Jahr des Winzers, Folge 6: Das Anbinden

Und noch mehr Handarbeit! Wobei gleich anzumerken ist, dass unsere Arbeit im kleinen Rebberg eher archaisch – oder zumindest um einige Jahrzehnte zurückversetzt – ausfällt. Im professionellen Rebbau ist zwar auch noch viel Handarbeit nötig, aber kaum mehr in dieser Art und Weise. Wir binden, wo nötig, die Triebe manuell und mit Bast. Profis erledigen diese Arbeit, wenn überhaupt, mit „Heftpistolen“ – das geht viel schneller und einfacher. Die nachfolgenden Beispiele geben aber einen guten Einblick ins Prinzip – und gleichzeitig in die vergangene Zeit, als auch in den Reben noch wirklich alles Handarbeit war.

Ob arachaisch, halb- oder vollautomatisch: In jedem Fall gibt es immer wieder Rebtriebe, die nicht in jene Richtung wachsen, die wir eigentlich für richtig hielten. Hier hilft nur sanfter oder klarer Druck, um sicherzustellen, dass die Reben so wachsen, wie wir uns das wünschen, was gleichzeitig Schäden bei Stürmen verhindert. In dieser Jahreszeit, wenn die Triebe noch jung sind, genügt oft schon ein sanfter Druck, um sie abzuknicken. Später im Jahr, wenn die Triebe von unten her „verholzen“, sind sie nicht mehr so empfindlich.

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Dieser Trieb (1) wächst ausserhalb der gespannten Drähte. Ohne Eingriff würde er mit zunehmender Länge immer mehr nach aussen wachsen und sich im Extremfall bis auf den Boden neigen – oder bei einem Gewitter gleich ganz abknicken.
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Der gleiche Trieb (1) ist hier am Draht angebunden und so in eine neue Wuchsrichtung gezwungen. Was jetzt etwas „gequält“ aussieht, wirkt schon in ein paar Tagen ganz natürlich – die Rebe passt sich an.

Hier noch ein weiteres Beispiel:

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Dieser Trieb (1) hat eine extreme Tendenz, vom Stock wegzuwachsen. Ohne Eingriff würde er ziemlich horizontal bis zum nächsten oder gar übernächsten Stock weiterwachsen und dort für ein zu dichtes Blätterwerk sorgen.
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Hier ist der gleiche Trieb (1) am Pfosten aufgebunden und so gezwungen, vertikal in die Höhe zu wachsen.

 

 

Das grosse Geheimnis aus Cahors.

Nach einem langen, spannenden Tag am Lot, dem Fluss, der das ganze Weinbaugebiet von Cahors in vielen Schlaufen durchzieht, wollten wir, ausgerüstet mit einem Tipp aus dem „Guide Hachette“, noch etwas Wein kaufen. Wir fuhren also mit unserem Kleinstwagen auf Chateau La Gineste vor und klingelten. Zu unserem Erstaunen wurden wir an einen Herrn verwiesen, der gerade in kurzen Hosen und mit Gras in den Haaren auf einem fahrbaren Rasenmäher tätig war, und den wir eigentlich als Gärtner identifiziert hatten.

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Blick auf die Reben und – im Hintergrund – das Schloss von La Gineste im Gebiet von Cahors. Das Gut arbeitet biologisch – aber eigentlich sieht man das ja schon fast anhand des Bildes! (Foto vl)

Trotz der Störung wurden wir sehr herzlich vom rasenmähenden Schlossbesitzer, Gérard Dega, empfangen. Unser Wagen sah ja sicher nicht nach grossem Volumen und damit Verkaufschancen aus (man kann nicht ahnen, dass das Auto nebst Koffern locker noch 120 Flaschen aufnimmt; mehrfach belegt …). Eigentlich wollten wir ja nur degustieren, wenn positiv, kaufen und gehen. Geblieben sind wir schliesslich 90 Minuten, inklusive einer Führung, vielen Erklärungen und einer Degustation mit allen verfügbaren Weinen, und das waren viele, weil von jedem Typ verschiedene Jahrgänge zur Verfügung standen. Um es vorweg zu nehmen: Unser Kleinwagen war nach dem Besuch ziemlich beladen.

Das Gut ist etikettenmässig voller Geheimnisse: Nebst einem Rosé, dem Basiswein „La Gineste“ und einem „black wine“, gibt es die Linien „Petits Secrets“, „Secrets“ und vor allem den „Grand Secret“. Dass letzterer in der Einzahl geschrieben ist, kommt nicht von ungefähr, er ist nämlich der wirklich begeisternde Wein dieses Gutes. Die anderen Gewächse werden in einem Mischsatz hergestellt (Mehrheit Malbec, Minderheit Merlot) und sind schöne und preiswerte Weine (nur beim Petits Secrets störte mich bei einigen Jahrgängen ein spürbares altes Holz).

Der Grand Secret hingegen ist aus 100 % Malbec hergestellt und 2 Jahre in neuen Barriques ausgebaut. Es gibt auch nur etwa 3000 Flaschen jährlich, bei einer Gutsgrösse von 9 Hektar also eine wirkliche Rarität.

