Jahr des Winzers, Folge 7: zum Hinknien!

Wein trinken ist genussvoll – Winzer sein oft auch, kann aber auch ganz schön anstrengend sein. Denn vieles geht immer noch nur mit grossem Arbeitseinsatz, und vieles in Sachen Qualität entscheidet sich im Detail. Ein solches zeige ich nachstehend.

Reben haben eine unglaubliche Wuchskraft. Ohne menschlichen Eingriff würde ein einzelner Stock viele Quadratmeter bedecken. Ein einziger Rebtrieb kann ohne Weiteres in einem Jahr rund 5 Meter wachsen. Das Resulat dieses  Wildwuchses wäre wohl schön anzusehen – wie bei einer Wildrebe – würde aber viel zu viel Ertrag und somit keinen trinkbaren Wein abliefern. Qualitätsrebbau ist deshalb nicht möglich ohne massive menschliche Eingriffe!

Weil die Reben derart kräftig sind, „schiessen“ sie auch überall mit neuen Trieben aus. Besonders unter der Schere gehalten werden müssen die Rebstöcke am Fuss. Dort gibt es immer wieder neue „Geschosse“, und nicht selten entwickeln sich solche sogar aus der „Unterlage“ .
(Unsere Edelreben wachsen seit der Reblausplage nicht mehr natürlich, d.h mit den eigenen Wurzeln, sondern werden auf Unterlagen aufgepfropft, die von amerikanischen Reben abstammen, welche gegen die Reblaus resistent sind.).
Solche Triebe von unten stören, und können auch schnell Pilzkrankheiten verbreiten, weil sie beim Pflanzenschutz nicht erfasst werden. Solche Rebtriebe müssen also entfernt werden, was nichts anderes heisst, als sich bücken oder noch besser, sich hinzuknien. Eine gewisse Ehrbezeugung hat eine Rebe ja verdient! 🙂

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Eine Rebe mit ungewöhnlich vielen Trieben, die von unten her neu ausschiessen. Alle müssen entfernt werden.
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Der gleiche Rebstock danach, alle störenden Triebe sind entfernt. (Die Rebe hat übrigens schon einen stattlichen Stamm, sie ist 30-jährig, ist also im besten Alter)

 

Jahr des Winzers, Folge 6: Das Anbinden

Und noch mehr Handarbeit! Wobei gleich anzumerken ist, dass unsere Arbeit im kleinen Rebberg eher archaisch – oder zumindest um einige Jahrzehnte zurückversetzt – ausfällt. Im professionellen Rebbau ist zwar auch noch viel Handarbeit nötig, aber kaum mehr in dieser Art und Weise. Wir binden, wo nötig, die Triebe manuell und mit Bast. Profis erledigen diese Arbeit, wenn überhaupt, mit „Heftpistolen“ – das geht viel schneller und einfacher. Die nachfolgenden Beispiele geben aber einen guten Einblick ins Prinzip – und gleichzeitig in die vergangene Zeit, als auch in den Reben noch wirklich alles Handarbeit war.

Ob arachaisch, halb- oder vollautomatisch: In jedem Fall gibt es immer wieder Rebtriebe, die nicht in jene Richtung wachsen, die wir eigentlich für richtig hielten. Hier hilft nur sanfter oder klarer Druck, um sicherzustellen, dass die Reben so wachsen, wie wir uns das wünschen, was gleichzeitig Schäden bei Stürmen verhindert. In dieser Jahreszeit, wenn die Triebe noch jung sind, genügt oft schon ein sanfter Druck, um sie abzuknicken. Später im Jahr, wenn die Triebe von unten her „verholzen“, sind sie nicht mehr so empfindlich.

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Dieser Trieb (1) wächst ausserhalb der gespannten Drähte. Ohne Eingriff würde er mit zunehmender Länge immer mehr nach aussen wachsen und sich im Extremfall bis auf den Boden neigen – oder bei einem Gewitter gleich ganz abknicken.
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Der gleiche Trieb (1) ist hier am Draht angebunden und so in eine neue Wuchsrichtung gezwungen. Was jetzt etwas „gequält“ aussieht, wirkt schon in ein paar Tagen ganz natürlich – die Rebe passt sich an.

Hier noch ein weiteres Beispiel:

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Dieser Trieb (1) hat eine extreme Tendenz, vom Stock wegzuwachsen. Ohne Eingriff würde er ziemlich horizontal bis zum nächsten oder gar übernächsten Stock weiterwachsen und dort für ein zu dichtes Blätterwerk sorgen.
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Hier ist der gleiche Trieb (1) am Pfosten aufgebunden und so gezwungen, vertikal in die Höhe zu wachsen.

