und Vernunft zu geniessen!

Empathie, oder meinetwegen Fingerspitzengefühl, beweist Stephan aber vor allem auch bei der Weinproduktion. Natürlich profitiert er von einer hervorragenden Lage und alten Reben – und noch dazu davon, dass der erwähnte Hans Herzog „en fräche Siech“ gewesen ist, und damals nebst verbotenen Sorten auch spezielle Klone aus Frankreich gesetzt hat. Aber ganz offensichtlich hat Stephan Herter auch viel gelernt und dazu noch viel mehr Gefühl für den Wein entwickelt. Auf eigenen Hefen vergoren, so wenig Eingriffe wie möglich, ein trockener und eleganter Stil, der die Weine vor allem als Essensbegleiter aufblühen lässt und einen vielleicht nicht mit einem Bluffer-Stil sofort anspringen. Das Sortiment ist absolut überzeugend – der Koch findet auch als Winzer die feinsten Rezepte!

Aber lesen Sie selbst die nachstehenden Degustationsnotizen.

Sehr wichtig ist für Stephan Herter auch, dass die Weine ihre Herkunft zeigen – auf der Suche nach dem brühmten „Terroir“ sozusagen. Dass das nicht nur grosse Worte sind, zeigt er mit einem „Experiment“ mit dazugekauften Trauben aus Stein am Rhein. In diesem Fass lagert ein Pinot, der auf reinem Nagelfluh gewachsen ist, und mit dem Herter den Unterschied der verschiedenen Gesteins-Untergründe aufzeigen will.

Die Degustationsnotizen

Fabelhafte Parade der Fabelwesen: Herter’s tolles Sortiment (und es gibt noch mehr!)

„Väterchen Frost“, Schaumwein
Helles Gelb, zurückhaltende, feine Perlage; sehr fruchtbetont und „weinig“, Golden-Delicious-Apfel, Stachelbeeren, weisser Pfirsich, leichter, sehr feiner Hefeton; im Mund füllig, gut stützende Säure, kaum spürbarer Alkohol, neckische, dezente Süssnote, langer Abgang. Ein Masstab für Schweizer Schaumwein! 17 Punkte (= sehr gut).

Ferdinand, Räuschling 2019
(Degunotiz aus der Erinnerung, ich habe den Zettel verloren … aber der Eindruck ist sehr geblieben!)
Helles Gelb; Duft nach Orangen und Mirabellen, blumige Anflüge (u.a. etwas Flieder); im Mund mit knackiger Säure, filigran aber trotzdem für einen Räuschling erstaunlich dicht, langer Abgang. Toller Räuschling der eher traditionellen, aber doch etwas modern umgesetzten Art! 16 Punkte (= am oberen Ende gut).

Rufus, Sauvignon blanc, 2019
Mittleres Gelb, Stachelbeeren, Holunderblätter, nasses Gras; im Mund enorm frisch, sehr mineralisch, knackige Säure, sehr langer Abgang. Toller, mineralischer Sauvignon, den man blind in der Steiermark ziemlich weit vorne ansiedeln würde. 17 Punkte (= sehr gut).

Stix, Chardonnay 2019
Helles Strohgelb, Williams-Birne, Lychee, etwas neues Holz; im Mund rund mit ausgeprägter Fruchtsüsse, Holz und Toastung spürbar, gute Säure und gut eingebundener Alkohol. Schöner Wein, der als einziger stilistisch etwas aus dem Rahmen fällt. Mir ganz persönlich würde er etwas weniger „ausladend“ und dafür stählern noch besser gefallen. 16 Punkte (= am oberen Ende gut). Und Liebhaber dieses Stils würden ihn wohl noch höher bewerten.

Grimbart, Pinot noir 2019
Eher helles Rot; in der Nase zurückhaltend, rote Johannisbeeren, etwas Himbeer, würzig (Anflug von Lorbeer), leichter Holzton; im Mund filigran, herrlich ausgewogen mit spürbaren, feinen Tanninen und stützender, aber nicht aufdringlicher Säure, Alkohol erst im mittleren Abgang mit etwas „Feuer“ spürbar, leichter, schön eingebundener Holzton. Eleganter, frischer und charaktervoller Pinot der leichteren Art. 16,5 Punkte (= sehr gut).

Adelheid, Pinot noir/Cabernet, 2019
Recht dunkles Purpur; in der Nase Cassis und helle Fruchttöne, etwas Thymian; trotz spürbarer Säure und prägnanten Tanninen im Mund wie Samt und Seide, frisch und saftig, mittlerer Abgang. Eigentlich bin ich immer skeptisch gegenüber ausgefallenen Assemblagen, aber das hier ist eine schöne nördlich-frische Alternative, wenn eigentlich ein südlicher Wein passen würde (ich habe ihn zu Lamm sehr gut gefunden). 16,5 Punkte (= sehr gut).

