„Alter Landnobler“ – grandiose, rare Spezialität aus dem Wallis!

Zugegeben, der Titel ist journalistisch verdreht, die Rede ist vom Cornalin, der früher „alter Landroter“ genannt wurde. Aber gelungene Weine aus dieser Sorte sind so nobel, dass sich das Wortspiel geradezu aufdrängt. Und zudem weisen Cornalin’s ein erstaunliches Alterungspotential auf, wie eine Weinprobe von der Domaine Denis Mercier beweist.

Ich weiss, ich wiederhole mich, aber die Weine aus dem Wallis sind nach wie vor unterschätzt und unterbewertet, dabei gedeihen hier Tropfen auf ganz hohem Niveau und in kaum andernorts gesehener sortenmässiger Vielfalt. Seit Stephan Reinhardt für die Schweiz zuständig ist, hat das auch Parker gemerkt. Erst kürzlich wurde gar ein Walliser Wein – ein süsser Petite Arvine der Grande Dame des Walliser Weinbaus, Marie-Thérèse Chappaz – mit 100 Punkten bewertet. Was als kleine Sensation aufgenommen wurde, ist eigentlich nur die Bestätigung dafür, dass Weinfreunde und -freundinnen sich vermehrt mit den Weinen dieses schönen Alpentals befassen sollten.

Herrliche Kulisse für die Walliser Reben, hier in der Nähe von Sierre, wo sich der Sitz der Domaine Denis Mercier befindet.

Dabei wurden im Wallis schon vor Jahrzehnten teils ganz hervorragende Gewächse produziert – bloss merkte es keiner, und schon gar nicht Parker. Ein Beweis für diese These lieferte im vergangenen Jahr eine Masterclass-Veranstaltung der „Mémoire des Vins Suisses“, an welcher auch vier gereifte, bis zu 20 Jahre alte Jahrgänge des Cornalin’s von Denis Mercier gereicht wurden.

Alle Weine gefielen ausserordentlich, selbst der älteste, 20-jährige Cornalin war noch genussvoll trinkbar. Geradezu überwältigend war aber der Jahrgang 2005, der ja auch schon 17 Jahre grereift war. Was da an Duftnuancen aus dem Glas strömte, war schon toll. Und im Mund diese Frische, diese noch jugendlich anmutende Saftigkeit, diese Fruchtigkeit – ganz einfach grossartig!

Cornalin aus dem Wallis ist nicht gleich Cornalin aus dem Aostatal

Der Cornalin ist eine Kreuzung zwischen den zwei aus dem italienischen Aostatal stammenden Sorten Mayolet und Petit Rouge – und sie gelangte wohl auch aus dem Aostatal ins benachbarte Wallis. Sie darf aber inzwischen durchaus als waschechte Walliserin gelten, wird sie doch schon seit etwa 700 Jahren hier angebaut (wobei diese Aussage umstritten ist, es könnte sein bzw. wird je nach Quelle als wahrscheinlich angesehen, dass es sich bei einer Nennung aus dem Jahr 1313 nicht um den Cornalin, sondern die Humagne rouge gehandelt hat). Der Cornalin gilt allerdings im Anbau als etwas kapriziös und war deshalb Mitte des letzten Jahrhunderts fast verschwunden. Glücklicherweise wurde aber die Qualität der Rebe wieder erkannt, und heute sind wieder rund 150 Hektar bestockt, was den Cornalin aber immer noch zur raren Spezialität macht.

Die Rebe war früher unter dem Namen „alter Landroter“ bekannt und wird erst seit der „Wiederentdeckung“ in den 1970er-Jahren als Cornalin bezeichnet. Lustigerweise erfolgte damit eine Namensverwirrung. Cornalin gibt es nämlich schon länger auch im Aostatal, der vermuteten Herkunft des alten Landroten. Bloss handelt es sich bei den beiden Cornalin’s nicht um die gleiche Rebsorte – jene im Aostatal ist nämlich mit der Humagne rouge aus dem Wallis identisch.

Mercier und die Mémoire des Vins Suisses

Die Domaine Mercier – Anne-Catherine und Denis Mercier – produziert seit 1982 Weine, zuerst auf 3 Hektar rund um das Schloss Mercier in Sierre. Es ist einer jener Betriebe, die schon, wie die Degustation zeigt, seit längerer Zeit Weine von hoher Qualität liefert. Heute umfasst die Domaine rund 13 Hektar, und inzwischen ist auch Tochter Madeleine Mercier im Familienbetrieb tätig. So ganz nebenbei: Die Oenologin Madeleine Mercier ist seit 2019 auch Präsidentin der „Mémoire des Vins Suisses“, wobei anzufügen ist, dass der Cornalin des Betriebes schon viel länger Eingang in die „Mémoire“ gefunden hat und deshalb auch für die fasziniernde Degustation zur Verfügung stand.

Faszinierende, gereifte Cornalin’s zum Verlieben!

Degustationsnotizen Cornalin, Domaine Denis Mercier

2011
Dunkles, noch jugendliches, glänzendes Purpur; würzig, rote Frucht, reife schwarze Kirschen; im Mund tolle Säure, sehr „satftig“, fruchtbetont, eher filigran, langer Abgang. Sehr schöner Cornalin. 17 Punkte.

2008
Dunkles, gereifts Purpur; Duft nach getrockneten Früchten und Bergheu; im Mund deutlich dichter als 2011, viel feines Tannin, gut stützende, aber zurückhaltende Säure, immer noch fruchtbetont, mittlerer Abgang. Anders im Styl, aber ebenso schöner Wein. 17 Punkte.

2005
Mittleres, glänzendes Purpur; feiner Duft nach einem Gewürzladen, unterlegt mit schönen, dunklen Früchten; im Mund sehr frisch, „saftige Säure“, viel, aber „mürbes“ Tannin, ganz leicht trocknend, füllig und rund mit viel Trinkfluss, immer noch fruchtig, mittlerer Abgang. Wunderbarer Wein noch voll „im Saft“ – Trinkgenuss pur auf sehr hohem Niveau. 18 Punkte.

2002
Eher helles Rot; Liebstöckel, leicht oxydative Töne (angeschnittener Boskoop-Apfel), dahinter etwas kandierte Frucht; im Mund etwas spröde geworden, gute Säure, eher filigran, mittlerer Abgang. Dieser Wein hat seinen Höhepunkt überschritten, ist aber durchaus noch genussvoll zu trinken. 16 Punkte.

Denis Mercier, Vigneron Encaveur, Vin, Sierre, Valais, Suisse

Am 21. April 2023 auf nach Lugano, um gereifte Schweizer Weine zu probieren!

In wenigen Tagen haben Sie in Lugano selbst die Gelegenheit, sich vom Altersungspotential von Schweizer Weinen selbst zu überzeugen:

Events | Mémoire des Vins Suisses (memoire.wine)


Interessennachweis:
Die Teilnahme an der Masterclass-Veranstaltung wurde zum normalen Eintrittspreis bezahlt.


Die 2020-er der Domaine Léandre-Chevalier: Ein genialer Neustart!

Grossartig, was Dominique Léandre-Chevalier und Reto Erdin im ersten Jahrgang nach der Wiedergeburt der Domaine im Bordelais präsentieren! Jetzt muss nur noch die Weinwelt endlich merken, welche tolle Weine hier kreiert werden!

Dominique Léandre-Chevalier war Insidern schon lange ein Begriff, denn er produzierte an den Cotes de Blaye, also quasi am „falschen“, rechten Ufer der Garonne, jahrelang authentische, manchmal auch etwas verrückte, aber immer hervorragende Bordeaux-Weine auf Spitzenniveau. Leider vergass der Qualitätsfanatiker Léandre-Chevalier dabei, dass auch die kommerzielle Seite stimmen muss, und so musste er die Domaine aufgeben. Die schon fast wundersame Rettung kam durch den Schweizer Reto Erdin, der das Gut erwarb und zusammen mit Dominique Léandre-Chevalier wieder aufbaute. Details zu diesem Abenteuer hier:
Domaine Léandre Chevalier: Die märchenhafte Rettung eines Ausnahmegutes in Bordeaux! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Mit dem 2020-er liegt nun der erste gemeinsame Jahrgang von Dominique und Reto vor oder kommt demnächst in den Verkauf. Wenn man Reto Erdin zuhört staunt man, welch grosses Wissen er sich schon angeeignet hat, und wie sehr er sich auch selbst einbringt – auch wenn er das Genie des Léandre-Chavalier weiter wirken lässt.

Ich hatte die Gelegenheit, alle Weine des Jahrgangs 2020 (ausser dem Rosé) bei Reto Erdin zu degustieren. Und ich kann es kurz machen:

Der Jahrgang 2020 der Domaine Léandre-Chevalier (DLC) ist hervorragend gelungen! Welch toller, vielversprechender Neustart!