 

 

Jahr des Winzers: Die Handarbeit geht beim Einschlaufen weiter

Im Moment wachsen die Reben fast schneller, als man als (Hobby-)Winzer arbeiten kann. Kaum ist das Erlesen im ersten Durchgang fertig, gilt es schon, die Reb-Triebe einzuschlaufen. Zumindest in unseren Breitegraden werden oft Drähte fix gespannt, die den Reben links und rechts sozusagen eine Wachstumsgrenze vorgeben. Nur muss bei vielen der Triebe manuell nachgeholfen werden. Wenn man das nicht tut, wachsen sie quer durch die ganze „Gasse“ (Platz zwischen zwei Rebzeilen), behindern so die Spritz- und Mäharbeiten – und knicken oft sogar ab, insbesondere bei Gewitterstürmen.

Also gilt es, jetzt alle Triebe „einzuschlaufen“:

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Die Reben vor der Arbeit des Einschlaufens. Hier würde insbesondere der mit 1 bezeichnete Trieb immer weiter von der Reihe weg wachsen, die ganze „Gasse“ überqueren und bei einem heftigen Sturm auch abknicken.
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Der gleiche Bereich nach dem Einschlaufen. Die Triebe im Vordergrund werden jetzt vom Draht gestützt, und insbesondere der Trieb 1 wird nun innerhalb des Drahtes in die Vertikale gebracht.

Im Profi-Rebbau gibt es inzwischen Systeme, die Handarbeit erübrigen (z.B. maschinelles Spannen von Schnüren entlang der Rebzeilen). Für kleinere Betriebe – und für Hobbywinzer erst recht – bleibt aber nur die Handarbeit. Das Einschlaufen bedingt übrigens ziemlich viel Gefühl: geht man zu schnell und ruckartig vor, können die Triebe beim Einschlaufen auch abbrechen.

Sie sehen auch hier: Winzer sein mag spannend tönen, ist aber kein Zuckerschlecken.

Jahr des Winzers: Jetzt beginnt die arbeitsreichste Zeit.

Dieser Frühling, der eigentlich schon ein Sommer ist, hat dazu geführt, dass sich die Reben in einem kaum je gesehenen Tempo entwickeln. Vor zwei Wochen erst sich öffnende Knospen, und heute schon 20 cm lange Triebe. Besser könnte es gar nicht sein. Aber das heisst jetzt auch, „alle Arbeit auf einmal“!
Und weil die Langfristprognosen von lauen Nachtemperaturen ausgehen, kann man es zudem wagen, auch schon die Frostreserven zu entfernen.

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Das „Erlesen“ – reine Handarbeit! (Der Autor in Aktion).

Die Reben haben eine unglaubliche Wuchskraft. Im Frühling spriessen immer weit mehr Triebe, als für einen qualitätsbewussten Weinbau sinnvoll ist. Es heisst also, jeden Stock einzeln zu bearbeiten und überzählige, schwache oder falsch platzierte Geschosse zu entfernen. So maschinell, wie im Rebberg schon vieles geht – das ist auch bei Profis noch reine Handarbeit! Das Erlesen verlangt sehr viel „Fingerspitzengefühl“, und das auch schon im Hinblick auf das kommende Jahr, denn man muss jetzt schon daran denken, welche Triebe beim Schnitt im nächsten Jahr verwendet werden können.

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Ein Stock vor dem Erlesen und dem Entfernen der „Frostruten“

Wie erwähnt, ist jetzt auch die Zeit, die stehen gelassenen Frostruten
zu entfernen. Siehe dazu: https://victorswein.blog/2018/02/11/virtuelles-weinjahr-folge-1-der-schnitt/
Zwar ist die Frostgefahr noch nicht ganz vorbei (nach dem Volksmund ist dies erst nach den „Eisheiligen“ mit dem Höhepunkt der „kalten Sophie“, 2018 am 15. Mai, der Fall), aber die Reben sind so schnell gewachsen, dass überzählige Ruten jetzt entfernt werden müssen. Zudem tönen die Wetterprognosen vielversprechend.

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Und der gleiche Stock danach, es stehen nur noch 10-12 Geschosse, an denen dereinst die Trauben heranwachsen werden.

Deshalb kann das Erlesen und das Entfernen der „Frostruten“ gleich in einem Arbeitsgang durchgeführt werden. Um es allerdings vorweg zu nehmen: Das Erlesen wird noch in  einem zweiten oder gar dritten Durchgang wiederholt werden müssen. Die Reben sind nämlich mit so viel Wuchskraft versehen, dass in den nächsten Wochen immer wieder neue Triebe direkt aus dem alten Holz austreiben werden. Auch diese müssen noch entfernt werden, weil sie die Rebe sonst Kraft kosten und zudem für ein dichteres Laubwerk und damit für mehr Fäulnisanfälligkeit sorgen würden.

