SB-Weltklasse aus Rheinhessen? Ja, ich bleibe dabei!

Vor bald drei Jahren habe ich in diesem Blog über die Sauvignon blancs von Gesine Roll vom Weingut Weedenborn geschrieben und das Wort „Weltklasse“ verwendet. Die Folge davon war eine Blinddegustation, in welcher wir die Aussage überprüften – und die zumindest mich in meinem Urteil weitgehend bestätigte.

Aber der Reihe nach: Kaum war Mitte 2020 der Beitrag mit dem Wort „Weltklasse“ erschienen, „tadelte“ mich Weinfreund Rico Etzensberger, weil die schreibende Zunft seiner Meinung nach viel zu oft zu Superlativen greift. Und ohnehin, Weedenborn auf die gleiche Stufe zu stellen wie etwa Dagueneau oder Tement, sei doch vermutlich schon etwas vermessen.

Weedenborn stellt sich Dagueneau, Tement und Smith Haut-Lafitte

Seine Kritik ist ja grundsätzlich berechtigt (ich bin seither etwas zurückhaltender), aber ich ging auf die Wette ein und stellte eine blinde Vergleichsdegustation mit dem von mir besonders hervorgehobenen SB Réserve 2017 von Weedenborn in Aussicht. Diese fand nun vor Kurzem im schönen Degustationsraum des Weinguts von Ulla und Kaspar Reutimann in Guntalingen statt, mit dabei einige hochkarätige Weinkenner wie Adrian van Velsen (www.vvwine.ch), die Gastgeber und eben auch Rico Etzensberger. Die Degustationsanlage konnte jahrgangsbedingt zwar keinen wissenschaftlichen Grundsätzen genügen, was allein schon durch den Umstand bedingt war, dass auch Gewächse von der südlichen Halbkugel vertreten waren. Immerhin war der Grossteil der Weine auch jahrgangsmässig mit Weedenborn identisch oder höchstens ein Jahr jünger. Und es ging ja auch nicht um Wissenschaft, sondern um Spass und „nur“ um die Prüfung des Prädikates „Weltklasse“.

Dagueneau bzw. Smith Haut-Lafitte gewinnen. Aber Weedenborn hält mit!

Das Resultat vorweg: Es ist uneinheitlich wie so oft bei solchen Anlässen! Während die Degustatorinnen und Degustatoren bei vielen Weinen im Urteil relativ nahe zusammenlagen, gingen die Meinungen ausgerechnet bei der Réserve 2017 von Weedenborn auch auseinander. Adrian van Velsen etwa vergab „nur“ 91 Punkte, was dann schon nicht gerade Weltklasse wäre. Ich selbst vergab 18 Punkte (auf der von mir immer verwendeten 20er Skala), womit er nur gerade einen halben Punkt hinter dem Siegerwein landete. Zum Glück habe ich meine „Wette“ aber mit Rico Etzensberger abgeschlossen, und dieser fand den Weedenborn durchaus sehr positiv: Weedenborn hat mich positiv überrascht, sehr feine, fast schon schlehenhaft, mineralisch geprägt, typische Frucht, vielleicht eine Spur zu laut, aber insgesamt ein sehr schöner SB, vibrierend und langanhaltend, 93 Punkte. Dagueneau und Tement jedenfalls erhielten von ihm je einen Punkt weniger. Seine Favoriten waren Smith Haut-Lafitte (96), Sabathi und Tokara (je 94).

Fazit: Was wirklich Weltklasse ist, ist teilweise offenbar auch etwas Ansichtssache – aber dass Dageneau und Tement (in Normalform) es nicht sind, wird ja kaum jemand behaupten. Und in diesem Feld hat sich Weedenborn sehr gut behauptet. Auch wenn ich, Rico sei’s versprochen, mit dem Ausdruck künftig vorsichtiger umgehen werde: Rheinhessen bringt auch beim SB Weltklasse hervor!

SB: Spannende Weinsorte und grosse Vielfalt

Die Degustation war im Übrigen ganz generell sehr spannend. Nur schon, wie unterschiedlich man die Sorte stylistisch ausbauen kann, aber auch, dass SB aus der neuen Welt „klassisch “ und nicht exotisch daherkommen können, dass auch in preislich noch bezahlbarem Rahmen gute SB produziert werden, bis hin zur Erkenntnis, dass die Steiermark sowie die Loire und Bordeaux weiterhin Qualitäts-Hotspots sind – und Rheinhessen natürlich dazu 🙂

Die Parade der degustierten SB im schönen Lokal von Reutimann’s in Guntalingen. (Gitton und Casanova sind aufgrund klarem Kork- bzw. Flaschenfehler nachfolgend nicht beschrieben).

Hier meine persönlichen Notizen und Bewertungen (die Degustation erfolgte blind):

Domaine Didier Dagueneau, Silex 2017, Frankreich, Loire (Sancerre)
Helles Gelb, anfangs sehr reduktiv, dann zurückhaltende Frucht und Mineralik; im Mund ebenfalls sehr mineralisch, zwar dicht aber auch ungemein elegant, hier spürbare Fruchtigkeit, wirkt, als hätte er etwas Tannin. Noch unzugänglich, aber klassischer Wein mit Zukunft. 18,5 Punkte.