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Was für ein begeisternder Wein von enormer Länge und gleichzeitig grosser Finesse! Das ist Cahors von der allerbesten Seite, und das ist Cahors, wie es von keinem argentinischen Malbec „kopiert“ werden kann. Dieser Wein hat Charakter und ja, ich wage den Ausdruck, Seele!

Degustationsnotiz Jahrgang 2011:

Dichte, dunkle Farbe, noch jugendlich, fast violett; Aromen von dunklen Kirschen, Nelken, Zedernholz, Anflug von Armagnac; gute, stützende Säure in perfekter Harmonie mit feinen Tanninen, dicht und fast zum Abbeissen, dabei druckvoll aber auch elegant. Ein Klassewein!

(Bemerkung am Rand: Wir haben ihn neben einem preislich ähnlichen, durchaus guten Cru Bourgeois 2006 aus dem Haut-Médoc probiert. Der Cahors wurde einhellig und sehr klar vorgezogen).

Nachstehend ein Link auf die Homepage des Gutes. Man möchte Herrn Dega wünschen, etwas weniger Zeit auf dem Rasenmäher zu verbringen, um Zeit zu haben, seine Site auf Vordermann zu bringen. Aber am besten arbeitet er ohnehin in den Reben und im Keller, auf dass es noch viele Jahrgänge des Grand Secret gibt!

http://chateaulagineste.free.fr/

Korrigenda: Ich bin darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Gut durchaus eine aktuelle Homepage hat:

http://chateaulagineste.fr/accueil/

siehe zudem:

http://www.vigneron-independant-lot.com/vignerons/chateau-la-gineste/


Cahors – zurück zu altem Glanz?

Das Weinbaugebiet von Cahors zählte einmal zu den bekanntesten von ganz Frankreich; die Weine wurden bis nach England verschifft und namen dabei den Weg über das rund 200 Km westlich liegende Bordeaux. Im 14. Jh. stammte rund die Hälfte des dort verschifften Weins aus Cahors. Danach verblasst die Reputation.

Heute hat das Weinbaugebiet seinen Ruf wieder verbessert, trotzdem wird auch jetzt noch vergleichsweise wenig exportiert, 80 % des Weines wird in Frankreich abgesetzt. Das ist schade, denn hier werden teils wunderbare Gewächse angebaut. Malbec ist die Hauptsorte (vor Ort eher Côt oder gar Auxerrois genannt), und was „Cahors“ heissen will, muss mindestens 70 % dieser Rebsorte enthalten. Ergänzend werden Merlot und Tannat verwendet.

Das Hauptanbaugebiet befindet sich westlich der Stadt Cahors, in einem Bereich, in dem der Lot, ein Nebenfluss der Garonne, richtig mäandert. Die Gegend ist sehr reizvoll – nicht nur für Weinfreunde!

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Auch landschaftlich reizvoll, das Tal des Lot, etwas oberhalb von Cahors.

Mehr zum Anbaugebiet von Cahors:

https://www.inao.gouv.fr/produit/8230

Das Jahr des Winzers beginnt so richtig!

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Die Reben treiben aus. Bei diesem Beispiel spriessen gleich zwei Triebe. Der untere davon wird noch zu entfernen sein, aber damit warten wir, bis kein Frost mehr zu befürchten ist.

Endlich! Nach extrem kalten Tagen im Februar und März verzichneten wir nun gleich 4 Tage hintereinander mit über 25 Grad – also Sommer im April! Die Natur „explodierte“ geradezu. Vor einer Woche lagen die Reben noch in der Winterstarre – und jetzt treiben sie aus. Mit der Arbeit gilt es noch abzuwarten, die Triebe sind noch zu klein, und die Frostgefahr ist noch längst nicht vorbei.

Wir sind aber schon mal sehr beruhigt. Wir hatten im letzten August einen verheerenden Sturm mit Hagel, und es war nicht klar, ob und wie die Reben wirklich austreiben werden. Zwar sind einzelne „Augen“ tatsächlich zerstört, aber gesamthaft sieht es gut aus. Die Kraft der Natur ist unglaublich!

 

 

 

Brda in Slowenien: Sollte man sich merken!

Gesucht: agent für orange

Reisen bildet – auch bezüglich Wein. Venedig ist nicht nur eine ganz spezielle Stadt (hier ist es nie wirklich laut), sondern offensichtlich auch eine weltoffene Metropole. Deshalb sind auch in vielen Restaurants nicht nur italienische, sondern auch Weine aus dem benachbarten Ausland erhältlich.

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Brda – die direkte Fortsetzung des Collio in Slowenien (Bild: Medienservice Weingut Ferdinand)

Wir bestellten dank der Empfehlung des Kellners einen Wein aus Slowenien. Eigentlich bildet das wichtigste Weinbaugebiet Sloweniens nichts anders als die nahtlose Fortsetzung des „Collio“ des Friauls. Die Qualität der Weine im Collio ist unbestritten. Aber schon aus dieser Region finden leider nur wenige Weine den Weg nach Mitteleuropa. Das direkt angrenzende Gebiet von Brda in Slowenien hat es da noch viel schwerer. Suchen Sie einmal eine Weinhandlung, die solche Weine führt!

