„Piwi-Weine sind untrinkbar“. Umdenken ist angesagt – hier ein Spitzenwein als Beweis!

Vorurteile leben länger. Das gilt auch für mich selbst. Ich habe mich schon lange immer wieder mit pilzwiderstandfähigen Sorten befasst und wurde dabei meistens enttäuscht. Inzwischen bin ich aber überzeugt, dass die Piwi-Sorten die Zukunft unseres Weinbaus mit bestimmen werden!

Lustigerweise war es vor rund drei Jahrzehnten ebenfalls am Iselisberg, als ich die ersten Piwi-Weine versuchte. Es war damals beim im positiven Sinne „verrückten“ Guido Lenz in Uesslingen, und die Ansätze waren gut, aber qualitativ noch gewöhnungsbedürftig. Nun bringt mich erneut der Iselisberg dazu, endlich wieder tiefer in die Weine aus Piwi-Sorten einzutauchen. Und wieder ist der Name Lenz im Spiel, auch wenn meines Wissens keine Verbindung besteht.

Im vergangenen Jahr las ich in der Kundenzeitschrift von Delinat die Aussage von Roland Lenz, der zusammen mit seiner Frau Karin in Iselisberg, hoch über dem Thurtal bei Frauenfeld einen Biobetrieb leitet: „Bis in zehn Jahren werden wir nur noch Piwi-Sorten anbauen“. Vor vier Monaten traf ich ihn an einer Veranstaltung persönlich, und auf das Zitat angesprochen meinte er: „Das geht nicht einmal mehr zehn Jahre“! Und auf meine ungläubige Nachfrage, ob die Kundschaft denn das mitmache: „Ja, wir sind mit den Piwi’s wirtschaftlich sehr erfolgreich, die Weine kommen an“.

Keine Reb-Einöde: Hotspots für die Biodiversität am Iselisberg

Ich hatte ja schon länger vor, mich wieder intensiver mit Piwi-Weinen zu beschäftigen und habe hier auch schon einen tollen Wein von Marco Casanova beschrieben:
https://victorswein.blog/2019/05/19/soyhisticated-sauvignon/ ,
aber diese Aussage hat mich so richtig elektrisiert und dazu gebracht, mich dem Thema endlich intensiver anzunehmen und (unter anderen) bei Lenz‘ ein paar Flaschen zu bestellen. Die erste, die ich degustierte, hat es gleich in sich:

Der Wein ist aus der Sorte Souvignier gris gekeltert, eine im Jahr 1983 vom staatlichen Weinbauinstitut Freiburg (D) aus Cabernet Sauvignon und Brommer (Merzling x gm 6494 [=Zarya Semera x St. Laurent]) gekreuzte Sorte. Neuere genetische Untersuchungen sollen nun aber freilich zum Schluss gekommen sein, dass es sich in Tat und Wahrheit um eine Kreuzung von Seyval blanc und Zähringer handle (leztere eine ältere Kreuzung Traminer x Riesling). Quelle: https://sibbus.com/de/sortenbeschreibungen/weissweinsorten/souvignier-gris.html. Aber dem Geniesser kann das egal sein, denn der Wein schmeckt ganz toll. Und dem Naturfreund ohnehin, denn der Sorte wird eine hohe Resitenz gegen alle gängigen Pilzkrankheiten nachgesagt, so dass zumindest Lenz‘ im Pflanzenschutz ganz ohne Kupfer und Schwefel auskommen, womit sich auch alle gängigen Vorurteile gegen „Bio“ erübrigen.