Château Smith Haut-Lafitte, 2016, Frankreich, Bordeaux (Pessac-Léognan)
(Hat „nur“ 90 % SB, dazu je 5 % Sauvignon gris und Sémillon)
Mittleres Gelb; in der Nase sehr fruchtig, trotz Papaya nicht exotisch wirkend, etwas grüne Töne; im Mund rund und ausgesprochen fruchtbetont, ausgeprägte Frucht“süsse“, mineralisch, schöne Säure, spürbarer, aber gut eingebundener Alkohol. Sehr schöner Wein mit Reserven. 18 Punkte

Erwin Sabathi, Ried Pössnitzberg, 2018, Österreich, Südsteiermark
Mitteres Gelb; schöne Frucht mit einem Hauch von Exotik, noble grüne Töne; im Mund bei gut integrierter Säure enorm elegant, mieralischer Touch und schöne Fruchtigkeit, toller, „saftiger“ Trinkfluss. Toller SB. 18 Punkte

Weedenborn, Réserve 2017, Deutschland, Rheinhessen
Mittleres Gelb; etwas exotische Fruchtnoten, spürbarer Holzton; im Mund dicht und stoffig, schöne Säure und Frische, bei aller Kraft und Dichte auch elegant, spürbares Holz. Vielleicht ist das Holz etwas dominant, aber ein grosser SB. 18 Punkte.

Tokara, Elgin 2018, Südafrika, Stellenbosch bzw. Elgin
Helles Gelb; grüne Töne, Stachelbeeren, dazu dezenter exotischer Fruchttouch; eleganter Wein mit schön stützender Säure, daneben glyzerinbetont rund, fruchtig, im Abgang mit mineralischem Touch. Erfreulicher SB. 17,5 Punkte.

Sattlerhof, Ried Kranachberg 2018, Österreich, Südsteiermark
Mittleres Gelb, in der Nase etwas reduktiv mit verhaltener, feiner Frucht; im Mund mit schöner Struktur, dicht (fast „zum Kauen“), mineralisch, frisch. Man würde ihn sich vielleicht etwas fruchtiger wünschen, aber es ist ein toller SB! 17,5 Punkte.

Triacca, Canale, 2018, Italien, Alpi Retiche (Veltlin)
Helles Gelb; feine Fruchttöne (Birne, Stachelbeere, Rosinen), ganz leicht oyxdativer Touch (Boskoop); im Mund druckvoll, fruchtig, prägnante Säure, spürbarer Alholhol, ausgesprochen langer Abgang. Schöner SB, würde aber mit weniger Alkohol wohl noch besser gefallen. 17 Punkte.
(Anmerkung: Es handelt sich um den günstigsten Wein der Probe, mit CHF 22.50 kostet er mehr als fünfmal weniger als der teuerste – von daher ein toller Wert).

Weingut Riehen, Le Petit, 2018, Schweiz, Basel-Stadt (Riehen)
Mittleres Gelb; Duft nach Birne und leicht oxydativ nach angeschnittenem Apfel, leichter Holzton; im Mund bei hoher Säure üppig, wirkt leicht adstingierend. Eher atypischer SB mit guten Ansätzen, der aber auch etwas ratlos lässt. 16 Punkte.

Cloudy Bay, Te Koko, 2019, Neuseeland, Marlborough
Mittleres Gelb; leichter Rauchton, Vanille, exotische Frucht; im Mund viel neues Holz, etwas trocknend, prägnante, schöne Säure, recht dichter Körper. Für meinen Geschmack mit viel zuviel Holz und Exotik, aber wem’s gefällt. 16 Punkte.

Tement, Ried Zieregg, 2017, Österreich, Südsteiermark
Mittleres Gelb; sehr reduktiv, leichter Fehlton (altes Ei), wird mit Luft etwas besser; im Mund eher filigran bei schöner Säure, leichter Bittertouch. Der Wein hat gute Ansätze, lässt aber ziemlich ratlos. Ein offensichticher Korkfehler ist nicht vorhanden, aber ein anderer Flaschenfehler nicht ausgeschlossen. Falls alle Flaschen so wären: enttäuschend. Ohne Bewertung.

Link auf Reutimann Weinbau, empfehlenswert, auch das Lokal:
Reutimann Weine – Homepage (reutimann-weine.ch)

Und der Link auf VVWine, wo die gleichen Weine beschrieben sind:
11x Sauvignon Blanc – vvWine

Und schliesslich der Link auf den erwähnten Ursprungsartikel in meinem Blog. Zu einem Besuch auf dem Gut hat es bisher leider nicht gereicht, aber einen Nachfolgeartikel wurde ja nun trotzdem generiert:
Weedenborn – Weltklasse-Sauvignon blanc aus Rheinhessen! – Victor’s Weinblog (victorswein.blog)


Interessennachweis:
Sämtliche Weine wurden im Weinhandel gekauft.

