Ausnahmewinzer Ziereisen: hier ruht nur der Wein!

Regio Basel. Markgräflerland. Spitzenwein? Ja, das passt zusammen! Rund 10 Kilometer nördlich von Basel herrschen Bodenverhältnisse ähnlich wie im Burgund. Und wenn hier ein Winzerpaar wie die Ziereisen’s tätig ist, dann resultieren eigenständige, grossartige Traumweine.

Blick von der Rebbergen auf Efringen-Kirchen (vorne) und Basel (Hintergund).

Rund 30 Jahre sind es her, seit Hanspeter Ziereisen seinen erlernten Beruf als Schreiner aufgab, um sich dem elterlichen Hof in Efringen-Kirchen zu widmen, einem Mischbetrieb (u.a. Spargel!), der auch etwas Reben besass. Hanspeter war überzeugt, dass man an den Hängen über dem Dorf, welche aufgrund einer geologischen Überwerfung schwergewichtig Jurakalk als Untergrund aufweisen, hervorragenden Wein herstellen könnte, der ganz anders sein müsste, als es die damaligen Tropfen der Region waren.

Der „Kalkfelsen“ zwischen Efringen und Istein: aussergewöhnliches Terroir (die Reben gehören nicht zu Ziereisen, das Bild zeigt aber schön die geologischen Verhältnisse)

Allerdings war die erste Hälfte von Ziereinsen’s Wirken nicht einfach. Zwar sagt seine Gattin Edeltraud (kurz: Edel) mit einem Augenzwinkern, sie selbst sei seit 1996 auf dem Hof, und seit 1997 werde hier guter Wein gemacht. Aber so richtig gesucht waren die den Beschriebungen nach schon damals authentischen, aber filigranen und vielleicht nicht auf den ersten Schluck verständlichen Weine nicht. Es war die Zeit, in welcher die Weinfreunde vor allem die Frucht-, Extrakt- und Alkoholbomben aus Australien, Spanien und Süditalien als Mass der Dinge sahen – und wenn ein einheimisches Gewächs, dann musste es wenigstens rund und fruchtig sein. Als Tribut an den Zeitgeist wurde deshalb in den Jahren 2000 – 2004 auch bei Ziereisen chaptalisiert, d.h. der Wein durch das Zufügen von Zucker während der Gärung alkoholreicher und runder gemacht.

Interessanterweise verdanken wir zum Teil gerade dieser damaligen Durststrecke im Absatz der Weine die heutige Aussergewöhnlichkeit von Ziereisen’s Sortiment: Das Weingut hinkt in der Vermarktung immer ein bis zwei Jahre hinterher, aktuell sind schwergewichtig noch die 2017er im Verkauf, die 2018er sind oder werden erst gerade abgefüllt. Der Wein darf also bei Ziereisen ruhen und reifen.

Der Wein braucht einfach seine Ruhe
Überhaupt: Der Wein bekommt bei Ziereisen viel Ruhe und darf sich sozusagen selbst entwickeln. Einen „flying winemaker“, wie ihn einige andere Winzer für Tagesgagen von bis zu 3’000 Euro verpflichten, braucht Ziereisen nicht. Und dass Weinlehranstalten heutzutage vor allem zum Vermeiden von Fehlern und nicht zum Kreieren grosser Weine ausbilden, möchte er lieber ausblenden. Ihm genügt seine Erfahrung und sein Gefühl – und der Wein macht das schon selbst richtig, wenn man ihn denn lässt und schonend begleitet. Vergoren wird auf der Wildhefe, und fast alle Weine bleiben danach im kleinen oder grossen Holzfass (Inox sucht man im Ausbau-Keller vergebens) eineinhalb bis zwei Jahre auf der Feinhefe liegen. Die grösseren Gewächse werden sogar unfiltiert abgefüllt. Böse Zungen sagen zwar, der Wein erhalte nur deshalb diese Ruhe, weil Hanspeter noch lieber im Rebberg als im Keller arbeite – aber wer ihn selbst über seine Weine reden hört, spürt seine Überzeugung zu seiner Kellerarbeit. „Slow wine“ sozusagen!

Holz, soweit das Auge reicht: Hier ruhen sich Ziereisen’s Weine aus, bevor sie abgefüllt werden.

Aber Arbeit haben Ziereisens ohnehin genug. Aus einem kleinen Rebgut ist inzwischen ein Betrieb mit 21 Hektar Rebfläche entstanden. Ein Blick auf die Besitzverhältnisse am Efringer Hang zeigt, dass heute rund die Hälfte des Rebberges Ziereisens gehört, darunter Land in den allerbesten Lagen. So viel Ruhe der Wein bekommt, so sehr ist das Ehepaar Ziereisen immer auf Achse. Bei unserem Besuch auf dem Hof zeigte sich Edel als nimmermüde Gastgeberin mit einem wachen Auge auf die Anliegen aller Besucher (man kann vor Ort Wein kaufen), während Hanspeter noch am späten Samstagabend eine defekte Maschine selbst reparierte, bevor er sich auch in unsere Runde gesellte. Ruhe scheint für Ziereisen’s ein Fremdwort zu sein, und man hat den Eindruck, es wäre ihnen auch nicht wohl, wenn sie nicht arbeiten könnten.

