Chasselas/Gutedel: Grandiose Weine!

So ganz langsam spricht es sich herum, dass aus dem Mauerblümchen Chasselas bzw. Gutedel Weine von herausragender Qualität entstehen können. Hier je ein Beispiel aus Deutschland und aus der Schweiz als Beweis.

Zugegeben, auch ich habe etwas Zeit gebraucht, um mich in Chasselas zu verlieben. Zu sehr sind mir da die dünnen, jämmerlichen Säftchen in Erinnerung, die wir jeweils in meiner Militärzeit in der Westschweiz im Ausgang vorgesetzt erhielten. Und auch eine Aussage über Chasselas-Weine eines damals führenden Weinjournalisten in den späten 1980er-Jahren musste ich zuerst überwinden: „So etwas wie halb Wein und halb saurer Most“!

Bester deutscher Wein bei Vinum: 10 hoch 4 von Ziereisen

Allerdings hätte es schon zu jener Zeit sehr gute Weine aus der Chasselas (in Deutschland: Gutedel) gegeben, was diverse Degustationen alter Weine aus jener Zeit heute eindrücklich bestätigen. Dass die besten Weine inzwischen auch ganz vorne in den Punktelisten mitmischen können, ist aber doch neu. So wurde vor drei Jahren zum Beispiel der Gutedel Jaspis 10hoch4 2016 von Hanspeter und Edeltraud Ziereisen als bester im Jahr 2020 von Vinum degustierter deutscher Wein bewertet (19,5 Punkte!). Ich selbst habe vor zwei Jahren den Jahrgang 2017 den gleichen Weines ebenfalls mit dieser Punktezahl bedacht – ein Wert, zu dem ich in diesem Blog noch gar nie gegriffen habe (wobei anzumerken ist, dass ich i.d.R. auch keine wirklich teuren Weine beschreibe).

Blick auf die Rebberge von Efringen-Kirchen, ideales Terroir an der deutschen „Burgunderpforte“.

Eine Stufe tiefer, aber auch grossartig: Steingrüble von Ziereisen

Nebst einem schon länger geplanten Beitrag über eine Verkostung von vier älteren Jahrgängen des Dézaley Médinette hat mich nun wiederum ein Wein von Ziereisen zum Schreiben angeregt, der „Steingrüble 2016“. Einfach grossartig, wie sich dieser Wein heute präsentiert, in der Trinkreife (wobei er das eigentlich schon die ganze Zeit war) aber immer noch mit viel Lagerpotential! Dieser – durchaus bezahlbare – Gutedel wird spontan vergoren und gegen zwei Jahre auf der Hefe im grossen Holzfass ausgebaut und schliesslich ohne Filtration oder Schönung abgefüllt.

Steingrüble 2016, Gutedel, Badischer Landwein, Hanspeter und Edeltraud Ziereisen
Mittleres Gelb, zuerst etwas Brioche (erinnert ein wenig an einen schönen Champagner), dann sehr fruchtig mit Apfel, Birne, Mirabelle und Papaya, dezenter Holzton; im Mund prägnante aber wunderschön „mürbe“ Säure, enorm mineralisch, dicht, „saftig“, wunderbarer Trinkfluss. Fast nicht endender Abgang mit Anflügen von Zitrus und Brioche. Toller Wein und nur 12,5 % Alk.! 17,5 Punkte.

Und die Chasselas-Legende aus der Schweiz: Dézaley Médinette von Louis Bovard

Grandiose Wein- und Kulturlandschaft: Dézaley am Genfersee.

Im vergangenen Spätherbst fand eine unglaublich spannende Degustation der Swiss Wine Connection statt. Von vier Schweizer Spitzenweinen wurden je vier gereifte bis „alte“ Weine präsentiert – darunter als einziger Weisser der Dézaley Grand Cru Médinette der Domaine Louis Bovard. Auch der älteste vorgestellte Jahrgang, 2002, war noch im voller Form – wenn das kein Beweis für die Grösse dieses Cru’s und für das Potential der Chasselas ist! Nachstehend meine Kurznotizen zu den vier Jahrgängen:

2011
Mittleres Strohgelb; grüne Töne, nussig, etwas „mostig“; im Mund etwas Kampfer, trotz tiefer Säure sehr frisch wirkend, rund mit langem Abgang. Der „schwächste“ der vier Jahrgänge, hat aber ev. eine etwas schwierige Phase. 16 Punkte.

2008
Mittleres Strohgelb; zuerst ganz leicht muffig, entwickelt sich mit Luft aber immer schöner hin zu fruchtigen Tönen wie Mirabellen und weissen Johannisbeeren; im Mund sehr frisch, mineralisch, ausgesprochen rund und trinkfreudig, langer Abgang. Schöner, frischer Wein. 17,5 Punkte.

2005
Eher helles Gelb; Duft nach Lindenblüte, kandierten Früchten und Honig, würziger Touch; im Mund trotz tiefer Säure frisch und harmonisch, mineralisch, rund, langer Abgang. 17 Punkte.

2002
Helles Strohgelb; vielschichtige Frucht (Steinobst und exotische Früchte); im Mund eher filigran, mineralisch, tolle Frische, extrem langer Abgang! Herrlicher Wein, 20 Jahre und kein bisschen müde! 17,5 Punkte.

Fazit: Chasselas/Gutedel aus dem Rebberg und dem Keller von begnadeten Winzern bringt Spitzenqualität! Es ist Zeit, alte Vorurteile abzulegen!

