Sind Weine aus wurzelechten Reben besser? Dieser Barbera regt zum Nachdenken an!

Die Reblaus hat im vorletzten Jahrhundert in Europa zu einer Zäsur im Rebbau geführt. Wenig bekannt ist, dass einzelne Rebanlagen wurzelecht bis heute überlebt haben. So eine kleine Fläche im Piemont, von welcher der „Pre-Phylloxera“ von Elio Cogno stammt – ein grandioser Barbera, der qualitative Fragen zum heute üblichen Aufpfropfen von Reben aufwirft.

Es war ganz grundsätzlich eine spezielle Degustation, welche Divo anfangs März in Zürich durchführte. Gereicht wurden zwölf Weine, die allesamt aus wurzelechten Reben gewonnen wurden. Geleitet wurde die Degustation von José Vouillamoz, dem „Rebsorten-Professor“ (in der Realität trägt er „nur“ den Doktortitel), dem wir dank seiner wissenschaftlichen Arbeiten enorm viel Wissen über die Herkunft und Verwandtschaft von Rebsorten verdanken. Vouillamoz ist heute Vizedirektor bei Divo, und in dieser Eigenschaft verfasste er auch einen Grossteil der im vergangenen Herbst erschienenen Broschüre „Wurzelecht“ von Divo (Link dazu siehe am Schluss des Artikels).

Kleiner Schädling – verheerende Wirkung
Da in dieser Veröffentlichung sehr professionell die Geschichte der Phylloxera, des aus Amerika eingeschleppten Schädlings mit deutschem Namen „Reblaus“, eingegangen wird, an dieser Stelle nur kurz:
Ab Ende der 1860-er Jahre bis anfangs des 20. Jahrhunderts verbreitete sich der Schädling in ganz Europa. Die Reblaus befällt dabei die Blätter; viel schlimmer ist aber ihre Wirkung im Boden, wo sie die Wurzeln der Reben angreift und so innert kurzer Zeit einen ganzen Rebberg vernichten kann. Die Zerstörungen in den europäischen Rebbergen waren in jener Zeit verheerend.
Das Gegenmittel wurde indessen bereits 1874 gefunden. Da die amerikanischen Rebsorten gegen den Schädling immun sind, können die europäischen Sorten auf amerikanische Unterlagen aufgepfropft werden, womit die Reblaus keine Schäden mehr anrichten kann. Aus diesem Grund gibt es heute in Europa keine Reben mehr, welche auf den eigenen, europäischen Unterlagen wachsen.

„Gallische Rebberge“ leisten Widerstand
Keine? Nicht ganz! Es gibt da noch einige wenige „gallische Rebberge“, welche dem Eindringling erfolgreich trotzen. So wurden einige Inseln ganz verschont (die Balearen und Zypern beispielsweise), und es gibt in ganz Europa auch immer wieder kleine Bestände, die unbefallen blieben und bleiben. Der Schlüssel dazu liegt in den Böden, da die Reblaus sich in sandiger Umgebung mit wenig Lehmanteil nicht wohl fühlt.

Bessere Weine aus wurzelchten Rebbergen?
Ob Weine aus wurzelechten Reben besser sind als andere, lässt sich bisher zumindest wissenschaftlich nicht beweisen (dazu bedürfte es einer systematischen Vergleichsanlage über viele Jahre, wozu offenbar das Geld fehlt). Sicher ist indessen, dass durch aus Aufpfropfen von klonalen Reben auf ein paar wenige Typen von Unterlagen die genetische Vielfalt leidet. Vor dem Auftreten der Reblaus war es nämlich üblich, die Reben mittels Stecklingen aus dem Rebberg oder durch Ableger bzw. Vergraben der bestehenden Reben zu verjüngen. Durch diese massale Vermehrung blieb die genetische Vielfalt erhalten.

Zudem kann als absolut sicher angenommen werden, dass die Unterlage der Reben einen grossen Einfluss aus das Gedeihen der Pfanze und damit die Qualität hat. Der Beweis für diese These ist, dass die Wahl der richtigen amerikanischen Unterlage noch heute eine Herausforderung ist, und dass es sogar Fälle gab, in denen eine bestimmte Rebsorte auf einer bekannten Unterlage auf besonderen Böden schlicht nicht gedieh. So gesehen erscheint es logisch, dass auch die „Original-Unterlage“ einen Einfluss auf die Qualität haben muss. Und zumindest abwegig ist es nicht anzunehmen, dass dieser positiv sein könnte.