Natürlich hat es auch die Natur in diesem Jahr sehr gut gemeint, aber trotzdem kann man nur den Hut davor ziehen, was hier in die Flasche gelangte. Die Weine sind zwar gegenüber früher etwas teurer geworden, aber das ist ja nicht verwunderlich, denn es wird weiterhin alles unternommen oder ausgebaut, was der Qualität zuträglich ist. Und auch an die Umwelt wird gedacht: Die Domaine arbeitet biologisch (wenn auch unzertifiziert) und ist dafür seit Kurzem als CO2-neutral anerkannt!

Und dass dieser Qualitäts-Fanatismus ohne angemessene Verkaufspreise nicht funktioniert, wurde auf dem Gut ja schon negativ „bewiesen“. Reto Erdin sagt denn auch klar, er betreibe die Domaine als Hobby, und das Ziel sei lediglich, innert nützlicher Frist Break-Even zu erreichen. Aber aktuell läuft es wirtschaftlich nicht gerade gut. Zwar blieben einige der bisherigen Absatzwege im Fachhandel erhalten, aber die Gastronomie in Frankreich, die früher ein sehr wichtiger Kanal war, ist aufgrund der Coronakrise fast völlig weggebrochen. Nur gut, dass es sich um sehr langlebige Weine handelt!

Reto Erdin, der neue Besitzer der DLC – er setzt die Qualitätsphilosophie vollumfänglich fort!

Tiefgründige, lebendige Rotweine – perfekt auch für die Gastronomie

Dabei, da war sich die kleine Degustationsrunde einig, würden sich die Weine der DLC hervorragend für die Gastronomie eignen (für die Privatgebrauch natürlich ohnehin!). Vom günstigen (CHF 17.90) Einstiegswein in Rot, dem „Gentilhomme“, einem fruchtbetonten, fröhlichen, merlotlastigen Wein, der trotz fehlendem Holz ganz „Bordeaux“ ist und viel Tiefgang aufweist, bis zum Paradewein DLC Tricolore, einem reinen Petit Verdot aus alten, wurzelechten Reben, der sündhaft teuer ist (CHF 150.00), der mit seiner Kraft und Finesse aber absolut begeistert und den man nur zu gerne einmal als Pirat in einer ganz höchstklassigen Serie sehen würde. Und dann wäre da ja noch „Le Joyau“, der Klassiker der Domaine mit gleichen Anteilen an Merlot und Cabernet Sauvignon sowie etwas Petit Verdot, den man mit seinen CHF 39.00 problemlos vielen teureren Cru Bourgeois und auch Classés vom anderen Ufer der Gironde gegenüberstellen (und vorziehen) kann.

Dazu eine kleine Geschichte am Rand: Ich trank während der Degustation keinen Schluck, schliesslich brauche ich meinen Fahrausweis noch. Dafür durfte ich den nicht zu knappen Rest des Joyau mit nach Hause nehmen. Dort habe ich ihn genossen – und wie! Unglaublich, wie zugänglich und saftig er sich im Moment gibt, und wie viel Finesse und Tiefgang er aufweist. Und mit jedem Schluck, wohl auch mit jedem Luftkontkakt mehr, wurde er noch besser und die Aromen noch abwechslungsreicher und spannender. Es war fast ein wenig ergreifend – mon Dieu, wie ich diesen jungen Wein genossen habe!

Zurück zur Gastronomie: Wenn ich ein Restaurant führen würde, käme der Gentilhomme sofort in mein Sortiment der Offenweine. Der hat alles, was es für einen ernst zu nehmenden Essensbegleiter braucht, er ist ein „Flatteur“, ohne anzubiedern. Und dank seiner aktuell etwas reduktiven Art kann er auch mal ein paar Tage offen bleiben, ohne gleich an Qualität zu verlieren.

Die Parade der roten 2020er der DLC – hochkarätig in allen Preissegmenten.

Spannende, eigenständige Weissweine

Sehr bemerkenswert ist auch das Sortiment der Weissweine. Allerdings handelt es sich nur in zwei Fällen um klassische Weisse. Die DLC stellt nämlich gleich mehrere Weissweine aus Rotweintrauben her. Was anfangs mehr als Anpassung an den Zeitgeist gedacht war (die Konsumenten wollen auch im inzwischen oft heissen Bordeaux Weissweine, und die Bestockung mit Weissweintrauben hinkt eher hinterher), hat sich bei der DLC zu einem eigenständigen Weinstil entwickelt. Die absolute Rarität, einen weissen Cabernet-Sauvignon, hatte ich hier schon einmal beschrieben:
Domaine Léandre-Chevalier: Die letzten Weine von der Insel. Und ein herrlicher Weisswein voller Rätsel. – Victor’s Weinblog (victorswein.blog) (siehe unten im Beitrag).

Ab 2020 gibt es den reinen CS als „Blanc de noir Cuve“ aus dem Stahltank. Neu gibt es aber nun auch noch – im Holz ausgebaut – einen weissen Merlot (Le Flatteur) sowie eine Mischung aus Merlot und CS, den „Blanc de noir fût“.

Ganz neu für die Domaine sind aber zwei „echte“ Weissweine aus Sauvignon blanc. Da ist zuerst der bemerkenswerte „Le Séducteur“, ein in neuem Holz ausgebauter Wein mit nur 11 % Alkohol (Ernte am 1. September 2020!), und dann der „Vin d’Amphore“, ein Orangewein, dem man aber freilich nur am Duft anmerkt, dass er ein „Vin orange“ ist.

Degustationsnotizen in Kurzform:

Weissweine:

Vin d’Amphore 2020, Sauvignon blanc, 10 Tage an der Maische (Orangewein, aber kein „Naturwein“ und deshalb auch haltbar), nur ca. 11 % Alkohol.
Mittleres Gelb (nicht wirklich „orange“); Lychee, Papaya, Schwarztee; knochentrocken, schöne, eher weiche Säure, leicht adstringierend, langer Abgang. Sehr spannender Wein. 16,5 Punkte.

Le Séducteur 2020, Sauvignon blanc, in neuen Barriques ausgebaut, nur ca. 11 % Alkohol
Intensiv, aber schön holzbetont, etwas Zitrusfrucht, weisse Johannisbeeren; tolle, knackige, aber nicht übertriebene Säure, sehr frisch, ganz leicht adstingierend, schlank, aber trotzdem mit einem gewissen Schmelz, langer Abgang. Schöner, durch seinen tiefen Alkoholgehalt eigenständiger SB. 17 Punkte.

Blanc de noir Cuve 2020, Cabernet Sauvignon weiss ausgebaut, Stahltank
Frische, knackige Frucht (Stachelbeeren, weisser Pfirsich, etwas Zitrus); Im Körper spürt man die Rotweinsorte, dicht, mit toller Säure, mundfüllend und rund, spürbarer, aber gut eingebundener Alkohol, mittlerer Abgang. Spannender Wein! 17 Punkte.

Blanc de noir Fût 2020, je 50 % Cabernet Sauvignon und Merlot, weiss ausgebaut in Barriques
Exotische Frucht, viel neues Holz; im Mund rund, fast etwas mollig, eher tiefe Säure, aber mit schöner Frische, spürbare, aber nicht dominante Restsüsse, Alkohol im langen Angang leicht spürbar. Spannender, vielen wohl sehr gefallender Wein; zu einer Käseplatte wohl rundum perfekt. 16 Punkte.

Le Flatteur 2020, 100 % Merlot, in neuem Holz ausgebaut und die „Malo“ durchlaufen
Süsslicher Duft, exotisch nach Ananas und Papaya, etwas Lindenblüte; im Mund mit ziemlich dominanter Restsüsse (auch wenn der Wein noch als trocken gilt), mollige Rundheit, spürbare, aber eher dezente Säure. Geschmacksache, durchaus spannend, vielen wird der sogar sehr gefallen, aber von mir gibt es der Molligkeit wegen nur 15,5 Punkte (was immer noch „gut“ bedeutet!)

Rotweine:

Le Gentilhomme 2020 (80 % Merlot, 20 % Cabernet Sauvignon)
Zuerst sehr reduktive Töne in der Nase, ohne Luft fast schon störend nach Vulkan und Pferdestall. Mit etwas Luft dann plötzlich nur noch sehr fruchtig (Brombeer, Pflaume), etwas rote Peperoni; im Mund sehr ausgewogen, rund und üppig, mit toll eingebundener Säure, fruchtig. Mittlerer Abgang. Süffiger, fruchtiger Wein, der aber auch eine erstaunliche Stuktur und „Rückgrat“ aufweist. Auch wenn es abgelatscht ist: Preis-/Leistung fast unschlagbar! 16 Punkte.