Lenz „Handwerk weiss“ – viel mehr als nur Handwerk

Souvignier gris ist bestimmt eine Piwi-Sorte mit grossem Potential. Allerdings braucht es ebenso sicher auch viel önologisches Gefühl, um daraus einen wirklich grossen Wein zu keltern. Der Sorte wird beispielsweise nachgesagt, dass sie über wenig Fruchtaromen verfüge. Piwi-Profis wie die Lenz‘ sind dem so begegnet, dass sie den Wein 36 Stunden an der Maische stehen liessen, dann erst abpressten und ihn mit den eigenen Wildhefen in einer Barrique vergären und anschliessend 9 Wochen im Holz auf der Hefe lagern liessen. Auf diese Weise ist ein ausdrucksvoller und dichter Wein entstanden, so dass niemand mehr die Frucht vermisst – obwohl man ihn meiner Meinung nach dank seiner Frische sogar als Apérowein einsetzen könnte. Der Wein heisst „Handwerk weiss“, und das beherrschen die Lenz‘ augenscheinlich – aber wohl viel mehr als das, das ist schon fast Weinkunst, und der Wein könnte auch so genannt werden!

Helles Strohgelb; dezenter Duft nach weissen Johannisbeeren und etwas Aprikosen, leichter Holzton und Rauchnoten; im Mund enorm dicht mit gut stützender Säure, auffällige Frische, ganz leicht spürbare Restsüsse, die aber so gut eingebunden ist, dass sie sogar mir gefällt, langer Abgang. Absolut toller Klassewein, der zwar „zum Abbeissen“ dicht ist, aber trotzdem frisch und süffig bleibt!

Und das Schönste daran: Man spürt diesem Wein in keiner Art und Weise an, dass es sich um eine Piwi-Sorte handelt! Dieses sonst so oft in weissen Piwi’s gespürte „rauchig-speckige Stachelbeeren-Kiwi-Aroma“ fehlt hier völlig (ich kann diese für mich für Piwi’s typische Aromatik beim besten Willen nicht besser beschreiben). Ich jedenfalls wäre nie darauf gekommen, dass der „Handwerk weiss“ ein Piwi-Wein ist – einzig beim Raten, um welche herkömmliche Sorte es sich denn hier handelt, wäre ich wohl etwas überfordert gewesen.

Das Weingut mit dem Ozean dazwischen

Der Teil des Weinguts auf dieser Seite des Ozeans: Lenz in Iselisberg, TG

Karin und Roland Lenz bewirtschaften in der Schweiz rund 21 Hektaren Reben biologisch. Davon sind aber 3,5 Hektar nicht bestockt, sondern als Biodiversitätsflächen ausgespart. Bereits 1996 stellte der Betrieb auf „Bio“ um, kam dann aber aufgrund von Missernten nochmals davon ab, bloss, um 2006 endgültig auf biologischen Anbau umzustellen! Seit 2010 sind Lenz‘ auch zertifiziert.

Bereits zweimal wurden Lenz‘ von Vinum zum „Bioweingut des Jahres“ erkoren. Es gibt aber auch noch eine „Filiale“ in Chile, wo weitere 18 Hektaren zum Betrieb gehören. Damit wird das sorten- und geschmackmässige Gesamtsortiment noch spannender. Ich selbst wohne quasi in Fussdistanz zum Schweizer Standort und verfolge die Veränderungen in der Bewirtschaftung seit Jahren mit Hochachtung und Freude (gerade auch, weil ein anderer grosser Betrieb am Iselisberg – wie ein Spaziergang von heute zeigte – weiterhin unbekümmert seine Rebzeilen mit Glyphosat totspritzt, während die Reben von Lenz, wenn überhaupt, mechanisch gepflügt werden!). Wie erwähnt, sind bei Lenz‘ zudem bereits rund 12 Prozent der Landflächen mit „biologischen Hotspots“ belegt, was die Biodiversität massiv steigert.

Hier noch ein Beispiel für Freiflächen für die Biodiversität; inkl. Insektenhotel.

Viele der Weine des Gutes haben mir schon seit Jahren immer wieder sehr gut gefallen. Da Lenz indessen vor allem bei den meisten Weissen einen Stil mit spürbarer Restsüsse pflegt, war das Gut bisher aber nicht zuoberst auf meiner Prioriätenliste, wenn es um Besuche und Einkäufe ging. Das hat sich seit der Unterhaltung mit Roland Lenz und vor allem mit der Degustation des „Handwerk weiss 2018“ schlagartig geändert. Es lagern noch fünf weitere Flaschen – trockenen – Weins in meinem Keller – affaire à suivre!
https://www.weingut-lenz.ch/


