Das Südiroler Alpental am Oberlauf der Etsch hat rund um den Thermalkurort Naturns alles, was es für grosse Weine braucht: ideale Böden, viel Sonne, zukunftsgerichtete Höhenlagen von 600 – 900 Metern, genügend Wasser – und mehrere begnadete Winzerinnen und Winzer.
Der Vinschgau, eher bekannt als „Apfelkammer“ Europas, hat eine lange Weingeschichte und erlebt weintechnisch seit rund 30 Jahren eine perfekte Renaissance. Das Tal hat nur einen Ausgang nach Süden, wo die Etsch in Richtung Meran und Bozen fliesst, dafür aber untypischerweise gleich drei Strassen nach Norden: den Reschenpass in Richtung Österreich, den Ofenpass durch den Schweizer Nationalpark ins Engadin und – im Sommer als grandiosen Höhepunkt – das Stilfserjoch in die Lombardei. Trotz der Abgeschiedenheit im Herzen der Alpen ist das Tal von München oder Zürich aus in nur rund drei bis vier Stunden zu erreichen.
Sowohl gegen Norden als auch gegen Westen ist der Vinschgau durch eine Vielzahl von Bergen mit über 3000 Metern Höhe abgeschirmt. Und aus Süden fliesst mediterrane Luft ins Tal. Und von wegen metiterran: Mit rund 500 mm Niederschlag und über 300 Sonnentagen kann der Vinschgau sogar mit Sizilien mithalten! Aber dank einem ausgeklügelten Bewässerungsystem, fast gleich wie im Wallis, wird das Schneewasser von den hohen Bergen ins Tal geleitet, so dass die Reben trotz der Trockenheit genügend Wasser erhalten.
Die berühmte Römerstrasse Via Claudia Augusta
Der Weinbau ist im Südtirol bereits aus einer Zeit um 500 Jahren v. Ch. nachgewiesen. Für den Vinschgau selbst sind belastbare Funde allerdings „erst“ etwa 800 Jahre alt. Es ist aber anzunehmen, dass schon die Römer hier Weinbau betrieben, denn als Teil des damaligen Raetien gelangte der Vinschgau um das Jahr 15 v. Ch. zum römischen Reich, und die Lage an der berühmten römischen Strasse Claudia Augusta lässt vermuten, dass hier auch schon damals Reben gediehen.
Noch im ersten Teil des letzten Jahrhunderts betrug die Anbaufläche im Tal über 200 Hektar. Einen guten Ruf hatten die Weine damals allerdings nicht, und so ist es nicht verwunderlich, dass der aufkommende Anbau von Obst auch zu Lasten des Rebbaus ging. Oder, wie es ein Winzer vor Ort ausdrückte: „Der Golden Delicious hat den Rebbau verdrängt, weil dessen Anbau viel lukrativer war“.
Höhenrausch: Reben bis auf 1300 Meter über Meer.
Inzwischen wurde das riesige Potential des Rebbaus im Vinschgau aber wieder entdeckt, und seit einigen Jahren werden auch Obstbäume ausgerissen, um Reben Platz zu machen. Heute sind wieder rund 80 Hektar (je nach Quelle auch schon 100) mit Reben bestockt. Die Hauptanbauflächen befinden sich im unteren Teil des Tals um Naturns und Kastelbell. Immerhin bricht der Vinschgau mit einigen Weingärten auch Höhenrekorde im Alpenraum, so gedeihen beim Kloster Marienberg und auf dem Weingut Calvenschlössl in Laatsch Reben bis in eine Höhe von 1300 Metern!
0,01 % der italienischen Rebfläche!
Ich hatte kürzlich die Gelegenheit, das Gebiet auf einer individuellen Pressereise kennenzulernen. Ich kannte vorher lediglich einige Weine von Schloss Falkenstein und hatte schon Positives vom Gut Unterortl gehört, welches sich in Besitz von Reinhold Messner befindet (bzw. befand, es gehört jetzt seinem Sohn). Das ist zwar eine weinmässige Bildungslücke, die aber kaum erstaunlich ist angesichts der Tatsache, dass der Vinschgau nicht einmal 2 % der Rebfläche das ganzen Südtirols ausmacht, und das Südtirol seinerseits wiederum weniger als 1 % der ganzen Rebfläche Italiens.