Mehr zu Ziereisen’s und zur Domaine Louis Bovard hier:
Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)
Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)

Und bei dieser Gelegenheit: Am 28.4.2023 findet in Efringen-Kirchen (10 Kilometer ab Basel) der Landweinmarkt Baden statt. Eine ideale Gelegenheit, die Weine von Ziereisen und anderen führenden Winzern der Region zu probieren:
Willkommen zum 4. Landweinmarkt Baden (landweinmarkt-baden.de)


Interessennachweis:
Der „Steingrüble“ wurde vor Ort beim Winzer gekauft und die Teilnahme an der Médinette-Degustation mit dem ordentlichen Eintritt beglichen.

Dézaley Médinette: ein hochaktueller Klassiker!

Ich habe in den letzten Monaten mehrmals über grossartige Schweizer Weine geschrieben, die Weltklasse darstellen. Ganz sicher dazu gehört der Médinette von Bovard, ein Inbegriff für einen wunderschönen Chasselas, der selbst Weingott Bacchus prosten lässt!

Als Leserin oder Leser mögen Sie nun fragen, ob mir denn nichts anderes mehr einfalle, als über bekannte Weinklassiker zu schreiben. Gegenfrage: Wann hatten Sie zum letzten Mal einen Médinette im Glas? Bei vielen dürfte das lange her sein – und das ist schade, der Wein ist nämlich nicht einfach ein Klassiker, sondern ein genialer Klassiker, der zum Besten zählt, was es in der Schweiz gibt!

Klassisch ist auch die Etikette, die aus dem Jahr 1905 stammt und den Weingott Bacchus zeigt. Der Text links unten hatte prohetischen Charakter: le plus fin des Vins Suisse!

Bovard, das Traditionsunternehmen aus Cully, führt eine Vielzahl von Chasselasweinen aus unterschiedlichen Lagen. Aber bei aller Tradition hat sich Bovard auch immer wieder an Neues gewagt. Ortsuntypische Sorten wie Chénin blanc, Sauvignon blanc, Syrah und Merlot oder ein Ausbau von Weinen in der Barrique wurden sozusagen zu neuen Traditionen. Wer den heute schon über 80-jährigen Louis-Philippe Bovard erlebt, wer seine einnehmende Präsenz und seine Freude daran, über die Weine zu philosophieren je erlebt hat, wird keine Angst mehr vor dem Alter haben – und kann sich vorstellen, welche Schaffenskraft Bovard wohl als 50-jähriger gehabt haben muss!

Trotz aller Innovation – die Chasselas-Weine bleiben die Klassiker des Betriebes. Sehr spannend ist, dass jeder Wein seine Eigenheit, seine Herkunft ausspielen darf. Ich habe kürzlich die 2017er Villette Fraidieu, Espesses Chatally, St. Saphorin l’Église und den „normalen“ Dézaley nebeneinander probiert. Die Weine sind völlig verschieden – statt ihnen eine Firmenhandschrift aufzustempeln, lässt Bovard sie sich selbst ausdrücken. So toll diese Weine sind – das Mass aller Dinge ist der Dézaley Médinette:
Helles Gelb; zurückhaltende, aber delikate Noten von Mirabellen und Zitrusfrüchten, florale Düfte nach Linden- und Rebenblüte (!); im Mund im ersten Moment wuchtig wirkend, dann aber immer mehr mit einer tänzerischen Leichtigkeit, enorm mineralisch und frisch, mit einer schönen Säure und einem fast nicht enden wollenden Abgang. Eleganter Wein mit noch schlummerndem Power!

Speziell bemerkenswert ist die ausgeprägte Mineralität. Ich habe noch nirgends eine wirklich überzeugende und eingängliche Beschreibung von Mineralität im Wein gelesen, dieses „Phantom“ muss man selbst erspüren, was hier besonders gut gelingt.

Weine aus Chasselas sind generell unterschätzt, sind aber oft (und immer öfter) hervorragend. Der Médinette 2017 ist gar ein absoluter Spitzenwein, der auf seine ganz eigene Art mit den besten der Welt mithält. Dieser Wein ist jetzt schon ein unglaublicher Genuss – wie muss er erst in ein paar Jahren sein? Denn der Médinette gilt als Inbegriff eines Chasselas, der mit zunehmendem Alter immer noch besser wird und der auch sehr lange haltbar ist. Auf der Hompage von Bovard kann man denn auch heute noch die Jahrgänge 2006 und 2008 kaufen – auf Anfrage gibt es vielleicht gar noch eine Flasche aus den Jahren 2000 – 2004.

Sie sehen: Auch oder gerade ein Klassiker kann hochaktuell sein – und zum Wiederentdecken!

http://www.domainebovard.com/de/home.php

Einen weiteren Blogbeitrag über einen tollen Chasselas aus Deutschland siehe hier:
https://victorswein.blog/2018/02/03/gut-und-edel/

Und noch ein spannender Artikel von Daniel Böniger im Tagesanzeiger über Chasselas, bzw. über einen seiner wichtigsten Botschafter, den Sommelier und Chasselaskenner Jérôme Aké Béda:
https://www.tagesanzeiger.ch/leben/essen-und-trinken/make-chasselas-great-again/story/17046013


In einer Woche: Schweizer Spitzenwinzer im Schiffbau!
Und ganz zum Schluss: Am Montag, 2. Dezember 2019 bietet sich die landesweit beste Gelegenheit, Schweizer Spitzenweine zu probieren. Am „Swiss Wine Tasting“ ist, nebst vielen anderen, auch Bovard vertreten.
Infos und Anmeldung (Eintritt nur Fr. 20.–).
https://www.swiss-wine-tasting.ch/?L=0