In einem zwar diletanttisch gemachten Youetube-„Film“, der aber dank der Aussagen von Roland Lenz trotzdem sehenswert ist, attestiert der Winzer der Rebsorte „Souvignier gris“ fast nur Gutes – und vor allem ein grosses Potential. Angesichts des degustierten Weines kann man sich dem uneingeschränkt anschliessen!
https://youtu.be/ob2GIQxmnpk


Und weil ich im Text ein anderes Gut als Lenz negativ erwähnt habe, weil weiterhin Unkrautvertilger einsetzt, hier noch ein Link auf einen Beitrag, den ich vor Jahresfrist zu diesem Thema veröffentlicht habe. Ich verstehe solche Winzer beim besten Willen nicht mehr!
https://victorswein.blog/2019/05/04/glyphosat-fur-winzer-auch-ein-imagerisiko/


Diolle: Die Auferstehung…

… einer Rebsorte!
Diolle? Nie gehört? Kein Wunder, denn sie galt seit 1903 als verschwunden. Hier die wunderbare Geschichte einer Auferstehung!

Auferstanden (hier aus weisser Gruft): die Rebsorte Diolle!

Diolle, das war eine Traubensorte aus dem Wallis, die 1654 erstmals unter dem Dialektnamen „Jiolaz“ in der Region Sion erwähnt wurde. Sie galt als sehr säurebetont, mit eher neutralem Charakter und fäulnisanfällig. Wohl deshalb verschwand diese Sorte – 1903 gilt als ihr Sterbedatum. Eigentlich.

Bloss: 2005 meldete sich der inzwischen verstorbene Winzer Germain Héritier aus Granois beim „Weinsortenprofessor“ José Vouillamoz: Er hatte zwei unbekannte Rebstöcke in seinem Rebberg entdeckt und wollte wissen, um welche Sorte es sich handeln könnte. Das DNA-Profil passte zu keiner bekannten Rebsorte. Ein „Vaterschaftstest“ hat dann ergeben, dass es sich um ein Kind der „Rèze“ handelt. Weitere Forschungen von José Vouillamoz haben dann zweifelsfrei ergeben, dass diese beiden Reben die ausgestorben geglaubte Sorte „Diolle“ darstellen. Mehr dazu siehe im Standardwerk von José Vouillamoz über Schweizer Rebsorten, vgl. hier: https://victorswein.blog/2018/09/04/schweizer-weinbuch-des-jahres-schweizer-rebsorten-von-jose-vouillamoz/

So richtig spannend wird die Geschichte aber erst jetzt. José Vouillamoz war vom Potential der wiederentdeckten Sorte überzeugt und konnte mit Didier Joris eine Referenz im Walliser Weinbau für eine Zusammenarbeit gewinnen. 2013 wurde in Chamoson auf 3 Aren eine Anlage mit Diolle neu angelegt. Allein – die erste Auferstehung der Diolle misslang: Die Wahl der Unterlage erwies sich als schlecht, und alle Pflanzen verendeten.


(Zur Unterlage: Seit dem Einschleppen der Reblaus in Europa im vorletzten Jahrhundert können europäische Reben nur noch gedeihen, indem sie auf amerikanische Unterlagen (Wurzelstock) aufgepfropft werden, weil diese gegen die Reblaus resistent sind. Die Wahl der richtigen Unterlage ist eine inzwischen ziemlich bekannte Wissenschaft; es geht darum, die für eine bestimmte Rebsorte ideale Unterlage in Verbindung mit dem jeweiligen Boden zu finden. Bei der Diolle fehlte aber natürlich diese Erfahrung.)


Im zweiten Anlauf, einer Neupflanzung 2015, wurde die Auferstehung aber Tatsache. 2017 konnten 8 Kg Trauben geerntet werden, welche 6 Flaschen Wein ergaben. Und 2018 folgte die erste richtige Ernte – 144 Flaschen der auferstandenen Rebsorte wurden produziert.

