Faszination pur: Guter Wein aus der ältesten benannten Rebsorte der Welt!

Chardonnay, Riesling, Blaufränkisch, Gamay. Alle diese und über hundert weitere Sorten gäbe es nicht ohne die Ursorte Gwäss bzw. Heunisch, die auch heute noch einen erstaunlichen Wein hervorbringt.

Würden Sie einen Wein „von geringer Qualität, wässrig und sauer“ trinken wollen? Genau das wird dieser „Ursorte“ nämlich nachgesagt, aber sie hat diese Eigenschaften weder ihren Kindern und Kindeskindern vererbt, noch passt das Urteil auf einen heutigen Wein aus der Sorte, den ich hier beschreibe!

Woher die Heunisch oder Gwäss (was man fast gleich ausspricht wie das französische Gouais [blanc]), wirklich stammt, wird wohl nie erforscht werden können. Als sicher gilt, dass sie aus dem Osten kommt und vor vielen Jahrhunderten nach Mitteleuropa gelangte. Nach einer von mehreren Theorien wurde sie schon unter dem Hunnenkönig Attila nach dem Jahr 400 herum eingeführt.

Mit DNA-Analysen bewiesen ist hingegen, dass die Gwäss sozusagen die Mutter/Grossmutter/Urgrossmutter von mehr als hundert heute gängigen Weinsorten ist. Aus unbekannten Kreuzungen hervorgegangen sind zum Beispiel so weltbekannte Rebsorten wie Blaufränkisch und Riesling, aber auch regionale Spezialitäten wie der Räuschling, während Kreuzungen mit Pinot (vermutlich Pinot noir) zu Chardonnay, Alioté, Gamay und Muscadet geführt haben. Auf jeden Fall scheint die Gewäss/Heunisch die älteste namentlich bekannte Rebsorte der Welt zu sein1!

Alpine Reblandschaft im Oberwallis, wo die Gwäss noch angepflanzt wird (Symbolbild, es zeigt nicht den Rebberg von Chanton).

Die Sorte reift spät und ist deshalb auf Frühlingsfrost kaum anfällig. Dazu bringt sie ohne Eingriffe enorme Erträge. Es ist deshalb verständlich, dass sie einst weit verbreitet war. Aber schon im 18. Jahrhundert wurde sie als minderwertig nicht mehr empfohlen. Das Prädikat „dünn“ wurde der Sorte freilich schon im 12. Jahrhundert durch Hildegard von Bingen „verliehen“. Von ihr soll der Ausspruch stammen: „Der fränkische Wein sei ein starker Wein, der mit Wasser vermischt werden müsse, hingegen sei der hunnische (also der von den Hunnen gebrachte Heunisch/Gwäss) von Natur aus wässrig und müsse nicht verdünnt werden“.2

Den Gegenbeweis zu These der Hildegard von Bingen erbringt ein Betrieb im Oberwallis, Chanton Weine in Visp, der sich schon in dritter Generation um die Pflege alter Rebsorten verdient macht. Schon der Grossvater des heutigen Betriebsinhabers Mario Chanton pflanzte die Lafnetscha wieder an, und der Vater zog mit der Himbertscha und eben der Gwäss in den 1980er-Jahren nach. Bemerkenswert ist dabei, dass die Gwäss damals ohne das Wissen um ihre ampelographische Wichtigkeit wieder angebaut wurde. Die ersten Weine aus dieser Sorte waren längst wieder auf dem Markt, als die Forscher den Nachweis der Verwandtschaft erbringen konnten! Gutes Gespür, könnte man dem wohl sagen!

So völlig falsch sind die erwähnten Eigenschaften der Sorte – dünn und sauer – natürlich nicht. Aber Chanton zeigt mit seinem Gwäss, dass mit strikter Ertragsregulierung auch ein völlig anderer Wein entstehen kann:


Gwäss 2017, Chanton Weine
Helles Gelb mit orangen Reflexen; dezente Nase mit floralen Tönen, Anflug von Williams-Birne und -Schnaps, etwas Kiwi; erstaunlich rund, ausgeprägter „Süsskomplex“ (nicht süss!), spürbare, aber gezügelte Säure, mittlerer Abgang mit merkbarem Alkohol.