Dabei gibt es offensichtlich viel zu entdecken! Klimatisch und geologisch gibt es die gleichen Voraussetzungen wie im Friaul (es ist im Gelände auch keine Grenze sichtbar, die Weingärten gehen praktisch nahtlos ineinander über). Und seit dem Ende Jugoslawiens ist auch genug Zeit ins Land gezogen, um innovativen Winzern einen Sprung nach vorne zu ermöglichen. Vielleicht erweist sich die Vergangenheit dereinst sogar als Vorteil, weil alle unbelastet neu beginnen konnten oder mussten.

Der Wein, den wir in Venedig genossen, bewies das wunderschön. Dabei war es kein „normaler“ Wein, sondern ein Vertreter der „orange wines“.*  Andernorts habe ich gelesen, dass in Slowenien schon oranges wines hergestellt wurden, als im Rest von Europa noch gar niemand wusste, dass es so etwas gibt. Es erstaunt deshalb nicht, dass uns der Wein begeistert hat: Die Farbe war wirklich fast orange, in der Nase intensiv nach gedörrten Früchten, reifen Aprikosen, Orangenschalen (!) und Honig duftend, im Mund mit stützender Säure, dicht, tanninbetont und extrem lang. Frisch und ohne die geringste oxydative Note. Schlicht und einfach ein Traumwein!

Wir waren begeistert oder gar berührt. Dabei hatten wir nichts Gutes erwartet und uns auch nur vom Kellner überzeugen lassen. Kurz zuvor hatten wir nämlich die Gelegenheit, einen ähnlich hergestellten Wein aus der Traubensorte Ribolla der friaulischen Legende Josko Gravner zu probieren. Hier wird nicht nur lange mazeriert, sondern auch in Amphoren vergoren. Nun, dieser Wein, so berühmt und teuer er ist, überzeugte uns nicht; im besten Fall kann man sagen „spannend und eigenwillig“.

Der Wein, von dem ich nun schon die ganze Zeit schreibe, heisst „Brutus“, ein Ribolla gialla (Rebula in Slowenien) vom Weingut Ferdinand (Familie Matjaž Četrtič).  Dieser faszinierender Wein wird während rund einem Jahr im Holzfass – nein, nicht ausgebaut, sondern mazeriert – und erst dann abgepresst und danach nochmals im Holz weiter ausgebaut.

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Matjaž und Jasmina Četrtič vom Weingut Ferdinand (Bild: Medienservice Weingut Ferdinand)

Überhaupt: Ribolla ist eine faszinierende Traubensorte mit viel Potential. Ich freue mich auf den Moment, in dem man solche Weine – und speziell solche aus Slowenien – in unseren Breitegraden kaufen kann. Gesucht wäre der entsprechende „agent“, nicht nur für „orange“, denn fast alle Weine im Sortiment von Ferdinand sind „normal“ hergestellt. Vorerst bleibt aber offenbar nur eine Reise in die Gegend!

http://www.ferdinand.si/index.php?id=12&L=3

* Bei einem orangen Wein, auch im deutschen Sprachgebrauch häufig Orange Wine, handelt es sich um einen Weißwein, der wie ein Rotwein hergestellt wird. Die Weißweintrauben werden mit den Beerenschalen (Maische) vergoren und extrahieren dadurch mehr Tannine und Farbstoffe aus den Beerenschalen. Oranger Wein ist gekennzeichnet durch eine dunkelgelbe bis orange Farbe. Gelegentlich wird er als vierte Weinfarbe neben Rot, Weiß und Rosé bezeichnet. (Quelle: Wikipedia)

Matjaž Četrtič vom Weingut Ferdinand gab mir auf Anfrage bekannt, dass er in der Schweiz von der Weinhandlung Sersa in Wettingen vertreten wird. Diese führt drei seiner Weine, leider aber nicht den beschriebenen Brutus und überhaupt keinen Ribolla.

http://slovina.com/557.html

 

 

 

Zur Illegalität verführt – zum Glück!

Die Rede ist von der Familie Zahner in Truttikon im Zürcher Weinland, durch und durch anständige, staatstreue und bodenständige Leute. Sowohl Vater Waldemar als auch Sohn Niklaus, der heutige Betriebsleiter, dienten beispielsweise ihrer Wohngemeinde als Gemeinderäte (was auf dem Land eher Last denn Lust ist).

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(K)ein Hort der Illegalität: Das Anwesen der Familie Zahner in Truttikon, Zürcher Weinland.

Zu einer illegalen Handlung, die aus heutiger Sicht unvorstellbar, ja schon fast kafkaesk anmutet, wurden sie durch die damalige Gesetzgebung gezwungen. Und dazu angestiftet durch einen der führenden Gastronomen. Die Geschichte ist nicht neu und war schon in der Presse zu lesen (online habe ich sie freilich nicht gefunden), aber sie ist zu schön, um nicht nochmals erzählt zu werden.