Le Joyau 2020 (48 % Merlot, 48 % Cabernet Sauvignon, 4 % Petit Verdot), 100 % neue Barriques
Sehr noble Nase, Zedernholz, Tabak, dunkle und getrocknete Früchte, keine Spur von Neuholz zu riechen!; im Mund elegant, feingliedrig aber auch druckvoll, enorm vollgepackt mit sehr feinen Tanninen, im Moment sehr fruchtbetont und extrem „saftig“, langer Abgang. Rundum einfach ein toller Wein! 18 Punkte.

33’333, 2020 (100 % Merlot aus Parzelle mit 33’333 Stöcken pro Hektar („normal“ sind ca. 5’000 bis 8’000).
In der Nase noch etwas verhalten, etwas Brombeer und Zwetschge; im Mund mit enormer Finesse, herrlich feine Tannine, gut integrierte Säure, leicht spürbar neues Holz, spürbare Fruchtsüsse macht ihn rund und – sorry für den Ausdruck – „wohllüstig“. Ich habe schon „klassischere“ 33’333 gehabt, aber der 2020er ist ein tolles, rundes „Elixier“. 18 Punkte.

100 % Provocateur 2020 (100 % Petit Verdot, ebenfalls aus einer Parzelle mit rund 33’000 Stöcken)
Wirkt aktuell etwas im Tiefschlaf, sehr zurückhaltende, verschlossene Nase mit edlen Düften nach Zedern und angetönter Frucht; im Mund enorme Menge an schönen Tanninen, aktuell etwas „trocknend“, schöne Säure, elegant und dicht. Für mich in Moment schwer beurteilbar, wirkt gerade etwas spröde, aber wenn ich an frühere Jahrgänge denke, hat er eine grosse Zukunft. 17,5 Punkte (was vermutlich zu wenig ist).

Tricolore 2020 (100 % Petit Verdot, Parzelle mit rund 33’000 Stöcken, aber alle alt und wurzelecht)
Fazinierende Nase auf der würzigen Seite, Sandelholz, dezent Eucalyptus, dunkle Frucht; im Mund umwerfend: extreme Dichte, fast zum Abbeissen, gleichzeitig aber fein und extrem elegant, tolle Säure und viele, aber enorm feine Tannine, äusserst langer, eleganter Abgang. Traumhaft! 19 Punkte.

Zur Homepage mit Onlineshop:

Hommecheval – Weingenuss aus dem Bordeaux

Die meisten Weine werden in der CH auch durch Gerstl und in D durch Lobenberg vertrieben.

Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein!

Regio Basel. Markgräflerland. Spitzenwein? Ja, das passt zusammen! Rund 10 Kilometer nördlich von Basel herrschen Bodenverhältnisse ähnlich wie im Burgund. Und wenn hier ein Winzerpaar wie die Ziereisen’s tätig ist, dann resultieren eigenständige, grossartige Traumweine.

Blick von der Rebbergen auf Efringen-Kirchen (vorne) und Basel (Hintergund).

Rund 30 Jahre sind es her, seit Hanspeter Ziereisen seinen erlernten Beruf als Schreiner aufgab, um sich dem elterlichen Hof in Efringen-Kirchen zu widmen, einem Mischbetrieb (u.a. Spargel!), der auch etwas Reben besass. Hanspeter war überzeugt, dass man an den Hängen über dem Dorf, welche aufgrund einer geologischen Überwerfung schwergewichtig Jurakalk als Untergrund aufweisen, hervorragenden Wein herstellen könnte, der ganz anders sein müsste, als es die damaligen Tropfen der Region waren.

Der „Kalkfelsen“ zwischen Efringen und Istein: aussergewöhnliches Terroir (die Reben gehören nicht zu Ziereisen, das Bild zeigt aber schön die geologischen Verhältnisse)

Allerdings war die erste Hälfte von Ziereinsen’s Wirken nicht einfach. Zwar sagt seine Gattin Edeltraud (kurz: Edel) mit einem Augenzwinkern, sie selbst sei seit 1996 auf dem Hof, und seit 1997 werde hier guter Wein gemacht. Aber so richtig gesucht waren die den Beschriebungen nach schon damals authentischen, aber filigranen und vielleicht nicht auf den ersten Schluck verständlichen Weine nicht. Es war die Zeit, in welcher die Weinfreunde vor allem die Frucht-, Extrakt- und Alkoholbomben aus Australien, Spanien und Süditalien als Mass der Dinge sahen – und wenn ein einheimisches Gewächs, dann musste es wenigstens rund und fruchtig sein. Als Tribut an den Zeitgeist wurde deshalb in den Jahren 2000 – 2004 auch bei Ziereisen chaptalisiert, d.h. der Wein durch das Zufügen von Zucker während der Gärung alkoholreicher und runder gemacht.

Interessanterweise verdanken wir zum Teil gerade dieser damaligen Durststrecke im Absatz der Weine die heutige Aussergewöhnlichkeit von Ziereisen’s Sortiment: Das Weingut hinkt in der Vermarktung immer ein bis zwei Jahre hinterher, aktuell sind schwergewichtig noch die 2017er im Verkauf, die 2018er sind oder werden erst gerade abgefüllt. Der Wein darf also bei Ziereisen ruhen und reifen.

Der Wein braucht einfach seine Ruhe
Überhaupt: Der Wein bekommt bei Ziereisen viel Ruhe und darf sich sozusagen selbst entwickeln. Einen „flying winemaker“, wie ihn einige andere Winzer für Tagesgagen von bis zu 3’000 Euro verpflichten, braucht Ziereisen nicht. Und dass Weinlehranstalten heutzutage vor allem zum Vermeiden von Fehlern und nicht zum Kreieren grosser Weine ausbilden, möchte er lieber ausblenden. Ihm genügt seine Erfahrung und sein Gefühl – und der Wein macht das schon selbst richtig, wenn man ihn denn lässt und schonend begleitet. Vergoren wird auf der Wildhefe, und fast alle Weine bleiben danach im kleinen oder grossen Holzfass (Inox sucht man im Ausbau-Keller vergebens) eineinhalb bis zwei Jahre auf der Feinhefe liegen. Die grösseren Gewächse werden sogar unfiltiert abgefüllt. Böse Zungen sagen zwar, der Wein erhalte nur deshalb diese Ruhe, weil Hanspeter noch lieber im Rebberg als im Keller arbeite – aber wer ihn selbst über seine Weine reden hört, spürt seine Überzeugung zu seiner Kellerarbeit. „Slow wine“ sozusagen!

Holz, soweit das Auge reicht: Hier ruhen sich Ziereisen’s Weine aus, bevor sie abgefüllt werden.

Aber Arbeit haben Ziereisens ohnehin genug. Aus einem kleinen Rebgut ist inzwischen ein Betrieb mit 21 Hektar Rebfläche entstanden. Ein Blick auf die Besitzverhältnisse am Efringer Hang zeigt, dass heute rund die Hälfte des Rebberges Ziereisens gehört, darunter Land in den allerbesten Lagen. So viel Ruhe der Wein bekommt, so sehr ist das Ehepaar Ziereisen immer auf Achse. Bei unserem Besuch auf dem Hof zeigte sich Edel als nimmermüde Gastgeberin mit einem wachen Auge auf die Anliegen aller Besucher (man kann vor Ort Wein kaufen), während Hanspeter noch am späten Samstagabend eine defekte Maschine selbst reparierte, bevor er sich auch in unsere Runde gesellte. Ruhe scheint für Ziereisen’s ein Fremdwort zu sein, und man hat den Eindruck, es wäre ihnen auch nicht wohl, wenn sie nicht arbeiten könnten.

Gefühl und Kreativität im Rebberg
Zurück zum Rebberg: So, wie im Keller vor allem mit Erfahrung und Gefühl gearbeitet wird, so sehr ist Beobachtung und Erfahrung – und eben wieder Gefühl – der Schlüssel zu einer idealen Pflege der Reben. Die Unterschiede der Lagen, die Art der Erziehung, der ideale Zeitpunkt zur Lese, aber zuvor auch zur Entlaubung, die Menge der Blattmasse – alles ist bei Ziereisen durchdacht und mit Erfahrungen hinterlegt, die man doch in jedem Jahr wieder den Gegebenheiten anpassen muss – mit dem Gefühl für das Richtige halt!

Seit einigen Jahren bewirtschaften Ziereisen’s zusätzlich noch Reben in der Schweiz, direkt an der Grenze in Riehen (mit schönem Blick auf die Fondation Beyeler). Auch diese Weine gelingen bereits hervorragend, aber Hanspeter Ziereisen gibt offen zu, dass er überzeugt ist, die Qualität mit den Jahren noch steigern zu können, weil er – zusammen mit dem dort eingesetzten Betriebsleiter – mit jedem Jahr den Rebberg noch besser zu verstehen lerne. Die Reben in Riehen liegen nur rund 10 Kilometer entfernt und in ähnlicher Ausrichtung. Aber das Kleinklima ist völlig anders, hier ist es wärmer, da die kühlen Nachtwinde vom Schwarzwald weniger gut bis in diese Lage ziehen können und wohl auch, weil die nahe Stadt einfach wärmer ist.