Ruprecht, Pinot noir 2018
Für einen Pinot sehr dunkles Purpur; wunderschöne, pinot-typische Nase mit Himbeeren, Johannisbeeren, ganz dezent spürbares Holz; im Mund ein Feuerwerk: dicht, enorme Frische, gute Säure, trotz hohem Gehalt Alkohol kaum spürbar, langer und sehr „saftiger“ Abgang. Ein traumhaft guter, an das Burgund erinnernder Pinot, eine Referenz in der Schweiz. 18 Punkte (= hervorragend).
Leider ausverkauft.

HerterWein – Winterthur/Hettlingen

Und der Link zum „frechen“ Hans Herzog in Neuseeland:
Hans Herzog Marlborough Organic Winery

Toujours le Gamay! Château Thivin lässt das „jamais“ alt aussehen!

„Toujours“ reimt sich nicht, ich weiss. Aber „jamais“ sollte man beim Gamay in der heutigen Zeit nicht mehr sagen. Man würde Tolles verpassen! Das gilt ganz generell, gerade auch für viele Schweizer Weine. Aber heute ist die Rede von Château Thivin am Bouilly-Hügel, der schönsten Gegend im Beaujolais, dessen Weine jeden Gamay-Verachter zum Schweigen bringen müssen.

Im Jahr 1877 kauften Zaccharie und Marguerite Geoffray Château Thivin zusammen mit den damals 2 Hektar Reben gleich beim Gut. Seither entstand eine Familientradition, heute sind die fünfte und die sechste Generation am Werk – und wie! Die sechste Generation hat wichtige Verbindungen in die Schweiz. Claude-Eduard studierte zuerst in Beaune, beendete sein Studium aber schliesslich in Changins. Nebst Stages bei der Domaine Chaves in Mauves (Hermitage) und der Fromm Winery in Neuseeland sowie dem Geyerhof im Kremstal war er auch in der Schweiz tätig, so bei der Domaine La Colombe in Féchy und den Fils de Charles Favre in Sion. Und eben auch bei der Domaine Diroso von Hanspeter Baumann in Turtmann. Dessen Tochter Sonja ist heute Frau Geoffray und spielt auf Château Thivin eine wichtige Rolle im Rebberg, aber auch im Marketing und Verkauf. Auch sie studierte in Changins und weist – nebst vielen anderen – Erfahrungen in der Fromm Winery auf (in Neuseeland und Graubünden). Noch heute steht sie ihren Brüdern im Wallis, welche die Domaine Diroso nach naturnahen Grundsätzen führen, bei Bedarf beratend zur Seite.

Aber zurück ins Beaujolais: Auch auf Château Thivin arbeitet man sehr naturnah, ein Teil der Reben befindet sich in der Umstellung auf biologischen Rebbau (u.a. jene, die für den unten beschriebenen „les sept vignes“ verwendet werden) oder trägt schon das Bio-Label. Und auf einer Parzelle, sinnigerweise „Utopia“ genannt, baut man auch Piwi-Sorten an.

Alles Weitere kann auf der Website des Gutes nachgelesen werden. Besonders fasziniert hat mich die vorbildliche Information über Herkunft und Vinifikation jedes Weines, aber auch eine Lokalisation der Parzellen. So macht sich informieren Spass!
(Alle Angaben in diesem Beitrag, ausser den Degunotizen natürlich, sind auch ausschliesslich online recherchiert).

Vorbildliche Konsumenteninformation, hier als Beispiel zur Lage Godefroy, welche einen Teil der Trauben zur hervorragenden Cuvéee Zaccharie liefert. (Bilder ab Website des Gutes)

Château Thivin, Cuvée Zaccharie, Côte de Brouilly, 2018
Mittleres Rubin; verhaltener Duft nach Brombeer und Weichselkirsche, Rosenblüten, leicht spürbares neues Holz; im Mund enorm ausgewogen, Säure, Alkohol und Tannine in schönem Gleichgewicht (letztere mit ganz wenig grünem Touch), wunderbare Eleganz, vor allem im langen Abgang druckvoll. Toller Wein. Wer hier blind auf Gamay tippt, ist Klasse. Ich bin nicht einmal sicher, ob dieser Wein in einer Degustation von Gemeinde-Pinots aus der Côte d’Or auf- bzw. abfallen würde! Schöner, berührender Wein, der dem Gründer der Familiendynastie, Zaccharie, alle Ehre macht! 17,5 Punkte.
(Gleichberechtigung: Es gibt auch einen Weisswein – ein Chardonnay – der den Namen Marguerite trägt).

Château Thivin, Les sept vignes, Côte de Brouilly, 2019
Mittleres Rubin; fruchtige Aromen von roten und dunklen Früchten (Himbeer, Brombeer, schwarze Johannisbeeren), leicht pfeffrig; gute Säure, feines, aber eher zurückhaltendes Tannin, filigran, saftig und süffig, mitterer Abgang mit leichtem, schönem Bittertouch. Schöner, fröhlicher, aber doch gehaltvoller Gamay. 16 Punkte.

L’amour du vignoble et son terroir – Château Thivin (chateau-thivin.com)

Schweiz:
Kaufen Cuvée Zaccharie | Côte de Brouilly AOC – Château Thivin | 2018 | DIVO.

Deutschland, diverse, siehe:
https://www.chateau-thivin.com/point-vente/export.php