Am Anfang stand André Jäger, der grosse Gastronom, der jahrzehntelang die Fischerzunft in Schaffhausen zu einem Treffpunkt der Gourmets machte. Er sagte zu Zahner’s, er würde ja gerne auch Schweizer Weisswein auf die Karte nehmen, wenn denn die Winzer nur endlich etwas Gutes produzieren würden. Etwas so Gutes wie beispielsweise den Pinot blanc aus der Barrique von Franz Keller in Oberbergen im Kaiserstuhl. Vater und Sohn Zahner schauten sich an, und der Blick war klar: das machen wir! Also wurde Franz Keller besucht und sein Wein beschafft, degustiert und analysiert – und für gut befunden. Aber auch so befunden, dass Zahner’s sich sicher waren, einen solchen Wein auch herstellen zu können.

Es gab da freilich ein paar Probleme. Im Kanton Zürich waren damals nur gerade fünf Sorten zum Anbau zugelassen, wobei der rote Blauburgunder und der weisse Riesling x Sylvaner (heute aus rechtlichen Gründen: Müller Thurgau) zusammen fast die ganze Rebfläche bedeckten. Der Anbau von Pinot blanc war also verboten, und der damalige Rebbaukommissär Kurt Pfenninger ein zwar umgänglicher Mensch, aber in Sachen Rebsorten ein „scharfer Hund“. Es blieb also nur eine illegale Pflanzung, angesichts des Renommees von Zahner immerhin mit dem fast sicheren Wissen, dass später eine Ausnahmebewilligung erteilt werden würde, wenn der Wein nur gut gelänge.

(Dass der damalige Rebbaukommissär, bei allen sonstigen Verdiensten, dem Weinbau mit seiner Sturheit einen Bärendienst erwies, wäre eine andere Geschichte, zumal die Konsumenten den damaligen Riesling x Sylvaner schon längst nicht mehr mochten. Und dass dieser Wein, so wie er heute meistens produziert wird, zu Unrecht immer noch unter seinem damaligen Image leidet, ist gleich nochmals eine andere Story).

Nik Zahner jedenfalls begann zu recherchieren, und weil es damals noch kein Internet gab, war es schon ein Abenteuer, überhaupt zu Pinot blanc-Setzlingen zu kommen. In der Schweiz wurden logischerweise keine angeboten. Fündig wurde er schliesslich im Elsass – und wie die Setzlinge, da illegal, dann in die Schweiz gelangten, dürfen Sie sich gerne selbst ausmalen.

Die Fortsetzung der Geschichte in Kürze: Selbstverständlich wurde der Wein qualitativ hervorragend. André Jäger hatte seinen Schweizer Hauswein, und Zahner’s ein paar Jahre Vorsprung in Sachen Erfahrung mit neuen Sorten und mit Weisswein aus der Barrique. Und die Ausnahmebewilligung wurde tatsächlich auch noch erteilt, kurz bevor die Sortenwahl endlich generell gelockert wurde. Eine der Auflagen in der Ausnahmeerlaubnis war übrigens, dass jährlich ein paar Flaschen an die Forschungsanstalt Wädenswil zur Kontrolle hätten eingereicht werden müssen.

In Wädenswil werden sie sich ärgern, dass diese Auflage mit der Sortenfreigabe dahinfiel. Denn die Reben, inzwischen im besten Alter, liefern auch heute noch die Grundlage für einen hervorragenden Pinot blanc, der sich selbst im internationalen Vergleich nicht zu verstecken braucht. Zudem kann der Wein hervorragend altern. Der als Vergleich zum aktuellen Jahrgang 2015 geöffnete 2007 war noch in absoluter Hochform, und auch der etwa vor Jahresfrist geöffnete Jahrgang 2003 ein Hochgenuss.

 

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2015: helles Gelb; Duft von Zitrusfrüchten, Aprikose, etwas Vanille; Im Mund mit mässiger Säure, spürbarem Süsskomplex, leichter, aber schön eingebundener Restsüsse, nur dezent spürbarem, toll eingebundenem Holz; eleganter, toller und typischer Pinot blanc. 2007: mittleres Gelb mit orangen Reflexen; intensiver Duft, Mirabellen, Mango, Pfeffer; im Mund mittlere Säure, leicht trocknend, rund. Top-lebendiger Wein, der einfach Freude macht. (Die beiden Weine begleiteten einen Wildlachs an einer leicht scharfen und mit dem ersten Bärlauch aus dem Garten veredelten Sauce, und der ältere passte fast besser als der jüngere).

Und die Moral von der Geschichte: Manchmal braucht es halt Pioniere, die etwas Neues anpacken, auch wenn ein gewisses Risiko damit verbunden ist!


Preis-/Leistungssieger bei Spitzenpinots!

Eine Geschichte über Zahner wäre nicht komplett ohne einen Hinweis auf seinen Pinot noir aus der Barrique: Waldemar Zahner war auch hier ein Pionier, und weit und breit der einzige, der Barriquewein anbot, was den guten Ruf der Familie schon von 30 und mehr Jahren begründete. Die Pinots aus der Barrique gehören auch heute noch zur qualitativen Spitze der Schweiz, wobei Zahner über all die Jahre seinem eigenständigen Stil treu geblieben ist (ausdrücklich eigenständig und nicht etwa eigenwillig!). Seine Pinots aus dem Holz springen einen in der Jugend nicht gerade an, es sind keine Chambolle-Musigny-Kopien, wohl deshalb bringt Zahner seine Barrique-Pinots immer später als andere auf den Markt. Wer auch danach noch die Gnade hat, etwas zuzuwarten (aktuell ist 2008 in toller Trinkreife), dem dankt es der Wein mit wunderschönen Pinot-Tönen, einem kräftigen und druckvollen, gleichzeitig aber auch runden und samtenen Auftreten im Mund, und mit Holznoten, die so dezent sind, dass sie kaum noch als solche wahrgenommen werden. Und, wie in meinem Blog schon einmal geschrieben, das Schönste daran ist, dass der Wein auch heute noch kaum mehr kostet als vor 20 Jahren. Die Fr. 22.– für den aktuell verkauften Jahrgang 2013 bedeuten mit Sicherheit das beste Preis-/Leistungsverhältnis unter den Spitzen-Pinots der Schweiz! (Der Pinot blanc kostet übrigens „nur“ Fr. 18.–)