Ich hatte das Glück, eine dieser Flaschen erwerben zu können. Und rechtzeitig zu Pfingsten habe ich diesen „Auferstehungswein“ nun degustiert:

Helles Gelb mit leichten Orangereflexen; in der Nase verhalten, leichte Aromen von Stachelbeeren, Lychees und Südfrüchten; im Mund mit prägnanter Säure, feingliedrig bei gleichzeitig erstaunlicher Dichte, mineralisch, mit einem überaus langen Abgang. Ein erfrischender, noch zu junger Wein mit – vermutlich – sehr viel Alterungspotential.

Vom Glück, eine von 144 Flaschen des ersten Jahrgangs probieren zu dürfen!

Dieser Wein hat mich begeistert. Und es war auch richtig berührend. Wer hat schon die Chance, den ersten „richtigen“ Jahrgang eines eigentlich verschollenen Weines probieren zu können! Wir haben ihn anschliessend fast ehrfürchtig zu Fisch und Spargel genossen. Ein grossartiges Erlebnis! Ich weiss nicht, ob ich blind wirklich darauf gekommen wäre. Aber im Wissen darum, was ich im Glas habe, erinnerte mich die Diolle an andere Walliser Spezialitäten, Rèze (logisch!), Himbertscha, Gwäss, Petite Arvine.

Wie soll man diese Diolle denn nun einordnen? Persönlich glaube ich, dass diese auferstandene Rebsorte von sich reden machen wird. Gerade ihre Säure wird sie in Zeiten der Klimaerwärmung spannend machen, und ihre zurückhaltende, aber doch klare Aromatik lässt sie ein Terroir genial ausdrücken. Meine Prognose: Diolle wird mit den Jahren zu einer Walliser Spezialität, die geschätzt und gesucht sein wird!

Den drei hauptsächlich an dieser Auferstehung beteiligten Personen, Germain Héritier (der die Sorte entdeckt hat), José Vouillamoz (der sie analysiert und bestimmt hat) und Didier Joris ( der sie an- und ausgebaut hat) gilt jedenfalls meine Hochachtung.

Zwei der drei Protagnonisten der Diolle im Comic: Didier Joris, Winzer (links) und José Vouillamoz, „Rebsortenprofessor“ (rechts)

Die Lancierung des „neuen“ Weins wurde auch marketingmässig begleitet. Die Diolle wurde in einer weiss gestrichenen Holzbox geliefert (den Duft nach Farbe habe ich nicht so geschätzt, und zudem wäre schwarz, als Symbol für die Gruft, aus der die Diolle entstiegen ist, wohl naheliegender gewesen), und es wurden gar zwei gut gemachte Comics mitgeliefert, welche die Entstehung dieses Weins illustrieren. Man mag von diesen Marketinggags und vom Preis des Weines in dreistelliger Höhe halten was man will – die neue Diolle ist jedenfalls grossartig gelungen und ein Versprechen für die Zukunft!

http://www.didierjoris.ch/website/nos-vins/diolle/
http://www.josevouillamoz.com/

Sollten wir uns merken: die auferstandene Diolle!

Schweizer Weinbuch des Jahres?! Schweizer Rebsorten von José Vouillamoz

Einführungsangebot mit 20 % Rabatt

Ich bin ja alles andere als ein Schnäppchenjäger. Aber hier muss man einfach zugreifen, wenn man sich für die extrem vielfältigen Rebsorten der Schweiz interessiert. José Vouillamoz, einer der weltweit führenden Ampelographen, legt sein Buch über Schweizer Rebsorten nun bald auch in deutscher Sprache auf. Es kann vor dem offiziellen Erscheinen mit 20 % Rabatt bestellt werden (was ich soeben getan habe).

vouillamoz

https://www.haupt.ch/Verlag/Buecher/Natur/Pflanzen/Schweizer-Rebsorten.html

Auf die eigene Homepage von José Vouillamoz hatte ich schon einmal hingewiesen:

https://victorswein.blog/2018/08/05/amigne-walliser-raritaet-mit-enormem-potential/

sie lohnt einen Besuch allein schon aufgrund der wundervollen Bilder/Videos von Walliser Reblandschaften auf der Eingangsseite!