Gefühl und Kreativität im Rebberg
Zurück zum Rebberg: So, wie im Keller vor allem mit Erfahrung und Gefühl gearbeitet wird, so sehr ist Beobachtung und Erfahrung – und eben wieder Gefühl – der Schlüssel zu einer idealen Pflege der Reben. Die Unterschiede der Lagen, die Art der Erziehung, der ideale Zeitpunkt zur Lese, aber zuvor auch zur Entlaubung, die Menge der Blattmasse – alles ist bei Ziereisen durchdacht und mit Erfahrungen hinterlegt, die man doch in jedem Jahr wieder den Gegebenheiten anpassen muss – mit dem Gefühl für das Richtige halt!

Seit einigen Jahren bewirtschaften Ziereisen’s zusätzlich noch Reben in der Schweiz, direkt an der Grenze in Riehen (mit schönem Blick auf die Fondation Beyeler). Auch diese Weine gelingen bereits hervorragend, aber Hanspeter Ziereisen gibt offen zu, dass er überzeugt ist, die Qualität mit den Jahren noch steigern zu können, weil er – zusammen mit dem dort eingesetzten Betriebsleiter – mit jedem Jahr den Rebberg noch besser zu verstehen lerne. Die Reben in Riehen liegen nur rund 10 Kilometer entfernt und in ähnlicher Ausrichtung. Aber das Kleinklima ist völlig anders, hier ist es wärmer, da die kühlen Nachtwinde vom Schwarzwald weniger gut bis in diese Lage ziehen können und wohl auch, weil die nahe Stadt einfach wärmer ist.

Der Rebhang von Efringen-Kirchen: Idealer Boden, beste Ausrichtung und ideales Mikroklima. Rund die Hälfte davon wird von Ziereisen’s bewirtschaftet.

Die Rebberge der Ziereisen’s können auch schon fast als Lehrbuch dafür genutzt werden, wie man mit perfekter Arbeit und mit dem Mut zu Experimenten den Wein immer noch eine Nuance besser macht. Ein paar Beispiele: Eine Neupflanzung wurde in extrem hoher Stockdichte gesetzt, womit der Ertrag pro Stock reduziert werden kann, was die Reben auch zwingt, tiefer zu wurzeln. In Zeiten des Klimawandels ein unersetzlicher Vorteil. Oder die Laubarbeit: Um die Trauben trocken zu halten und damit der Fäulnis vorzubeugen, sollte man die Blätter in der Traubenzone möglichst entfernen. Umgekehrt bieten die Blätter den Beeren Schutz gegen zu viel Sonne, welche sie nicht nur „verbrennen“ kann, sondern den Trauben auch Frische entzieht. Ziereisen löst das Problem, indem die Blätter auf der sonnenabgewandten Ostseite entfernt, während sie auf der anderen Seite der Reihe am Stock belassen werden. Oder das Eingehen auf die Traubensorte: Während die Burgundersorten mit relativ wenig Blattmasse auskommen, muss die Syrah mit ihrer Wuchskraft sich „austoben“ können. Die Lösung: Die Triebe der Rhonetraube werden um den obersten Draht gewickelt und können somit länger belassen werden und mehr Blätter bilden. Oder Pinot-Stöcke, die im Zapfenschnitt erzogen werden? Ziereisen’s probieren das aus, weil dieser Schnitt ertragsregulierend und alkoholmindernd wirken soll. Und noch ein Unikum: In einer Parzelle wurden statt einer Neupflanzung von Reben die neuen Schösslinge auf das bestehende Holz aufgepfropft, womit die tief wurzenden Stöcke erhalten bleiben – und nebenbei erst noch im ersten Pflanzjahr schon ein Ertrag erzielt werden kann!

Neubestockung: Extreme Dichte für höchste Qualität!

Das ist Ziereisen: Immer aktiv, immer mit dem Ziel auf das noch etwas Bessere, immer beobachtend, immer suchend – immer auf Achse! Mit diesem Engagement, diesem Enthusiasums, dieser Begeisterung für die (Hand-)arbeit kann es nicht überraschen, dass das Weinsortiment der Ziereisen’s von aussergewöhnlicher Qualität ist.

Ich hatte das Vernügen, einen ganzen Nachmittag lang das ganze, grosse Sortiment degustieren zu dürfen, inkl. der Weine aus Riehen. Eingeladen hatte Florian Bechtold, und er erwies sich als Glücksfall. Einerseits bestach er – angehender Sommeliermeister – mit einem enorm breiten und tiefen Weinwissen, andererseits, und in diesem Fall vor allem, dadurch, dass er im Rahmen seiner Ausbildung als Praktikant bei Ziereisen gearbeitet hatte. Seine Erläuterungen zu den einzelnen Weinen waren deshalb unbezahlbar.

Die klare Handschrift durch das ganze Sortiment
Das Ziereisen-Sortiment umfasst 28 verschiedene Weine, vom „Heugumber“, dem Basis-Gutedel zu Euro 6.50, bis zum Jaspis Gutedel 104 zu Euro 125.00. Davon konnten wir 25 Weine verkosten – zusammen mit vier Weinen vom Weingut Riehen also 29 Proben. Und es gibt, vielleicht mit Ausnahme des duftmässig gewöhnungsbedürftigen trockenen Gewürztraminers, in jeder Preis- und Weinkategorie nur ein Prädikat: aussergewöhnlich. Nein, es gibt ein zweites: grossartig!