Der Rebhang von Efringen-Kirchen: Idealer Boden, beste Ausrichtung und ideales Mikroklima. Rund die Hälfte davon wird von Ziereisen’s bewirtschaftet.

Die Rebberge der Ziereisen’s können auch schon fast als Lehrbuch dafür genutzt werden, wie man mit perfekter Arbeit und mit dem Mut zu Experimenten den Wein immer noch eine Nuance besser macht. Ein paar Beispiele: Eine Neupflanzung wurde in extrem hoher Stockdichte gesetzt, womit der Ertrag pro Stock reduziert werden kann, was die Reben auch zwingt, tiefer zu wurzeln. In Zeiten des Klimawandels ein unersetzlicher Vorteil. Oder die Laubarbeit: Um die Trauben trocken zu halten und damit der Fäulnis vorzubeugen, sollte man die Blätter in der Traubenzone möglichst entfernen. Umgekehrt bieten die Blätter den Beeren Schutz gegen zu viel Sonne, welche sie nicht nur „verbrennen“ kann, sondern den Trauben auch Frische entzieht. Ziereisen löst das Problem, indem die Blätter auf der sonnenabgewandten Ostseite entfernt, während sie auf der anderen Seite der Reihe am Stock belassen werden. Oder das Eingehen auf die Traubensorte: Während die Burgundersorten mit relativ wenig Blattmasse auskommen, muss die Syrah mit ihrer Wuchskraft sich „austoben“ können. Die Lösung: Die Triebe der Rhonetraube werden um den obersten Draht gewickelt und können somit länger belassen werden und mehr Blätter bilden. Oder Pinot-Stöcke, die im Zapfenschnitt erzogen werden? Ziereisen’s probieren das aus, weil dieser Schnitt ertragsregulierend und alkoholmindernd wirken soll. Und noch ein Unikum: In einer Parzelle wurden statt einer Neupflanzung von Reben die neuen Schösslinge auf das bestehende Holz aufgepfropft, womit die tief wurzenden Stöcke erhalten bleiben – und nebenbei erst noch im ersten Pflanzjahr schon ein Ertrag erzielt werden kann!

Neubestockung: Extreme Dichte für höchste Qualität!

Das ist Ziereisen: Immer aktiv, immer mit dem Ziel auf das noch etwas Bessere, immer beobachtend, immer suchend – immer auf Achse! Mit diesem Engagement, diesem Enthusiasums, dieser Begeisterung für die (Hand-)arbeit kann es nicht überraschen, dass das Weinsortiment der Ziereisen’s von aussergewöhnlicher Qualität ist.

Ich hatte das Vernügen, einen ganzen Nachmittag lang das ganze, grosse Sortiment degustieren zu dürfen, inkl. der Weine aus Riehen. Eingeladen hatte Florian Bechtold, und er erwies sich als Glücksfall. Einerseits bestach er – angehender Sommeliermeister – mit einem enorm breiten und tiefen Weinwissen, andererseits, und in diesem Fall vor allem, dadurch, dass er im Rahmen seiner Ausbildung als Praktikant bei Ziereisen gearbeitet hatte. Seine Erläuterungen zu den einzelnen Weinen waren deshalb unbezahlbar.

Die klare Handschrift durch das ganze Sortiment
Das Ziereisen-Sortiment umfasst 28 verschiedene Weine, vom „Heugumber“, dem Basis-Gutedel zu Euro 6.50, bis zum Jaspis Gutedel 104 zu Euro 125.00. Davon konnten wir 25 Weine verkosten – zusammen mit vier Weinen vom Weingut Riehen also 29 Proben. Und es gibt, vielleicht mit Ausnahme des duftmässig gewöhnungsbedürftigen trockenen Gewürztraminers, in jeder Preis- und Weinkategorie nur ein Prädikat: aussergewöhnlich. Nein, es gibt ein zweites: grossartig!

Allen Weinen, einfach oder Weltklasse, ist gemein, dass sie eine grosse mineralische Frische ausstrahlen, und das die Fruchtigkeit nicht vordergründig, sondern dezent spürbar eingebunden im Gesamtbild wirkt. Zudem ist kein einziger Wein, obwohl alle in Holz ausgebaut sind, jemals stark holzbetont. Zudem sind bzw. wirken alle Weine trocken, da gibt es nichts von „billiger Süsse-Fruchtigkeit“.
Wo nicht anders erwähnt, handelt es sich immer um den Jahrgang 2017:

Schon die Basisweine – „Rebsorten-Weine“ – sind allesamt alles andere als einfach, auch wenn sie natürlich mit den grossen Weinen nicht mithalten können. Die meisten davon werden – im Gegensatz zu den höherklassigen – filtriert abgefüllt. Ganz speziell gefallen hat mir hier der dichte, „fadengerade“ und zudem recht fruchtige Grauburgunder – für 9.80 Euro ein unglaublicher Gegenwert. Und auch der „Heugumber“ 2018, ein Gutedel für 6.50 Euro, steht mit seiner zwar noch etwas reduktiven, aber dichten und mineralischen Art weit über vielen teureren Chasselas aus der Schweiz.

Die nächste Qualitätsstufe, die „Premium-Weine“ spielen dann aber doch in einer anderen Liga. Bei den Weissen mag man sich fast nicht festlegen, ob man nun der Gutedel „Steingrüble“, den ich übrigens in einem anderen Jahrgang hier schon einmal fasziniert beschrieben hatte:
https://victorswein.blog/2018/02/03/gut-und-edel/,
den Weissburgunder „Lügle“, den Grauburgunder „Moosbrugger“ oder gar den Chardonnay „Hard“ bevorzugt.
Etwas einfacher wird die Wertung bei den Roten, vier verschiedene Blauburgunder und ein Syrah. Schon der „Tschuppen“ besticht durch seine eigenständige, würzige und florale Art. Der Talrain (17.80 Euro), der sechs Wochen an der Maische gelegen hat, weist im Moment noch etwas trocknende Tannine auf, hat aber eine tolle Struktur, duftet schon sehr typisch nach Pinot – und dürfte in 3-4 Jahren ganz toll sein. Das Highlight in dieser Kategorie ist aber der Rhini. In dieser Lage überdeckt eine dicke Löss-Lehmschicht den Kalkboden, und der Wein wirkt tatsächlich anders: fruchtbetont (aber nicht aufdringlich), sehr dicht, prägende Tannine, gleichzeitig sehr „saftig“. 34.00 Euro – aber jeden Cent wert!

Fast wäre nun der Syrah Gestad aus dieser Linie vergessen gegangen. Spannend, was aus dieser Sorte im Markgräflerland gemacht werden kann!

Bei anderen Winzern wäre das Sortiment damit abgeschlossen, bei Ziereisen beginnt es qualitativ hier erst so richtig (eine Aussage, die allerdings die bisher beschriebenen Weine ungerechtfertigt abwertet)! Jaspis heisst die Linie, die „Premium“ noch toppt. Jaspis ist ein Edelstein auf Quarz-Basis, der Name passt somit sehr gut zum überaus mineralischen und edlen Sortiment.
Der Grauburgunder hat viel reife Frucht, duftet nach Honig und ist, bei schöner Säure, dicht, und der Abgang fast unendlich. Ein unsüsses Elixier!
Im Gegensatz dazu ist der Chardonnay mit feiner Frucht unterlegt, feingliedrig und überaus elegant. Ein Wurf!
Aber die Krone – nach meiner Meinung im ganzen Sortiment – gehört einem Gutedel, dem 104: Unglaublich feine, zwar intensive, aber doch nicht aufdringliche Fruchtnote mit einem ganzen Bündel an Düften, im Mund zuerst filigran wirkend, dann enorm viel Druck aufbauend, total ausbalanciert, enorme Länge. Ein Traumwein – und ein Horror für alle Chasselas-Verächter. Aus dieser Rebsorte kann man ganz offensichtlich Weine herstellen, die man blind ins gehobene Burgund denken würde!

Gutedel (Chasselas) der unglaublichen Art: Ein feingliedriges, tiefgründiges Monument, das man locker gegen einen guten Burgunder stellen kann!


Bleiben die Roten der Jaspis-Linie, und auch da bleibt vor allem das Staunen: Schon der Blauburgunder mit seinem dunklen Kirschenduft und einer enormen Eleganz und Frische ist – auch im noch nicht reifen Zustand – ein genialer Wein. Schade nur für ihn, wenn danach der (2015-er) „alte Rebe“ serviert wird. Bereits etwas gereifte Frucht von Himbeere und Johannisbeere, etwas Pilz und Leder, im Mund ein Feuerwerk, dicht, „burgundisches Feuer“ ohne jede Brandigkeit, bereits etwas gereifte Tannine, wunderschön stützende Säure – ein Traumwein zum Meditieren!
Der Syrah hatte es nach diesem Wein etwas schwer, dabei ist er aber absolut überzeugend. Er ist in 50 % neuem Holz ausgebaut, aber Holz spürt man nur sehr dezent, es herrschen typische Sarah-Noten vor. Ein Syrah, der sich vor jenen aus der Rhone nicht verstecken muss.

