Gute Bordeaux sind billig!

Im Schatten der völlig verrückten Preis-Exzesse der bekanntesten Bordeaux-Güter gibt es eine Vielzahl von Châteaux, die hervorragenden Wein zu vernünftigen Preisen anbieten. Eine Probe auf’s Exempel mit einem Wein in der ersten Trinkreife.

Mir ist natürlich klar, dass man den Titel zu diesem Beitrag angesichts der verrückten Preise der ganz grossen Namen im Bordelais als provokativ empfinden kann. Aber bezogen auf weniger bekannte Güter mit hervorragender Qualität stimmt er eben auch! Denn abseits der Weine mit Kosten im teils hohen 3-stelligen Bereich (was meines Erachtens durch nichts ausser durch die freie Marktwirtschaft zu rechtfertigen ist), gibt es eine Vielzahl von hervorragenden Gewächsen, die man noch bezahlen kann. Und nicht nur das: Ich behaupte, dass solche Betriebe, die mit akribischer Arbeit tolle Weine zu bezahlbaren Preisen hervorbringen, in Bezug auf das Preis-/Leistungsverhältnis fast unschlagbar sind (ich habe dieses Unwort hier verwendet, weil es weltweit selten so stimmt wie im Bordelais).

Reblandschaft im Médoc (Symbolbild, es zeigt nicht die Reben von du Retout).

„Nur“ Haut Médoc? Warum „nur“?

Château du Retout zum Beispiel. Klar, das tönt nicht gerade vertraut und das „Rothschild“ fehlt auch im Namen. Und es handelt sich auch „nur“ um einen Cru Bourgeois und einen „Haut-Médoc“.

Zwischen Margaux und St. Julien gibt es diesen Streifen Rebland, der als Haut-Médoc klassiert ist. Etwa auf halbem Weg, kurz hinter dem Weiler Lamarque, befindet sich das Château du Retout. Das Weingut umfasst rund 34 Hektar und arbeitet nach den Richtlinien des Labels „haut valeur environnemental“, verwendet weder Insektizide noch Herbizide, dafür ausschliesslich natürliche Düngemittel.

Château du Retout entstand in den 1950er-Jahren, als die Familie Kopp drei heruntergekommene Güter aufkaufte (davon zwei, die schon damals den Cru-Bourgeois-Status hatten), zusammenlegte und wieder auf Vordermann brachte. Die Qualität, die heute von diesem Gut abgeliefert wird, ist meiner Meinung nach hervorragend. Wenn man dann noch den Preis (aktuell, d.h. 2020 ca. CHF 18.50) in Betracht zieht, dann muss man wirklich ziehen, nämlich den Hut! Château du Retout liefert damit auch den besten Beweis für meine eingangs aufgestellte Behauptung, die Preise der renommierten Güter sei durch nichts als die freie Marktwirtschaft zu rechtfertigen.

Gemäss Heiner Lobenberg und – deckungsgleich – der Schweizerischen Weinzeitung, erinnert du Retout an Grand Puy Lacoste und du Tertre. Als GPL-Fan (auch der ist inzwischen zu teuer, aber verglichen mit anderen immerhin noch einigermassen anständig) halte ich diesen Vergleich für werblich übertrieben bzw. fragwürdig (man darf mir gerne in einer Blinddegustation das Gegenteil beweisen). Tatsache ist aber, dass der du Retout ein grandioser Bordeaux von sehr hoher Qualität und herrlichem Trinkvergnügen ist. Das allerdings nur, wenn man ihm Zeit lässt, er braucht meiner Erfahrung nach mindestens 10 Jahre oder noch länger, um in Hochform zu kommen (was man ja wiederum durchaus als Qualitätsmerkmal ansehen kann).

Ich habe zwei trinkreife Jahrgänge aus dem Keller geholt und degustiert. Das sind einfach wundervolle Weine und machen auf sehr, sehr hohem Niveau uneingeschränkt grossen Spass. Ich habe die Weine damals in Subskription für rund CHF 16.00 gekauft – der beste Beweis dafür, dass der Titel zu diesem Beitrag stimmt! Gute Bordeaux können auch heute noch in Relation zum Preis geradezu billig sein!

Degustationsnotizen

Château du Retout, Haut Médoc, 2009
Dunkles, fast undurchdringliches Purpur; vielschichtige Nase; Brombeer, Cassis, Lebkuchen, rote reife Peperoni, Leder, Tabak; im Mund druckvoll, dichter Körper, viel Tannin, das sich aber jetzt schon gut einfügt, schöne, gerade für einen Wein aus diesem Jahr bemerkenswerte Säure, feine Frucht“süsse“, fast etwas opulent, noch etwas holzbetont im langen Abgang. Sehr schöner, runder und kräftiger Wein! 17,5 Punkte.