Allen Weinen, einfach oder Weltklasse, ist gemein, dass sie eine grosse mineralische Frische ausstrahlen, und das die Fruchtigkeit nicht vordergründig, sondern dezent spürbar eingebunden im Gesamtbild wirkt. Zudem ist kein einziger Wein, obwohl alle in Holz ausgebaut sind, jemals stark holzbetont. Zudem sind bzw. wirken alle Weine trocken, da gibt es nichts von „billiger Süsse-Fruchtigkeit“.
Wo nicht anders erwähnt, handelt es sich immer um den Jahrgang 2017:

Schon die Basisweine – „Rebsorten-Weine“ – sind allesamt alles andere als einfach, auch wenn sie natürlich mit den grossen Weinen nicht mithalten können. Die meisten davon werden – im Gegensatz zu den höherklassigen – filtriert abgefüllt. Ganz speziell gefallen hat mir hier der dichte, „fadengerade“ und zudem recht fruchtige Grauburgunder – für 9.80 Euro ein unglaublicher Gegenwert. Und auch der „Heugumber“ 2018, ein Gutedel für 6.50 Euro, steht mit seiner zwar noch etwas reduktiven, aber dichten und mineralischen Art weit über vielen teureren Chasselas aus der Schweiz.

Die nächste Qualitätsstufe, die „Premium-Weine“ spielen dann aber doch in einer anderen Liga. Bei den Weissen mag man sich fast nicht festlegen, ob man nun der Gutedel „Steingrüble“, den ich übrigens in einem anderen Jahrgang hier schon einmal fasziniert beschrieben hatte:
https://victorswein.blog/2018/02/03/gut-und-edel/,
den Weissburgunder „Lügle“, den Grauburgunder „Moosbrugger“ oder gar den Chardonnay „Hard“ bevorzugt.
Etwas einfacher wird die Wertung bei den Roten, vier verschiedene Blauburgunder und ein Syrah. Schon der „Tschuppen“ besticht durch seine eigenständige, würzige und florale Art. Der Talrain (17.80 Euro), der sechs Wochen an der Maische gelegen hat, weist im Moment noch etwas trocknende Tannine auf, hat aber eine tolle Struktur, duftet schon sehr typisch nach Pinot – und dürfte in 3-4 Jahren ganz toll sein. Das Highlight in dieser Kategorie ist aber der Rhini. In dieser Lage überdeckt eine dicke Löss-Lehmschicht den Kalkboden, und der Wein wirkt tatsächlich anders: fruchtbetont (aber nicht aufdringlich), sehr dicht, prägende Tannine, gleichzeitig sehr „saftig“. 34.00 Euro – aber jeden Cent wert!

Fast wäre nun der Syrah Gestad aus dieser Linie vergessen gegangen. Spannend, was aus dieser Sorte im Markgräflerland gemacht werden kann!

Bei anderen Winzern wäre das Sortiment damit abgeschlossen, bei Ziereisen beginnt es qualitativ hier erst so richtig (eine Aussage, die allerdings die bisher beschriebenen Weine ungerechtfertigt abwertet)! Jaspis heisst die Linie, die „Premium“ noch toppt. Jaspis ist ein Edelstein auf Quarz-Basis, der Name passt somit sehr gut zum überaus mineralischen und edlen Sortiment.
Der Grauburgunder hat viel reife Frucht, duftet nach Honig und ist, bei schöner Säure, dicht, und der Abgang fast unendlich. Ein unsüsses Elixier!
Im Gegensatz dazu ist der Chardonnay mit feiner Frucht unterlegt, feingliedrig und überaus elegant. Ein Wurf!
Aber die Krone – nach meiner Meinung im ganzen Sortiment – gehört einem Gutedel, dem 104: Unglaublich feine, zwar intensive, aber doch nicht aufdringliche Fruchtnote mit einem ganzen Bündel an Düften, im Mund zuerst filigran wirkend, dann enorm viel Druck aufbauend, total ausbalanciert, enorme Länge. Ein Traumwein – und ein Horror für alle Chasselas-Verächter. Aus dieser Rebsorte kann man ganz offensichtlich Weine herstellen, die man blind ins gehobene Burgund denken würde!

Gutedel (Chasselas) der unglaublichen Art: Ein feingliedriges, tiefgründiges Monument, das man locker gegen einen guten Burgunder stellen kann!


Bleiben die Roten der Jaspis-Linie, und auch da bleibt vor allem das Staunen: Schon der Blauburgunder mit seinem dunklen Kirschenduft und einer enormen Eleganz und Frische ist – auch im noch nicht reifen Zustand – ein genialer Wein. Schade nur für ihn, wenn danach der (2015-er) „alte Rebe“ serviert wird. Bereits etwas gereifte Frucht von Himbeere und Johannisbeere, etwas Pilz und Leder, im Mund ein Feuerwerk, dicht, „burgundisches Feuer“ ohne jede Brandigkeit, bereits etwas gereifte Tannine, wunderschön stützende Säure – ein Traumwein zum Meditieren!
Der Syrah hatte es nach diesem Wein etwas schwer, dabei ist er aber absolut überzeugend. Er ist in 50 % neuem Holz ausgebaut, aber Holz spürt man nur sehr dezent, es herrschen typische Sarah-Noten vor. Ein Syrah, der sich vor jenen aus der Rhone nicht verstecken muss.