Und dann wäre da ganz zum Schluss der Degustation noch dieser andere, überirdisch gute Wein, „Jaspis Unterirdisch“ 2016, ein in der vergrabenen Amphore vergärter und ausgebauter Gutedel ohne Schwefel – ein Naturwein: Orange Farbe, spürbare Hefenote, erstaunlich fruchtig (Johannisbeeren und Stachelbeeren), spürbare, etwas trocknende Tannine, langer Abgang. Gelungener, spannender Wein, der alle Vorurteile gegen Naturwein widerlegt.

Einmalig grossartig
Es verwundert natürlich nicht, dass auch die Grossen der Weinkritik das Gut längst entdeckt haben. Nur zwei Beispiele: Diverse Parker-Punkte von Stephan Reinhardt machen das Gut interessant und einige Weine noch rarer, und Gault Millau führt den Betrieb mit 5 Sternen = Weltklasse und gibt dem Jaspis Gutedel 104 die vollen 100 Punkte!

Und trotzdem sind Ziereisen’s bescheiden geblieben und nicht abgehoben (Na gut, sieht man einmal vom Preis des 104 ab, zu dem die FAZ schrieb, nicht einmal Hanspeter selbst glaube, dass das gerechtfertigt sei. Allerdings sind dann die Weinpreise vieler anderer Produzenten genau so wenig begründet).
Ziereisen – das ist die vermutlich fast einmalige Kombination zwischen Bescheidenheit, handwerklicher Bodenständigkeit und genialer Kreativität und Gefühlsbetontheit. Grossartig und einmalig!

http://www.weingut-ziereisen.de


Das Weingut in der Schweiz: Ullrich + Ziereisen, Weingut Riehen
Nur am Rand erwähnt habe ich die Weine (Le Petit und Le Grand, jeweils in weiss und rot) des „Weingutes Riehen“, das Ziereisens zusammen mit der Weinhandlung Paul Ullrich unter der Betriebsleitung des jungen, offenbar begnadeten Silas Weiss bewirtschaftet. Alle Weine des Gutes sind empfehlenswert, der Ziereisen-Stil zeigt sich auch hier. Besonders angetan bin ich von einem momumentalen Sauvignon blanc, der allerdings sehr sortenuntypisch daherkommt. Und ein Wermuthstropfen: Die Weine sind mit rund CHF 35.00 (Petit) und CHF 70.00 (Grand) auf der gehobenen Seite.
http://www.weingutriehen.ch


Florian Bechtold, begnadeter Weininsider mit Praktika bei Ziereisen’s
Der Organisator des Tages, Florian Bechtold, ist aktuell an einem äusserst spannenden Weinprojekt, das ich hier sicher noch verstellen werde, sobald die Zeit dafür reif ist. Vorerst kann ich Florian bestens empfehlen als sehr kompetenten Fachmann für Weinberatungen aller Art, Weinreisen, Weinabende oder als Sommelier:
http://www.facebook.com/flobechtold

Alter Name – neue Dynamik: Ferraton in Tain l’Hermitage.

Ferraton Père et Fils, ein alt eingesessenes Gut in Hermitage, hat sich in den letzten Jahren gewandelt – von gut zu aussergewöhnlich. Syrah und Marsanne zum Wiederentdecken, auch in den kleineren Appellationen! Und alles bio-dynamisch.

Hermitagehügel
Der berühmte Hügel von Hermitage von Tournon aus gesehen (Aufnahme aus 1991)

Ich erinnere mich gut an einen Besuch bei Ferraton Père et Fils in der Altstadt von Tain l’Hermitage im Jahr 1991. Michel Ferraton empfing mich sehr zurückhaltend und taute erst etwas auf, nachdem ich seine Weine positiv kommentiert hatte. Er erzählte mir danach von seiner Frustration über eine in der Woche zuvor erschienene Publikation von Michel Bettane, in der die Weine vor Ferraton geradezu verrissen worden waren. Ich konnte das nicht nachvollziehen, auch wenn Ferratons Weine nicht wirklich Spitze waren, so hatten sie doch Charakter und waren sauber – im Gegensatz zu einigen anderen Weinen aus der nördlichen Rhone zu jener Zeit. Und selbst Parker himself benotete die Cuvée des Miaux der 80er-Jahre regelmässig mit 90 Punkten.

Allerdings war es damals auch nicht ganz so schwierig, beim Hermitage weit vorne im Ranking zu stehen. Chave war outstanding (ich habe allerdings im Parker-Buch „The Wines of the Rhône Valley“ nachgesehen, auch er schaffte in jenen Jahren nur 3 Parker-Punkte mehr), Paul Jaboulet Aîné war gerade daran, mit seiner „La Chapelle“ auf ein ähliches Niveau aufzusteigen und Guigal sowie Delas brachten schöne Hermitage in die Flasche. Aber sonst? Châpoutier, heute absolute Spitze, war qualitativ in einer tiefen Baisse und Sorrel pendelte zwischen genial und schwierig. Und Faurie, Grippat und Fayolle brachten jedenfalls keine besseren Weine hervor als Ferraton.

Genug der Erinnerungen: Bei Ferraton übernahm schon bald Sohn Samuel das Ruder, und heute gehören die Weine zum Allerbesten, was die nördliche Rhone zu bieten hat. Die Entwicklung hängt eng zusammen mit der Metamorphose, welche das Haus Châpoutier erlebt hat. Dort entschied sich der junge Michel Châpoutier voll für Qualität und bio-dynamischen Rebbau und setzte (und setzt) damit Qualitätsmassstäbe. Den Ferratons freundschaftlich verbunden, übernahm er den Betrieb um die Jahrtausendwende (je nach Quelle beteiligte er sich auch „nur“ finanziell), und auch die Reben von Ferraton wurden fortan bio-dynamisch bewirtschaftet. Das Gut blieb aber eigenständig und verstärkte sich in den Folgejahren auch zusätzlich mit hervorragenden Oenologen. Mit grossem Erfolg, das Haus gehört heute zu den angesehensten Betrieben der nördlichen Rhone – und erzielt leider auch entsprechende Preise für die Spitzenweine. Diese liegen in einer Grössenordnung, welche nicht zum Konzept meines Blogs passen und welche ich auch ganz privat nur in wenigen Ausnahmefällen zu bezahlen bereit bin.

Es war deshalb naheliegend, die „kleineren“ Weine des Betriebes zu probieren. Die Chance dazu bot sich, weil Gerstl neu einige Weine von Ferraton im Angebot hat. Also bestellte ich bei passender Gelegenheit je einen Syrah aus Crozes-Hermitage und einen Marsanne aus St. Joseph dazu. Beide Weine überzeugten vollauf:

crozes-hermitageCrozes-Hermitage Les Pichères 2015
Dunkles, sehr dichtes Purpur; Pfeffer, Cassis, Heidelbeeren; satte, leicht trocknende Tannine, prägnante, schön stützende Säure, „feurig“, gesamthaft sehr kraftvoll und doch mit schöner Eleganz und Harmonie, mittlerer Abgang. Toller Syrah, der jetzt schon grosse Freude macht, dem aber ein paar Jahre Langerung noch gut tun.

St. Joseph La Source 2016 (weiss)
Mittleres Strohgelb; Mirabellen, weisse Pflaumen, grüne Töne; sehr dicht im Mund, spürbarer Süsskomplex bei eher tiefer Säure, dafür sehr mineralisch, mundfüllend und rund, sehr langer Abgang. Schöner, sehr typischer Marsanne, der mit einer Nuance mehr Säure noch spannender wäre. (Im Gegensatz zu Gerstl, der ihn als idealen Sommerwein sieht, würde ich ihn an kühlen Herbsttagen hervorholen. Dafür gibt ihm Gerstl auch „nur“ 17,5 Punkte. Ich würde 16,5 Punkte verteilen, was dann relativ gesehen aufgrund der Notenskala von Gerstl aber eigentlich höher liegt – schön, wenn ein Weinhändler nicht übertreibt!).

Rundum: Zwei sehr gelungene, empfehlenswerte Weine aus kleineren Appellationen der nördlichen Rhone, welche noch bezahlbar sind (rund CHF 30.00). Sie machen Lust auf die grossen Weine von Ferraton – wären da nur nicht die Preise um CHF 100.00 (was ja immerhin, verglichen mit einigen anderen, immer noch „günstig“ ist).