http://www.zahner.biz/index.html

 

 

Wenn der Geschmack des Weinbloggers vom eigenen abweicht.

Vor Kurzem stellte ich hier einen Wein vor, der mich in seiner charaktervollen, eigenständigen Art sehr begeisterte: den Odé d’Aydie 2015, ein Pacherenc du Vic Bilh aus Südwestfrankreich.

https://victorswein.blog/2018/02/24/etikettentrinker-der-anderen-art/

Ein Blogleser – „leider“ gleichzeitig ein guter Freund –  nahm das zum Anlass, um diesen Wein zu kaufen, allerdings den Jahrgang 2014. Und die Rückmeldung, die ich bekam, freute mich nicht: Der Wein schmecke extrem nach Ananas (resp. nach leerer Ananasdose, was Erinnerungen an alte Pfadfinderzeiten geweckt habe). Die Nachricht auf Whatsapp war untermauert mit 12 Ananas-Emoticons.

Die Enttäuschung war spürbar. Und ich war zuerst unzufrieden mit mir selbst, denn wer mag schon etwas empfehlen, das nicht gefällt (und erst recht einem Freund).

Ich habe diesen Jahrgang dann auch degustiert:
Mittleres, glänzendes Gelb; Duft nach eher knapp reifen Stachelbeeren, Limetten und – ja – Anflug von Ananas; spürbarer Süsskomplex, prägnante Säure, eher kurz im Abgang. Charaktervoller und eigenständiger Wein, mangelt etwas an Tiefe.

Der Jahrgang 2014 hat klar nicht die Klasse des Nachfolgejahrgangs, aber mir gefällt auch dieser Wein. Er ist so wunderbar weit weg vom uniformen Mainstream der Weissweine. Er ist das Gegenteil von langweilig. Und er fordert, wie der 2015er, Schluck für Schluck.

Was bedeutet nun aber diese Geschichte?

Zum Glück sind die Geschmäcker verschieden, und was mir gefällt, muss noch lange nicht anderen Leuten passen. Um diese alte Weisheit bestätigt zu haben, muss ich noch nicht einmal einen Fuss vor die Türe setzen, dazu genügt zuweilen das Urteil meiner Frau über einen Wein, den ich mag ….

Es bedeutet aber auch, dass ein verbaler Beschrieb eines Weines eigentlich nicht viel taugt. Es ist so etwas wie der hilflose Versuch eines rationalen Beschriebes – dabei geht es bei Wein um Emotionen und um Geschmäcker und persönliche Vorlieben. Und selbst dann, wenn der Beschrieb nicht rational ausfällt, sondern überschwänglich, hilft das nichts, denn die Faszination für einen Tropfen ist wiederum persönlich gefärbt.

Die Lehre aus diesem Umstand habe ich für mich selbst schon länger gezogen: Trau keinem ausser dir selbst! Tatsächlich ist es so, dass mir hochgelobte Weine oft nicht schmecken – 17, 18 oder gar 19 Punkte, von wem auch immer, sind da keine Garantie. Ich kaufe deshalb nur noch selten Weine, die ich nicht selbst probiert habe. Oder wenn, dann belasse ich es bei einem 6er-Karton.

Eigentlich hat die ganze Situation ja etwas Tröstliches: Selbst in unserer hochtechnologisierten Welt, in der alles bewert- und beschreibbar erscheint, gibt es so „gallische Dörfer“ wie den Wein, der sich jeder Logik entzieht und einfach gefällt – oder auch nicht.

PS: Und deshalb ist jedermann/-frau selbst schuld, der aufgrund meines Blogs einen Wein kauft 😉

 

 

Virtuelles Rebjahr (2): Nicht alles ist idyllisch!

Viele Arbeiten im Rebberg sind unspektakulär und oft auch mühsam.

In meinem Beitrag zum Rebschnitt habe ich geschwärmt, das sei meine liebste Arbeit. Aber ich mache das ja auch nur als Hobby. Ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder Berufswinzer diese Meinung teilt. Wenn man nämlich wochenweise nichts anderes macht, dann verblasst das Idyll und vergeht der Spass vermutlich irgendwann. Und an gewissen Tagen ist es einfach nur saukalt.

Ganz abgesehen davon unterschätzen wohl viele Weinfreunde die enorme Arbeit, die hinter einer Flasche Wein steckt. Es ist etwas anderes, sonntags durch schöne Rebberge zu wandern, als wochtags in diesen Rebzeilen zu arbeiten.