Blick über die Reblandschaft der Langhe bei Alba (Symbolbild)

Sehr hohes Niveau der „Wurzelechten“
Ausnahmslos alle der zwölf degustierten wurzelechten Weine überzeugten, und auf den einen oder anderen werde ich später noch zurückkommen, zum Beispiel den grandiosen Heida Veritas 2019 der St. Jodern-Kellerei aus dem Wallis. Am allermeisten beeindruckt hat mich aber ein Barbera von Reben, die im Piemont noch vor dem Eintreffen der Reblaus gepflanzt wurden. Es mag sein, dass allein das Wissen um das Alter der Reben eine gewisse wohlwollende Ehrfurcht erzeugte. Allerdings habe ich nach der Degustation eine Flasche nachbestellt und zuhause nochmals genossen, und der Eindruck war wiederum gleich hervorragend. Die Trauben dazu werden aus einer nur 25 Aren kleinen Anlage bei La Morra gewonnen, welche einen sandigen, kalkigen und eisenhaltigen Untergrund aufweisen, was die Reblaus offensichtlich abhält.

Pre-Phylloxera, Barbera d’Alba 2018, Azienda Agricola Cogno
Dunkles, fast undurchdringliches Purpur; in der Nase sehr vielschichtig, würzig (Thymian, Lorbeer), blumig (Glyzine) und fruchtig (Brombeeren, Dörrpflaumen, dunkle Kirschen); im Mund kräftig und druckvoll, gleichzeitig aber enorm elegant und sehr frisch, für einen Barbera viel Tannin, aber von grosser Feinheit; spürbare, aber doch zurückhaltende Säure, trotz hohem Alkoholgehalt (14,5 % vol.) kein bisschen breit oder brandig, der Wein rinnt tänzerisch durch den Gaumen, sehr langer Abgang. Toller, berührender Wein. Macht jetzt schon Spass, hat aber noch viel Reserve! 18 Punkte.

Anzumerken ist noch, dass ich diesen Wein blind kaum als Barbera erkannt hätte. Wenn man mir ihn blind z.B. als Bordeaux vorgesetzt hätte, wäre ich jedenfalls kaum ins Grübeln gekommen. Es mag sein, dass dies am Methusalem-Alter der Rebstöcke liegt oder eben an den wurzelechten Unterlagen. Tatsache ist zudem, dass die Barbera-Reben auf dieser Parzelle genetisch mit den heutigen Stöcken nicht ganz identisch sind.

Barbera d’Alba DOC „Pre-Phylloxera“ – Elvio Cogno

Erhältlich u.a. in Deutschland bei http://www.winecom.de und in der Schweiz bei http://www.divo.ch

Und hier noch der Link auf die hochspannende Broschüre von Divo zu wurzelechten Reben:
Wurzelecht | DIVO

Und wer sich noch mehr für die Arbeiten des José Vouillamoz interessiert, hier zwei Links:
JoseVouillamoz.com – World’s leading authories on origin of grape varieties
Schweizer Rebsorten | Haupt – Online Buchshop


Interessennachweis:
Die Teilnahme an der Degustation sowie auch die nachfolgende Bestellung einer Einzelflasche zur Nachdegustation wurden vom Autor zu normalen Konditionen bezahlt.

Diolle: Die Auferstehung…

… einer Rebsorte!
Diolle? Nie gehört? Kein Wunder, denn sie galt seit 1903 als verschwunden. Hier die wunderbare Geschichte einer Auferstehung!

Auferstanden (hier aus weisser Gruft): die Rebsorte Diolle!

Diolle, das war eine Traubensorte aus dem Wallis, die 1654 erstmals unter dem Dialektnamen „Jiolaz“ in der Region Sion erwähnt wurde. Sie galt als sehr säurebetont, mit eher neutralem Charakter und fäulnisanfällig. Wohl deshalb verschwand diese Sorte – 1903 gilt als ihr Sterbedatum. Eigentlich.

Bloss: 2005 meldete sich der inzwischen verstorbene Winzer Germain Héritier aus Granois beim „Weinsortenprofessor“ José Vouillamoz: Er hatte zwei unbekannte Rebstöcke in seinem Rebberg entdeckt und wollte wissen, um welche Sorte es sich handeln könnte. Das DNA-Profil passte zu keiner bekannten Rebsorte. Ein „Vaterschaftstest“ hat dann ergeben, dass es sich um ein Kind der „Rèze“ handelt. Weitere Forschungen von José Vouillamoz haben dann zweifelsfrei ergeben, dass diese beiden Reben die ausgestorben geglaubte Sorte „Diolle“ darstellen. Mehr dazu siehe im Standardwerk von José Vouillamoz über Schweizer Rebsorten, vgl. hier: https://victorswein.blog/2018/09/04/schweizer-weinbuch-des-jahres-schweizer-rebsorten-von-jose-vouillamoz/

So richtig spannend wird die Geschichte aber erst jetzt. José Vouillamoz war vom Potential der wiederentdeckten Sorte überzeugt und konnte mit Didier Joris eine Referenz im Walliser Weinbau für eine Zusammenarbeit gewinnen. 2013 wurde in Chamoson auf 3 Aren eine Anlage mit Diolle neu angelegt. Allein – die erste Auferstehung der Diolle misslang: Die Wahl der Unterlage erwies sich als schlecht, und alle Pflanzen verendeten.