Und Michel Bettane? Er scheint Ferraton auch wieder zu mögen. Er gibt, bzw. Bettane + Desseauve geben, dem Pichères 2015 auf den ersten Blick bescheidene 15 Punkte. Das ist aber eine wirklich gute Note; die beiden französischen Weinkritiker haben sich nie der „Punkteinflation“ angeschlossen. Zum Vergleich: Die Domaine de Thalabert 2014, eine Referenz für die Appellation Crozes-Hermitage von Jaboulet Aîné, bekommt 14,5 Punkte – Parker gibt dem gleichen Wein 91!

http://www.ferraton.fr/
https://www.gerstl.ch/de/sortiment/weisswein/frankreich/rhone/rhone-nord/ferraton-pere-fils-la-source-product-15528.html (der Syrah ist nicht mehr im Angebot)
https://www.gute-weine.de/frankreich/rhone/nordrhone/ferraton-pere-et-fils/

https://www.chapoutier.com/fr/


Infos zu den Weinbaugebieten:

Crozes-Hermitage: Diese Appellation liegt am linken Ufer der Rhone und ist das grösste Gebiet der nördlichen Rhone mit rund 1’400 Hektar Reben, wobei mehr als 90 % der Produktion auf Rotwein aus Syrah entfällt. Für Weisswein sind Marsanne und Roussanne zugelassen. Das Zentrum des Gebietes ist eigentlich Tain l’Hermitage, das Anbaugebiet befindet sich nördlich, südlich und östlich des Städtchens. Je teurer und gefragter die Weine vom Hermitagehügel werden, desto mehr verlangert sich das Interesse auf dieses Gebiet, das in den beiden letzten Jahrzehnten auch enorme qualitative Fortschritte gemacht hat.

Hermitage: Direkt überhalb von Tain l’Hermitage liegt der Hermitage-Hügel (siehe Bild), der je nach Lage von Granit, Lehm, Sand oder Sandstein geprägt ist. Auf diese Appellation entfallen nur 136 Hektar Rebfläche, und entsprechend rar sind die Weine. Hermitage gilt in der nördlichen Rhone, etwas konkurrenziert durch die nördlich am anderen Rhoneufer gelegene Appellation Côte Rôtie, als die Paradelage für Weltklasse-Syrah (und ein wenig Weisswein aus den gleichen Sorten wie in Crozes-Hermitage).

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Blick von ganz oben. Die „Chapelle“ auf dem Hermitagehügel. Unten Tain l’Hermitage und auf der anderen Seite der Rhone Tournon (und ein Teil des Anbaugebietes von St. Joseph).

St. Joseph: Diese Appellation befindet sich auf der rechten Seite der Rhone und erstreckt sich über rund 50 Kilometer Länge – teils direkt gegenüber von Hermitage bzw. Crozes Hermitage. Es sind rund 1’100 Hektar bepflanzt, und die Traubensorten sind die gleichen wie auf der anderen Rhoneseite. Praktisch gleich wie Crozes-Hermitage hat sich auch St. Joseph zu einem ernst zu nehmenden Gebiet entwickelt.

 

Sandrine Caloz von Parker geadelt – ein Beispiel mehr für Schweizer Spitzenweine!

Für einmal etwas Eigenlob: Sandrine Caloz, die Bio-Winzerin aus Miège, wird von Parker in höchsten Tönen gelobt – gleich sieben ihrer Weine erhielten über 90 Punkte! Auch in meinem Blog war sie mit zwei dieser Gewächse bereits sehr lobend erwähnt.

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Die Eingangstafel zur Cave Caloz (2017, damals noch in Umstellung)

Seit Stephan Reinhardt für unsere Region die Verantwortung übernommen hat, geht es mit Parker aufwärts 🙂 – sorry, gemeint ist natürlich mit den Schweizer Produzenten. Eigentlich müsste man ihm schon heute in einem schönen Rebberg ein Denkmal setzen! Tatsächlich ist Stephan für den Schweizer Weinbau ganz einfach ein professioneller Glücksfall – er kennt und schätzt offensichtlich unsere Weine und er hat wohl dank seiner Benotungen mehr zur internationalen Bekanntheit des Schweizer Spitzenweinbaus beigetragen als alle Branchenverbände mit ihren Werbeversuchen in Jahrzehnten zuvor! (Was bei allem verdientem Respekt für Reinhardt allerdings eher gegen unsere Verbände spricht!).

Neu aufgenommen im Parker’schen Olymp wurde Sandrine Caloz. Vor drei Jahren (die Bilder entstand damals) habe ich ihren Betrieb erstmals besucht, und ich hielt die Weine für extrem spannend, wenn auch teils etwas gewöhnungsbedürftig. Gerade „blogwürdig“ fand ich sie aber damals noch nicht. Anfangs Dezember des letzten Jahres konnte ich in Zürich zwei ihrer Weine neu probieren – und war definitiv begeistert (wie von fast allen Weinen, welche die Vereinigung der jungen Winzer der Schweiz zeigten):
https://victorswein.blog/2020/01/05/die-jungen-wilden-nur-halb-so-wild-dafur-total-gut/

Ganz offensichtlich hat die junge Winzerin nochmals massiv zugelegt, und das ist auch Stephan Reinhardt nicht verborgen geblieben. Er wird mit den Worten zitiert (Quelle: Alexandre Truffer auf Facebook):
„Sandrine has an artisanal approach and say she ist producing her wines like her grandfather did more than 50 years ago. Her wines are subtle, finessed and full of energy and personality. It’s hard to like conventional wines after having tasted those“.

Herzliche Gratulation, Sandrine, unsere neue Botschafterin für Schweizer Spitzenweine! Trotzdem zeigt das Beispiel auch eine andere Seite der Weinbewertung und -benotung. Denn tatsächlich bewegen sich nur schon die meisten der oben erwähnten Mitglieder der Vereinigung der jungen Winzer auf ähnlichem Niveau, ohne bei Parker Eingang gefunden zu haben. Wer schafft es in den Olymp und wer nicht? Da entscheiden wohl oft auch Nuancen. Aber das soll unsere Freude an Sandrine Caloz Erfolg natürlich nicht schmälern! Und wie hervorragende Winzerinnen und Winzer dem Glück manchmal auch mit eigener Initiative etwas nachhelfen können, lesen Sie (französisch) hier: https://www.swiss-wine-tasting.ch/fileadmin/UserFiles/2020/07_Pressbook/MF_03-09-2020.pdf

http://www.cavecaloz.ch

https://www.lenouvelliste.ch/articles/valais/canton/vins-deux-nouveaux-talents-valaisans-remarques-par-le-parker-915166

https://www.robertparker.com/ (Artikel nur für Abonnenten zugänglich)

https://www.jsnw.ch/home/

Völlig unterschätzt im Bordelais: Moulin Haut-Laroque und Fronsac!

Gewisse Erlebnisse vergisst man nie: Auf der Bordeaux-Primeur-Degustationsreise für den Jahrgang 1990 nahm mich Rolf Bichsel, der damals eben erst bei Vinum begonnen hatte, im Auto von St. Emilion mit zurück nach Bordeaux. Allerdings bestand er auf einem Umweg. Er hielt grosse Stücke auf einem Château in der Appellation Fronsac, und so lernte ich dieses damals völlig unbekannte Gut und seinen Besitzer Jean-Noel Hervé schon vor fast 30 Jahren kennen: Château Moulin Haut-Laroque!

Fronsac? Diese Appellation kannte ich gerade mal aus den Weinatlanten. Ich hatte keine Ahnung davon, dass das Gebiet nicht nur historisch bemerkenswert ist (Karl der Grosse liess um 770 n. Ch. hier eine Festung erbauen, welche die Strassen (und den Fluss Dordogne) nach Bordeaux und ins Périgord überwachen konnte). Vor allem aber wusste ich nicht, dass die Weine von Fronsac bis ins 18. Jahrhundert höher geschätzt wurden als jene aus St. Emilion.

Wo Fronsac liegt, lässt sich schön aus dieser Grafik, die auf der Homepage des Gutes heruntergeladen werden kann, herauslesen.

Das Gebiet von Fronsac, das nur durch das der Dordogne zustrebende Flüsschen L’Isle von Pomerol getrennt wird, ist landschaftlich sehr reizvoll. Hier erhebt sich eine für südwestfranzösische Verhältnisse schon fast erwähnenswerte Hügellandschaft gegen 100 Höhenmeter über das sonst eher flache Land. Diese Hügellandschaft wiederspiegelt sich auch im Untergrund: Die „Molasse du Fransadais“, ein weiches, fossiles Felsgestein aus Ton, Sand und Kalk (Quelle: Hachette Weinatlas Frankreich, 1989) bringt die Reben zu Höchstleistungen.