Und dann wäre da ganz zum Schluss der Degustation noch dieser andere, überirdisch gute Wein, „Jaspis Unterirdisch“ 2016, ein in der vergrabenen Amphore vergärter und ausgebauter Gutedel ohne Schwefel – ein Naturwein: Orange Farbe, spürbare Hefenote, erstaunlich fruchtig (Johannisbeeren und Stachelbeeren), spürbare, etwas trocknende Tannine, langer Abgang. Gelungener, spannender Wein, der alle Vorurteile gegen Naturwein widerlegt.

Einmalig grossartig
Es verwundert natürlich nicht, dass auch die Grossen der Weinkritik das Gut längst entdeckt haben. Nur zwei Beispiele: Diverse Parker-Punkte von Stephan Reinhardt machen das Gut interessant und einige Weine noch rarer, und Gault Millau führt den Betrieb mit 5 Sternen = Weltklasse und gibt dem Jaspis Gutedel 104 die vollen 100 Punkte!

Und trotzdem sind Ziereisen’s bescheiden geblieben und nicht abgehoben (Na gut, sieht man einmal vom Preis des 104 ab, zu dem die FAZ schrieb, nicht einmal Hanspeter selbst glaube, dass das gerechtfertigt sei. Allerdings sind dann die Weinpreise vieler anderer Produzenten genau so wenig begründet).
Ziereisen – das ist die vermutlich fast einmalige Kombination zwischen Bescheidenheit, handwerklicher Bodenständigkeit und genialer Kreativität und Gefühlsbetontheit. Grossartig und einmalig!

http://www.weingut-ziereisen.de


Das Weingut in der Schweiz: Ullrich + Ziereisen, Weingut Riehen
Nur am Rand erwähnt habe ich die Weine (Le Petit und Le Grand, jeweils in weiss und rot) des „Weingutes Riehen“, das Ziereisens zusammen mit der Weinhandlung Paul Ullrich unter der Betriebsleitung des jungen, offenbar begnadeten Silas Weiss bewirtschaftet. Alle Weine des Gutes sind empfehlenswert, der Ziereisen-Stil zeigt sich auch hier. Besonders angetan bin ich von einem momumentalen Sauvignon blanc, der allerdings sehr sortenuntypisch daherkommt. Und ein Wermuthstropfen: Die Weine sind mit rund CHF 35.00 (Petit) und CHF 70.00 (Grand) auf der gehobenen Seite.
http://www.weingutriehen.ch


Florian Bechtold, begnadeter Weininsider mit Praktika bei Ziereisen’s
Der Organisator des Tages, Florian Bechtold, ist aktuell an einem äusserst spannenden Weinprojekt, das ich hier sicher noch verstellen werde, sobald die Zeit dafür reif ist. Vorerst kann ich Florian bestens empfehlen als sehr kompetenten Fachmann für Weinberatungen aller Art, Weinreisen, Weinabende oder als Sommelier:
http://www.facebook.com/flobechtold

Jahr des Winzers (14): Der Vogelschutz

Für den grösseren Teil der Reben in der Schweiz wird zwar kein Schutz vor Vogelfrass angebracht, und die paar hungrigen Kleinvögel, welche ein paar Trauben „stibiezen“, sind auch nicht das Problem. Aber ein Schwarm von Staren kann eine gewisse Fläche innert Minuten kahlfressen. Ich selbst hatte vor einigen Jahren bei der Ernte die Trauben an mehreren Stöcken hängen gelassen, um daraus Traubensaft herzustellen, den Vogelschutz aber schon abgestellt. Zwei Tage später war keine einzige Beere mehr am Stock!

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Ein solcher Vogelschwarm (es sind Staren) genügt, um erheblichen Schaden anzurichten.

Viele Winzer schützen ihre Reben deshalb auf veschiedenste Weise. Die gute alte Vogelscheuche hilft wenig, aber Netze und lärmende (oft Vogelstimmen imitierende oder „schiessende“) Maschinen halten gefrässige Vögel ab.

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Verschiedene Arten von Vogelschutz: Netze (oben links gleichzeitig als Hagelschutz dienend) und lärmende Anlagen (unten links)

Wir haben mit unserem kleinen Rebberg das Glück, uns an dem aus meiner Sicht effizientesten Vogelschutz anhängen zu können: einer „Bächli-Anlage“ unseres Rebnachbars. Benannt nach dem Hersteller, handelt es sich um einen Apparat, der, mit einem Elektromotor betrieben, eine Stange in einstellbaren Intervallen um ca. 50 cm von links nach rechts bewegt. Daran befestigte Schnüre bewegen sich mit, und wiederum daran befestigte Bändel schwenken hin und her und vertreiben jeden gefrässigen Vogel.

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„Tanzende“ Bändel dank der Rotation der „Bächli-Anlage“. Da bleibt kein Vogel ruhig am Fressen.

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Ein Detail der Anlage: Umlenkrolle für die an der Bächli-Anlage befestigte Schnur.