Château du Retout, Haut Médoc, 2010
Dunkles, dichtes Purpur; schwarze Kirschen, Wacholder, Leder, leichte grüne Peperoninote, die aber nicht unreif wirkt; elegante Struktur, vollgepackt mit ganz viel, aber feinem Tannin, etwas trocknend, passende Säure, langer Abgang. Klassischer, schöner Wein, fast noch zu jung zum Trinken. 17 Punkte.

Wie hier abgebildet, gibt es auch einen weissen du Retout. Auch dieser ist überzeugend, und vielleicht ist er der verrückteste weisse Wein aus Bordeaux. Er besteht nämlich aus Rebsorten, die sonst hier nicht vorkommen: Gros Manseng, Sauvignon gris, Savagnin und Mondeuse blanche! Der Wein ist deshalb auch nur ein „Vin de France“, aber was für einer:

Château du Retout blanc, Vin de France, 2018
Eher dunkles Gelb; vielschichtige, sehr fruchtige Nase (weisser Pfirsich, Birne, weisse Pflaume, Mango), dazu auch florale Töne und eine feine Nuance Holz; im Mund sehr frisch, wirkt, als wäre er erst einjährig, schöne, stützende Säure, dichter Körper, langer Abgang. Herrlicher, frischer und gehaltvoller Wein. 16,5 Punkte.

https://www.chateau-du-retout.com/de/chateau-du-retout

Der qualitative Höhenflug von du Retout scheint sich übrigens fortzusetzen. Adrian van Velsen hat den 2022er in seinem Blog soeben mit 92-94 Punkten ausgezeichnet und geschrieben „spielt eine Klasse über seiner Liga“. Hoffen wir, dass die Preise dennoch vernünftig bleiben! Träumen ist ja erlaubt.

Bordeaux 2022: Veilchen und Paradoxe. – vvWine


Interessennachweis:
Alle Weine wurden im Weinhandel gekauft.

Chasse-Spleen: weiss vor rot? Zumindest spannender!

Château Chasse-Spleen, ein bekannter Cru Bourgeois, stellt auch einen weissen Bordeaux her, der sehr gefällt und der durchaus mehr als nur rund 3 % der Produktionsmenge ausmachen dürfte.

Chasse-Spleen – Verteiber der Schwermut*! In meinem Fall könnte man auch sagen, „der Weisse von Chasse-Spleen, Vertreiber des Vorurteils“. Früher, und das heisst in meinem Fall vor 30 Jahren, gehörte das damals von Bernadette Villars geführte Gut zu meinen Lieblingsweinen, von den ganz Grossen einmal abgesehen. Irgendwann fand ich aber, das Château sei im Vergleich mit anderen ein wenig stehen geblieben, und der Wein fand seit dem Jahrgang 2004 keinen Eingang mehr in meinen Keller.

Kürzlich habe ich – einfach aus Neugierde, weil ich den Wein nicht kannte – nun den Weisswein des Châteaux probiert – und ich war begeistert!

Mittleres Gelb, Duft nach weissem Pfirsich, Quitten und Verveine, frisch gemähtes Gras, dezenter, feiner Holzton. Im Mund sehr ausgeglichen, gut eingebundene Säure, frisch, leicher Bitter- und Holzton, kaum spürbarer Alkohol. Sehr langer Abgang. Toller Wein, der auch noch gut reifen dürfte.

Weisswein wird auf Chasse-Spleen schon seit anfangs der 1990-er Jahren produziert, damals wurden rund 2 Hektar mit 65 % Semillon und 35 % Sauvignon blanc bepflanzt. Das Château schreibt selbst auf der Homepage, dass keine Erfahrung mit Weisswein vorhanden war, und dass es Mut brauchte, auf einem „roten“ Terroir, das roter gar nicht sein könnte, auch Weisswein anzubauen. Noch heute sind im Médoc die Weissen äusserst rar (aber fast immer sehr gut, ich denke da nicht nur an Pavillon blanc oder Cos, sondern auch an bezahlbare Gewächse wie etwa Cygne de Fonréaux, vgl. hier:
https://victorswein.blog/2020/02/22/mein-lieber-schwan-le-cygne-weisser-bordeaux-vom-feinsten/
oder du Retout).
Anfangs wurde der Wein nicht vermarktet, sondern auschliesslich in der Familie und von Angestellten genossen. 1995 wurde er erstmals kommerzialisiert, aber noch heute stehen 15’000 produzierte Flaschen rund 500’000 rotem Chasse-Spleen gegenüber. Bloss: Der Weisse kann wirklich überzeugen, das Gut schreibt dazu selbst:
Puis, notre travail et la signature Chasse-Spleen persuadèrent, peu à peu, un nombre croissant d’aficionados. Aujourd’hui, nous affirmons nos techniques, nos aptitudes à la dégustation le long du processus de la plante au vin, et Blanc de Chasse-Spleen tutoie de plus en plus les meilleurs vins blancs bordelais.
Dem ist nichts beizufügen!