Sommelier und Sommelière – tippgebend vor Ort
Den Vinschgau als „Mikro-Weinbaugebiet“ zu bezeichnen, ist deshalb sicher erlaubt, und Berichte darüber passen auch sehr gut in meinen Blog mit dem Slogan „alles ausser gewöhnlich“. Aber in Sachen Qualität, sowohl an der Spitze als auch in der Breite, ist das Tal „maxi“. Die Leistungen der Weingüter und deren Weine haben mich echt fasziniert. Dabei war ich ja vorgewarnt: Ich hatte im Vorfeld recherchiert und mit der Sommelière Verena Santer Kontakt, welche „Verenas Weinboutique“ in Naturns führt. Von ihr hatte ich schon viele Tipps erhalten. Ergänzt wurden diese vor Ort durch den Sommelier und Chef unseres Quartiers „Hotel Schulerhof“ in Plaus, Thomas Schuler, ein begnadeter und begeisterter Weinkenner, mit dem der Austausch extrem spannend war. Die alte Weisheit, dass das Entdecken eines neuen Gebietes am besten gelingt, wenn man Fachleute vor Ort beizieht, wurde wieder einmal auf’s Schönste bewiesen.
Abgesehen von der bescheidenen Rebfläche habe ich mich im Vinschgau immer wieder an das Wallis erinnert gefühlt. Dazu trugen natürlich die uralten Bewässerungssysteme bei, im Vinschgau „Waale“ und im Wallis „Bissen“ oder „Suonen“ genannt. Aber auch die kargen Gebirgslandschaften, die Rebzeilen vor Schneebergen und die relative Abgeschiedenheit sind auffallende Parallelen. Der grösste Unterschied besteht vielleicht darin, dass die Sortenvielfalt im Vinschgau etwas bescheidener ausfällt.
Der Riesling-Hotspot südlich des Alpenhauptkamms
Dafür kann der Vinschgau mit einer homogeneren Qualität und mit klaren „Sorten-Positionierungen“ auftrumpfen. Da ist zuerst einmal der Riesling zu nennen. Naturns und Umgebung ist ein aboluter Riesling-Hotspot! Die Geschichte ist zwar noch nicht alt, vor etwa 40 Jahren pflanzte der Befehlhof als erster diese Sorte an. Heute fehlt er auf praktisch keinem Betrieb und die Qualität ist sehr hochstehend. Zu nennen sind etwa – unvollständig – der Pionier Befehlhof, dazu Falkenstein, Himmelreichhof und der Biobetrieb Lehengut, der mit seinem Riesling in diesem Jahr an den Rieslingtagen von Naturns als bester bewertet wurde und dabei unter anderem jenen von Elena Walch übertraf. Gekeltert wurde dieser Wein von Martin Aurich, dem Pächter des Messmer-Gutes Unterortl – und so überrascht es nicht, dass mich sein eigener Riesling Windbichel (ebenfalls bio, wenn auch nicht ausgewiesen) von allen degustierten Weinen am meisten begeistert hat. Der Beweis wird in einer bald folgenden Blinddegustation noch anzutreten sein (ich werde berichten), aber ich habe diesen Riesling als den besten Grossen Gewächsen aus Deutschland ebenbürtig eingestuft!
Grosse Weissburgunder, die zeigen, was die Sorte eigentlich kann
Die zweite wichtige Sorte ist der Weissburgunder, der es im Vinschgau zu echten Höhenflügen schafft! In keinem Weinbaugebiet habe ich bisher ein so hohes, gleichmässig gutes Niveau des Pinot blanc erlebt, dem es offenbar auf diesen Böden und in diesem Höhenniveau besonders gut gefällt und auf den auch alle Winzer besonders stolz sind – sozusagen als Vinschgauer Weinbotschafter. Speziell gefallen (aber damit bin ich schon fast ungerecht gegenüber den nicht genannten) haben mir die Weine von Unterortl (der „Himmelsleiter“ dabei geradezu grandios), Falkenstein, Lehengut und Josmoar.
Angepflanzt werden inzwischen noch eine ganze Reihe anderer weisser Sorten wie Sauvignon blanc (Falkenstein! Ein SB in bestem Stil der Steiermark), Pinot gris, Kerner, Gewürztraminer, Grüner Veltliner und Müller Thurgau (Unterortl! Zeigt, was man aus dieser Sorte machen kann). Nicht zu vergessen sind diverse Piwi-Sorten, und zwar vor allem deshalb, weil der Souvignier gris „Gegenwind“ vom Lehengut schlicht der beste Piwi-Wein ist, den ich je gekostet habe.