Auch jetzt, da die Reben noch nicht wachsen, stehen Arbeiten an, die unspektakulär und die teils auch kräfteraubend sind. Die nachstehenden Bilder zeigen ein paar Beispiele für die Arbeiten im März:

Hecke
Wir haben unten an unserem Rebberg eine Hecke gepflanzt, um Nützlingen zu helfen, und auch als Schutz gegen die angrenzende Strasse. Eine Hecke wächst und will gepflegt sein. Der hier sichtbare Rückschnitt bedingte rund eine Stunde Arbeit mit der Motorsäge – und wer sich das nicht gewohnt ist, spürt anderntags sein Kreuz.
Pfähle
Jede Rebanlage bedarf der Pflege. Je älter sie ist, desto mehr. Unsere Holzstickel sind 30-jährig und müssen teilweise ersetzt werden, weil sie faulen. Das bedeutet: Alter Stickel weg, mit Locheisen ein neues Loch vorbereiten und dann den neuen Holzpfahl einschlagen. Das ist ganz schön anstrengend, zumal man – jedenfalls als Hobbywinzer – dazu auf einer Leiter steht.
Drähte
Auch die Drähte, die später im Jahr der Rebe Halt geben, werden älter. Hier heisst es: nachspannen.
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Und hier wird nachgespannt – ein sogenannter „Drahtspanner“, an dem man mit einer Flachzange dreht, damit der Draht aufgewickelt wird (siehe Mitte), und somit wieder straff gespannt.

Einfach eine Wucht!

Madiran – wuchtige Eleganz, die reifen muss.

Nach meinem Beitrag von gestern musste das ja einfach sein; nach einem weissen Pacherenc du Vic Bilh war ein Madiran aus dem genau gleichen Gebiet sozusagen gesetzt.

Das Menu – drei Stunden wie ein Braten in Rotwein schonend geschmorter Hohrücken – verlangte geradezu nach einem kräftigen Wein, also müsste ein Madiran sicher passen. Und Château Bouscassé Vieilles Vignes 2004 schien mir so langsam in Trinkreife.

(Kleine Klammer: Ich kaufte vor vielen Jahren einmal 12 Flaschen Château Montus aus den frühen 1990-er Jahren, und ab etwa fünf Jahren nach der Ernte probierte ich jährlich eine Flasche, in der Meinung, er müsste endlich trinkreif sein – und als er es dann endlich war, hatte es keine Flaschen mehr ….).

Aber ein 14-jähriger Bouscassé (ausgerechnet übrigens aus einem Jahr, das meteorologisch nicht so toll war, und in dem vor allem zu befürchten war, dass Alain Brumont aufgeben müsste, weil er bei einem Investment vermutlich über’s Ohr gehauen wurde), das war keine schlechte Idee.

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14 Jahre alt – und erst in beginnender Trinkreife! Gute Weine aus Madiran erinnern an so etwas wie eine „gute alte (Wein-)Zeit“. (Bild vl)

Nur wenig gereiftes, tiefes Bordeaux-Rot, in der Nase intensive Düfte von Dörrpflaumen und anderen dunklen Früchten, Anflug von Pfeffer und – warum nur rieche ich das immer wieder in Tannat-Weinen – Liebstöckel („Maggikraut“). Im Mund umwerfend wuchtig, knackige, aber sehr gut eingebundene Säure, noch sehr jugendliche, prägnante Tannine, im besten Sinne mundfüllend. Wuchtiger Wein, der trotzdem elegant daherkommt. Ist jetzt trinkreif, kann aber noch einige Jahre reifen! Und auch das ist so ein Wein, der beim Essen nie verleidet, sondern immer noch besser zu werden scheint.

Südwestfrankreich – das ist definitiv mehr als eine vernachlässigbare Weingegend – das ist – von guten Produzenten – sinnliche Weinqualität pur!

http://www.brumont.fr/

 

Etikettentrinker der anderen Art.

„Pacherenc du Vic – Was“? Das muss man ja einfach probieren!

Wenn ein Zungenbrecher wie „Pacherenc du Vic Bilh“ auf der Etikette steht, dann muss man diesen Wein ja schon fast aus reiner Neugierde kaufen! Ein „Etikettenkauf“ der anderen Art. Und einer, der sich lohnt!

Raten Sie mal, wo sich dieses nur etwa 300 ha umfassende Gebiet befindet?

Etwas einfacher wird es, wenn Sie wissen, dass es sich um eine AOP in Frankreich handelt. Und dazu eine, die deckungsgleich mit der Rotwein-Appellation Madiran ist. Madiran? Ja klar, da kommt sofort der Name Alain Brumont mit seinen Châteaux Montus und Bouscassé ins Spiel – der Mann, der gezeigt hat, dass am Fusse der Pyrenäen, in der Nähe der Stadt Pau, Spitzenwein hergestellt werden kann. Von beiden Brumont-Schlössern gibt es übrigens nicht nur die berühmten Roten, sondern eben auch weisse Pacherenc du Vic Bilh.