Wir haben dank dieser Vogelschutzanlage innert 30 Jahren bei laufender Anlage nie einen nennenswerten Ernteausfall aufgrund von Vogelfrass gehabt. Was der Weinfreund aber bedenken sollte: Egal wie Vogelschutz betrieben wird – er kostet Zeit und Geld, und das wirkt sich auf den Weinpreis aus! Ich brauche beispielsweise jährlich rund 3 Stunden (und viel Kraft beim Einschlagen der Pfähle), um die Anlage für unsere kleinen 4 Aaren Reben einzurichten.

http://www.baechli-endingen.ch/

 

 

Das Jahr des Winzers (10): Das „Gipfeln“

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Der Autor am Schneiden der Reben – dem „Gipfeln“. Was hier im kleinen Rebberg unterhalb des Schloss Schwandegg Handarbeit ist, wird im Ertragsrebbau wo möglich maschinell ausgeführt.  (nur sechs Reihen im Vordergrund gehören zum kleinen Rebberg des Autors)

Um diese Jahreszeit wachsen die Reben sehr schnell. Ein Trieb könnte ohne Weiteres 5 m oder länger werden. Deshalb werden sie jetzt oben abgeschnitten.

Einer Legende nach wurde mit dieser Arbeit, dem sogenannten „Gipfeln“, in früheren Jahrhunderten aus der Not heraus begonnen, nämlich um zusätzliches Futter für die Kühe zu gewinnen; die abgeschnittenen Rebtriebe wurden also im Stall weiterverwertet.

Ob wahr oder nicht, ausgeführt wird diese Arbeit noch heute. Die Reben brauchen zwar viele grüne Blätter, um genügend „assimilieren“ zu können (Photosynthese). Ein wilder Urwald von Trieben und Blättern hingegen würde die Pflanze eher schwächen; deshalb wird sie unter der Schere gehalten. Der zweite Grund für das „Gipfeln“ liegt darin, dass die höher wachsenden Pflanzenteile beim Spritzen der Reben mit Pflanzenschutzmitteln nicht mehr erreicht werden und somit die Gefahr von Pilzkrankheiten massiv steigt. Dies gilt zumindest dort, wo keine „systemisch“ wirkenden Spritzmittel verwendet werden (mehr zu diesem Thema im nächsten Beitrag).

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Rebstöcke vor dem Schnitt…

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… und die gleichen Stöcke danach.

 

 

 

Das Jahr des Winzers (9): Das Ausgeizen.

„Geiz ist geil“ ist erfreulicherweise nicht mehr ganz so „in“ wie auch schon. Im Rebbau freilich geht man sogar ganz gezielt gegen Geiz(e) vor.

Die Rede ist von sogenannten „Geiztrieben“, das sind Seitentriebe, die im Verlauf des Wachstums aus den „Blattachseln“ des Haupttriebes ausschiessen. Solche Geiztriebe entsprechen in der Funktion den Haupttrieben, sie bilden also ebenfalls Blätter und Blüten. Weil sie sich aber erst im Verlauf des Jahres entwickeln, haben sie einen Vegetationsrückstand, und die Trauben daran würden deshalb nicht reif.

Solche Geize sind nicht per se schädlich; im Gegenteil, sie können sogar zusätzliche Blattmasse bilden und somit zur Reife der Trauben beitragen. Im unteren Teil des Stocks, in der „Traubenzone“ (also dort, wo die Trauben hängen), sind sie aber unerwünscht und müssen entfernt werden. Blieben sie stehen, würde sich in dieser Zone ein Blatt-Dickicht bilden, was die Durchlüftung verhindert und somit die Fäulinisbildung der Trauben fördert. Dazu kommt, dass ein solches Blatt-Wirrwarr beim Spritzen von Pflanzenschutzmitteln die direkte Bespritzung der Trauben behindert, was wiederum Pilzkrankheiten grössere Chancen gibt  – zumindest dort, wo keine „systemischen“ Spitzmittel verwendet werden (mehr dazu in einem späteren Beitrag). Und ein letzter Grund für das Ausgeizen in den tieferen Zonen des Rebstocks liegt bereits in der Zukunft. Wir verwenden beim Rebschnitt im nächsten Jahr ja diesjährige Haupttriebe, und da wären Seitentriebe störend und müssten spätestens beim Rebschnitt weggeschnitten werden.

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Bild eines Geiztriebes. Rund markiert ist der Ort des Austriebes, immer in einer „Achsel“ zwischen Haupttrieb und Blatt. Der rote Strich markiert den Wachstumsverlauf des Triebes.

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Hier nun der gleiche Haupttrieb ohne den entfernten Geiztrieb. Markiert ist wiederum die ehemalige Auswuchsstelle. Geiztriebe, die höher am Stock wachsen, werden i.d.R. nicht entfernt.

Da geht das Ausgeizen im Sommer schon viel einfacher – sofern man diese Arbeit rechtzeitig erledigt. Ähnlich wie bei Tomaten, sind die Geiztriebe im jungen Stadium nur schwach mit dem Stock verwachsen; es genügt deshalb schon ein leichter Druck mit dem Finger, um sie auszubrechen. Der oben abgebildete Geiztrieb kann gerade noch so entfernt werden, ältere Triebe müssten mit der Schere weggeschnitten werden, was mühsam ist und zudem einen kleinen „Triebstummel“ hinterlassen würde.