Weedenborn – Weltklasse-Sauvignon blanc aus Rheinhessen!

Sauvignon blanc-Queen! Wer über Gesine Roll vom Weingut Weedenborn recherchiert, stösst sehr schnell auf diesen „Titel“. Und wer ihre Weine probiert spürt schnell, dass er auch verdient ist. Besser kann man Sauvignon blanc – nicht nur in Deutschland – kaum produzieren.

Rheinhessen ist zwar flächenmässig das grösste Weinbaugebiet Deutschlands, galt aber lange Zeit nicht gerade als Qualitätsleader des deutschen Weins, wobei wohl vor allem die unselige „Liebfrauenmilch“ ein schlechtes Image geprägt hat. Diese Zeiten sind längst vorbei. Winzer wie Keller und Wittmann stehen ganz an der Spitze der deutschen Elite, und in Nierstein gibt es herausragende Weinbetriebe gleich im „Multipack“.

Es gibt da aber auch noch das Weingut Weedenborn im rheinhessischen Bergland. Aus Schweizer Sicht löst dieser Ausdruck zwar zuerst eher ein Lächeln aus, liegen doch die höchsten Lagen auf etwas über 300 m über Meer. Und doch liegt dieses Gebiet um 100 bis 200 m höher aus der Rest, was nicht nur eine tolle Weitsicht, sondern auch ein etwas kühleres Klima ergibt. Dass genau diese zusätzliche Frische einer Sorte wie der Sauvignon blanc gut bekommt, veranlasste schon den Vater von Gesine Roll dazu, diese Sorte anzupflanzen, kaum war sie offiziell zugelassen. Zum offensichtlich grossen Talent der heutigen Leiterin des Familienbetriebes kommt also auch Traubenmaterial von Reben in gutem Alter.

Viel mehr über den Betrieb brauche ich hier nicht zu schreiben, das können Sie gerne bei meiner geschätzten Blogger-Kollegin Nicole Korzonnek (Bottled Grapes) nachlesen, es lohnt sich! Den Link finden Sie unten.

Gerne unterstreiche ich bloss noch, dass eine Reduktion des Talentes von Gesine Roll auf den Sauvignon blanc ein Fehler wäre. Ich konnte aus einem Degustationspaket auch einen Chardonnay, einen Weiss- und einen Grauburgunder probieren. Alle drei überzeugen sehr – der Chardonnay (Westhofen 2018) für knapp 13 Euro würde z.B. in jeder Degustation der besten Weine aus dem Mâconnais locker ganz vorne mithalten. Es gäbe noch viel zu entdecken, u.a. Riesling und auch Rotweine – bei meiner nächsten Reise in die Gegend werde ich mich um einen Besuch auf dem Gut bemühen – wetten, dass daraus ein zweiter Beitrag entstehen wird!

Die Weine der „Sauvignon blanc-Queen“:

weedenborn-2
Puristische Etiketten, aber mit einer Aussage: Die Linien zeigen das Gelände!

Sauvignon blanc 2019
Helles gelb mit leicht orangen Reflexen; typische Sauvignon-Nase auf der mineralischen Seite, etwas Stachelbeere, Holunderblüte, Feuerstein und sehr dezent tropische Früchte; im Mund sehr fruchtig, schöne, aber nicht übertriebene Säure, aufgrund der Mineralität dicht wirkend. Süffiger, frischer, aber alles andere als harmloser Sauvignon blanc. Ein Gutswein, der andernorts die Spitze darstellte.

Sauvignon blanc Terra Rossa 2018
Mittleres Gelb mit grünem Einschlag; in der Nase elegant-verhalten, Mirabelle, weisser Pfirsich, Steinmehl; im Mund enorm dicht, Mineralität ohne Ende, frisch, Säure und Alkohol in perfektem Gleichgewicht, sehr langer Abgang. Toller, eigenständiger Sauvignon blanc!

Sauvignon blanc Réserve 2017
Mittleres Gelb; in der Nase zwar eher dezent, aber enorm vielschichtig mit Duft nach Aprikosen, Mandeln, Orangen, frischem Bergheu, leichter Holzton; im Mund sehr mineralisch und trotzdem fruchtig, enorme Dichte, elegant, ausgewogen mit fast nicht endendem Abgang. Umwerfend schöner Wein – fast habe ich das Gefühl, eine gelungene Mischung zwischen einem grossen weissen Bordeaux und einem Burgunder im Glas zu haben!

Zum erwähnten Beitrag bei „Bottled Grapes“:

Weingut Weedenborn: Winzerin Gesine Roll aus Monzernheim

Zum Weingut, bestellen kann man hier „nur“ zwei Degustationspakete:
https://www.weedenborn.de/

Dafür sind viele der Weine hier erhältlich (Lieferung nur in Deutschland):
https://wirwinzer.de/weinregionen/rheinhessen/weingut-weedenborn