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Pacherenc du Vic Bilh – oder eben Madiran. Weinberge von Château d’Aydie (Bild: Homepage Château)

Während sich ältere Werke wie der Hachette-Weinatlas („angrenzend“) und der Johnson/Duijker („identisch“) geradezu widersprechen, bringen Onlinerecherchen heute hervor, dass Madian und Pacherenc du Vic Bilh aus dem genau gleichen Gebiet stammen (vgl. Link auf INAO unten). Spannend übrigens: Madiran soll bis 1948 Vic Bilh geheissen haben. Woher der spezielle Name? Vic Bilh ist gasconisch und bedeutet altes Land, während Pacherenc für „Weinreben, die an Pfählen gezogen werden“ steht.

Und wer bis hier mit Lesen durchgehalten hat: Die zugelassenen Rebsorten sind Gros Manseng, Petit Manseng, Petit Courbu und Arrufiac; sie bringen sowohl trockene als auch Weine mit Restsüsse hervor. Aber der Wein, von dem ich heute schreibe, ist knochentrocken und besteht nur aus den beiden Manseng. Pierre Galet äussert sich in seiner Enzyklopädie über französische Rebsorten vor allem über die Petit Manseng als „cépage de qualité“ – was ich nach dem Genuss des Weines gerne glaube (und ohnehin bekannt ist; auch die benachbarten Weissen aus Jurançan bauen auf dieser Sorte auf).

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Nun endlich zum verkosteten Wein: Die Rede ist vom 2015er „Odé d’Aydie“ von Château d’Aydie. Ich habe ihn blind gekauft, eben als „Etikettentrinker der etwas anderen Art“. Und ich bin begeistert. Es ist ein extrem charaktervoller, interessanter Wein, der mit jedem Schluck spannender wird, und bei dem man enttäuscht ist, wenn die Flasche schon leer ist. Oder, um es mit den Worten meiner Frau zu sagen: „Das ist ein Wein, der einen geradezu auffordert, sich mit ihm auseinanderzusetzen, und der es nicht zulässt, einfach so nebenbei die Kehle herunterzurinnen“.

Mittleres Gelb mit orangen Reflexen, intensive Vielfalt in der Nase: getrocknete Aprikosen, Quitte, Vanille, Williams-Birne und viele würzige Düfte mit Anflügen von Pfeffer, Nelken und Muskat. Im Mund mit Retrofaktion von Williams-Brand, enorm füllig und dicht, im Auftakt mit prägnantem Süsskomplex (und dabei absolut trocken), gute Säure, enorme Länge, er will sich fast nicht verabschieden. Eindrücklich!

Es ist einer jener Weine, derentwegen ich diesen Weinblog begonnen habe. Vielleicht ist es nicht ein ganz grosser Wein (wobei ich mir da nicht einmal so sicher bin), aber er ist auf jeden Fall charaktervoll, authentisch, nie langweilig, er macht einfach Spass – nein, mehr als das, er fasziniert bis zum letzten Tropfen. Und so ganz nebenbei: er kostet keine fünfzehn Franken!

Château d’Aydie verfügt über 58 ha Reben und steht in Besitz der Familie Laplace. Produziert wird hier, nebst etwas Landwein, Madiran und sowohl süsser als auch trockener Pacherenc du Vic Bilh. Das Schloss befindet sich rund 4 Kilometer vom Dorf Madiran entfernt. Und übrigens auch je in gleicher Distanz, einmal nördlich, einmal östlich, liegen die beiden erwähnten Güter von Alain Brumont.

Château d’Aydie:
http://www.famillelaplace.com/fr/

Alain Brumont:
http://www.brumont.fr/fr/index.php

 

Gebiete gemäss INAO (mit Karte):

Pachernec du Vic Bilh:
https://www.inao.gouv.fr/produit/726

Madiran:
https://www.inao.gouv.fr/produit/13315

 

 

 

 

 

 

 

Virtuelles Weinjahr (Folge 1 – der Schnitt)

Im Februar beginnt die Arbeit im Rebberg mit dem für mich schönsten Teil: dem Rebschnitt. Es ist vermutlich auch die wichtigste Arbeit überhaupt, denn damit werden nicht nur Entscheide für das laufende Jahr, sondern auch für die Folgejahre getroffen. Ein bisschen ist es wie beim Schach, man muss immer ein paar Züge (oder eben Schnitte) vorausdenken.


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Wirres „Chaos“ vor dem Rebschnitt im Februar (Bild vl)

Da stehen also die Reben, so wie sie im vorangegangenen Jahr gewachsen sind. Nur wirken sie jetzt struppig, ganz anders als im Sommer und Herbst des Vorjahres, als sich eine grüne oder wunderschön farbige Blätterwand zeigte.

Nun gilt es, radikal aber überlegt einzugreifen. Von all den vielen Trieben brauchen wir im neuen Jahr nur noch zwei, und diese werden erst noch auf wenige „Augen“ zurückgeschnitten. (Als Augen werden die Knospen bezeichnet, aus denen im Frühling neue Triebe ausschlagen.) Pro künftigem Trieb sollte aus Qualitätsgründen dereinst nur eine Traube stehen bleiben. Und je nach Traubensorte und vor allem Qualitätsdenken sollten schliesslich höchstens 10-12 Trauben pro Stock als Ertrag verbleiben – das ergibt also je 5-6 Augen an beiden der verbleibenden Ruten.