Also auch hier: zeitgerecht zu erledigende, aufwändige Handarbeit pur! Guten Wein trinken ist toll – Winzer sein dagegen zuweilen sehr hart!


Der Winzer als Mutitasking-Talent

Ich stelle in dieser Serie typische Arbeiten im Rebberg vor. In der Praxis läuft es aber etwas anders, denn kaum ein Winzer wird seine Reben bearbeiten und dabei nur immer den gleichen Arbeitsschritt ausführen. Parallel zum Ausgeizen werden an einem Rebstock in der Praxis im gleichen Durchgang selbstverständlich gleichzeitig neue Geschosse vom Stamm entfernt, Triebe eingeschlauft, und wenn nötig angebunden, und Geschosse am Fuss der Reben entfernt. Gleichzeitig beginnen jetzt auch schon das Auslauben und die Ertragsregulierung – Arbeiten, die hier später noch vorgestellt werden, die aber „en passant“ jetzt schon teilweise erledigt werden. Das Winzerleben fordert also nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn (und das Gefühl)!

Zu früheren – und jetzt teils repetitiven – Arbeiten siehe hier:

https://victorswein.blog/2018/05/07/jahr-des-winzers-jetzt-beginnt-die-arbeitsreichste-zeit/
https://victorswein.blog/2018/05/14/jahr-des-winzers-die-handarbeit-geht-beim-einschlaufen-weiter/
https://victorswein.blog/2018/05/19/jahr-des-winzers-folge-6-das-anbinden/
https://victorswein.blog/2018/05/24/jahr-des-winzers-folge-7-zum-hinknien/

 

 

Das Jahr des Winzers, Folge 8: Mähen

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Schweisstreibende, anstrengende Arbeit: Der Autor beim Mähen mit der Sense. (Bild rl)

Begrünte Rebberge müssen natürlich auch regelmässig gemäht werden. Glücklicherweise ist dabei aber nicht alles nur Handarbeit:

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Das Gras ist in diesem Jahr sehr schnell gewachsen und steht mehr als kniehoch, höchste Zeit für einen ersten Schnitt, damit die Rebblätter wieder frei liegen.

Ich darf den Motormäher unseres benachbarten Winzers nutzen. Ohne diesen motorisierten Einsatz wäre das Mähen sehr aufwändig. Der Mäher gelangt in der Regel alternierend zum Einsatz, d.h. es wird nur jede zweite „Gasse“ gemäht, damit Nützlinge weiterhin ungemähtes Gras vorfinden.

Allerdings verbleibt trotzdem noch viel Handarbeit, denn unter den Rebzeilen – und erst recht rund um den Rebstock – kann nur mit der Sense gearbeitet werden. (Möglich wäre natürlich auch der Einsatz einer Motorsense, aber diese lärmigen Dinger sind nicht meine Sache). Die Arbeit mit der Sense zwischen den Rebstöcken verlangt Fingerspitzengefühl, aber auch Kraft. Aber das ersetzt gleich das Fitnesscenter!

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Das Mähen ist abgeschlossen, zuerst mit dem Motormäher, dann mit der Sense. Bis in wenigen Wochen beginnt „das Spiel“ von vorne.

Handarbeit oder Glyphosat?

Ein Hinweis bleibt: Längst nicht alle Winzer arbeiten so wie ich. Viele greifen zu Unkrautvertigungsmittel und spritzen dieses unter den Rebzeilen, damit dort kein Gras wächst. Damit wird diese Handarbeit umgangen. Ob das vernünftig ist, ist ein anderes Thema – und eines, zu dem ich mich hier in meinem Blog auch noch ausführlich und pointiert äussern werde!

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Tolle Kulisse zum Arbeiten im Rebberg, aber einfacher wird es trotzdem nicht: Das Schloss Schwandegg beherrscht die Szenerie. (Bild rl)

Jahr des Winzers, Folge 7: zum Hinknien!

Wein trinken ist genussvoll – Winzer sein oft auch, kann aber auch ganz schön anstrengend sein. Denn vieles geht immer noch nur mit grossem Arbeitseinsatz, und vieles in Sachen Qualität entscheidet sich im Detail. Ein solches zeige ich nachstehend.

Reben haben eine unglaubliche Wuchskraft. Ohne menschlichen Eingriff würde ein einzelner Stock viele Quadratmeter bedecken. Ein einziger Rebtrieb kann ohne Weiteres in einem Jahr rund 5 Meter wachsen. Das Resulat dieses  Wildwuchses wäre wohl schön anzusehen – wie bei einer Wildrebe – würde aber viel zu viel Ertrag und somit keinen trinkbaren Wein abliefern. Qualitätsrebbau ist deshalb nicht möglich ohne massive menschliche Eingriffe!