Blanc ou rouge? Der Weisse hebt sich zumindest mehr von allen anderen ab!

Das schöne Erlebnis mit dem Weissen hat mich dazu bewogen, noch am gleichen Abend eine der letzten Flaschen an rotem Chasse-Spleen aus dem Keller zu holen, die mir noch bleiben. 2004 war kein Ausnahmejahr, aber der Wein gefiel mir auch, ja, ich war positiv überrascht:

Gereiftes, aber noch präsentes Purpur mit leichten Braunreflexen; in der Nase Leder, Tabak und Dörrpflaumen sowie immer noch etwas Brombeer; im Mund an sich ausgeglichen und rund, allerdings mit einigen Grüntönen und ein klein wenig spröd wirkend. Trotzdem, ein schöner Wein und ein echter Trinkgenuss!

Rot oder Weiss? Die Frage ist aufgrund der beiden verkosteten Jahrgänge natürlich nicht seriös zu beantworten. Trotzdem: Der Weisse von Chasse-Spleen steht bei mir in Zukunft definitiv auf der Einkaufsliste, den Roten werde ich wieder besser verfolgen.

http://www.chasse-spleen.com/#!/home
Der weisse Chasse-Spleen ist trotz kleiner Produktion bei diversen Händlern erhältlich, ich selbst habe ihn ausgerechnet beim „Italiener“ als Einzelflasche zu einer „italienischen“ Bestellung dazu gekauft: https://www.bindella.ch/de/p/weissweine/france/bordeaux/blanc-de-chasse-spleen-16840.html

* nach „Hubrecht Duijker, die guten Weine von Bordeaux“, Müller Verlag, 1980, erhielt das Gut demnach seinen Namen von Lord Byron, der den Aufenthalt 1821 so angenehm fand, dass seine Schwermut vertrieben wurde.
Se non e vero, e ben trovato.

Mein lieber Schwan! „Le Cygne“, weisser Bordeaux vom Feinsten!

Weisse Bordeaux sind entweder gut und sündhaft teuer oder dünn und nichtssagend! Diese bösartige Aussage eines Freundes hat etwas für sich – aber es gibt Ausnahmen, welche die Regel bestätigen. Eine besonders schöne: „Le Cygne“ von Château Fonréaud!

Natürlich war mir Château Fonréaud ein Begriff. Dieses Gut, ein Cru Bourgeois aus Listrac, etwas im Landesinnern und abseits der berühmten Châteaux des Bordelais in Listrac gelegen, kannte ich als verlässliches, aber auch selten grosses Gut für rote Bordeaux (was sich übrigens in den letzten Jahren auch geändert hat, die Roten von Fonréaud haben enorm zugelegt!).

Was mir aber vor bald einem Jahrzehnt im „Relais de Margaux“, einem sehr guten Hotel-Restaurant mit Blick auf Château Margaux empfohlen wurde, war ein bezahlbarer weisser Wein von Fonréaud, genannt „Le Cygne“. Es war sozusagen Liebe auf den ersten Blick, und seither kaufe ich diesen Wein regelmässig. Es ist ein begeisternd frischer, fruchtiger und dichter weisser Bordeaux zu einem vernünftigen Preis. Als Unterschied zu den ganz grossen Weinen war ich immer überzeugt, dass der „Cygne“ früh getrunken werden sollte, weil er vor allem von seiner Frische lebt.

Heute nun habe ich die letzte Flasche des Jahrgangs 2015 geöffnet: Und plötzlich bin ich nicht mehr sicher, ob dieser tolle Wein nicht auch ganz viel Alterungspotential hat. Zu früh getrunken habe ich die anderen Flaschen auf jeden Fall!

Toller weisser Bordeaux zu bezahlbarem Preis (ca. Fr. 25.00): eine wirkliche Trouvaille!

Helles Gelb mit Grünreflexen; in der Nase frisch geschnittenes Gras, Gewürznelken und Korianderkörner, dezenter Anflug von Ananas, Mango und Limetten, ohne exotisch zu wirken, ebenso dezenter Anflug von Holz in Form von Vanille; enorme Frische, spürbarer Süsskomplex (nicht zu verwechseln mit süss!) ohne jede Opulenz, enorm langer Abgang! Grandioser Wein!

Der weisse Schwan – sorry, der weisse Fonréaud – wird aus 60 % Sauvignon blanc, 25 % Semillon und 15 % Muscadelle komponiert. Immerhin 3 Hektar des Gutes sind mit diesen weissen Sorten bepflanzt. Eine echte Trouvaille aus dem Bordelais!

vignobles-chanfreau.com