Ich verspreche: Die kommenden Blog-Beiträge werden wieder von tollen Weinen handeln! Aber nach meinen letzten Artikeln drängt es sich geradezu auf, über zwei inzwischen getestete Billigweine aus dem „Weinseller“ von Chandra Kurt zu berichten.
Mag sein, dass ich nicht fair bin – aber es hat sich der Eindruck verfestigt, dass es einen solchen Führer schon gar nicht geben müsste. Peinlich übrigens wenn man sieht, welche zum Teil renommierten Weinhäuser in diesem Buch, also im Umfeld von Billigweinen, auch noch inserieren!
Obwohl der Titel „Weinseller 2018“ lautet, fand ich Ende März im besuchten deutschstämmigen Supermarkt von 15 gesuchten Weinen gerade noch einen, der dem im Führer besprochenen Jahrgang entsprach. Aber vielleicht ist ein Jahrgangswechsel in der Weinseller-Welt auch völlig egal, weil die Weine ohnehin immer gleich schmecken? Jedenfalls schreibt die Autorin bei einem Cabernet-Sauvignon aus den USA – hergestellt vom Weinriesen E. + J. Gallo – „ein Wein, bei dem man davon ausgehen kann, dass jeder Jahrgang ähnlich schmecken wird“. Na denn, prost!
Weisswein: Burgund für unter Fr. 10.–
Ausprobiert habe ich schliesslich je einen Weiss- und Rotwein. Beim Weissen habe ich ganz tief in die Tasche gegriffen und Fr. 9.99 für einen Bourgogne Chardonnay ausgelegt. Viel erwarten durfte ich ja nicht, angesichts von 14,75 Chandra Kurt-Punkten. Vgl. dazu meinen Blog-Beitrag: https://victorswein.blog/2018/03/18/wenn-ein-15-punkte-wein-ploetzlich-1825-erreicht/
Aber immerhin tönte der Text positiv (Jg 2015): „Duftet einladend nach Honig und Ananas, im Gaumen eher trocken, herb und mittelschwer. Ich muss an Ananas, junge Aprikosen und etwas Honig denken. Ein Chardonnay mit kühlem Finale und Ecken und Kanten“.
Demgegenüber Degustationsnotiz VL (Jg. 2016): Mittleres, leicht ins rötlich tendierendes Gelb; sehr verhalten, leichter Holzton, milchig, einige florale Töne; gute Säure, viel Alkohol, der aber nicht stört, dünn, mit kurzem Abgang. Sauber gemacht, aber nichtssagend und langweilig. 14 Punkte.
Übrigens habe ich den Wein am Abend meiner Frau und meinem Sohn zusammen mit 2 anderen, guten, aber nicht überwältigenden Weinen blind zum Probieren gegeben. Einhelliges Urteil: „Flach, nichtssagend, macht absolut keine Freude, nimm ihn zum Kochen“.
Rotwein: Billigst-Italiener
Beim Roten habe ich mich an den billigsten erhältlichen Wein gehalten, einen Montepulciano d’Abruzzo für Fr. 2.99.
Chandra Kurt (Jg. 2015, 14 Punkte): „Er duftet nicht so intensiv, wie er aussieht, lässt aber etwas an Cassis denken. Im Gaumen sehr trocken und erdig. Basis-Italiener zu einem Basis-Preis.“
Degunotiz VL (Jg. 2016): Mittleres, glänzendes Rubin; verhaltene Nase, etwas Marmelade, leicht würzig und rauchig, in der Retrofaktion etwas Pflaume; gute Säure, wenig Tannin, gut eingebundener Alkohol, kurz, harmlos aber sauber gemacht. 14 Punkte.
Ich habe kurz überlegt ob es sein darf, dass ich die gleiche Punktzahl wie Kurt vergebe; aber es darf, der Wein ist korrekt und würde an einer Party vielleicht von einigen durchaus geschätzt. Und wenn es denn unbedingt sein müsste, würde ich den Roten dem Weissen sogar vorziehen.
Bloss: es muss nicht sein! Wenn ich nur noch solche banalen Weine trinken dürfte, dann würde ich entweder auf Bier wechseln oder mich ganz auf Wasser beschränken, das wäre wenigstens gesünder!
Wein trinken – da müssen doch Emotionen damit verbunden sein, da muss man doch diskutieren können, geniessen dürfen, innerlich auch mal ausflippen vor Freude. Und das funktioniert offensichtich nicht mit „industriellem“ Wein, der dazu noch in jedem Jahr gleich schmeckt!
Fazit: Der Weinseller landet im Altpapier und von Billigweinen aus dem Supermarkt lasse ich wieder die Hände!