Weil die Reben derart kräftig sind, „schiessen“ sie auch überall mit neuen Trieben aus. Besonders unter der Schere gehalten werden müssen die Rebstöcke am Fuss. Dort gibt es immer wieder neue „Geschosse“, und nicht selten entwickeln sich solche sogar aus der „Unterlage“ .
(Unsere Edelreben wachsen seit der Reblausplage nicht mehr natürlich, d.h mit den eigenen Wurzeln, sondern werden auf Unterlagen aufgepfropft, die von amerikanischen Reben abstammen, welche gegen die Reblaus resistent sind.).
Solche Triebe von unten stören, und können auch schnell Pilzkrankheiten verbreiten, weil sie beim Pflanzenschutz nicht erfasst werden. Solche Rebtriebe müssen also entfernt werden, was nichts anderes heisst, als sich bücken oder noch besser, sich hinzuknien. Eine gewisse Ehrbezeugung hat eine Rebe ja verdient! 🙂

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Eine Rebe mit ungewöhnlich vielen Trieben, die von unten her neu ausschiessen. Alle müssen entfernt werden.

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Der gleiche Rebstock danach, alle störenden Triebe sind entfernt. (Die Rebe hat übrigens schon einen stattlichen Stamm, sie ist 30-jährig, ist also im besten Alter)

 

Jahr des Winzers: Die Handarbeit geht beim Einschlaufen weiter

Im Moment wachsen die Reben fast schneller, als man als (Hobby-)Winzer arbeiten kann. Kaum ist das Erlesen im ersten Durchgang fertig, gilt es schon, die Reb-Triebe einzuschlaufen. Zumindest in unseren Breitegraden werden oft Drähte fix gespannt, die den Reben links und rechts sozusagen eine Wachstumsgrenze vorgeben. Nur muss bei vielen der Triebe manuell nachgeholfen werden. Wenn man das nicht tut, wachsen sie quer durch die ganze „Gasse“ (Platz zwischen zwei Rebzeilen), behindern so die Spritz- und Mäharbeiten – und knicken oft sogar ab, insbesondere bei Gewitterstürmen.

Also gilt es, jetzt alle Triebe „einzuschlaufen“:

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Die Reben vor der Arbeit des Einschlaufens. Hier würde insbesondere der mit 1 bezeichnete Trieb immer weiter von der Reihe weg wachsen, die ganze „Gasse“ überqueren und bei einem heftigen Sturm auch abknicken.

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Der gleiche Bereich nach dem Einschlaufen. Die Triebe im Vordergrund werden jetzt vom Draht gestützt, und insbesondere der Trieb 1 wird nun innerhalb des Drahtes in die Vertikale gebracht.

Im Profi-Rebbau gibt es inzwischen Systeme, die Handarbeit erübrigen (z.B. maschinelles Spannen von Schnüren entlang der Rebzeilen). Für kleinere Betriebe – und für Hobbywinzer erst recht – bleibt aber nur die Handarbeit. Das Einschlaufen bedingt übrigens ziemlich viel Gefühl: geht man zu schnell und ruckartig vor, können die Triebe beim Einschlaufen auch abbrechen.

Sie sehen auch hier: Winzer sein mag spannend tönen, ist aber kein Zuckerschlecken.

Jahr des Winzers: Jetzt beginnt die arbeitsreichste Zeit.

Dieser Frühling, der eigentlich schon ein Sommer ist, hat dazu geführt, dass sich die Reben in einem kaum je gesehenen Tempo entwickeln. Vor zwei Wochen erst sich öffnende Knospen, und heute schon 20 cm lange Triebe. Besser könnte es gar nicht sein. Aber das heisst jetzt auch, „alle Arbeit auf einmal“!
Und weil die Langfristprognosen von lauen Nachtemperaturen ausgehen, kann man es zudem wagen, auch schon die Frostreserven zu entfernen.

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Das „Erlesen“ – reine Handarbeit! (Der Autor in Aktion).

Die Reben haben eine unglaubliche Wuchskraft. Im Frühling spriessen immer weit mehr Triebe, als für einen qualitätsbewussten Weinbau sinnvoll ist. Es heisst also, jeden Stock einzeln zu bearbeiten und überzählige, schwache oder falsch platzierte Geschosse zu entfernen. So maschinell, wie im Rebberg schon vieles geht – das ist auch bei Profis noch reine Handarbeit! Das Erlesen verlangt sehr viel „Fingerspitzengefühl“, und das auch schon im Hinblick auf das kommende Jahr, denn man muss jetzt schon daran denken, welche Triebe beim Schnitt im nächsten Jahr verwendet werden können.

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Ein Stock vor dem Erlesen und dem Entfernen der „Frostruten“

Wie erwähnt, ist jetzt auch die Zeit, die stehen gelassenen Frostruten
zu entfernen. Siehe dazu: https://victorswein.blog/2018/02/11/virtuelles-weinjahr-folge-1-der-schnitt/
Zwar ist die Frostgefahr noch nicht ganz vorbei (nach dem Volksmund ist dies erst nach den „Eisheiligen“ mit dem Höhepunkt der „kalten Sophie“, 2018 am 15. Mai, der Fall), aber die Reben sind so schnell gewachsen, dass überzählige Ruten jetzt entfernt werden müssen. Zudem tönen die Wetterprognosen vielversprechend.

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Und der gleiche Stock danach, es stehen nur noch 10-12 Geschosse, an denen dereinst die Trauben heranwachsen werden.