Eigenständige und doch typische Pinots
Eher eine zweite, aber nicht unwichtige Geige spielen die Rotweine. Leitsorte ist der Pinot noir, hier fast durchwegs Blauburgunder genannt, der bei allen Betrieben sehr erfreulich und mit einer eleganten, filigranen aber doch gehaltvollen und fruchtigen Art schon fast einen eigenen Vinschgau-Pinot-Stil begründet. Bemerkenswert sind alle BB der schon genannten Güter, dazu auch jener vom Marinushof. Dieses Gut trumpft auch mit einem äusserst dichten und fruchtigen Rosé aus Pinot auf (viel besser geht Rosé nicht), und ganz besonders mit zwei Spielarten des Zweigelt. Sowohl die Variante mit als auch jene ohne Barriqueeinsatz sind begeisternd. Die beiden klassischen Südtiroler Roten, Vernatsch und Lagrein, spielen im Vinschgau bisher eine eher untergeordnete Rolle.
Winzerportraits folgen
Ein Blog eignet sich nur bedingt für eine eigentliche Gebiets-Reportage. Im Gegensatz zu einem Printmedium kann man kaum mit „Kästen“ arbeiten, und zu lange sollte ein Beitrag auch nicht werden. Der Vinschgau bildet deshalb nun den Aufakt zu einer ersten, losen Serie von Beiträgen über das gleiche Gebiet. Dem heutigen Blog werden also weitere folgen, welche vor allem einzelne Weingüter genauer beschreiben. Weitere Serien über andere Gebiete, wie z.B. den Mont Vully oder das Wallis sind übrigens schon länger geplant und werden folgen.
Wein und Wasser in Naturns, dem „neuen“ Thermalkurort im Vinschgau
Naturns – oder NATURns, wie der Ort von der Tourismusgenossenschaft nicht zu Unrecht geschrieben wird – liegt 20 Kilometer westlich von Meran und zählt rund 6000 Einwohner. Die beiden bekanntesten Weingüter des Vinschgau, Castel Juval Unterortl und Falkenstein, sind hier domiziliert (wobei Unterortl streng genommen bereits in der Nachbargemeinde Tschars liegt). Seit Kurzem ist Naturns aber auch ein Thermal-Kurort. Strassenbau kann ja umstritten sein, aber im Fall von Naturs ist es in doppelter Hinsicht ein Gewinn. Einerseits wird das lebendige Städtchen dank zwei Tunnels vom Durchgangsverkehr entlastet, andererseits wurde beim Bau auch eine Thermalquelle entdeckt, die gefasst wurde und die nun fast alle Hotels des Ortes und das Bad mit bestem Wasser versorgen! Dazu muss man wissen, dass der neue Fassungsort unweit von Bad Kochenmoos liegt, einem Ort an der Via Claudia Augusta, den schon die Römer als wärmende Thermalquelle nutzten und der ab dem 17. Jahrhundert bis in die 1960er Jahre als Heilbad genutzt wurde. Nur ist jene Quelle wenig ergiebig. Die beim Strassenbau neu entdeckte Schüttung hingegen bringt viel Wasser von sehr ähnlicher Zusammensetzung und machte Naturns damit sozusagen zum Bad Naturns.
Von Ötzi, der eigentlich Schnalsi heissen müsste!
Bei Naturns zweigt eine Strasse ins hochalpine Schnalstal ab. Dort, am Similaun auf rund 3200 Metern über Meer, wurde 1991 die inzwischen berühmte Mumie des „Ötzi“ gefunden. Zuerst ging man davon aus, dass der Fundort zu Österreich gehört; später wurde dann aber klar, dass der Eismann auf italienischem Boden lag. Deshalb müsste er doch eigentlich nach dem Schnalstal „Schnalsi“ heissen. Immerhin: Die Bergkette wird als Ötztaler Alpen bezeichnet. Der Fundort ist übrigens für erfahrene Berggänger erreichbar.
Urlaub in Naturns Offizielle Seite ☀️ unvergessliche Ferien (merano-suedtirol.it)
Verena’s Wein Boutique | Naturns, Vinschgau, Südtirol (wein-boutique.it)
4 Sterne Hotel in Naturns – Schulerhof
Die Links auf die einzelnen Weingüter folgen in späteren Beiträgen, können aber auch schon jetzt mit einem Suchprogramm problemlos gefunden werden.
Interessennachweis:
Dieser Beitrag wurde ermöglicht dank einer Pressereise auf Einladung der Tourismusgenossenschaft Naturns mit Kost und Logis im rundum hervorragenden Hotel Schulerhof in Plaus. Die ganze Reise und insbesondere die Besuche auf den Weingütern erfolgten indessen individuell und ohne jede Verpflichtung.