Sie sehen, Rebarbeit ist weiterhin viel Handarbeit. Mir macht es Spass – aber stellen Sie sich vor, wie das für Berufswinzer ist: wochenlang nichts anderes, und erst noch bei jedem Wetter!


Unser Sonderfall mit Hagenschäden – die Frostrute wird zur „Hagelrute“

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Die eigentlich für den Ertrag vorgesehene, auf den Draht gebundene Rute (1) ist vom Hagel komplett zerstört, ebenso die eigentlich als Reserve vorgesehene Rute (2). Ziemlich unversehrt ist aber eine weitere Reserve (3), die man in normalen Jahren nicht stehen gelassen hätte. Diese kommt nur als Ersatz zum Zuge.

Im Sommer 2017 zerstörte eine sogenannte „Superzelle“ mit Sturm und Hagel so ziemlich alle Kulturen in der Region. Wir hatten letztes Jahr zum ersten Mal überhaupt in 30 Jahren keinen Ertrag. Selbst das Rebholz sah so jämmerlich zerfetzt aus, dass man sich die Frage stellte, ob 2018 überhaupt etwas wachsen würde.

Nun, die Rebe ist eine unglaublich vitale Pflanze, und das Bild, das sich jetzt beim Austrieb zeigt, ist sehr beruhigend. Dennoch sind die Schäden unübersehbar. Es gibt kaum eine Rute, an der alle „Augen“ auch tatsächlich ausgeschlagen haben, und viele der Geschosse weisen einen Rückstand im Wachstum aus. Weil wir diese Situation erwartet hatten, haben wir beim Rebschnitt viel mehr stehen gelassen als üblich. Das zahlt sich nun aus. Dank der deshalb möglichen Verwendung weiterer Ruten kommen wir an den meisten Stöcken doch auf die gewünschte Anzahl an kräftigen Geschossen.

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Hier ist nun die Rute 3 vom vorherigen Bild auf den Draht gebunden und wird den gewünschten Ertrag bringen.

Allerdings bedeutet dieses Vorgehen künftig auch mehr Arbeit. Die Geschosse wachsen nun nach dem Biegen der Rute in eine falsche Richtung. Vieles wird die Natur zwar von selbst neu richten, aber Handarbeit beim Anbinden und in die richtige Richtung weisen wird hier unabdingbar sein.

 

 

 

 

 

 

Virtuelles Weinjahr (Folge 1 – der Schnitt)

Im Februar beginnt die Arbeit im Rebberg mit dem für mich schönsten Teil: dem Rebschnitt. Es ist vermutlich auch die wichtigste Arbeit überhaupt, denn damit werden nicht nur Entscheide für das laufende Jahr, sondern auch für die Folgejahre getroffen. Ein bisschen ist es wie beim Schach, man muss immer ein paar Züge (oder eben Schnitte) vorausdenken.


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Wirres „Chaos“ vor dem Rebschnitt im Februar (Bild vl)

Da stehen also die Reben, so wie sie im vorangegangenen Jahr gewachsen sind. Nur wirken sie jetzt struppig, ganz anders als im Sommer und Herbst des Vorjahres, als sich eine grüne oder wunderschön farbige Blätterwand zeigte.

Nun gilt es, radikal aber überlegt einzugreifen. Von all den vielen Trieben brauchen wir im neuen Jahr nur noch zwei, und diese werden erst noch auf wenige „Augen“ zurückgeschnitten. (Als Augen werden die Knospen bezeichnet, aus denen im Frühling neue Triebe ausschlagen.) Pro künftigem Trieb sollte aus Qualitätsgründen dereinst nur eine Traube stehen bleiben. Und je nach Traubensorte und vor allem Qualitätsdenken sollten schliesslich höchstens 10-12 Trauben pro Stock als Ertrag verbleiben – das ergibt also je 5-6 Augen an beiden der verbleibenden Ruten.