Den Weinen aus Fronsac wird deshalb eine besondere Finesse, Tiefgründigkeit und Langlebigkeit nachgesagt. Diese Aussagen tönen, als hätte man hier den Wein von Moulin Haut Laroque beschrieben! Zwar besteht der Wein, analog zu den benachbarten Gewächsen von Pomerol und St. Emilion, hauptsächlich aus Merlot (rund 2/3, daneben ca. 20 % Cabernet Franc, etwas Cabernet Sauvignon und wenig Malbec). Aber er hat nichts von dieser oft gespürten „Merlot-Üppigkeit“; der Moulin Haut-Laroque zeichnet sich vielmehr durch Finesse und Gradlinigkeit aus. Und zum Thema Langlebigkeit: Obwohl ich diesen Wein seit Jahren immer wieder kaufe – vermutlich habe ich von keinem Gut mehr Flaschen im Keller als von diesem – habe ich noch fast alle Weine bisher zu jung getrunken.

Max Gerstl, ein absoluter Bordeaux-Kenner, hat dazu auch mehrmals schöne Erlebnisse beschrieben – so von jüngst verkosteten Jahrängen 1925, 1900 und 1893, die allesamt nicht nur noch trinkbar gewesen seien, sondern ein absolut sinnliches Erlebnis.

Schon fast mit schlechtem Gewissen habe ich eben je eine Flasche der Jahrgänge 2010 und 2011 geöffnet. Während der 2011er den Erfahrungen gerecht blieb und noch völlig verschlossen und krautig wirkte (sich aber nach 2 Stunden in der Karaffe erstaunlich schön entwickelte, aber immer noch etwas spröde war) hat sich der 2010er ziemlich untypisch schnell geöffnet.
Dunkle Früchte, Leder, Vanille (ohne holzbetont zu wirken!), würzig; im Mund elegant und dennoch druckvoll, aber noch von sehr präsenten feinen Tanninen geprägt, gut eingebundene Säure; eine Traumwein für Freunde junger Bordeaux, und gleichzeitig ein Wein mit sehr viel Potential!

Diesen Wein konnte man seinerzeit für unter Fr. 20.– als Primeur kaufen. Parker gibt ihm 90+ Punkte, und eigentlich bin ich überzeugt, dass die Note höher liegen würde, wenn das Gut in Pomerol und nicht in Fronsac läge. So oder so: einen so genialen Wein zu diesem Preis anderswo zu finden, dürfte schwierig sein!

Besonders erfreulich ist, dass die Zukunft des Châteaux in gute Hände zu liegen kommt.

Jean-Noël Hervé und seine Frau Dominique dürfen sich freuen, dass ihr jüngerer Sohn Thomas in ihre Fussstapfen treten wird. (Bilder: Homepage des Châteaux)
Sohn Thomas bringt die gleiche Begeisterung für das Weingut mit, ist weltoffen und eloquent: ein perfekter Botschafter für das Gut und die Appellation Fronsac!

Ich habe Thomas kürzlich an einer Veranstaltung kennen gelernt. Er wirkt so, als würde er das Château qualitativ ganz im Sinne seines Vaters weiterführen (nicht zuletzt hatte er ältere, ausschliesslich von Jean-Noël gekelterte Jahrgänge dabei, von denen er – zurecht – total schwärmte, etwa vom 2001, der noch völlig jugendlich wirkt), aber mit seiner Art auch für eine behutsame Weiterentwicklung zu stehen scheint. Château Moulin-Haut-Laroque wird jedenfalls auch in den kommenden Jahren bei mir ganz weit oben auf der Liste der zu degustierenden, hervorragenden, aber bezahlbaren Bordeaux stehen!

http://www.moulinhautlaroque.com/


Amigne: Walliser Rarität mit enormem Potential

Amigne, das tönt schon so liebevoll. Und der Wein aus dieser Sorte ist es auch. Sei es in der trockenen Variante, wo eine Amigne sanft, aber mit viel Tiefgang über die Kehle rinnt, sei es in süsser oder halbsüsser Variante, in der liebliche Weine im besten Sinn des Ausdrucks entstehen.

Eine Rarität ist eine Flasche Amigne auf jeden Fall: Die Sorte wird nur auf rund 43 Hektar angepflanzt und kommt praktisch ausschliesslich im Wallis vor. Der grösste Teil der Flächen befindet sich in Vétroz, etwas westlich von Sion.

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Walliser Reblandschaft bei Vétroz, der Hochburg der Amigne

Lange Zeit war man der Ansicht, bei der Amigne handle es sich um eine antike Traubensorte. Der Schweizer Spitzen-Ampelograph José Vouillamoz konnte aber per DNA-Analyse nachweisen, dass die Amigne ihren Ursprung im Wallis hat – es handelt sich also um eine der wenigen wirklich autochthonen Sorten des Tals!
Wer sich für die Arbeit von José Vouillamoz interessiert, hier der Link: (Der Besuch der Homepage lohnt sich übriges schon der herrlichen Bilder auf der Startseite wegen!)
http://www.josevouillamoz.com/

Erfreulicherweise befindet sich auch diese Rarität im Aufschwung. Immer mehr Winzer besinnen sich darauf, dass Spezialitäten auf lange Frist wohl einen besseren Absatz haben als austauschbare internationale Sorten. Die Winzer von Vétroz sind sogar noch einen Schritt weitergegangen und haben die Amigne zu ihrem eigentlichen Imageträger gemacht.
http://www.amigne.ch/de/amigne.html.

Auf unserer Degustationstour im Mai konnten wir bei vier verschiedenen Winzern in resp. nahe Vétroz Amigne probieren, und alle haben überzeugt (Cave la Madelaine, Cave les Ruinettes, Cave du Vieux-Moulin und Domaine Thierry Constantin) – auch wenn ich persönlich selbst bei nur leicht restsüssen Weinen halt nie wirklich ins Schwärmen komme.
(Links zu allen vier Winzern siehe oben, http://www.amigne.ch, unter „Erzeuger“)

Auch der grösste Weinhändler der Schweiz „kann“ Amigne, und wie!

Dass die Grösse eines Weinhauses kein Hindernis für sehr guten Wein sein muss, beweist die Amigne von Maurice Gay (wie übrigens auch immer wieder die Weine der Walliser Genossenschaft Provins, dem grössten Schweizer Weinproduzenten). Das Weinhaus Gay wurde 1883 gegründet, gehört aber heute zur Schenk-Gruppe, dem grössten Schweizer Weinimporteur und Weinhändler. Die Weine von Maurice Gay werden aber weiterhin unter dem eigenen Namen geführt (wie es überhaupt ein Erfolgsrezept von Schenk zu sein scheint, die vielen Güter eigenständig beibehalten zu haben). Gay ist in Chamoson beheimatet und verarbeitet die Trauben von rund 400 Winzerfamilien aus dem Wallis, die gesamthaft etwa 250 Hektar Reben bearbeiten. Dazu kommen Trauben aus 20 Hektar in eigenem Besitz.

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Die Amigne aus der Produktelinie „valais d’or“, die ich als Einzelflasche versuchsweise gekauft hatte, überzeugt total:
Duft nach Lindenblüten und Feuerstein, floral und in der Nase süsslich wirkend, im Mund mit ausgeprägtem Süsskomplex, aber trocken, eher tiefe Säure, enorm mineralisch, sanft und rund, mit fast nicht enden wollendem Abgang. Ein absolut toller Wein!

https://www.mauricegay.ch/

 

 

 

Jahr des Winzers (13): Die Ertragsregulierung

Eigentlich verhält sich die Rebe wie ein „Unkraut“, sie wächst und wächst, und sie produziert Trauben in grossen Mengen. Ein Freund von mir erntete kürzlich von einem einzigen Rebstock 40 Kg Trauben! Diese Menge lässt zwar das Herz jedes „Mengenproduzenten“ steigen, nicht aber das eines qualitätsbewussten Winzers. Es ist eine Binsenwahrheit, dass gute Weinqualität nur durch eine rigorose Mengenbeschränkung möglich wird.

Diese Mengenbeschränkung beginnt schon beim Schnitt der Reben
https://victorswein.blog/2018/02/11/virtuelles-weinjahr-folge-1-der-schnitt/

Aber auch ein kurzer Schnitt bringt noch nicht immer die gewünschte geringe Ertragsmenge. In vielen Weinregionen gibt es dazu sogar gesetzliche Vorschriften. So darf etwa für einen Chambertin nur 35 hl/ha geerntet werden, für einen Pomerol 40 und für einen Barolo 55. In der Schweiz, Deutschland und Oesterreich, aber auch im Elsass, liegen die entsprechenden Zahlen eher bei 70 oder 80, aber auch hier ist unbestritten, dass Qualität nur über eine Beschränkung der Quantität gesteigert werden kann.