Wohlverstanden, ein wirklich grosses Gewächs ist auch dieser Gwäss nicht. Aber es ist ein schöner Wein, der Spass macht und der auch kulinarisch sehr breit eingesetzt werden kann (Apéro, zu Fisch, hellem Käse und auch zu nicht sehr scharfen exotischen Gerichten. Und nach drei Tagen habe ich einen kleinen Rest noch zu Spargel genossen – selbst das geht).

Aber zu einem richtig erhabenen Gefühl und fast ein wenig Gänsehaut beim Genuss führt natürlich das Wissen, sozusagen einen Schluck Weingeschichte zu trinken und daran zu denken, was uns ohne die Gwäss/Heunisch – oder meinetwegen den Hunnenkönig, wenn diese Geschichte denn stimmt – an Weingenüssen alles verwehrt geblieben wäre! Wer Riesling, Chardonnay und Blaufränkisch und Co. liebt, müsste eigentlich zumindest einmal einen Gwäss genossen haben!

http://www.chanton.ch/

1 Siehe u.a.:
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC2880041/
https://edoc.sub.uni-hamburg.de/haw/volltexte/2011/1438/pdf/ern_y_569.pdf (Seite 46)

sowie Arbeiten von Dr. José Vouillamoz (unveröffentlicht, beim Weingut Chanton eingesehen).
2 Siehe: https://de.wikipedia.org/wiki/Heunisch_(Rebsorte
)

Aligoté – kleine Rebsorte, faszinierender Wein!

Jahrelang habe ich einen grossen Bogen um Weine aus der Aligoté gemacht. Ein Fehler, wie der Aligoté 2015 von Jean-Philippe Fichet zeigt!

Das Burgund – hier bei Puligny-Montrachet – von seiner schönsten Seite.

Das Image der Aligoté war bei mir wirklich nicht toll – ich hatte einen dünnen und sauren Tropfen in Erinnerung und habe die Sorte deshalb jahrzehntelang gemieden. Aus reiner Neugierde habe ich dann Einzelflaschen von zwei verschiedenen Produzenten bestellt. Die erste überzeugte mich erneut nicht, so dass die zweite, ein Aligoté 2015 der Domaine Jean-Philippe Fichet, im Keller verblieb. Mehr, damit die Flasche endlich aus dem Weg ist, habe ich sie nun geöffnet und siehe da: der Wein ist eine Offenbarung!

Mittleres Gelb mit orangen Reflexen; Quitten, Limetten, Flieder, etwas Holz (ob er überhaupt welches gesehen hat?). Im Mund rund und harmonisch, gute Säure fein eingepackt in einen seidenen Körper, klar, als wäre es Quellwasser (positiv gemeint!), elegant, sehr mineralisch, mit Finesse. Schöner Wein, den ich vielen Chardonnays aus dem Burgund vorziehen würde!
Und von wegen, „einen Aligoté muss man jung trinken“ – ein verbliebener Rest in der Flasche mundete auch nach 4 Tagen noch hervorragend.

Die Aligoté ist, wie auch die Chardonnay, eine Kreuzung zwischen Pinot (vermutlich Pinot noir) und Gouais Blanc (je genau, die „Gwäss“ aus dem Wallis). Sie wird in Frankreich noch auf knapp 2’000 Hektar angepflanzt, hauptsächlich im Burgund. Daneben ist sie auch in Osteuropa verbreitet. Grosse Weine aus der Aligoté sind indessen unbekannt – aber vielleicht würde es sich ja lohnen, danach zu suchen? Der Aligoté 2015 der Domaine Fichet jedenfalls war die Entdeckung wert und regt zum Weitersuchen an!

Der Aligoté ist leider auf der Homepage von Jean-Philippe Fichet nicht beschrieben; gemäss anderen Recherchen soll der Wein aus den Hautes-Cotes stammen, genauer aus Nantoux, etwa fünf Kilometer von Beaune entfernt. Mehr zur Domaine:

http://www.domaine-fichet-meursault.com/vin-meursault/fr/le-domaine-meursault.html

In der Schweiz sind die Weine von Jean-Philippe Fichet erhältlich bei Gerstl Weinselektionen (www. gerstl.ch)