Deshalb kann das Erlesen und das Entfernen der „Frostruten“ gleich in einem Arbeitsgang durchgeführt werden. Um es allerdings vorweg zu nehmen: Das Erlesen wird noch in  einem zweiten oder gar dritten Durchgang wiederholt werden müssen. Die Reben sind nämlich mit so viel Wuchskraft versehen, dass in den nächsten Wochen immer wieder neue Triebe direkt aus dem alten Holz austreiben werden. Auch diese müssen noch entfernt werden, weil sie die Rebe sonst Kraft kosten und zudem für ein dichteres Laubwerk und damit für mehr Fäulnisanfälligkeit sorgen würden.

Sie sehen, Rebarbeit ist weiterhin viel Handarbeit. Mir macht es Spass – aber stellen Sie sich vor, wie das für Berufswinzer ist: wochenlang nichts anderes, und erst noch bei jedem Wetter!


Unser Sonderfall mit Hagenschäden – die Frostrute wird zur „Hagelrute“

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Die eigentlich für den Ertrag vorgesehene, auf den Draht gebundene Rute (1) ist vom Hagel komplett zerstört, ebenso die eigentlich als Reserve vorgesehene Rute (2). Ziemlich unversehrt ist aber eine weitere Reserve (3), die man in normalen Jahren nicht stehen gelassen hätte. Diese kommt nur als Ersatz zum Zuge.

Im Sommer 2017 zerstörte eine sogenannte „Superzelle“ mit Sturm und Hagel so ziemlich alle Kulturen in der Region. Wir hatten letztes Jahr zum ersten Mal überhaupt in 30 Jahren keinen Ertrag. Selbst das Rebholz sah so jämmerlich zerfetzt aus, dass man sich die Frage stellte, ob 2018 überhaupt etwas wachsen würde.

Nun, die Rebe ist eine unglaublich vitale Pflanze, und das Bild, das sich jetzt beim Austrieb zeigt, ist sehr beruhigend. Dennoch sind die Schäden unübersehbar. Es gibt kaum eine Rute, an der alle „Augen“ auch tatsächlich ausgeschlagen haben, und viele der Geschosse weisen einen Rückstand im Wachstum aus. Weil wir diese Situation erwartet hatten, haben wir beim Rebschnitt viel mehr stehen gelassen als üblich. Das zahlt sich nun aus. Dank der deshalb möglichen Verwendung weiterer Ruten kommen wir an den meisten Stöcken doch auf die gewünschte Anzahl an kräftigen Geschossen.

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Hier ist nun die Rute 3 vom vorherigen Bild auf den Draht gebunden und wird den gewünschten Ertrag bringen.

Allerdings bedeutet dieses Vorgehen künftig auch mehr Arbeit. Die Geschosse wachsen nun nach dem Biegen der Rute in eine falsche Richtung. Vieles wird die Natur zwar von selbst neu richten, aber Handarbeit beim Anbinden und in die richtige Richtung weisen wird hier unabdingbar sein.

 

 

 

 

 

 

Virtuelles Rebjahr (2): Nicht alles ist idyllisch!

Viele Arbeiten im Rebberg sind unspektakulär und oft auch mühsam.

In meinem Beitrag zum Rebschnitt habe ich geschwärmt, das sei meine liebste Arbeit. Aber ich mache das ja auch nur als Hobby. Ich kann mir vorstellen, dass nicht jeder Berufswinzer diese Meinung teilt. Wenn man nämlich wochenweise nichts anderes macht, dann verblasst das Idyll und vergeht der Spass vermutlich irgendwann. Und an gewissen Tagen ist es einfach nur saukalt.

Ganz abgesehen davon unterschätzen wohl viele Weinfreunde die enorme Arbeit, die hinter einer Flasche Wein steckt. Es ist etwas anderes, sonntags durch schöne Rebberge zu wandern, als wochtags in diesen Rebzeilen zu arbeiten.

Auch jetzt, da die Reben noch nicht wachsen, stehen Arbeiten an, die unspektakulär und die teils auch kräfteraubend sind. Die nachstehenden Bilder zeigen ein paar Beispiele für die Arbeiten im März:

Hecke
Wir haben unten an unserem Rebberg eine Hecke gepflanzt, um Nützlingen zu helfen, und auch als Schutz gegen die angrenzende Strasse. Eine Hecke wächst und will gepflegt sein. Der hier sichtbare Rückschnitt bedingte rund eine Stunde Arbeit mit der Motorsäge – und wer sich das nicht gewohnt ist, spürt anderntags sein Kreuz.

Pfähle
Jede Rebanlage bedarf der Pflege. Je älter sie ist, desto mehr. Unsere Holzstickel sind 30-jährig und müssen teilweise ersetzt werden, weil sie faulen. Das bedeutet: Alter Stickel weg, mit Locheisen ein neues Loch vorbereiten und dann den neuen Holzpfahl einschlagen. Das ist ganz schön anstrengend, zumal man – jedenfalls als Hobbywinzer – dazu auf einer Leiter steht.

Drähte
Auch die Drähte, die später im Jahr der Rebe Halt geben, werden älter. Hier heisst es: nachspannen.

drahtspanner
Und hier wird nachgespannt – ein sogenannter „Drahtspanner“, an dem man mit einer Flachzange dreht, damit der Draht aufgewickelt wird (siehe Mitte), und somit wieder straff gespannt.