Grundsätzlich ist das angewandte Mass (Menge pro Fläche) sicher nicht das bestmögliche, aber es ist eines, das mit vernünftigem Aufwand messbar ist. Wer wirklich guten Wein produzieren will, wird vor allem auf den Ertrag pro Stock achten. Die Formel ist klar: je weniger Trauben an einem Stock, desto konzentrierter wird der Wein. Deshalb gibt es ja auch „verrückte“ Winzer, die 33’333 Stöcke pro Hektar pflanzen!
https://victorswein.blog/2018/01/06/je-savais-que-cetait-impossible-alors-je-lai-fait/

Wir lassen beim Schnitt der Reben (siehe oben), 5-6 „Augen“ stehen, dazu eine Reserve. Das bedeutet also, dass zwischen 11 und 13 Rebtriebe entstehen. An vielen davon wachsen aber von Natur aus 2 bis gar 3 Trauben. Würden wir alle wachsen lassen, ergäben sich also bis zu 39 Trauben pro Stock, was beim Pinot noir einen Ertrag von 2,5 bis 3 Kg pro Stock ergeben würde. Das ist für einen qualitativ guten Wein viel zu viel.

Wir müssen also die überzähligen Trauben rigoros herausschneiden. Grundsätzlich gilt die Regel, dass pro Trieb nur eine Traube stehen sollte.

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Diese Bild zeigt einen typischen „Trieb“, an dem gleich drei Trauben wachsen. Vegetationsedingt ist die dritte – oberste – auch rund eine Woche später in der Entwicklung. Es bleibt nur eine Traube am Stock – die beiden rot bezeichneten werden herausgeschnitten.

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Hier der gleiche Trieb, nachdem zwei Trauben weggeschnitten wurden.

So ganz am Rand: Auch dieser Arbeitsgang ist reine Handarbeit und bedingt zudem viel Erfahrung, denn nicht jeder Stock ist gleich, und manchmal lohnt es sich, an einem starken Trieb zwei Trauben stehen zu lassen und dafür an einem schwachen gar keine.

Es würde – ich schildere ja hier nur die Arbeitsgänge im Rebberg – zu weit führen, um auch noch fundiert über den richtigen Zeitpunkt für diese Arbeit zu berichten. Das ist eine Wissenschaft für sich. Während die einen möglichst früh, also kurz nach der Blüte, diese Arbeit ausführen, schwören die anderen darauf, den Hauptteil erst nach dem Farbumschlag zu bearbeiten. Der Vorteil der ersten Variante ist, dass sich die Rebe von Anfang an auf einen geringen Ertrag „einstellen“ kann, also die wenigen Trauben von Beginn weg gut „versorgt“, jener der letzteren, dass man die zeitlich zurückgebliebenen Trauben wegschneiden kann, also jene, die noch grün sind, während andere in der Reife schon viel weiter gediehen sind. Meine ganz persönliche Erfahrung ist, dass eine Kombination der beiden Theorien die beste Lösung ist: im Juni schon viele Trauben (in jenem  Blütenstadium „Gescheine“ genannt) wegschneiden, und im Herbst noch nachbessern, indem die zurückkgebliebenen, grünen Trauben entfernt werden.

Ein arbeitsintensives Detail sei noch erwähnt: Viele Trauben bilden auch sogenannte „Schultern“, d.h. Nebentriebe. In den meisten Fällen entwickeln sich diese langsamer als die Haupttraube und sind qualitativ damit minderwertig – sie werden deshalb auch weggeschnitten.

 

 

1-schulter-vorher
Eine Traube (die gleiche wie auf den Bildern oben) mit einer „Schulter“ (links) Achten Sie auf die Grösse der Beeren, sie sind in der Entwicklung eindeutig zurückgeblieben.

 

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… und hier nach dem Wegschneiden dieses Teils der Traube. Handarbeit pur!

Goldloch von Diel! Mehr Gold als Loch! Und viele persönliche Erinnerungen.

Manchmal trinkt man einen Wein, und man (oder zumindest ich) möchte sein Glück mit der ganzen Welt teilen. Das ist mir heute so ergangen mit einem Riesling des Schlossguts goldlochDiel, dem Grossen Gewächs Dorsheim Goldloch 2011. Vielleicht bin ich ja auch einfach nicht ganz objektiv, aber dazu später.

Gekauft habe ich den Wein in einem Outlet eines Schweizer Detailhändlers, der auch Wein verkauft (und nicht das schlechteste Sortiment hat!). Warum dieses Grosse Gewächs seinen Weg ins Outlet gefunden hatte, und dort für unter Fr. 20.– erhältlich war, bleibt aber das Geheimnis von Globus. Heute habe ich eine der drei gekauften Flaschen geöffnet, und der Wein war eine Offenbarung! Wobei: direkt nach dem Öffnen war ich gar nicht so begeistert, das Goldloch roch eher ein wenig nach „Loch“, und ich fand, dekantieren könnte helfen. Und tatsächlich: nach einer Stunde offenbarte sich ein wundervoller Wein mit allen Nuancen, die ein schon etwas gereifter Riesling so haben sollte. Auch in diesem Alter noch erstaunliche, helle Fruchtnoten, ein – obwohl der Wein trocken ist – ausgeprägter Süsskomplex und eine unglaubliche Dichte und Länge; das Goldloch will gar nicht aufhören, nachzuklingen. Mag sein, dass dieses GG fast zu opulent und somit zu wenig filigran ausfiel – aber ich war berührt von diesem Wein!

Verwunderlich ist das ja nicht, denn Armin Diel – und jetzt auch seine Tochter Caroline – gehören zum Besten, was Deutschland zu bieten hat. (Übrigens: Gemessen an der Rebfläche scheint mir, das kleine und an sich nicht so renommierte Gebiet der Nahe weise die höchste Dichte an Spitzenweingütern auf!)

Man verzeihe mir nun eine persönliche Rückblende. Armin Diel habe ich 1991 in Bordeaux kennengelernt. Er war schon damals nicht „nur“ Winzer, sondern auch Weinjournalist und Verkoster. Zusammen mit Joël Payne bildete er ein tolles Gespann, welches danach fast zwei Dekaden hochklassiger und fairer deutscher Weinkritik begründete (eine Zusammenarbeit, die vor knapp zehn Jahren an der Kleinkariertheit der Kritiker der Kritiker endete, aber das ist eine andere, wenn auch traurige Geschichte).

Wir waren damals eine Woche unterwegs, um die jungen Bordeaux des Jahrgangs 1990 zu degustieren. Alles, was in der Weinszene Rang und Namen hatte, war auf der gleichen Tour, Serena Sutcliff etwa, Michel Bettane, oder Michael Broadbent.

bordeau1991
Journalisten-Degustation Bordeaux 1990. Hier in Sauternes. Von Armin Diel gibt es leider kein Bild. Rechts (sitzend) Rolf Bichsel, damals Neuling, heute Bordeaux-„Professor“ (Bild vl)

Nur Parker war sich dafür schon damals zu schön, er tourte allein durch Bordeaux (und dafür entstand die Legende der „Parker-Barrique“. Die degustierten Weine waren ja im Frühling des Folgejahres nicht fertig assembliert, und gerüchteweise wurde Parker bei seinen Privatbesuchen auf den Châteaus jeweils bewusst eine Assemblage aus Barriquen gereicht, die seinem – voluminösen und holzbetonten – Geschmack am besten entsprach).

Zurück zu Armin Diel: es war toll mit ihm. Er war schon arrivierter Winzer und anerkannter Degustator – ich selbst ein blutiger Neuling. Zudem waren wir eigentlich Konkurrenten. Aber keine Spur von Überheblichkeit, im Gegenteil, wir tauschten Eindrücke und Notizen, und seine Unterhaltungskünste am Abend in der Unterkunft waren auch nicht ohne. (Und sein mitgebrachter eigener Wein, als Kontrast zu den „Tanninbomben“, die wir tagsüber verkosteten, auch nicht).

Und sein Journalisten-Partner (oder wie böse Zunge manchmal sagten „siamesischer Zwilling“), Joël Payne, verhielt sich genau gleich. Ihm habe ich, das war schon ein Jahr zuvor, auch ein wirkliches persönliches Highlight zu verdanken. Am Rande der „Vosne-Romanée Millesime“, einer Präsentation des damals aktuellen Jahrgangs 1989, nahm er mich mit auf einen privaten Besuch bei der Winzerlegende Henri Jayer. Ich sehe mich noch heute ehrfürchtig in der Stube von Jayer sitzen und seinen Ausführungen lauschen. Zum Glück führte Joël das Gespräch, ich wäre dazu gar nicht in der Lage gewesen! Es mag verklärt erscheinen, aber ich bin Joël heute noch verbunden dafür, dass er mich Neuling mitnahm und mir diese Begegnung ermöglichte!

Und nun zurück zum GG Goldloch von Diel: Ich habe jetzt gegen eine Stunde geschrieben, aber der Riesling klingt immer noch im Gaumen nach. Bilde ich mir jedenfalls ein!

https://diel.eu/