In der Praxis ist aber alles etwas komplexer: Zusätzlich lassen wir, ganz nah am Stock, eine kurze Rute („Zapfen“) mit einem bis zwei Augen stehen. Aus diesen spriessen die Triebe, die wir im Idealfall im kommenden Jahr für den dannzumaligen Ertragsschnitt brauchen können. Zudem lassen wir vorerst nicht zwei, sondern drei Ruten stehen. Die dritte dient als „Frostreserve“, also als Sicherheit für den Fall eines gefürchteten Frühlingsfrostes. In unserem Rebberg hatten wir das 2016 und 2017. Die Reben waren in zartem Grün frisch ausgetrieben, als eine Frostnacht Ende April resp. anfangs Mai 3-5 Minusgrade brachte. Das ertragen die meisten der frischen Triebe nicht, sie erfrieren und sterben ab. Interessanterweise überleben aber – je nach Stärke des Frostes, aber auch je nach dem begleitenden Kleinklima (Nässe, Wind, Geländeform etc.) – manchmal einige der Triebe. Und gerade jene an der „Frostrute“, welche etwas höher steht, können dann mit zur Rettung des Jahrgangs genutzt werden.

Auf den ersten Blick ist der Schnitt eine banale Angelegenheit. Man braucht – abgesehen von der Frostrute und dem „Zapfen“ – zwei letztjährige Triebe, welche auf 5-6 Augen zurückgeschnitten werden – fertig! Die Praxis ist aber herausfordernder. Denn erstens braucht es starke Triebe, „Kümmerlinge“ gedeihen nicht richtig. Zweitens muss die Rebe  in die richtige Form gebracht werden können. Eine Rute muss also ungefähr in die Richtung wachsen, in der wir sie danach auf den Draht biegen. Drittens muss der Rebstock so geschnitten werden, dass die neuen Triebe so nah als möglich beim Stock wachsen. Viertens ist kein Stock wie der andere, es gibt immer neue Konstellationen. Und fünftens, und eigentlich vor allem, muss der Schnitt so erfolgen, dass auch im nächsten Jahr wieder ein guter Rebschnitt möglich wird. Voraussehen, wie die Rebe wachsen wird, und was das für die Zukunft bedeutet. Eben, wie im Schach; ein paar Züge vorausdenken.

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Ein Rebstock vor dem Schnitt (Bild vl). Die Erziehung aus dem Vorjahr lässt sich hier nicht ablesen, weil die jungen Triebe im Frühling 2017 durch Frost abstarben und durch einige „überlebende“ und vor allem durch nachstossende Triebe ersetzt wurden.
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Die gleiche Rebe nach dem Schnitt. Die beiden Ruten, bereits auf den Draht gebunden (1), die Frostrute, welche im Mai noch abgeschnitten wird (2) und der Zapfen, aus dem die Ruten für das nächste Jahr wachsen (3). Der Zapfen ist hier nicht ideal angebracht und sollte zentraler liegen. Schuld daran sind Frost und Hagel vom Vorjahr, die vieles zerstörten.

Solche Überlegungen macht man sich mit etwas Erfahrung nicht mehr unbedingt bewusst, vieles passiert in der Routine intuitiv – auch wie beim Schach. Und genau deshalb liebe ich diese Arbeit so sehr; sie ist entspannend und herausfordernd zugleich, und man legt – noch im Winter – die Basis für ein ganzes Weinjahr. Und in meinem Fall, mit einem Rebberg von 4 Aaren, wovon ein Kollege die Hälfte bewirtschafet, kommt noch dazu, dass ich genügend Zeit habe, weil es egal ist, ob die Arbeit im Februar oder anfangs März gemacht wird. Musse im Rebberg also, wie sonst nie.

Hier noch ein Link auf eine einfache, aber verständliche schematische Darstellung des Rebschnitts:

https://www.rebschule-schmidt.de/reben_schneiden



Verschiedene „Erziehungsarten“

Weltweit gibt es viele verschiedene Arten, Reben zu schneiden resp. zu „erziehen“. Bekannt sind auch exotische Formen wie die Pergolareben, wie sie im Tessin oder Südrtirol immer noch zuweilen anzutreffen sind. Oder die „kriechende Erziehung“ wie auf Lanzarote, wo die Reben direkt am Boden wachsen, damit sie via Tau etwas Feuchtigkeit erhalten.
In unseren Breitengraden ist der Gobelet-Schnitt aus der Westschweiz bekannt, bei welchem keine langen Ruten, sondern mehrere kurze stehen gelassen werden. Und schliesslich war historisch der Schnitt für „Stickelreben“ verbreitet, der heute noch angewandt wird, wenn eine Rebe allein an einem Pfahl („Stickel“) steht, d.h. kein Draht gespannt ist. Die Ausführungen im vorstehenden Beitrag beziehen sich also nur auf eine von vielen Möglichkeiten.

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Hier eine geschnittene „Stickelrebe“ (es ist übrigens der Rebstock, der auf dem Einstiegsbild zum Artikel zu sehen ist). Die untere Rute (1) und die obere Rute (2), welche auf der Höhe beginnt, auf der die erste endet. Auch hier eine Frostreserve (3) und ein Zapfen (4).