(Zur Unterlage: Seit dem Einschleppen der Reblaus in Europa im vorletzten Jahrhundert können europäische Reben nur noch gedeihen, indem sie auf amerikanische Unterlagen (Wurzelstock) aufgepfropft werden, weil diese gegen die Reblaus resistent sind. Die Wahl der richtigen Unterlage ist eine inzwischen ziemlich bekannte Wissenschaft; es geht darum, die für eine bestimmte Rebsorte ideale Unterlage in Verbindung mit dem jeweiligen Boden zu finden. Bei der Diolle fehlte aber natürlich diese Erfahrung.)


Im zweiten Anlauf, einer Neupflanzung 2015, wurde die Auferstehung aber Tatsache. 2017 konnten 8 Kg Trauben geerntet werden, welche 6 Flaschen Wein ergaben. Und 2018 folgte die erste richtige Ernte – 144 Flaschen der auferstandenen Rebsorte wurden produziert.

Ich hatte das Glück, eine dieser Flaschen erwerben zu können. Und rechtzeitig zu Pfingsten habe ich diesen „Auferstehungswein“ nun degustiert:

Helles Gelb mit leichten Orangereflexen; in der Nase verhalten, leichte Aromen von Stachelbeeren, Lychees und Südfrüchten; im Mund mit prägnanter Säure, feingliedrig bei gleichzeitig erstaunlicher Dichte, mineralisch, mit einem überaus langen Abgang. Ein erfrischender, noch zu junger Wein mit – vermutlich – sehr viel Alterungspotential.

Vom Glück, eine von 144 Flaschen des ersten Jahrgangs probieren zu dürfen!

Dieser Wein hat mich begeistert. Und es war auch richtig berührend. Wer hat schon die Chance, den ersten „richtigen“ Jahrgang eines eigentlich verschollenen Weines probieren zu können! Wir haben ihn anschliessend fast ehrfürchtig zu Fisch und Spargel genossen. Ein grossartiges Erlebnis! Ich weiss nicht, ob ich blind wirklich darauf gekommen wäre. Aber im Wissen darum, was ich im Glas habe, erinnerte mich die Diolle an andere Walliser Spezialitäten, Rèze (logisch!), Himbertscha, Gwäss, Petite Arvine.

Wie soll man diese Diolle denn nun einordnen? Persönlich glaube ich, dass diese auferstandene Rebsorte von sich reden machen wird. Gerade ihre Säure wird sie in Zeiten der Klimaerwärmung spannend machen, und ihre zurückhaltende, aber doch klare Aromatik lässt sie ein Terroir genial ausdrücken. Meine Prognose: Diolle wird mit den Jahren zu einer Walliser Spezialität, die geschätzt und gesucht sein wird!

Den drei hauptsächlich an dieser Auferstehung beteiligten Personen, Germain Héritier (der die Sorte entdeckt hat), José Vouillamoz (der sie analysiert und bestimmt hat) und Didier Joris ( der sie an- und ausgebaut hat) gilt jedenfalls meine Hochachtung.

Zwei der drei Protagnonisten der Diolle im Comic: Didier Joris, Winzer (links) und José Vouillamoz, „Rebsortenprofessor“ (rechts)

Die Lancierung des „neuen“ Weins wurde auch marketingmässig begleitet. Die Diolle wurde in einer weiss gestrichenen Holzbox geliefert (den Duft nach Farbe habe ich nicht so geschätzt, und zudem wäre schwarz, als Symbol für die Gruft, aus der die Diolle entstiegen ist, wohl naheliegender gewesen), und es wurden gar zwei gut gemachte Comics mitgeliefert, welche die Entstehung dieses Weins illustrieren. Man mag von diesen Marketinggags und vom Preis des Weines in dreistelliger Höhe halten was man will – die neue Diolle ist jedenfalls grossartig gelungen und ein Versprechen für die Zukunft!

http://www.didierjoris.ch/website/nos-vins/diolle/
http://www.josevouillamoz.com/

Sollten wir uns merken: die auferstandene Diolle!