Virtuelles Weinjahr (Folge 1 – der Schnitt)

Im Februar beginnt die Arbeit im Rebberg mit dem für mich schönsten Teil: dem Rebschnitt. Es ist vermutlich auch die wichtigste Arbeit überhaupt, denn damit werden nicht nur Entscheide für das laufende Jahr, sondern auch für die Folgejahre getroffen. Ein bisschen ist es wie beim Schach, man muss immer ein paar Züge (oder eben Schnitte) vorausdenken.


vor dem schnitt
Wirres „Chaos“ vor dem Rebschnitt im Februar (Bild vl)

Da stehen also die Reben, so wie sie im vorangegangenen Jahr gewachsen sind. Nur wirken sie jetzt struppig, ganz anders als im Sommer und Herbst des Vorjahres, als sich eine grüne oder wunderschön farbige Blätterwand zeigte.

Nun gilt es, radikal aber überlegt einzugreifen. Von all den vielen Trieben brauchen wir im neuen Jahr nur noch zwei, und diese werden erst noch auf wenige „Augen“ zurückgeschnitten. (Als Augen werden die Knospen bezeichnet, aus denen im Frühling neue Triebe ausschlagen.) Pro künftigem Trieb sollte aus Qualitätsgründen dereinst nur eine Traube stehen bleiben. Und je nach Traubensorte und vor allem Qualitätsdenken sollten schliesslich höchstens 10-12 Trauben pro Stock als Ertrag verbleiben – das ergibt also je 5-6 Augen an beiden der verbleibenden Ruten.

In der Praxis ist aber alles etwas komplexer: Zusätzlich lassen wir, ganz nah am Stock, eine kurze Rute („Zapfen“) mit einem bis zwei Augen stehen. Aus diesen spriessen die Triebe, die wir im Idealfall im kommenden Jahr für den dannzumaligen Ertragsschnitt brauchen können. Zudem lassen wir vorerst nicht zwei, sondern drei Ruten stehen. Die dritte dient als „Frostreserve“, also als Sicherheit für den Fall eines gefürchteten Frühlingsfrostes. In unserem Rebberg hatten wir das 2016 und 2017. Die Reben waren in zartem Grün frisch ausgetrieben, als eine Frostnacht Ende April resp. anfangs Mai 3-5 Minusgrade brachte. Das ertragen die meisten der frischen Triebe nicht, sie erfrieren und sterben ab. Interessanterweise überleben aber – je nach Stärke des Frostes, aber auch je nach dem begleitenden Kleinklima (Nässe, Wind, Geländeform etc.) – manchmal einige der Triebe. Und gerade jene an der „Frostrute“, welche etwas höher steht, können dann mit zur Rettung des Jahrgangs genutzt werden.

Auf den ersten Blick ist der Schnitt eine banale Angelegenheit. Man braucht – abgesehen von der Frostrute und dem „Zapfen“ – zwei letztjährige Triebe, welche auf 5-6 Augen zurückgeschnitten werden – fertig! Die Praxis ist aber herausfordernder. Denn erstens braucht es starke Triebe, „Kümmerlinge“ gedeihen nicht richtig. Zweitens muss die Rebe  in die richtige Form gebracht werden können. Eine Rute muss also ungefähr in die Richtung wachsen, in der wir sie danach auf den Draht biegen. Drittens muss der Rebstock so geschnitten werden, dass die neuen Triebe so nah als möglich beim Stock wachsen. Viertens ist kein Stock wie der andere, es gibt immer neue Konstellationen. Und fünftens, und eigentlich vor allem, muss der Schnitt so erfolgen, dass auch im nächsten Jahr wieder ein guter Rebschnitt möglich wird. Voraussehen, wie die Rebe wachsen wird, und was das für die Zukunft bedeutet. Eben, wie im Schach; ein paar Züge vorausdenken.

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Ein Rebstock vor dem Schnitt (Bild vl). Die Erziehung aus dem Vorjahr lässt sich hier nicht ablesen, weil die jungen Triebe im Frühling 2017 durch Frost abstarben und durch einige „überlebende“ und vor allem durch nachstossende Triebe ersetzt wurden.
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Die gleiche Rebe nach dem Schnitt. Die beiden Ruten, bereits auf den Draht gebunden (1), die Frostrute, welche im Mai noch abgeschnitten wird (2) und der Zapfen, aus dem die Ruten für das nächste Jahr wachsen (3). Der Zapfen ist hier nicht ideal angebracht und sollte zentraler liegen. Schuld daran sind Frost und Hagel vom Vorjahr, die vieles zerstörten.

Solche Überlegungen macht man sich mit etwas Erfahrung nicht mehr unbedingt bewusst, vieles passiert in der Routine intuitiv – auch wie beim Schach. Und genau deshalb liebe ich diese Arbeit so sehr; sie ist entspannend und herausfordernd zugleich, und man legt – noch im Winter – die Basis für ein ganzes Weinjahr. Und in meinem Fall, mit einem Rebberg von 4 Aaren, wovon ein Kollege die Hälfte bewirtschafet, kommt noch dazu, dass ich genügend Zeit habe, weil es egal ist, ob die Arbeit im Februar oder anfangs März gemacht wird. Musse im Rebberg also, wie sonst nie.

Hier noch ein Link auf eine einfache, aber verständliche schematische Darstellung des Rebschnitts:

https://www.rebschule-schmidt.de/reben_schneiden



Verschiedene „Erziehungsarten“

Weltweit gibt es viele verschiedene Arten, Reben zu schneiden resp. zu „erziehen“. Bekannt sind auch exotische Formen wie die Pergolareben, wie sie im Tessin oder Südrtirol immer noch zuweilen anzutreffen sind. Oder die „kriechende Erziehung“ wie auf Lanzarote, wo die Reben direkt am Boden wachsen, damit sie via Tau etwas Feuchtigkeit erhalten.
In unseren Breitengraden ist der Gobelet-Schnitt aus der Westschweiz bekannt, bei welchem keine langen Ruten, sondern mehrere kurze stehen gelassen werden. Und schliesslich war historisch der Schnitt für „Stickelreben“ verbreitet, der heute noch angewandt wird, wenn eine Rebe allein an einem Pfahl („Stickel“) steht, d.h. kein Draht gespannt ist. Die Ausführungen im vorstehenden Beitrag beziehen sich also nur auf eine von vielen Möglichkeiten.

stickel
Hier eine geschnittene „Stickelrebe“ (es ist übrigens der Rebstock, der auf dem Einstiegsbild zum Artikel zu sehen ist). Die untere Rute (1) und die obere Rute (2), welche auf der Höhe beginnt, auf der die erste endet. Auch hier eine Frostreserve (3) und ein Zapfen (4).

 

5 Gedanken zu “Virtuelles Weinjahr (Folge 1 – der Schnitt)

  1. Dieter

    Auch für mich die schönste und herausfordernste Arbeit im Rebjahr! Was mich immer wieder fasziniert ist, dass man sich auf jede einzelne Pflanze einlassen muss. Mir macht „schachspielen“ im Rebberg eindeutig mehr Spass als auf dem Brett!

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  2. Feer Markus

    Heute im Biswind schachspielen probiert! Macht viel mehr Spass als Jassen! Die Rebstöcke blieben, im Gegensatz zu Jasskollegen, ganz cool 😎, auch wenn ich mal einen strategischem Missschnitt platzierte. 😇

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