In der Praxis ist aber alles etwas komplexer: Zusätzlich lassen wir, ganz nah am Stock, eine kurze Rute („Zapfen“) mit einem bis zwei Augen stehen. Aus diesen spriessen die Triebe, die wir im Idealfall im kommenden Jahr für den dannzumaligen Ertragsschnitt brauchen können. Zudem lassen wir vorerst nicht zwei, sondern drei Ruten stehen. Die dritte dient als „Frostreserve“, also als Sicherheit für den Fall eines gefürchteten Frühlingsfrostes. In unserem Rebberg hatten wir das 2016 und 2017. Die Reben waren in zartem Grün frisch ausgetrieben, als eine Frostnacht Ende April resp. anfangs Mai 3-5 Minusgrade brachte. Das ertragen die meisten der frischen Triebe nicht, sie erfrieren und sterben ab. Interessanterweise überleben aber – je nach Stärke des Frostes, aber auch je nach dem begleitenden Kleinklima (Nässe, Wind, Geländeform etc.) – manchmal einige der Triebe. Und gerade jene an der „Frostrute“, welche etwas höher steht, können dann mit zur Rettung des Jahrgangs genutzt werden.

Auf den ersten Blick ist der Schnitt eine banale Angelegenheit. Man braucht – abgesehen von der Frostrute und dem „Zapfen“ – zwei letztjährige Triebe, welche auf 5-6 Augen zurückgeschnitten werden – fertig! Die Praxis ist aber herausfordernder. Denn erstens braucht es starke Triebe, „Kümmerlinge“ gedeihen nicht richtig. Zweitens muss die Rebe  in die richtige Form gebracht werden können. Eine Rute muss also ungefähr in die Richtung wachsen, in der wir sie danach auf den Draht biegen. Drittens muss der Rebstock so geschnitten werden, dass die neuen Triebe so nah als möglich beim Stock wachsen. Viertens ist kein Stock wie der andere, es gibt immer neue Konstellationen. Und fünftens, und eigentlich vor allem, muss der Schnitt so erfolgen, dass auch im nächsten Jahr wieder ein guter Rebschnitt möglich wird. Voraussehen, wie die Rebe wachsen wird, und was das für die Zukunft bedeutet. Eben, wie im Schach; ein paar Züge vorausdenken.

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Ein Rebstock vor dem Schnitt (Bild vl). Die Erziehung aus dem Vorjahr lässt sich hier nicht ablesen, weil die jungen Triebe im Frühling 2017 durch Frost abstarben und durch einige „überlebende“ und vor allem durch nachstossende Triebe ersetzt wurden.
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Die gleiche Rebe nach dem Schnitt. Die beiden Ruten, bereits auf den Draht gebunden (1), die Frostrute, welche im Mai noch abgeschnitten wird (2) und der Zapfen, aus dem die Ruten für das nächste Jahr wachsen (3). Der Zapfen ist hier nicht ideal angebracht und sollte zentraler liegen. Schuld daran sind Frost und Hagel vom Vorjahr, die vieles zerstörten.

Solche Überlegungen macht man sich mit etwas Erfahrung nicht mehr unbedingt bewusst, vieles passiert in der Routine intuitiv – auch wie beim Schach. Und genau deshalb liebe ich diese Arbeit so sehr; sie ist entspannend und herausfordernd zugleich, und man legt – noch im Winter – die Basis für ein ganzes Weinjahr. Und in meinem Fall, mit einem Rebberg von 4 Aaren, wovon ein Kollege die Hälfte bewirtschafet, kommt noch dazu, dass ich genügend Zeit habe, weil es egal ist, ob die Arbeit im Februar oder anfangs März gemacht wird. Musse im Rebberg also, wie sonst nie.

Hier noch ein Link auf eine einfache, aber verständliche schematische Darstellung des Rebschnitts:

https://www.rebschule-schmidt.de/reben_schneiden



Verschiedene „Erziehungsarten“

Weltweit gibt es viele verschiedene Arten, Reben zu schneiden resp. zu „erziehen“. Bekannt sind auch exotische Formen wie die Pergolareben, wie sie im Tessin oder Südrtirol immer noch zuweilen anzutreffen sind. Oder die „kriechende Erziehung“ wie auf Lanzarote, wo die Reben direkt am Boden wachsen, damit sie via Tau etwas Feuchtigkeit erhalten.
In unseren Breitengraden ist der Gobelet-Schnitt aus der Westschweiz bekannt, bei welchem keine langen Ruten, sondern mehrere kurze stehen gelassen werden. Und schliesslich war historisch der Schnitt für „Stickelreben“ verbreitet, der heute noch angewandt wird, wenn eine Rebe allein an einem Pfahl („Stickel“) steht, d.h. kein Draht gespannt ist. Die Ausführungen im vorstehenden Beitrag beziehen sich also nur auf eine von vielen Möglichkeiten.

stickel
Hier eine geschnittene „Stickelrebe“ (es ist übrigens der Rebstock, der auf dem Einstiegsbild zum Artikel zu sehen ist). Die untere Rute (1) und die obere Rute (2), welche auf der Höhe beginnt, auf der die erste endet. Auch hier eine Frostreserve (3) und ein Zapfen (4).